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Lipödem – (k)eine klare Diagnose

<p class="article-intro">Das Lipödem ist eine oft zitierte, aber vielfach fehldiagnostizierte Erkrankung, die ausschließlich das weibliche Geschlecht betrifft. Die genauen Pathomechanismen sind ungeklärt. Die Vielzahl der für das Krankheitsbild verwendeten Begriffe lässt auf große Unsicherheit in Diagnose und Behandlung schließen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Stellen Sie die Diagnose!</li> <li>Das Lip&ouml;dem ist eine vererbte Erkrankung, wobei die betroffenen Gene noch nicht identifiziert sind. Es wird von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen, wobei vermutet wird, dass &Ouml;strogen und lymphovaskul&auml;re Ver&auml;nderungen eine entscheidende Rolle im Krankheitsverlauf spielen.</li> <li>Die Erkrankung ist stark unterdiagnostiziert und wird h&auml;ufig als Adipositas oder Lymph&ouml;dem fehldiagnostiziert und folglich auch fehltherapiert.</li> <li>Es ist daher &auml;u&szlig;erst wichtig, dass diese Erkrankung bei Vorliegen auch dezidiert diagnostiziert wird.</li> <li>Die Liposuktion ist eine sehr effektive Behandlungsmethode. Die Komplikationsrate ist gering und die postoperativen Resultate sind sehr gut, wie die hohe Patientenzufriedenheit zeigt, nicht zuletzt durch die ausbleibende Rezidivneigung.</li> </ul> </div> <h2>Was ist ein Lip&ouml;dem?</h2> <p>Per definitionem handelt es sich um eine chronische progrediente Erkrankung, charakterisiert durch eine Fettgewebsverteilungsst&ouml;rung mit deutlicher Dysproportion zwischen Stamm und Extremit&auml;ten. Die Entstehung erfolgt durch umschriebene, symmetrisch lokalisierte Unterhautfettgewebsvermehrung der unteren und/oder oberen Extremit&auml;ten. Bereits Anfang der 1940er-Jahre wurde der Begriff durch Allen und Hines erstmals publiziert. Die propagierten Diagnosekriterien werden bis heute verwendet: ausschlie&szlig;liches Auftreten bei Frauen, beidseitig und symmetrisch, fakultative &Ouml;demneigung, Druck- und/oder Spontanschmerz, H&auml;matomneigung. Synonym gebr&auml;uchliche Begriffe wie Adipositas dolorosa, Lipalgia dolorosa, Lipohyperplasia dolorosa, schmerzhaftes S&auml;ulenbein etc. sollten wegen Verwechslungsgefahr mit anderen vererbbaren oder syndromalen Lipodystrophien bzw. Lipomatosen eher vermieden werden.</p> <h2>Klassifikation und Diagnose</h2> <p>Das Lip&ouml;dem ist eine unterdiagnostizierte Erkrankung! Obwohl bereits durch verschiedene Autoren und Fachgruppen sowohl Diagnosekriterien als auch Einteilungen hinsichtlich Morphologie und Verlauf publiziert worden sind, gibt es f&uuml;r eine sichere Diagnose keinerlei erhebbare Testparameter (sei es aus dem Blut oder Harn) bzw. spezifische histopathologische oder genetische Nachweise.<br /><br /> Einteilung des Lip&ouml;dems nach Lokalisation</p> <ul> <li>Typ I: Becken, Ges&auml;&szlig;, H&uuml;fte</li> <li>Typ II: Ges&auml;&szlig; bis Knie, mit Fettw&uuml;lsten im Bereich der Knieinnenseiten</li> <li>Typ III: Ges&auml;&szlig; bis Kn&ouml;chel</li> <li>Typ IV: Arme</li> <li>Typ V: Unterschenkel isoliert</li> </ul> <p>Stadien des Lip&ouml;dems nach Morphologie</p> <ul> <li>Stadium 1: glatte Hautoberfl&auml;che mit gleichm&auml;&szlig;ig verdickter, homogen imponierender Subkutis</li> <li>Stadium 2: unebene wellenartige Hautoberfl&auml;che mit knotigen Strukturen im verdickten Subkutanbereich</li> <li>Stadium 3: volumin&ouml;se Fettw&uuml;lste, welche schwere Konturdeformit&auml;ten im Bereich der Fesseln und Knie verursachen</li> <li>Stadium 4: Vorliegen eines Lipolymph&ouml;dems (Abb. 1)</li> </ul> <p>Das Lip&ouml;dem ist nicht nur unterdiagnostiziert, sondern wird auch h&auml;ufig als Lymph&ouml;dem oder Fettsucht fehldiagnostiziert. Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass eine zus&auml;tzliche Adipositas ein Lip&ouml;dem maskieren kann. Dennoch gibt es einige klinische und anamnestische Fakten, welche uns zur Diagnose f&uuml;hren k&ouml;nnen.</p> <ul> <li>Erkrankung tritt ausschlie&szlig;lich bei Frauen auf</li> <li>famili&auml;re Disposition</li> <li>Beginn meist mit Pubert&auml;t, Schwangerschaft oder Menopause</li> <li>Druck- und/oder Spontanschmerz</li> <li>beidseitiges symmetrisches Auftreten</li> <li>s&auml;ulenf&ouml;rmige Unterschenkel (&bdquo;Egyptian column&ldquo;)</li> <li>Bracelet-Ph&auml;nomen (Einschn&uuml;rungen an den Kn&ouml;cheln) (Abb. 2)</li> <li>X-Bein-Stellung (Abb. 3)</li> <li>H&auml;nde und F&uuml;&szlig;e bleiben ausgespart</li> <li>Druckschmerz/Spontanschmerz</li> <li>Spannungsgef&uuml;hl</li> <li>H&auml;matomneigung</li> <li>keine interstitielle &Ouml;deme (initial)</li> <li>Lymphszintigrafie meistens normal</li> <li>Stemmer&rsquo;sches Zeichen neg. (sofern kein zus&auml;tzliches Lymph&ouml;dem vorliegt!)</li> <li>schlechtes Ansprechen auf konservative Therapie oder Gewichtsabnahme</li> </ul> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Derma_1704_Weblinks_s64_abb_1_2_3.jpg" alt="" width="2149" height="574" /></p> <h2>Stigma Lip&ouml;dem</h2> <p>Depressionen oder Angstst&ouml;rungen bei Lip&ouml;dempatienten sind keine Seltenheit, nicht zuletzt durch die manchmal teils rapide Metamorphose des K&ouml;rpers, und das meist v&ouml;llige Unverst&auml;ndnis der Umgebung (leider auch von &Auml;rzten!), dass es sich hierbei um eine Erkrankung handelt. Ein anderes h&auml;ufiges Problem sind Begleiterscheinungen wie Gelenksschmerzen, X-Bein-Stellung (bedingt durch Kniefettw&uuml;lste) und in weiterer Folge Arthritiden durch die Fettpolster-bedingte Achsenverschiebung. Spontane H&auml;matome, Ekchymosen, Druck- und/oder Spontanschmerzen verst&auml;rken den Leidensdruck der Patientinnen. Die Lebensqualit&auml;t ist deutlich vermindert, und das auch h&auml;ufig schon bei klinisch vermeintlich schwach ausgepr&auml;gter Form.</p> <h2>Lymphe als Motor f&uuml;r die Fettgewebsvermehrung?</h2> <p>In verschiedenen Publikationen wird &uuml;ber die Rolle der Lymphe sowie die pathologischen Ver&auml;nderungen des Lymphabflusses bzw. die erh&ouml;hte Kapillarpermeabilit&auml;t der Blutgef&auml;&szlig;e und damit verbundenen vermehrten &Uuml;bertritt proteinreicher Fl&uuml;ssigkeit und Blut ins Interstitium diskutiert. Weiters wird von einem zunehmenden Elastizit&auml;tsverlust des Bindegewebes berichtet, was in weiterer Folge zu einer Zunahme des ven&ouml;sen Staus und einem allm&auml;hlichen Zusammenbruch des Lymphgef&auml;&szlig;systems f&uuml;hrt und schlie&szlig;lich in eine beschleunigte Hypertrophie und Hyperplasie der Fettzellen m&uuml;ndet.<br /> Tierversuche und In-vitro-Versuche zeigen, dass freie Lymphe das Fettwachstum anregen kann. Genetische Ver&auml;nderungen von VEGFR-3 (&bdquo;vascular endothelial growth factor-3&ldquo;), welcher zu einer Hypoplasie von Lymphgef&auml;&szlig;en f&uuml;hrt, sowie von PROX-1 (&bdquo;prospero-related homeobox-1&ldquo;) und EMILIN-1, welche die Durchl&auml;ssigkeit der Lymphgef&auml;&szlig;e erh&ouml;hen, k&ouml;nnten im konkreten Fall als potenzielle Targets f&uuml;r weitere Forschungen dienen. Dennoch scheint der Lymphabfluss bei Lip&ouml;dempatienten trotz gelegentlich szintigrafisch nachgewiesenen ver&auml;nderten Lymphabflussmusters zumindest initial normal zu sein.</p> <h2>Histopathologische Eigenschaften des Lip&ouml;dems</h2> <p>Eine Gruppe aus Japan konnte 2009 durch immunhistochemische Analysen gleichzeitig stattfindende degenerative und regenerative Ver&auml;nderungen des Lip&ouml;demgewebes, welche durch eine &bdquo;kronenartige&ldquo; Struktur und eine Proliferation von sogenannten &bdquo;adipose-derived stem/progenitor/stromal cells&ldquo; charakterisiert waren, nachweisen.<br /> Dies bedeutet, dass die vermehrte Adipogenese aus einer Nekrose der Adipozyten und folgender Makrophageneinwanderung resultiert, die Nekrose wiederum aus Hypoxie durch Kompression der Kapillaren. Die Mikroangiopathie ist eine der fr&uuml;hesten histopathologischen Ver&auml;nderungen des Lip&ouml;demgewebes.</p> <h2>&Ouml;strogen als steuerndes Hormon</h2> <p>Das fast ausschlie&szlig;liche Vorkommen bei Frauen ist zwar noch kein Beweis hierf&uuml;r, die Ausnahmen k&ouml;nnten aber in diesem Fall die Regel best&auml;tigen. In den extrem seltenen F&auml;llen, in denen M&auml;nner betroffen waren, sind n&auml;mlich stets Begleiterkrankungen wie Hypogonadismus oder Leberfunktionssch&auml;den urs&auml;chlich gewesen. Auch der Beginn oder die Progression in der Pubert&auml;t/Schwangerschaft/ Menopause deuten darauf hin. &Ouml;strogen wirkt &uuml;ber spezifische &Ouml;strogenrezeptoren am wei&szlig;en Fettgewebe, und das bekannterweise k&ouml;rperregionsabh&auml;ngig (androgener und gynoider Fetttyp). Es wird vermutet, dass &Ouml;strogen durch Rezeptormutation als regulierender Faktor einerseits zentral durch eine Imbalance der Gewichtskontrolle und andererseits peripher durch die regionsspezifische Dysregulation von Lipogenese und Lipolyse eine entscheidende Rolle beim Pathomechanismus des Lip&ouml;dems spielt. Auch der postmenopausale Switch von gynoidem auf androgenen Fetttyp f&auml;llt dabei aus und aggraviert das Lip&ouml;dem.</p> <h2>&Auml;tiologie</h2> <p>Famili&auml;re Pr&auml;disposition und ausschlie&szlig;liches Vorkommen beim weiblichen Geschlecht sind offensichtlich. Die verantwortlichen Gene konnten bisher nicht identifiziert werden, eine polygenetische Genese mit autosomal-dominantem Erbgang wird angenommen.<br /> A. H. Child et al. lieferten 2010 deutliche Hinweise in diese Richtung. Anhand einer Kohorte bestehend aus 67 Familienmitgliedern konnte bei 15 % ein Lip&ouml;dem nachgewiesen werden. Mehr als die H&auml;lfte berichtete &uuml;ber einen Beginn bzw. eine rapide Verschlechterung der Erkrankung mit Beginn der Pubert&auml;t, 96 % berichteten von erfolglosen Di&auml;ten, zwei Drittel klagten &uuml;ber rezidivierende Schmerzen und H&auml;matomneigung, alle betroffenen Familienmitglieder waren weiblich.</p> <h2>Differenzialdiagnosen</h2> <p>Im klinischen Alltag ist vor allem die Abgrenzung zu Adipositas, Lymph&ouml;dem oder Stauungs&ouml;dem (ven&ouml;s/kardial) relevant. Dennoch gibt es, wenn auch deutlich seltener, verschiedene vererbbare oder syndromale Lipodystrophien bzw. Lipomatosen, welche es unbedingt von einem Lip&ouml;dem zu unterscheiden gilt. Zu den wichtigsten z&auml;hlen hier die famili&auml;re partielle Lipodystrophie (K&ouml;bberling-Typ-1-/ Dunnigan-Typ-2-Lipodystrophie), die erworbene partielle Lipodystrophie (Barraquer- Simons-Syndrom), die multiple symmetrische Lipomatose (Madelung-Syndrom) sowie Morbus Dercum (Lipomatosis dolorosa) und die HIV-assoziierte Lipodystrophie. Bei Letzterer kommt es bei manchen HIV-positiven Frauen im Bereich der Oberarme zu einer Fettgewebsvermehrung, im Gegensatz zu betroffenen M&auml;nnern, die gew&ouml;hnlich eine Lipatrophie in dieser Region aufweisen, was eine &Ouml;strogen- und/oder Progesteronkomponente hinsichtlich der Fettverteilung vermuten l&auml;sst.</p> <h2>Behandlung</h2> <p>Da es sich beim Lip&ouml;dem um eine krankhafte lokalisierte Fettgewebsvermehrung handelt, verwundert es nicht, dass Gewichtsreduktion kaum einen Effekt hat, dennoch sehen sich viele Patienten veranlasst, teils von ihrem Umfeld gen&ouml;tigt, Di&auml;t zu halten. Weitere sehr h&auml;ufig verordnete Behandlungen mit nur minimalem Effekt sind Lymphdrainagen und Kompression. Beide k&ouml;nnen zwar vor&uuml;bergehend Linderung schaffen, behandeln das Problem aber in keiner Weise an der &bdquo;Wurzel&ldquo;. Von der Einnahme von Diuretika wird allgemein abgeraten, Massagen bringen keinen Effekt und die Lipektomie ist obsolet. Die Liposuktion ist die einzige Methode, die nicht nur effektiv ist, sondern auch sehr gute Langzeitergebnisse vorzuweisen hat (Abb. 4 und 5).<br /><br /> <strong>Liposuktion</strong><br /> Die schonendste Methode der Liposuktion beim Lip&ouml;dem ist jene in Tumeszenz- Lokalan&auml;sthesie-Technik. Die Patientinnen k&ouml;nnen ambulant behandelt werden.<br /> Hierbei wird nach Infiltration der Tumeszenz- Lokalan&auml;sthesie &uuml;ber mehrere 2&ndash;3mm-Hautschnitte mit kleinen atraumatischen Kan&uuml;len das Fettgewebe mittels sogenannter &bdquo;suction-assisted liposuction&ldquo; in Criss-cross-Technik abgesaugt. Sehr h&auml;ufig kommen hier zus&auml;tzliche &bdquo;devices&ldquo;, seien es Vibrationskan&uuml;len (&bdquo;power-assisted liposuction&ldquo;, PAL) oder andere Hilfsmittel wie Laser, Ultraschall oder Wasserdruck (LAL, UAL, WAL), zum Einsatz.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Derma_1704_Weblinks_s64_abb_4_5.jpg" alt="" width="1417" height="1246" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>&bull; Allen EV, Hines EA Jr: Lipedema of the legs: a syndrome characterized by fat legs and orthostatic edema. Proc Staff Meet Mayo Clin 1940; 15: 184-7 &bull; Bilancini S et al.: Functional lymphatic alterations in patients suffering from lipedema. Angiology 1995; 46(4): 333-9 &bull; Child AH et al.: Lipedema: an inherited condition. 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