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Harnwegsinfekte bei neurogener Blasenfunktionsstörung: die EAU-Guideline

<p class="article-intro">Harnwegsinfekte stellen bei Patienten mit neurogener Blasenfunktionsstörung ein häufiges und belastendes Problem dar. Dennoch existieren kaum evidenzbasierte Richtlinien zur Diagnostik, Therapie und Prophylaxe. Die EAU-Guideline «Neuro- Urologie» fasst den aktuellen Wissensstand zusammen und gibt entsprechende Empfehlungen für die Praxis.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Einleitung</h2> <p>Die bei Patienten mit neurogener Blasenfunktionsst&ouml;rung geh&auml;uft auftretenden Harnwegsinfektionen (HWI) k&ouml;nnen verschiedene Ursachen haben. Neben einer kompromittierten Speicher- und Entleerungsfunktion werden u.a. die Katheterisierung und Ver&auml;nderungen im Immunsystem diskutiert. HWI sind die f&uuml;hrende Ursache f&uuml;r Septik&auml;mien bei querschnittgel&auml;hmten Patienten und gehen mit einer signifikant erh&ouml;hten Mortalit&auml;t einher.<sup>1</sup> Dar&uuml;ber hinaus f&uuml;hren HWI zu einer massiven Einschr&auml;nkung der Lebensqualit&auml;t der Betroffenen. Da HWI in dieser Patientengruppe oft rezidivieren und die Erreger zunehmend Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln,<sup>1, 2</sup> stellen sie eine der gr&ouml;ssten Herausforderungen in der urologischen Betreuung Querschnittgel&auml;hmter dar. Trotz dieser grossen Bedeutung f&uuml;r Patienten und Therapeuten existieren bis heute weder zur Definition noch zur Therapie und Prophylaxe evidenzbasierte Empfehlungen.<br /> Mit der Guideline &laquo;Neuro-Urologie&raquo; hat es sich die European Urological Association (EAU) daher zur Aufgabe gemacht, f&uuml;r die Praxis relevante Empfehlungen zu diesen Fragen zu entwickeln. Diese basieren auf extensiven systematischen Literaturrecherchen, welche regelm&auml;ssig aktualisiert werden, und auf der Diskussion der Experten der Guidelinegruppe. Die jeweils aktuelle Version ist im Internet abrufbar.<sup>3</sup></p> <h2>Definition</h2> <p>Zur Diagnose eines HWI ist die Kombination von Laborbefunden (Bakteriurie, Leukozyturie und positive Urinkultur) und Symptomen obligat. Ein evidenzbasierter Cut-off-Wert f&uuml;r die Laborparameter existiert nicht, als Konsensus wird eine Definition der signifikanten Bakteriurie in Abh&auml;ngigkeit von der Probengewinnung vorgeschlagen (Tab. 1). Bez&uuml;glich der Leukozyturie werden 10 oder mehr Leukozyten pro Gesichtsfeld (400-fache Vergr&ouml;sserung) als signifikant betrachtet.<br /> Die Symptome eines HWI bei neurogener Blasenfunktionsst&ouml;rung k&ouml;nnen sich z.T. deutlich von den Symptomen eines unkomplizierten HWI unterscheiden und sind h&auml;ufig unspezifisch. Die h&auml;ufigsten Symptome sind Fieber, neu aufgetretene/verschlechterte Inkontinenz, vermehrte generalisierte Spastik, Schmerzen, Dysurie, Abgeschlagenheit, allgemeines Krankheitsgef&uuml;hl, autonome Dysregulation oder Flankenschmerzen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Uro_1801_Weblinks_s12_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="404" /></p> <h2><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Uro_1801_Weblinks_s12_tab2.jpg" alt="" width="1417" height="831" /></h2> <h2>Diagnostik</h2> <p>Da f&uuml;r die Diagnose eines HWI die Kombination von Symptomen und Laborbefunden obligat ist, sollte kein Bakteriurie- Screening erfolgen. Goldstandard der Diagnostik sind eine Urinkultur und eine Urinanalyse. Ein Teststreifen ist eher zum Ausschluss denn zum Nachweis eines HWI geeignet. Da sich das Keimspektrum und die Resistenzlage bei Patienten mit neurogener Blasenfunktionsst&ouml;rung von denjenigen bei unkomplizierten HWI unterscheiden, ist eine mikrobiologische Untersuchung obligat.</p> <h2>Therapie</h2> <p>Eine Bakteriurie sollte nicht therapiert werden, da eine Behandlung die Entstehung multiresistenter Bakterien f&ouml;rdert, ohne den Verlauf zu verbessern. Ein akuter HWI bei neurogener Blasenfunktionsst&ouml;rung ist definitionsgem&auml;ss ein komplizierter HWI, daher sollte die Behandlungsdauer 5 bis 7 Tage umfassen; sie muss ggf. bei Beteiligung des oberen Harntrakts auf 14 Tage ausgedehnt werden. Generell sollte das Antibiotikum anhand des Resultats der mikrobiologischen Untersuchung ausgew&auml;hlt werden; sollte aufgrund der Schwere der Infektion eine kalkulierte Antibiose erforderlich sein, sollte sich diese an den lokalen und individuellen Resistenzprofilen orientieren.</p> <h2>Prophylaxe</h2> <p>Bei rezidivierenden (3 oder mehr HWI/Jahr) HWI sollten zun&auml;chst morphologische und funktionelle Ursachen ausgeschlossen werden. Daher soll in Bezug auf Fremdk&ouml;rper, z.B. Steine, therapiert werden, die Blasenfunktion und der Entleerungsmodus sollen &uuml;berpr&uuml;ft und ggf. optimiert werden und &ndash; wenn irgend m&ouml;glich &ndash; Dauerkatheter entfernt werden. Bei Patienten, die den intermittierenden Katheterismus durchf&uuml;hren, waren hydrophil beschichtete Katheter mit einer niedrigeren HWI-Rate assoziiert.<br /> Falls die HWI trotz dieser Massnahmen persistieren, k&ouml;nnen zus&auml;tzliche supportive Therapien evaluiert werden. Blasensp&uuml;lungen haben keinen nachgewiesenen Effekt. Es existiert eine Vielzahl von medikament&ouml;sen Ans&auml;tzen zur HWI-Prophylaxe. Hierbei hat sich Methenaminhippurat als nicht effektiv erwiesen. In randomisierten placebokontrollierten Studien konnte auch kein Benefit von Cranberrysaft bei HWI nachgewiesen werden. Die Evidenz f&uuml;r einen Einsatz von L-Methionin zur Harnans&auml;uerung ist zu schwach, um den Einsatz dieser Substanz empfehlen zu k&ouml;nnen. Es gibt nur eine schwache Evidenz daf&uuml;r, dass eine orale Immuntherapie die Bakteriurierate reduziert, und keinen Hinweis darauf, dass sie die HWI-Rate senkt. Eine niedrig dosierte Langzeitantibiose kann die HWI-Frequenz nicht reduzieren, f&uuml;hrt aber zu einer erh&ouml;hten Antibiotikaresistenz und wird daher nicht empfohlen. Ein Applikationsschema mittels w&ouml;chentlicher alternierender Gabe von Antibiotika einmal pro Woche (&laquo;weekly oral cycling antibiotics&raquo;, WOCA) erbrachte positive Langzeitresultate, die Ergebnisse dieser Studie sollten jedoch durch andere Untersuchungen best&auml;tigt werden, bevor eine allgemeine Empfehlung erfolgen kann. Die Inokulation von apathogenen E.-coli-Keimen in die Blase erbrachte in initialen Studien ermutigende Resultate, kann aber aufgrund der wenigen zur Verf&uuml;gung stehenden Daten aktuell nicht empfohlen werden.<br /> Zusammenfassend existiert keine HWI-Prophylaxe, die nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin uneingeschr&auml;nkt empfohlen werden kann. Die HWI-Prophylaxe bei Personen mit neurogener Blasenfunktionsst&ouml;rung bleibt weiterhin ein wichtiges Problem; da es keinen Ansatz gibt, der den anderen Konzepten eindeutig &uuml;berlegen ist, sollten bei Betroffenen mit rezidivierenden HWI individualisierte Konzepte auch unter Ber&uuml;cksichtigung von Immunstimulation, Phytotherapie und komplement&auml;rmedizinischen Verfahren eingesetzt werden.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Biering-S&oslash;rensen F et al.: Urinary tract infections in patients with spinal cord lesions: treatment and prevention. Drugs 2001; 61: 1275-87 <strong>2</strong> Hinkel A et al.: Increasing resistance against antibiotics in bacteria isolated from the lower urinary tract of an outpatient population of spinal cord injury patients. Urol Int 2004; 73: 143-8 <strong>3</strong> EAU Guideline Neuro-Urology. https://uroweb.org/guideline/neurourology/ (letzter Zugriff am 24. 1. 2018)</p> </div> </p>
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