© http://www.fotogestoeber.de iStockphoto

ECNP 2019

Vier Tage psychiatrische Grundlagenforschung

<p class="article-intro">Der jährliche Kongress des European College of Neuropsychopharmacology (ECNP) fand in diesem Jahr vom 7. bis zum 10. September in Kopenhagen statt. Mit mehr als 6000 Teilnehmern ist dies Europas wichtigster Kongress für krankheitsorientierte Hirnforschung in der Psychiatrie. Dementsprechend weit war das thematische Feld. Hier eine Auswahl aktueller Forschungsergebnisse.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>ADHS: Vorsicht bei Dosiserh&ouml;hung von Methylphenidat</h2> <p>Methylphenidat ist die beim Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivit&auml;tssyndrom (ADHS) meistverschriebene medikament&ouml;se Therapie. Wird damit nicht sofort der gew&uuml;nschte Effekt erreicht, so besteht die M&ouml;glichkeit einer Dosiserh&ouml;hung. Nun zeigt eine im Rahmen des ECNP vorgestellte Metaanalyse randomisierter, klinischer Studien, dass h&ouml;here Dosierungen innerhalb des zugelassenen Bereichs kontraproduktiv sein k&ouml;nnen.<sup>1</sup> Bisherige Untersuchungen zeigten hinsichtlich des Gruppen- Effekts einen linearen Anstieg der Wirksamkeit auf Verhaltens-Symptome,<sup>2</sup> w&auml;hrend auf der individuellen Ebene die optimalen Werte gleichm&auml;&szlig;ig zwischen niedrigen, mittleren und hohen Dosierungen verteilt sind.<sup>3</sup> In der nun pr&auml;sentierten Metaanalyse wurden die Effekte unterschiedlicher Dosierungen von Methylphenidat auf die Impulskontrolle erhoben. In der Studie wurde zwischen niedrigen (0,10 mg/kg&ndash;0,39 mg/kg), mittleren (0,40 mg/kg&ndash;0,69 mg/kg) und hohen (0,70 mg/kg&ndash;0,99 mg/kg) Dosen unterschieden. Insgesamt wurden 19 Studien f&uuml;r die Metaanalyse ausgew&auml;hlt. In allen Analysen war Methylphenidat im Vergleich zu Placebo &uuml;berlegen, wobei mittlere Dosen den deutlichsten Effekt auf die Impulskontrolle zeigten, gefolgt von niedrigen und hohen Dosen. Die Autorin der Studie unterstreicht, dass Impulskontrolle in der Regel nicht als Outcome-Parameter bei Patienten mit ADHS verwendet, dabei aber hohe Bedeutung f&uuml;r die psychosoziale und akademische Entwicklung der jungen Patienten hat. In der Praxis sollte daher mit Dosiserh&ouml;hungen von Methylphenidat vorsichtig umgegangen werden.</p> <h2>Was die Metaphernverarbeitung bei Schizophrenie st&ouml;rt</h2> <p>Patienten mit Erkrankungen des schizophrenen Formenkreises erleben oft gro&szlig;e Schwierigkeiten im Verstehen allt&auml;glicher, metaphorischer Sprache, wie sie zum Beispiel in Witzen verwendet wird, und tendieren dazu, statt der Metapher den w&ouml;rtlichen Sinn der S&auml;tze in den Vordergrund zu stellen. Eine im Rahmen des ECNP in Kopenhagen vorgestellte Studie suchte nun sowohl bei Gesunden als auch bei Schizophreniepatienten mittels Bildgebung nach hirnphysiologischen Korrelaten zum Verst&auml;ndnis metaphorischer Sprache.<sup>4</sup><br />Zwar gibt es bereits einige Arbeiten, in denen Repr&auml;sentationen des Metaphernverst&auml;ndnisses im Gehirn beschrieben wurden, doch liefern diese Studien, so die Autoren der aktuellen Arbeit, keine Information dar&uuml;ber, in welchem Schritt der Metaphernverarbeitung Patienten mit Schizophrenie von Gesunden abweichen.<br /> In die Studie wurden 30 ambulante Schizophreniepatienten und 30 gematchte Kontrollen eingeschlossen. Die Probanden wurden mit 90 Geschichten konfrontiert, von denen 30 ein metaphorisches, 30 ein absurdes und 30 ein neutrales Ende hatten. Nach dem Lesen der Geschichte entschieden die Probanden, ob das Ende zur Geschichte passte und ob diese ein metaphorisches Ende hatte oder nicht. Dabei wurden zwischen den Gruppen Unterschiede hinsichtlich des Erkennens mangelnder Kongruenz (absurd vs. neutral), des Aufl&ouml;sens und der Elaboration von Inkongruenz (metaphorisch vs. absurd) sowie des kompletten Metaphernverstehens (neutral vs. metaphorisch) analysiert und mit Befunden aus der fMRT korreliert. Dabei wurden erhebliche Unterschiede zwischen gesunden und kranken Probanden gefunden. Die Ergebnisse legen nahe, dass sich das bei Schizophrenie gest&ouml;rte Erkennen von Inkongruenz im Vergleich zu Gesunden in Alterationen in der linken Hemisph&auml;re kombiniert mit Hyperaktivit&auml;t im linken temporoparietalen Cortex, rechten mittleren Cingulum sowie bilateral im frontalen Cortex &auml;u&szlig;ert. Damit wurden beim Erkennen von Inkongruenz, also gewisserma&szlig;en an der Basis des Verstehens von Metaphern, die deutlichsten Unterschiede zwischen gesunden und kranken Probanden gefunden. Bei Gesunden waren f&uuml;r die Verarbeitung von Metaphern vor allem der pr&auml;frontale Cortex und die Amygdala zust&auml;ndig. Die Autoren schlie&szlig;en daraus auf Kompensationsmechanismen in der fr&uuml;hen Phase der Metaphernverarbeitung. Auf der Verhaltensebene zeigten die Schizophreniepatienten auf allen Ebenen der Metaphernverarbeitung l&auml;ngere Reaktionszeiten und ihre Einsch&auml;tzungen waren weniger akkurat als jene der gesunden Probanden.</p> <h2>Im Tiermodell: wie Antidepressiva auf Neuroinflammation wirken</h2> <p>Antidepressiva sind erste Wahl in der Behandlung der Depression (Major Depression) und haben in einer Vielzahl von Studien ihre Wirksamkeit gezeigt. Dennoch sind die Ansprechraten im klinischen Alltag suboptimal. Gleichzeitig ist seit Langem bekannt, dass sich depressive Patienten in einem generell proinflammatorischen Zustand befinden. Der Gedanke, die Depression &uuml;ber die Behandlung der Entz&uuml;ndung beeinflussen zu wollen, ist daher naheliegend. Im Rahmen des diesj&auml;hrigen Kongresses des ECNP wurde der aktuelle Forschungsstand zu diesem Thema intensiv diskutiert. So wurden im Tiermodell Hinweise gefunden, dass SSRI nicht nur Neuroplastizit&auml;t, sondern auch Neuroinflammation beeinflussen und dass dieses Wechselspiel die antidepressive Wirkung der SSRI erkl&auml;ren k&ouml;nnte.<sup>5</sup> Eine italienische Gruppe f&uuml;hrte dazu zwei Versuche durch. Der erste sollte zeigen, dass die von SSRI induzierte neuronale Plastizit&auml;t Entz&uuml;ndung kontrolliert. Der zweite Versuch untersuchte den Einfluss des Inflammationsniveau auf die neuronale Plastizit&auml;t.<br /> Im ersten Experiment wurden M&auml;use entweder mit Fluoxetin oder Vehikel behandelt und entweder einer stressreichen oder einer f&uuml;r M&auml;use angenehmen (&bdquo;enriched&ldquo;) Umgebung ausgesetzt. Von Ersterem wurde ein pro-, von Zweiterem ein antiinflammatorischer Effekt erwartet. Tats&auml;chlich waren unter SSRI-Wirkung beide Effekte reduziert. Wurde die Inflammation mithilfe des SSRI in einem engen physiologischen Bereich gehalten, so wirkte sich das auch g&uuml;nstig auf depressionsartiges Verhalten der Tiere aus. Im zweiten Experiment wurden M&auml;use entweder mit Lipopolysaccharid-Infusion (proinflammatorisch) oder Ibuprofen (antiinflammatorisch) behandelt. LPS f&uuml;hrte zu einem krankheitsbedingten Verhalten und erh&ouml;hter Expression von IL-1&beta; und IL-1Ra. Sowohl die durch LPS induzierte InflammaInflammation als auch das antiinflammatorische Ibuprofen reduzierten die Neuroplastizit&auml;t (gemessen durch die Langzeitpotenzierung im Hippocampus) im Vergleich zu Kontrollm&auml;usen signifikant. Die Autoren der Studie schlie&szlig;en aus diesen Daten, dass enge Zusammenh&auml;nge zwischen Inflammation und Neuroplastizit&auml;t bestehen. Damit besteht die Hoffnung, dass antiinflammatorische Therapie das Ansprechen auf Serotonin-Wiederaufnahmehemmer substanziell verbessern k&ouml;nnte. Dazu Studienautorin Dr. Silvia Poggini vom Istituto Superiore di Sanit&agrave; in Rom: &bdquo;Unsere Daten zeigen, dass die Neuroplastizit&auml;t hoch ist, solange es gelingt, die Entz&uuml;ndung in einem bestimmten Bereich zu halten.&ldquo;</p> <h2>Neues Forschungsgebiet: das Darmmikrobiom in der Psychiatrie</h2> <p>Eine weitere Studie im Tiermodell<sup>6</sup> bietet einen v&ouml;llig neuen Zugang zum Verst&auml;ndnis psychiatrischer Medikamente sowie ihrer Wirkungen und Nebenwirkungen: Sie beeinflussen das Darmmikrobiom. Die Studie wurde an der University of Cork in Irland, einem der weltweit f&uuml;hrenden Zentren in der Mikrobiomforschung, durchgef&uuml;hrt. In der Studie erhielten sieben Gruppen von jeweils acht Ratten therapeutische oder leicht erh&ouml;hte Dosen der g&auml;ngigen Psychopharmaka Escitalopram, Venlafaxin, Fluoxetin, Lithium, Valproat und Aripiprazol. Nach vier Wochen Behandlung wurden die Effekte auf das Darmmikrobiom evaluiert. Die Studie zeigte eine Zunahme von Clostridium-Spezies unter Lithium, Valproat und Aripiprazol. Im Gegensatz dazu zeigten die beiden Antidepressiva Fluoxetin und Escitalopram eine ausgepr&auml;gte und dosisabh&auml;ngige antibakterielle Wirkung, wobei sich diese im Fall von Fluoxetin prim&auml;r gegen L. rhamnosus und E. coli richtete, w&auml;hrend Escitalopram das Wachstum von E. coli inhibierte. Vergleichbare Effekte im menschlichen Darm sind naheliegend. Die University of Cork plant eine gro&szlig;e Studie zu diesem Thema.<br /> &bdquo;Unsere Studie zeigt, dass verbreitete Medikamente die Zusammensetzung und Menge des Darmmikrobioms beeinflussen k&ouml;nnen. Es war dies die erste Studie, die das f&uuml;r psychiatrische Medikamente im Tierversuch demonstriert hat&ldquo;, kommentierte Erstautorin Sofia Cussotto ihre Arbeit und wies auf deren Implikationen hin: &bdquo;Da bei Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen Alterationen des Darmmikrobioms nachgewiesen wurden, k&ouml;nnte die Wirkung der psychiatrischen Medikamente auf die Darmbakterien einen Teil der klinischen Wirkung dieser Substanzen ausmachen. Es k&ouml;nnte sich hier auch eine Erkl&auml;rung f&uuml;r das individuell sehr unterschiedliche Ansprechen der Patienten beispielsweise auf Antidepressiva finden. Unter Umst&auml;nden k&ouml;nnten Ver&auml;nderungen des Mikrobioms aber auch f&uuml;r einige der Nebenwirkungen dieser Medikamente verantwortlich sein. Diese Hypothesen m&uuml;ssen nun zun&auml;chst in pr&auml;klinischen und dann, wenn m&ouml;glich, in klinischen Studien untersucht werden.&ldquo;</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Kongress des European College of Neuropsychopharmacology (ECNP), 7.–10. September 2019, Kopenhagen </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Vertessen K: Methylphenidate and inhibition in children with ADHD: a meta-analyses on dosage effects. ECNP 2019; Poster P.831 <strong>2</strong> Coghill DR et al.: Effects of methylphenidate on cognitive functions in children and adolescents with attention-deficit/hyperactivity disorder: evidence from a systematic review and a metaanalysis. Biol Psychiatry 2014; 76(8): 603-15 <strong>3</strong> Coghill D and S Seth: Effective management of attention-deficit/hyperactivity disorder (ADHD) through structured re-assessment: the Dundee ADHD Clinical Care Pathway. Child Adolesc Psychiatry Ment Health 2015; 9: 52 <strong>4</strong> J&aacute;ni M et al.: Neural substrates of metaphor comprehension impairments in chronic schizophrenia outpatients - an fMRI study. ECNP 2019; Poster P372 <strong>5</strong> Poggini el al.: The interaction between inflammation and neural plasticity controls the efficacy of serotoninergic antidepressants. ECNP 2019; Poster P604 <strong>6</strong> Cussotto S et al.: Differential effects of psychotropic drugs on microbiome composition. ECNP 2019; Poster P585</p> </div> </p>
Back to top