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„Begleitung chronisch kranker Menschen“
Jatros
30
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12.07.2018
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<p class="article-intro">Die Versorgung chronisch kranker Menschen, wie Diabetiker es sind, läuft in Österreich nicht optimal. Die Diagnose von Prof. Thomas C. Wascher im Interview: kostenintensiv und wenig treffsicher, mit Tendenz zur Verschlechterung. Dabei gibt es Konzepte, die eine Verbesserung möglich machen und gleichzeitig kostendämpfend wirken würden.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Wie gut ist unser Gesundheitssystem auf die Versorgung chronisch kranker Menschen eingerichtet?</strong></p> <p><strong>T. C. Wascher:</strong> Im Prinzip ist unser Gesundheitssystem ein System, das für die Versorgung akut kranker Menschen optimal eingerichtet ist. Es ist auch optimal für den Fall eingerichtet, dass ein chronisch kranker Mensch im Rahmen seiner chronischen Erkrankung eine akute Komplikation erleidet. Was aus meiner Sicht zurzeit nicht gut funktioniert, ist die Ausrichtung unseres Gesundheitssystems im Hinblick auf die Versorgung chronisch kranker Menschen. Wobei der Begriff „Versorgung chronisch kranker Menschen“ eigentlich „Begleitung chronisch kranker Menschen“ lauten müsste. Denn wenn man das auf das Thema Diabetes fokussiert, dann braucht ein chronisch kranker Mensch mit Diabetes eine Begleitung, die ihm hilft, seine Selbstmanagementfähigkeiten zu stärken, und die ihm Hilfestellungen zur Problemlösung im Alltag bietet. Das ist in einer flächendeckenden Ausprägung in Österreich eigentlich nicht gegeben. Es gibt zwar Schwerpunkteinrichtungen in Krankenhausambulanzen, die mehr oder weniger dicht in Ballungszentren vorhanden sind, aber im ländlichen Raum sind diese schon viel weniger dicht gesät. Daneben gibt es das durch den Hausarzt vermittelte Disease-Management-Programm „Therapie Aktiv“ für Patienten mit unkompliziertem Diabetes Typ 2. Zwischen diesen beiden Polen klaffen aber riesige Lücken.</p> <p><strong>Wie äußern sich diese Lücken und wie kann man diese schließen?</strong></p> <p><strong>T. C. Wascher:</strong> Um beim Beispiel Typ- 2-Diabetiker zu bleiben – die Lücken gibt es, weil alles, was über den Versorgungsbereich im Sinn von „Therapie Aktiv“, also alles, was über die Erstlinienversorgung des unkomplizierten Patienten hinausgeht, in den Krankenhausambulanzen und bei den wenigen niedergelassenen Internisten stattfindet. Niedergelassene Endokrinologen gibt es praktisch keine. Beim Typ-1-Diabetes ist es wiederum anders. Der betrifft viel weniger Menschen, diese benötigen aber nicht zuletzt aufgrund der immer komplexer werdenden Technik der Insulingabe und der Blutzuckermessung die Anbindung an ein Versorgungszentrum. Derzeit machen das die Krankenhausambulanzen.<br /> Wie kann man also diese Lücken schließen? Es gibt derzeit zwei Grundprobleme: Eines ist, dass eine solche Diabetesspezialversorgung im extramuralen Bereich zurzeit nicht denkbar ist, weil es weder geeignete Verrechnungspositionen noch Finanzierungsmodelle dafür gibt. Deshalb sind die Patienten darauf angewiesen, in eine Spezialambulanz zu gehen. Der zweite Punkt: Die Spezialambulanzen wiederum haben zwei Probleme: 1. Sie sind viel, viel teurer, als sich die Versorgung im extramuralen Bereich organisieren ließe, und 2., was noch schwerer wiegt: Die Spitalsambulanzen werden in Zukunft immer weniger in der Lage sein, dieser Aufgabe nachzukommen. Einerseits aufgrund der Veränderungen, die das Arbeitszeitgesetz in der Spitalslandschaft bringt, andererseits wegen der steigenden Anzahl der Menschen, die von Diabetes betroffen sein werden. Es ist für einen Spitalsbetreiber nicht mehr möglich, einen Ambulanzbetrieb in dem Maße aufrechtzuerhalten, wie es noch vor vier, fünf Jahren der Fall war; und es wird immer weniger möglich sein, die Ambulanzleistungen anzubieten – abgesehen davon, dass sie teuer und nicht rentabel sind. Das bedeutet: Wenn man diese Lücken schließen möchte, muss man über spezialisierte Versorgungsmodelle im extramuralen Bereich nachdenken.</p> <p><strong>Könnte das PHC-Konzept dabei eine Verbesserung der Versorgung mit sich bringen?</strong></p> <p><strong>T. C. Wascher:</strong> Nicht zwingend für die Patienten, von denen ich jetzt gesprochen habe, denn PHC heißt ja „primary health care“, das hat per se nicht unbedingt etwas mit einem Zentrum zu tun, sondern kann auch eine modulare Versorgung sein. Heute wird das sehr häufig so gesehen, dass zum Beispiel mehrere Allgemeinmediziner sich zusammenschließen und eine Art Praxisbetrieb haben, der Montag bis Freitag von 8 Uhr Früh bis 20 Uhr am Abend läuft, sodass die Patienten mehr Chancen haben, mit kürzeren Wartezeiten zum Arzt zu kommen. Wenn man „Therapie Aktiv“ in solchen Zentren forcieren möchte, dann ist das sicherlich gut, aber es ist trotzdem nur „primary care“. Ich bringe jetzt absichtlich ein pointiert negatives Beispiel: Wenn ich ein Paar Schuhe brauche, aber nur das Sockengeschäft lang offen hat, dann nutzt mir das auch nichts. Sprich: Längere Öffnungszeiten ohne Veränderung des Angebotes in Richtung einer Spezialisierung haben aus meiner Sicht für die Versorgung chronisch kranker Menschen, die eine Spezialbetreuung brauchen, wenig Sinn.<br /> Eine extramurale Versorgung wäre aus meiner Sicht die Schaffung von spezialisierten Betreuungseinrichtungen – also das Diabetesambulatorium im Privatbetrieb. Dieses müsste finanziert werden über eine Vertragsgestaltung zwischen dem Krankenhausträger, der sich Kosten erspart, weil er die Ambulanz nicht mehr anbieten muss, und der Sozialversicherung, die sich auch etwas erspart, weil sie dem Krankenhaus nichts mehr zahlen muss, da die Leistung nicht mehr angeboten wird. Damit könnte man eine absolute Win-win-Situation für die bisherigen Anbieter und die Patienten schaffen, weil in solchen Einrichtungen immer mit einer besseren Kosten-Nutzen-Rechnung gearbeitet werden kann als in einem Spital. Das wäre der Nutzen für die bisherigen Betreiber, Krankenhausträger und Sozialversicherung. Der Nutzen für die Patienten wäre, plötzlich Betreuungseinrichtungen zu haben, die z.B. nicht um 13 Uhr zusperren, sondern bis 20 Uhr offen haben.</p> <p><strong>Das brächte auch eine bessere Versorgung auf dem Land.</strong></p> <p><strong>T. C. Wascher:</strong> Genau. Es gäbe jetzt in dieser Umbruchssituation eine tolle Chance, so ein Konzept zu schaffen, dafür müssen aber natürlich die Rahmenbedingungen stimmen. Denn wenn man auch in Zukunft so wie jetzt den Zeitaufwand für das Einleiten einer Insulintherapie im extramuralen Bereich nicht abgegolten bekommt, dann wird man es nicht tun. Man wird diese Leistungen bezahlen müssen, allerdings im Unterschied zur derzeitigen Situation im niedergelassenen Bereich nicht rein aus Geldern der Sozialversicherung, sondern das wird nur gehen, wenn es Kofinanzierungsmodelle mit Krankenhausträgern gibt. Das wäre eine Vision, wie das System in Zukunft aussehen könnte.</p> <p><strong><em>Vielen Dank für das Gespräch!</em></strong></p></p>
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