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Eine Vision, wie die Zukunft aussehen könnte (sollte)

„Begleitung chronisch kranker Menschen“

<p class="article-intro">Die Versorgung chronisch kranker Menschen, wie Diabetiker es sind, läuft in Österreich nicht optimal. Die Diagnose von Prof. Thomas C. Wascher im Interview: kostenintensiv und wenig treffsicher, mit Tendenz zur Verschlechterung. Dabei gibt es Konzepte, die eine Verbesserung möglich machen und gleichzeitig kostendämpfend wirken würden.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><strong>Wie gut ist unser Gesundheitssystem auf die Versorgung chronisch kranker Menschen eingerichtet?</strong></p> <p><strong>T. C. Wascher:</strong> Im Prinzip ist unser Gesundheitssystem ein System, das f&uuml;r die Versorgung akut kranker Menschen optimal eingerichtet ist. Es ist auch optimal f&uuml;r den Fall eingerichtet, dass ein chronisch kranker Mensch im Rahmen seiner chronischen Erkrankung eine akute Komplikation erleidet. Was aus meiner Sicht zurzeit nicht gut funktioniert, ist die Ausrichtung unseres Gesundheitssystems im Hinblick auf die Versorgung chronisch kranker Menschen. Wobei der Begriff &bdquo;Versorgung chronisch kranker Menschen&ldquo; eigentlich &bdquo;Begleitung chronisch kranker Menschen&ldquo; lauten m&uuml;sste. Denn wenn man das auf das Thema Diabetes fokussiert, dann braucht ein chronisch kranker Mensch mit Diabetes eine Begleitung, die ihm hilft, seine Selbstmanagementf&auml;higkeiten zu st&auml;rken, und die ihm Hilfestellungen zur Probleml&ouml;sung im Alltag bietet. Das ist in einer fl&auml;chendeckenden Auspr&auml;gung in &Ouml;sterreich eigentlich nicht gegeben. Es gibt zwar Schwerpunkteinrichtungen in Krankenhausambulanzen, die mehr oder weniger dicht in Ballungszentren vorhanden sind, aber im l&auml;ndlichen Raum sind diese schon viel weniger dicht ges&auml;t. Daneben gibt es das durch den Hausarzt vermittelte Disease-Management-Programm &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; f&uuml;r Patienten mit unkompliziertem Diabetes Typ 2. Zwischen diesen beiden Polen klaffen aber riesige L&uuml;cken.</p> <p><strong>Wie &auml;u&szlig;ern sich diese L&uuml;cken und wie kann man diese schlie&szlig;en?</strong></p> <p><strong>T. C. Wascher:</strong> Um beim Beispiel Typ- 2-Diabetiker zu bleiben &ndash; die L&uuml;cken gibt es, weil alles, was &uuml;ber den Versorgungsbereich im Sinn von &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo;, also alles, was &uuml;ber die Erstlinienversorgung des unkomplizierten Patienten hinausgeht, in den Krankenhausambulanzen und bei den wenigen niedergelassenen Internisten stattfindet. Niedergelassene Endokrinologen gibt es praktisch keine. Beim Typ-1-Diabetes ist es wiederum anders. Der betrifft viel weniger Menschen, diese ben&ouml;tigen aber nicht zuletzt aufgrund der immer komplexer werdenden Technik der Insulingabe und der Blutzuckermessung die Anbindung an ein Versorgungszentrum. Derzeit machen das die Krankenhausambulanzen.<br /> Wie kann man also diese L&uuml;cken schlie&szlig;en? Es gibt derzeit zwei Grundprobleme: Eines ist, dass eine solche Diabetesspezialversorgung im extramuralen Bereich zurzeit nicht denkbar ist, weil es weder geeignete Verrechnungspositionen noch Finanzierungsmodelle daf&uuml;r gibt. Deshalb sind die Patienten darauf angewiesen, in eine Spezialambulanz zu gehen. Der zweite Punkt: Die Spezialambulanzen wiederum haben zwei Probleme: 1. Sie sind viel, viel teurer, als sich die Versorgung im extramuralen Bereich organisieren lie&szlig;e, und 2., was noch schwerer wiegt: Die Spitalsambulanzen werden in Zukunft immer weniger in der Lage sein, dieser Aufgabe nachzukommen. Einerseits aufgrund der Ver&auml;nderungen, die das Arbeitszeitgesetz in der Spitalslandschaft bringt, andererseits wegen der steigenden Anzahl der Menschen, die von Diabetes betroffen sein werden. Es ist f&uuml;r einen Spitalsbetreiber nicht mehr m&ouml;glich, einen Ambulanzbetrieb in dem Ma&szlig;e aufrechtzuerhalten, wie es noch vor vier, f&uuml;nf Jahren der Fall war; und es wird immer weniger m&ouml;glich sein, die Ambulanzleistungen anzubieten &ndash; abgesehen davon, dass sie teuer und nicht rentabel sind. Das bedeutet: Wenn man diese L&uuml;cken schlie&szlig;en m&ouml;chte, muss man &uuml;ber spezialisierte Versorgungsmodelle im extramuralen Bereich nachdenken.</p> <p><strong>K&ouml;nnte das PHC-Konzept dabei eine Verbesserung der Versorgung mit sich bringen?</strong></p> <p><strong>T. C. Wascher:</strong> Nicht zwingend f&uuml;r die Patienten, von denen ich jetzt gesprochen habe, denn PHC hei&szlig;t ja &bdquo;primary health care&ldquo;, das hat per se nicht unbedingt etwas mit einem Zentrum zu tun, sondern kann auch eine modulare Versorgung sein. Heute wird das sehr h&auml;ufig so gesehen, dass zum Beispiel mehrere Allgemeinmediziner sich zusammenschlie&szlig;en und eine Art Praxisbetrieb haben, der Montag bis Freitag von 8 Uhr Fr&uuml;h bis 20 Uhr am Abend l&auml;uft, sodass die Patienten mehr Chancen haben, mit k&uuml;rzeren Wartezeiten zum Arzt zu kommen. Wenn man &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; in solchen Zentren forcieren m&ouml;chte, dann ist das sicherlich gut, aber es ist trotzdem nur &bdquo;primary care&ldquo;. Ich bringe jetzt absichtlich ein pointiert negatives Beispiel: Wenn ich ein Paar Schuhe brauche, aber nur das Sockengesch&auml;ft lang offen hat, dann nutzt mir das auch nichts. Sprich: L&auml;ngere &Ouml;ffnungszeiten ohne Ver&auml;nderung des Angebotes in Richtung einer Spezialisierung haben aus meiner Sicht f&uuml;r die Versorgung chronisch kranker Menschen, die eine Spezialbetreuung brauchen, wenig Sinn.<br /> Eine extramurale Versorgung w&auml;re aus meiner Sicht die Schaffung von spezialisierten Betreuungseinrichtungen &ndash; also das Diabetesambulatorium im Privatbetrieb. Dieses m&uuml;sste finanziert werden &uuml;ber eine Vertragsgestaltung zwischen dem Krankenhaustr&auml;ger, der sich Kosten erspart, weil er die Ambulanz nicht mehr anbieten muss, und der Sozialversicherung, die sich auch etwas erspart, weil sie dem Krankenhaus nichts mehr zahlen muss, da die Leistung nicht mehr angeboten wird. Damit k&ouml;nnte man eine absolute Win-win-Situation f&uuml;r die bisherigen Anbieter und die Patienten schaffen, weil in solchen Einrichtungen immer mit einer besseren Kosten-Nutzen-Rechnung gearbeitet werden kann als in einem Spital. Das w&auml;re der Nutzen f&uuml;r die bisherigen Betreiber, Krankenhaustr&auml;ger und Sozialversicherung. Der Nutzen f&uuml;r die Patienten w&auml;re, pl&ouml;tzlich Betreuungseinrichtungen zu haben, die z.B. nicht um 13 Uhr zusperren, sondern bis 20 Uhr offen haben.</p> <p><strong>Das br&auml;chte auch eine bessere Versorgung auf dem Land.</strong></p> <p><strong>T. C. Wascher:</strong> Genau. Es g&auml;be jetzt in dieser Umbruchssituation eine tolle Chance, so ein Konzept zu schaffen, daf&uuml;r m&uuml;ssen aber nat&uuml;rlich die Rahmenbedingungen stimmen. Denn wenn man auch in Zukunft so wie jetzt den Zeitaufwand f&uuml;r das Einleiten einer Insulintherapie im extramuralen Bereich nicht abgegolten bekommt, dann wird man es nicht tun. Man wird diese Leistungen bezahlen m&uuml;ssen, allerdings im Unterschied zur derzeitigen Situation im niedergelassenen Bereich nicht rein aus Geldern der Sozialversicherung, sondern das wird nur gehen, wenn es Kofinanzierungsmodelle mit Krankenhaustr&auml;gern gibt. Das w&auml;re eine Vision, wie das System in Zukunft aussehen k&ouml;nnte.</p> <p><strong><em>Vielen Dank f&uuml;r das Gespr&auml;ch!</em></strong></p></p>
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