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Screening auf Prostatakarzinom

Der PSA-Test ist in Ungnade gefallen – bei einigen Männern lohnt er sich trotzdem

<p class="article-intro">Jahrelang galt der PSA-Test als «Muss» für den Mann. Doch nach der 2009 erschienenen PLCO-Studie<sup>1</sup> kam es zu einer 180-Grad-Kehrtwendung, die Autoren der Studie und auch die U.S. Preventive Services Task Force rieten vom Test ab.<sup>2</sup> Wir haben zwei Urologen gefragt, warum der Test in Ungnade gefallen ist und warum er sich bei einigen Männern trotzdem lohnt.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>&laquo;Ja, was denn nun? Soll ich den PSATest machen oder nicht?&raquo;, fragen viele M&auml;nner ihren Urologen, der darauf oftmals auch keine Antwort weiss. &laquo;Bei bestimmten M&auml;nnern ergibt der Test schon Sinn&raquo;, sagt Prof. Dr. med. George Thalmann, Direktor der Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Urologie am Inselspital in Bern. &laquo;Aber man muss individuell schauen, bei wem es sich lohnt, ihn durchzuf&uuml;hren.&raquo;</p> <h2>Test senkte Sterblichkeit</h2> <p>1970 hatte Richard Ablin, Professor an der Universit&auml;t Arizona, ein Protein gefunden, das in der Prostata gebildet und in die Samenfl&uuml;ssigkeit abgegeben wird. Er nannte es Prostata-spezifisches Antigen, kurz PSA. Bald fand man heraus, dass es dazu dient, das Ejakulat fl&uuml;ssiger zu machen, damit sich die Spermien darin bewegen k&ouml;nnen. Untersuchungen ergaben, dass M&auml;nner mit Prostatakarzinom einen stark erh&ouml;hten PSA-Wert aufwiesen. 1980 entwickelten Forscher aus Japan deshalb einen Bluttest, mit dem man den PSA-Wert bestimmen kann, der Test wurde fl&auml;chendeckend eingef&uuml;hrt, und es trat ein, was man gehofft hatte: Prostatakrebs wurde fr&uuml;her erkannt, und die M&auml;nner konnten rechtzeitig therapiert werden. Eine europ&auml;ische multizentrische, randomisierte Studie (ERSPC) mit 162 388 Teilnehmern zeigte, dass mit dem Test die Sterblichkeit durch Prostatakrebs nach 13 Jahren um 20 % sank.<sup>3</sup> Um einen Todesfall zu verhindern, mussten sich 781 M&auml;nner screenen lassen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Onko_1702_Weblinks_lo_onko1702_s47_liste_1_.jpg" alt="" width="686" height="1011" /></p> <h2>Heftige Kritik von Urologen</h2> <p>Doch als 2009 die US-amerikanische PLCO-Studie mit 76 693 M&auml;nnern ver&ouml;ffentlicht wurde,<sup>1</sup> riet die U.S. Preventive Services Task Force vom Screening wieder ab. Denn ob sich jemand testen liess oder nicht, &auml;nderte nichts am Sterberisiko. Die m&ouml;glichen Sch&auml;den &ndash; etwa eine unn&ouml;tige Operation oder die st&auml;ndige Angst wegen eines falsch positiven PSA-Tests &ndash; seien gr&ouml;sser als ein m&ouml;glicher Nutzen, urteilten die US-Experten.<br /> Europ&auml;ische Urologen kritisierten die Entscheidung der US-Amerikaner heftig. &laquo;Als ich auf dem amerikanischen Urologenkongress h&ouml;rte, wie die PLCO-Studie durchgef&uuml;hrt worden war, war ich fassungslos &raquo;, erinnert sich Prof. Dr. med. Markus Graefen, &auml;rztlicher Leiter des Prostatakrebszentrums der Universit&auml;tsklinik Hamburg-Eppendorf und einer der f&uuml;hrenden Kritiker der PLCO-Studie in Europa. &laquo;Nachtr&auml;glich stellte sich n&auml;mlich heraus, dass sich 90 % der angeblich nicht Getesteten doch heimlich haben testen und &ndash; falls n&ouml;tig &ndash; therapieren lassen.&raquo; Und umgekehrt h&auml;tten sich einige Teilnehmer der Testgruppe geweigert, ihren PSA-Wert bestimmen zu lassen. &laquo;Die Studie hat also zwei Gruppen verglichen, in denen der Test fast gleich h&auml;ufig durchgef&uuml;hrt wurde &raquo;, erkl&auml;rt Graefen. &laquo;Kein Wunder, dass kein Unterschied in der Sterblichkeit gefunden wurde.&raquo; Kurz nachdem die Details der Studie bekannt wurden, habe man unter Kollegen heftig dar&uuml;ber diskutiert, erinnert sich Graefen. &laquo;Viele glauben, dass die Task Force die Empfehlung, den Test nicht durchzuf&uuml;hren, in naher Zukunft wieder zur&uuml;cknehmen wird&raquo;, sagt er.</p> <h2>Nicht der Test ist das Problem, sondern die Interpretation</h2> <p>Nicht der Test sei das Problem, sondern bei wem man ihn durchf&uuml;hre und wie man ihn interpretiere, sagt Thalmann. &laquo;Wir d&uuml;rfen nie vergessen, den Patienten zu fragen, was er vor der Blutabnahme gemacht hat oder ob er Probleme im Bereich der Prostata hat&raquo;, sagt er. Bei einem erh&ouml;hten Wert muss man ihn fragen, ob er in den 48 Stunden vor der Blutabnahme zum Beispiel lange mit dem Velo unterwegs war oder Sex hatte, und man muss ausschliessen, dass bei ihm eine vergr&ouml;sserte Prostata vorliegt und dass Harnblase oder Prostata entz&uuml;ndet sind. Thalmann empfiehlt wie viele Kollegen den Test in folgenden F&auml;llen: Wenn Prostatakrebs in der Familie vorgekommen ist, sollte man sich im Alter von 45 bis 50 Jahren testen lassen. Hat der Mann Beschwerden im Bereich der Prostata oder will er einfach gut informiert sein, sollte man den Test im Alter von 50 bis 70 Jahren durchf&uuml;hren. &laquo;Fragt ein Patient, ob er einen PSA-Test machen soll, m&uuml;ssen Sie viel Zeit f&uuml;r das Gespr&auml;ch einplanen&raquo;, r&auml;t der Urologe. &laquo;Das braucht es, um mit dem Mann zu &uuml;berlegen, ob bei ihm ein Test Sinn hat oder nicht und was ein m&ouml;gliches Testergebnis bedeutet.&raquo;<br /> Hat der Mann einen sehr niedrigen PSA-Wert, zum Beispiel 0,7, hat er mit grosser Wahrscheinlichkeit keinen Krebs. &laquo;Dann k&ouml;nnen Sie ihm sagen, dass er beruhigt nach Hause gehen kann und erst in einigen Jahren zur n&auml;chsten Kontrolle kommen braucht&raquo;, sagt Thalmann. Ist der Wert gr&ouml;sser als 1, sollte der Patient fr&uuml;her zur Kontrolle kommen. Bei einem Wert von &uuml;ber 4 muss man eine Prostataentz&uuml;ndung und Blasenentleerungsst&ouml;rungen ausschliessen und dann eine Biopsie durchf&uuml;hren. Zeigt sich darin ein Karzinom im Fr&uuml;hstadium, kann man operieren, aktiv &uuml;berwachen oder den Tumor bestrahlen. &laquo;Auch f&uuml;r diese Entscheidung braucht es wieder ein ausf&uuml;hrliches Gespr&auml;ch &raquo;, sagt Thalmann. &laquo;Viele M&auml;nner verstehen nicht, was aktives &Uuml;berwachen bedeutet.&raquo;<br /> Er ist mit einer generellen Empfehlung des Tests zur&uuml;ckhaltend. &laquo;Eine 20 % ige Risikoreduktion h&ouml;rt sich zwar nach viel an&raquo;, sagt er. &laquo;In absoluten Zahlen heisst das aber, dass infolge des Tests nur 7 von 10 000 M&auml;nnern weniger starben.&raquo; Dem m&uuml;sse man jedoch die mehr als 17 000 Biopsien und Tausende von Eingriffen gegen&uuml;berstellen, die M&auml;nner haben durchf&uuml;hren lassen wegen eines unklaren PSATests, oder weil sie sichergehen wollten. Statistisch gesehen hat es sich nur bei einem von 27 M&auml;nnern &laquo;gelohnt&raquo;, sich behandeln zu lassen, das heisst, dass ein vorzeitiger Tod verhindert werden konnte.<br /> &laquo;All die Eingriffe verursachen aber h&auml;ufig Komplikationen&raquo;, sagt Thalmann. Das m&uuml;sse man bei der Entscheidung immer mitber&uuml;cksichtigen. Auch hier muss der Mann Bescheid wissen: Zu den typischen Komplikationen z&auml;hlen Blutungen, Infektionen, Impotenz, Inkontinenz oder auch die psychische Belastung durch das Abwarten. &laquo;Jeder chirurgische Eingriff birgt diese Risiken. Aber in Zentren und bei Chirurgen mit grossem Patientenumsatz ist dieses Risiko zum Gl&uuml;ck &uuml;berschaubar. &raquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Onko_1702_Weblinks_lo_onko1702_s48_tab_1.jpg" alt="" width="1419" height="961" /></p> <h2>Oft reicht engmaschige Kontrolle</h2> <p>Laien meinen oft, Krebs sei ein Todesurteil. &laquo;Ich erkl&auml;re den M&auml;nnern, dass ein Prostatakarzinom in vielen F&auml;llen derart langsam w&auml;chst, dass es keine Symptome verursacht und man nicht daran stirbt&raquo;, sagt Thalmann. Oftmals reiche es, engmaschig zu kontrollieren, ob der Krebs w&auml;chst. Doch l&auml;ngst nicht alle M&auml;nner k&auml;men mit der Unsicherheit gut zurecht, ob sich nicht doch noch ein Krebs entwickelt. Auf der anderen Seite d&uuml;rfe man nicht vergessen, dass viele M&auml;nner von dem Test profitieren, weil ihr Krebs fr&uuml;h entdeckt und sie rechtzeitig therapiert werden. &laquo;Die Entscheidung f&uuml;r oder gegen den Test ist nicht einfach&raquo;, gibt Thalmann zu. &laquo;Wir &Auml;rzte k&ouml;nnen den Patienten nur gut informieren &ndash; entscheiden muss er sich letztendlich alleine.&raquo;</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Andriole GL et al: N Engl J Med 2009; 360(13): 1310-9 <strong>2</strong> U.S. P reventive S ervices Task F orce: A nn I ntern M ed 2008; 149(3): 185-91 <strong>3</strong> Schr&ouml;der FH et al: Lancet 2014; 384(9959): 2027-35 <strong>4</strong> Gasser T et al: Schweiz Med Forum 2012; 12(6): 126-8</p> </div> </p>
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