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Vorhofflimmern

<p class="article-intro">Das Vorhofflimmern (VHF, FA, AF) zählt mit der Sinustachykardie zu den häufigsten Formen der supraventrikulären Tachykardie. Sie betrifft rund 1–2 % der Weltbevölkerung, darunter etwa 6 Millionen Europäer, und ist somit neben der Extrasystolie die häufigste Herzrhythmusstörung. Zur Diagnose ist das EKG unerlässlich.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keyponts</h2> <ul> <li>Vorhofflimmern ist eine der h&auml;ufigsten Herzrhythmusst&ouml;rungen und mit einem erh&ouml;hten Morbidit&auml;ts- und Mortalit&auml;tsrisiko assoziiert.</li> <li>Die Diagnose Vorhofflimmern darf nur mittels Elektrokardiogramm (EKG), Langzeit-EKG oder Event-Recorder gestellt werden.</li> <li>Es gibt diagnostische Kriterien im Oberfl&auml;chen-EKG: Flimmerwellen und absolute Arrhythmie der Kammerkomplexe.</li> <li>Im klinischen Alltag bestehen oftmals Herausforderungen, ein VHF sicher richtig zu diagnostizieren.</li> <li>In der Therapie werden orale Antikoagulanzien zur Schlaganfallprophylaxe empfohlen, die Rhythmuskontrolle mittels Kardioversion bzw. einer Pulmonalvenenisolation.</li> </ul> </div> <p>Die Inzidenz des Vorhofflimmerns steigt mit zunehmendem Alter, sodass bereits ab dem 70. Lebensjahr rund 15 % der Gesamtbev&ouml;lkerung betroffen sind. Circa 30 % aller Vorhofflimmerepisoden werden von den Betroffenen wahrgenommen. Diese reichen von leichteren bis hin zu gr&ouml;&szlig;eren Einschr&auml;nkungen in Lebensqualit&auml;t und Belastbarkeit der Patientinnen und Patienten im Alltag, wie Palpitationen, M&uuml;digkeit sowie Schlafst&ouml;rungen. VHF kann jedoch auch schwere Folgeerkrankungen wie einen Schlaganfall nach sich ziehen sowie eine Herzinsuffizienz ausl&ouml;sen. VHF ist nicht nur mit einem erh&ouml;hten Morbidit&auml;ts-, sondern auch Mortalit&auml;tsrisiko assoziiert.<sup>1, 2</sup></p> <h2>&Auml;tiologie des Vorhofflimmerns</h2> <p>Die Ursache dieser Herzrhythmusst&ouml;rung ist noch nicht vollst&auml;ndig gekl&auml;rt. H&auml;ufig ist sie Folge einer kardiologischen Grunderkrankung, wie etwa eines Mitralklappenvitiums, einer koronaren Herzkrankheit oder einer Herzinsuffizienz. Extrakardiale Ursachen wie Hyperthyreose, Pulmonalembolie und Perikarditis k&ouml;nnten ebenfalls f&uuml;r die Entwicklung eines Vorhofflimmerns verantwortlich sein. VHF ist nicht nur oft Folge einer Erkrankung, sondern beg&uuml;nstigt oftmals die Progression der Grunderkrankung. In nur rund 15 % der F&auml;lle tritt das VHF idiopathisch auf, gelegentlich mit famili&auml;rer Disposition, genannt &bdquo;lone atrial fibrillation&ldquo;.</p> <h2>Pathophysiologie des Vorhofflimmerns</h2> <p>Pathophysiologisch liegt beim Vorhofflimmern eine chaotische Erregungsbildung mit mehreren Reentry-Kreisen (&gt; 5) vor, die den Ursprung am h&auml;ufigsten im linken Vorhof im Bereich der Pulmonalvenen haben (Abb. 1). Folglich kommt es zu einer v&ouml;llig ungeordneten Erregung der Vorh&ouml;fe mit einer Frequenz von 350&ndash;600 Schl&auml;gen pro Minute Vorhofsfrequenz. Diese ektopen tachykarden atrialen Impulsen werden vom AV-Knoten teilweise abgefangen und anschlie&szlig;end v&ouml;llig ungeordnet auf die Kammern &uuml;bergeleitet, ohne rhythmische Kammeraktivit&auml;t. Man spricht von einer absoluten Arrhythmie der Kammerkomplexe.<sup>3</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s24_abb1.jpg" alt="" width="250" height="367" /></p> <h2>Diagnose von Vorhofflimmern</h2> <p>Die Diagnose Vorhofflimmern kann und darf ausschlie&szlig;lich gestellt werden, wenn sie mittels Elektrokardiogramm (EKG), Langzeit-EKG oder Event-Recorder dokumentiert werden konnte. Berichtete Palpationen des Patienten hingegen sind nicht ausreichend. Erst k&uuml;rzlich konnte die deutsche FIND-AF-Studie zeigen, dass nach einem durchgemachten Schlaganfall mit einem intensiven Holter-EKG-Monitoring (dreimal zehn Tage mit Langzeit-EKG) im ersten Jahr deutlich fr&uuml;her und h&auml;ufiger ein bislang unentdecktes Vorhofflimmern detektiert wird als bei konventioneller Abkl&auml;rung mit einem 24-Stunden-EKG. Bei einem implantierten Aggregat, wie etwa einem Schrittmacher oder einem ICD, ist f&uuml;r die Diagnose eines VHF laut den aktuellen Guidelines eine VHF-Episode von mindestens 5&ndash;6 Minuten notwendig.<sup>4</sup><br /> In der rezenten Apple-Heart-Study wurde &uuml;berpr&uuml;ft, ob es m&ouml;glich ist, durch den Pulssensor einer Smart-Watch Herzrhythmusst&ouml;rungen, vor allem Vorhofflimmern, zu detektieren. Lediglich 0,5 % der circa 400 000 Teilnehmer erhielten einen Warnhinweis auf unrhythmischen Puls. Bei 450 dieser Probanden konnte anschlie&szlig;end ein EKG ausgewertet und in 34 % der F&auml;lle ein Vorhofflimmern aufgezeichnet werden. Diese etwas entt&auml;uschenden Resultate lie&szlig;en in dieser Studie somit mehrere Fragen offen, wie etwa zur fehlerhaften Diagnostik oder auch zur &Uuml;berdiagnostik mittels Smart-Watch und zur Kosteneffektivit&auml;t, und geben Raum f&uuml;r Diskussion.<sup>5 </sup></p> <h2>Das Vorhofflimmern im EKG</h2> <p>Elektrokardiografisch finden sich beim VHF absolut unregelm&auml;&szlig;ig auftretende Flimmerwellen, die in ihrer Morphologie, Amplitude und Frequenz variieren. Soweit die Frequenz beim VHF &uuml;berhaupt bestimmbar ist, liegt die mittlere Herzfrequenz in etwa bei 350&ndash;600/min im Vorhof. Das zweite diagnostische Kriterium ist die absolute Arrhythmie der Kammerkomplexe. Definitionsgem&auml;&szlig; ist dies der Fall, wenn jeder RR-Abstand von unterschiedlicher Dauer ist beziehungsweise maximal &ndash; und das rein zuf&auml;llig &ndash; zwei identische RR-Abst&auml;nde im EKG-Streifen vorzufinden sind (Abb. 2). <br />Anhand der Amplitude kann das Vorhofflimmern in feinschl&auml;gig, relativ feinschl&auml;gig und grobschl&auml;gig unterteilt werden. Grobe Flimmerwellen weisen eine &auml;hnliche elektrische Aktivit&auml;t wie das Vorhofflattern auf und sind meist besonders gut in den Ableitungen II, III und rechtspr&auml;kordial in V1 sichtbar. Grobe Flimmerwellen mit Frequenzen unter 400/min werden eher bei intermittierendem und noch nicht lange bestehendem Vorhofflimmern oder auch bei Linksventrikelhypertrophie beobachtet. Bei l&auml;nger bestehendem Vorhofflimmern oder isch&auml;mischer Sch&auml;digung des Herzens finden sich meist feine Flimmerwellen mit einer kaum bis nicht mehr erkennbaren elektrischen Aktivit&auml;t.<sup>1</sup></p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s24_abb2.jpg" alt="" width="300" height="210" /></p> <h2>Herausforderungen bei der Diagnosestellung</h2> <p>Das VHF scheint durch seine zwei EKGKriterien Flimmerwellen und absolute Arrhythmie der Kammerkomplexe recht leicht im Oberfl&auml;chen-EKG erkennbar zu sein. Im klinischen Alltag steht man jedoch auch hier oftmals vor der Herausforderung, ein VHF richtig zu diagnostizieren (Abb. 3&ndash;5). Flimmerwellen k&ouml;nnen beispielsweise vor allem im Rahmen eines relativ fein- bis grobschl&auml;gigen VHF als P-Wellen fehlgedeutet werden. Auch extrakardiale Artefakte, wie etwa Zittern oder ein Morbus Parkinson k&ouml;nnen als Flimmerwellen fehlinterpretiert werden. Auch an andere Rhythmen mit ebenfalls m&ouml;glichen unregelm&auml;&szlig;igen RR-Abst&auml;nden m&uuml;ssen ausgeschlossen werden. Hierzu z&auml;hlen fokale (multifokale) atriale Schl&auml;ge bzw. Tachykardien oder auch ein atriales Flattern mit variierendem AV-Block. Meist sind hier im Gegensatz zum VHF deutliche, jedoch oftmals abnormale oder auch variable P-Wellen im EKG vorhanden. Als diagnostisch schwierig erweist sich zudem eine Breitkomplextachykardie mit unregelm&auml;&szlig;iger &Uuml;berleitung. Hier gilt es zu unterscheiden, ob eine schwere Herzrhythmusst&ouml;rung (polymorphe ventrikul&auml;re Tachykardie) oder ein Vorhofflimmern mit aberranter oder akzessorischer Weiterleitung vorliegt. Eine weitere Schwierigkeit stellt die Unterscheidung zwischen einem Vorhofflimmern mit schneller ventrikul&auml;rer &Uuml;berleitung und einer paroxysmalen supraventrikul&auml;ren Tachykardie dar. Unter Adenosin-Gabe zeigt sich bei Patienten mit Vorhofflimmern kein Effekt. Bei Patienten mit einem AV-Block III&deg;, bei der die Leitungseigenschaft im AV-Knoten die Kammerfrequenz bestimmt, sowie bei ventrikul&auml;rer Schrittmacherstimulation kann ebenfalls ein VHF vorliegen, das im Oberfl&auml;chen- EKG jedoch nicht detektierbar ist.<sup>6</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s24_abb3.jpg" alt="" width="1301" height="789" /></p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s24_abb4.jpg" alt="" width="1300" height="881" /></p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s24_abb5.jpg" alt="" width="1456" height="794" /></p> <p>&nbsp;</p> <h2>Klassifikation in den Guidelines</h2> <p>Vorhofflimmern wird gem&auml;&szlig; den aktuellen ESC-Guidelines unterschiedlich klassifiziert. Zum einen je nach Dauer und H&auml;ufigkeit des Auftretens &ndash; hier unterscheidet man im klinischen Alltag vorwiegend zwischen paroxysmalem, permanentem und persistierendem VHF &ndash;, zum anderen je nach Symptomatik (Tab. 1). Zur Quantifizierung der Symptomatik wird die EHRA-Klassifikation, die h&auml;ufig in Studien Anwendung findet, herangezogen (siehe Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s24_tab1.jpg" alt="" width="1578" height="638" /></p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s24_tab2.jpg" alt="" width="1304" height="888" /></p> <h2>Therapieoptionen bei Vorhofflimmern</h2> <p>Ist die Diagnose eines Vorhofflimmerns gesichert, wird anhand des CHA<sub>2</sub>DS<sub>2</sub>VASc-Scores die Indikation einer oralen Antikoagulation (OAK) zur Schlaganfallprophylaxe ermittelt. Laut den aktuellen Guidelines wird ab einem Wert von &ge; 2 bei M&auml;nnern und &ge; 3 bei Frauen nach zus&auml;tzlicher Bestimmung des Blutungsrisikos (HasBled-Score) eine OAK empfohlen. Die Therapie eines Vorhofflimmerns erfolgt individuell. Grob unterschieden wird zwischen der medikament&ouml;sen Frequenz- und der medikament&ouml;sen oder elektrischen Rhythmuskontrolle mittels Kardioversion. Bei hoch symptomatischen Patienten bzw. mehreren frustranen oder nicht lange anhaltenden Kardioversionsversuchen sollte eine Pulmonalvenenisolation angedacht werden.<sup>7</sup></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Klinge R: Das Elektrokardiogramm. Thieme 2015; 10. Auflage <strong>2</strong> Schuster HP, Trappe HJ: EKG-Kurs f&uuml;r Isabel: Thieme 2017; 7. &uuml;berarbeitete Auflage <strong>3</strong> Thaler MS. The Only EKG Book You&rsquo;ll Ever Need. 2018; 9th ed. <strong>4</strong> Wachter R et al.: Holter-electrocardiogram-monitoring in patients with acute ischaemic stroke (Find-AFRANDOMISED): an open-label randomised controlled trial. The Lancet Neurology 2017; 16(4): 282-90 <strong>5</strong> Perez MV et al.: Large-Scale assessment of a smartwatch to identify atrial fibrillation. N Engl J Med 2019; 381(20): 1909-17 <strong>6</strong> Olshansky B.: The electrocardiogram in atrial fibrillation. 2019. <strong>7</strong> Kirchhof P et al.: 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. Eur heart J 2016; 37(38): 2893-962</p> </div> </p>
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