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Aktuelles zu den neuen Faktorpräparaten mit verlängerter Halbwertszeit

<p class="article-intro">Die Substitution von Gerinnungsfaktoren ist für die Patienten mit regelmäßigen Injektionen verbunden und bedeutet eine oftmals hohe Belastung. Daher sind Präparate mit verlängerter Halbwertszeit, die seltener appliziert werden müssen, eine Option. Ob sie allerdings für jeden Hämophiliepatienten geeignet sind und was vor einer Umstellung zu bedenken ist, war eines der Themen am Kongress der World Federation of Hemophilia (WFH) in Glasgow.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>EHL-Faktorpr&auml;parate bieten die Chance, die H&auml;mophilietherapie weiter zu verbessern.</li> <li>Alle derzeit verf&uuml;gbaren Produkte sind in der Blutungskontrolle und Prophylaxe vergleichbar.</li> <li>Innovative Therapiekonzepte werden die Behandlung in den kommenden Jahren ver&auml;ndern.</li> <li>Da die neuen Therapeutika andere Angriffspunkte und somit andere Nebenwirkungen haben, ist es n&ouml;tig, die &Auml;rzte entsprechend zu schulen und langfristige Programme zur Nachbeobachtung aufzulegen.</li> </ul> </div> <p>Prof. John Pasi, London, gab in seinem Vortrag einen &Uuml;berblick &uuml;ber die Faktorpr&auml;parate mit verl&auml;ngerter Halbwertszeit (&bdquo;extended half-life&ldquo;, EHL) und die Umstellung der Patienten von einer bew&auml;hrten Behandlung auf diese Medikamente. Eine M&ouml;glichkeit, die Halbwertszeit zu verl&auml;ngern, ist die Pegylierung, also die Konjugation mit Polyethylenglykol (PEG). Hier gebe es immer wieder Bedenken wegen der Verstoffwechslung und Toxizit&auml;t des PEG, erkl&auml;rte Pasi. In Tiermodellen habe sich jedoch auch bei einer l&auml;nger dauernden Gabe &uuml;ber zwei Jahre kein Hinweis auf eine Toxizit&auml;t gezeigt. Lediglich eine starke &Uuml;berdosierung k&ouml;nne zu einer akuten Toxizit&auml;t f&uuml;hren, sagte er. Auch in klinischen Studien h&auml;tten sich keine entsprechenden Hinweise ergeben.<sup>1</sup> In Untersuchungen an gesunden Personen wurden Antik&ouml;rper gegen PEG gefunden, deren klinische Relevanz jedoch nicht klar ist.<sup>2</sup> Ein weiterer Aspekt ist, wie EHL definiert wird. Pasi zeigte die Designs der Studien mit den derzeit verf&uuml;gbaren EHLFaktor- VIII(FVIII)-Pr&auml;paraten, die sich sehr voneinander unterscheiden und daher einen direkten Vergleich der Substanzen nicht erlauben. Die relative Verl&auml;ngerung der Halbwertszeit betr&auml;gt das bis zu 1,5-Fache. Schaut man sich die j&auml;hrliche Blutungsrate (&bdquo;annualised bleeding rate&ldquo;, ABR) an, dann liegt diese bei allen im Durchschnitt zwischen 0 und 3,6.<br /> Im Gegensatz dazu konnte die Halbwertszeit der Faktor-IX(FIX)-Pr&auml;parate deutlich verl&auml;ngert werden &ndash; bis zum 4,8-Fachen. Zur Frage, welche Patienten auf EHL-Pr&auml;parate umgestellt werden sollten, gab Pasi einige Kriterien an, unter anderem:</p> <ul> <li>wenn herk&ouml;mmliche Therapieschemata nur schwer eingehalten werden k&ouml;nnen</li> <li>wenn h&ouml;here Talspiegel notwendig sind</li> <li>wenn die Patienten es w&uuml;nschen</li> </ul> <h2>Emicizumab bei H&auml;mophilie-A-Patienten ohne Inhibitoren</h2> <p>Prof. Johnny Mahlangu, Johannesburg/ S&uuml;dafrika, berichtete &uuml;ber die Ergebnisse der Phase-III-Studie HAVEN 3. Sie sollte die Wirksamkeit, Sicherheit und Pharmakokinetik des rekombinanten, humanisierten, bispezifischen monoklonalen Antik&ouml;rpers Emicizumab bei Patienten mit H&auml;mophilie A ohne Inhibitoren untersuchen. Emicizumab ahmt die nat&uuml;rliche Funktion des FVIII nach, indem es an die beiden Gerinnungsfaktoren IXa und X bindet. So kann die Blutgerinnungskaskade auch ohne FVIII ablaufen. Der Wirkstoff wird deshalb auch nicht durch Anti- FVIII-Hemmk&ouml;rper (Inhibitoren) beeintr&auml;chtigt.<sup>3</sup><br /> An HAVEN 3 (NCT02847637) nahmen 152 Patienten ohne Inhibitoren teil, die bereits eine Faktorprophylaxe oder eine Bedarfsbehandlung erhalten hatten. Letztere wurden in drei Arme randomisiert: Die Patienten in Arm A und B wurden initial vier Wochen lang mit 3mg Emicizumab/ kg/Woche behandelt und anschlie&szlig;end entweder mit 1,5mg/kg/Woche (Arm A) oder mit 3mg/kg alle zwei Wochen (Arm B). Arm C erhielt weiterhin keine Prophylaxe. Patienten, die vor Studienbeginn bereits eine Prophylaxe hatten, wurden in Arm D zusammengefasst und mit dem gleichen Schema behandelt wie die Probanden in Arm A. Prim&auml;rer Endpunkt war die Anzahl der Blutungen w&auml;hrend der Emicizumab-Prophylaxe (Arm A und Arm B) verglichen mit keiner Prophylaxe (Arm C). Sekund&auml;re Endpunkte waren unter anderem Blutungsh&auml;ufigkeit, Blutungen in Zielgelenke, gesundheitsbezogene Lebensqualit&auml;t (HRQoL), bei Patienten in Arm D der Vergleich der Blutungsh&auml;ufigkeit zwischen ihrer fr&uuml;heren Prophylaxe und Emicizumab sowie die Sicherheit.<br /> Im Vergleich zu Arm C reduzierte die Prophylaxe in Arm A die ABR um 96 % , in Arm B um 97 % (jeweils p&lt;0,0001). &Auml;hnlich hoch war auch die Reduktion der Blutungen in die Zielgelenke. Selbst bei Patienten, die zuvor bereits eine regelm&auml;&szlig;ige Prophylaxe erhalten hatten, kam es zu einer Reduktion der ABR um 68 % im Vergleich zu ihrer fr&uuml;heren Medikation (p&lt;0,0001). Das Nebenwirkungsprofil war g&uuml;nstig und es kam nicht zu thromboembolischen Ereignissen. Mahlangus Fazit lautete, dass die subkutane Prophylaxe mit Emicizumab eine effektive und sichere Behandlungsoption bei H&auml;mophilie A ist.<sup>4</sup></p> <h2>Emicizumab bei Patienten mit und ohne Inhibitoren</h2> <p>Prof. Steven Pipe, Ann Arbor/USA, pr&auml;sentierte beim WFH World Congress die HAVEN-4-Studie (NCT03020160), an der 48 H&auml;mophilie-A-Patienten mit und ohne Inhibitoren teilnahmen. Sie untersuchte die Wirksamkeit, Sicherheit und Pharmakokinetik der vierw&ouml;chentlichen Gabe vom Emicizumab. Alle Patienten hatten bereits zuvor eine Faktorprophylaxe oder eine Bedarfstherapie erhalten. Prim&auml;rer Endpunkt war die H&auml;ufigkeit behandelter Blutungen unter Emicizumab; zu den sekund&auml;ren Endpunkten geh&ouml;rten unter anderem die allgemeine Blutungsfrequenz, die H&auml;ufigkeit behandelter Spontanblutungen sowie Gelenkblutungen und Blutungen in Zielgelenke, die gesundheitsbezogene Lebensqualit&auml;t (HRQoL) und die Sicherheit.<br /> Die Patienten wurden in zwei Gruppen randomisiert: Die Expansionsgruppe zur Bewertung der Wirksamkeit und Sicherheit erhielt w&auml;hrend einer vierw&ouml;chigen Einleitungsphase 3mg Emicizumab/kg/ Woche und anschlie&szlig;end 6mg/kg alle vier Wochen. Die Gruppe zur Bewertung der Pharmakokinetik erhielt ausschlie&szlig;lich 6mg/kg alle vier Wochen.<br /> Bei den Patienten in der Expansionsgruppe wurde im Median eine ABR von 0,0 behandelten Blutungen verzeichnet, wobei rund 56 % der Patienten de facto keine behandelte Blutung aufwiesen und 90 % zwischen 0-3 behandelten Blutungen. Diese Ergebnisse zeigen, dass eine vierw&ouml;chentliche Prophylaxe mit Emicizumab bei H&auml;mophilie-A-Patienten mit und ohne Inhibitoren eine gute Blutungskontrolle erzielen kann. Das Nebenwirkungsprofil war mit fr&uuml;heren Ergebnissen vergleichbar.<sup>5</sup></p> <h2>Registeranalyse zur Inhibitorentstehung</h2> <p>Prof. Marijke van den Berg, Utrecht/ Niederlande, stellte eine Studie vor, die untersuchte, ob es Unterschiede zwischen rekombinanten Faktorpr&auml;paraten und Plasmapr&auml;paraten hinsichtlich der Inhibitorentstehung gibt. Basis waren Daten aus dem PedNet-Register, an dem aktuell 32 H&auml;mophiliebehandlungszentren aus 18 europ&auml;ischen Staaten beteiligt sind, und eingeschlossen waren alle nicht vorbehandelten Patienten mit schwerer H&auml;mophilie A (FVIII&lt;0,01 IU/ml). Daraus wurden zwei Kohorten gebildet: Kohorte 1 mit Patienten, die zwischen 2000 und 2009 geboren wurden, Kohorte 2 mit Patienten, die nach 2009 geboren wurden. Die Nachbeobachtungszeit wurde mit 20 Jahren festgelegt, um Langzeitverl&auml;ufe verfolgen zu k&ouml;nnen. Endpunkt war die klinisch relevante Entwicklung von Inhibitoren innerhalb der ersten 50 Behandlungstage, definiert als mindestens zwei positive Titer und eine verminderte Wiederfindungsrate (Recovery) bzw. ein hoher Titer von &gt;5BU/ml.<br /> Ausgewertet wurden die Daten von insgesamt 988 Patienten mit schwerer H&auml;mophilie A. Von diesen wurden 805 mit rekombinanten Faktorpr&auml;paraten behandelt, 183 mit plasmabasierten. Beide Gruppen unterschieden sich hinsichtlich der Inzidenz von Inhibitoren nicht signifikant: 28 % der Patienten, die rekombinante Faktorpr&auml;parate erhielten, entwickelten Inhibitoren versus 27 % der Patienten, die mit plasmabasierten Produkten behandelt wurden. Auch die Inzidenz hoher Hemmk&ouml;rpertiter unterschied sich nicht signifikant (20 vs. 21 % ). In Zukunft wollen die Wissenschaftler nicht die Produktklassen analysieren, sondern die einzelnen Pr&auml;parate. Au&szlig;erdem sollen alle genetischen und mit der Therapie verbundenen Risikofaktoren der Inhibitorbildung ber&uuml;cksichtigt werden.<sup>6</sup></p> <h2>Was die Zukunft bringt</h2> <p>Prof. David Lillicrap, Kingston/Kanada, wagte einen Blick in die Zukunft und beschrieb die Entwicklungen der H&auml;mophilietherapie in den kommenden f&uuml;nf Jahren. Es gibt eine Reihe innovativer Ans&auml;tze, zum Beispiel EHL-Pr&auml;parate, Intrinsische- Tenase-Komplex-Innovationen wie Emicizumab, Modulatoren der H&auml;mostase wie den Antithrombin-Blocker Fitusiran oder den Tissue-Factor-Pathway-Inhibitor Concizumab sowie Zell- und Gentherapien.<br /> Dies werde die Behandlungsm&ouml;glichkeiten in den n&auml;chsten f&uuml;nf Jahren stark erweitern, sagte Lillicrap. Dennoch sollte man mit Vorsicht an diese Entwicklungen herangehen, denn die Studien zu den innovativen Therapien h&auml;tten einige Limitationen. Dazu z&auml;hlen eine meist geringe Patientenzahl, die oft kurze Nachbeobachtungszeit und ein noch unvollst&auml;ndiges Verst&auml;ndnis der Pathogenese von Nebenwirkungen. Denn die H&auml;mostase ist komplex, dynamisch und selbstregulierend. Gerinnungsf&ouml;rdernde und gerinnungshemmende Signale sind normalerweise fein aufeinander abgestimmt und durch zellul&auml;re, vaskul&auml;re und plasmaassoziierte Faktoren reguliert. Die innovativen Produkte ersetzen nicht die fehlenden Faktoren, sondern greifen in die H&auml;mostase selbst ein. Das Management unerw&uuml;nschter Wirkungen wie Thrombosen oder Blutungen k&ouml;nne sich deshalb von dem bisher &uuml;blichen unterscheiden. Daher pl&auml;dierte Lillicrap daf&uuml;r, vor allem die behandelnden &Auml;rzte zu schulen und neue Therapien zun&auml;chst nur in spezialisierten Zentren einzusetzen. Zudem m&uuml;sse die Pathophysiologie der Nebenwirkungen besser erforscht werden. Postmarketing-Surveillance- Programme und Leitlinien f&uuml;r das Management von Blutungen unter der Therapie, Operationen, Therapieversagen und f&uuml;r Laboruntersuchungen seien ebenfalls n&ouml;tig, betonte er.<br /> Eine andere Strategie ist die Gentherapie, zu der derzeit einige Studien bei H&auml;mophilie A und B laufen. Dabei werden Adeno-assoziierte Viren (AAV) als Genvektoren eingesetzt. Einschr&auml;nkungen bei diesem Verfahren sind unter anderem die geringe Ladekapazit&auml;t der Partikel und dass bis zu 60 % der Menschen gegen sie immun sind. Grunds&auml;tzlich sei die H&ouml;he der durch die Gentherapie angeregten Faktorproduktion sehr variabel, sagte Lillicrap. Au&szlig;erdem sei eine vor&uuml;bergehende Hepatotoxizit&auml;t innerhalb der ersten drei Behandlungsmonate beobachtet worden. Deren Pathogenese wird noch diskutiert, aber sie hinterl&auml;sst offenbar keine bleibenden Sch&auml;den. Dies m&uuml;sse allerdings weiter untersucht werden und die Patienten m&uuml;ssten &uuml;ber einen l&auml;ngeren Zeitraum nachbeobachtet werden. Im Mausmodell f&uuml;hrte die Gentherapie gelegentlich zu Leberzellkarzinomen. Auch dies m&uuml;sse eingehend erforscht werden, betonte Lillicrap. Er riet zu Registern f&uuml;r Patienten, die mittels Gentherapie behandelt werden, und zu j&auml;hrlichen Untersuchungen der Betroffenen.<br /> Trotz der Einschr&auml;nkungen und Herausforderungen bei neuen H&auml;mophilietherapien zog Lillicrap ein positives Fazit: Die Fortschritte, die mit diesen Innovationen einhergehen, seien substanziell und h&auml;tten das Potenzial, die Lebensqualit&auml;t der Patienten signifikant zu verbessern.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Kongress der World Federation of Hemophilia 2018, 20. bis 24. Mai, Glasgow </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Baumann A et al.: Pharmacokinetics, metabolism and distribution of PEGs and PEGylated proteins: quo vadis? Drug Discov Today 2014; 19: 1623-31 <strong>2</strong> Lubich C et al.: Antibodies against polyethylene glycol (peg) in healthy subjects &ndash; myth or reality? J Thromb Haemost 2015; 13(Suppl 2): 352 <strong>3</strong> Oldenburg J et al.: Emicizumab prophylaxis in hemophilia A with inhibitors. N Engl J Med 2017; 377: 809- 18 <strong>4</strong> Mahlangu J: Emicizumab prophylaxis administered once-weekly or every two weeks provides effective bleed prevention in persons with hemophilia A without inhibitors &ndash; results from the phase III HAVEN 3 study. WFH 2018, LBA 854 <strong>5</strong> Pipe S: Emicizumab subcutaneous dosing every 4 weeks is safe and efficacious in the control of bleeding in persons with hemophilia A with and without inhibitors &ndash; results from the phase 3 HAVEN 4 study. WFH 2018, LBA <strong>6</strong> Van den Berg M: Inhibitor incidence in 1083 PUPs with severe hemophilia treated with class recombinant or class plasma products is similar. WFH 2018, LBA <strong>7</strong> Lillicrap D: New therapies for hemophilia: balancing caution with excitement. WFH 2018</p> </div> </p>
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