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Überlegungen zum Einsatz von Cannabinoiden in der Medizin

<p class="article-intro">Das Endocannabinoid-System ist ein lebenswichtiges Transmittersystem zum Erhalt der Homöostase im menschlichen Organismus. Wenn auch Cannabinoide gerade in der Psychiatrie kontrovers diskutiert werden – Stichwort Missbrauch – sollten die positiven Aspekte dieser Wirkstoffklasse nicht übersehen werden.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Durch die Entdeckung des Endocannabinoid- Systems (ECS) Mitte der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts ist es nun zu einer Entmystifizierung und Renaissance der Cannabinoide im medizinischen Bereich gekommen. Hauptaufgabe dieses Systems ist die Erhaltung der Hom&ouml;ostase und der interzellul&auml;ren Kommunikation. Somit mischt das ECS fast &uuml;berall mit und verursacht recht unterschiedliche Wirkungen, je nachdem, in welcher Situation sich der Organismus gerade befindet. Diese Funktion des ECS ist vorerst recht verwirrend, hat aber f&uuml;r spezielle Patientenprofile gro&szlig;e Vorteile. Gerade im Zusammenhang mit chronischem Schmerz ist dieses typische Profil<sup>1</sup> aus Schmerz, Schlafst&ouml;rung, Muskelhartspann, Depressivit&auml;t, &Auml;rger, Aggression, Ersch&ouml;pfung und Appetitlosigkeit nicht un&uuml;blich! Anstatt nun rein Symptome kontrollierend verschiedene Medikamente zum Einsatz zu bringen, hat sich in diesen F&auml;llen der kausale Einsatz von Cannabinomimetika als vorteilhaft erwiesen. Durch den Umgang mit Cannabinoiden wird auch sehr schnell klar, dass die Hom&ouml;ostase des Patienten ein Problem dessen Achtsamkeit ist und nicht Aufgabe allein des Arztes oder der &Auml;rztin sein kann. Mit zunehmendem Alter nimmt die Bedeutung der Cannabinoide zu, da ein resilienter Lebensstil mit ausreichend Regeneration, Schlaf und Abgrenzung f&uuml;r den Gesamtgesundheitszustand eines Menschen verantwortlich ist.</p> <p>Somit erkl&auml;rt sich der derzeitige Boom der Cannabinoide in vielen medizinischen Bereichen als Folge eines essenziellen &uuml;ber Jahrzehnte in Vergessenheit geratenen Transmittersystems.</p> <p>Die Psychiatrie hat sicherlich durch den h&auml;ufigen Missbrauch dieser Substanzklasse zu diesem Thema einen kontroversen Bezug. Auch gibt es derzeit keine Evidenz zum Einsatz von Cannabinoiden im psychiatrischen Bereich au&szlig;er bei posttraumatischer Belastungsst&ouml;rung<sup>2</sup> und bei chronischem Schmerz.</p> <p>Trotzdem werden die n&auml;chsten Jahre durch viele Publikationen auf dem Gebiet der Cannabinoide, vor allem auch in der Grundlagenforschung, die Pr&auml;senz dieser Medikamentenklasse auch in der Psychiatrie erh&ouml;hen.<sup>3</sup></p> <p>Mit circa 11 Milliarden CB1-Rezeptoren im Gehirn geh&ouml;rt dieser G-Protein-Rezeptor zum h&auml;ufigsten dieser Art. Dazu kommen noch CB2-Rezeptoren an Immunzellen und im peripheren Gewebe sowie CB3(GPR 55)-Rezeptoren im Darm. Cannabinoide sind seit Jahrtausenden im regelm&auml;&szlig;igen medizinischen Einsatz und geh&ouml;ren damit zur am l&auml;ngsten bekannten psychotropen Substanzklasse.</p> <p>Im Gegensatz zu Dopamin und Serotonin wird die endogene Transmittersubstanz Anandamid oder 2AG postsynaptisch aus der Membran direkt ausgeschieden und wirkt auf den pr&auml;synaptischen Rezeptor. Die Wirkung ist somit &bdquo;on demand&ldquo; und der Effekt ist eher sanft modulierend. Welche Reaktionen dabei ausgel&ouml;st werden, h&auml;ngt vornehmlich von der Ausgangssituation des Organismus ab.<sup>4</sup></p> <p>F&uuml;r psychiatrische Aspekte interessant k&ouml;nnte auch der Crosstalk mit anderen Hormonen und Transmittersubstanzen sein. Ein deutlicher Zusammenhang in der Wirkung von Opioiden mit Cannabinoiden f&uuml;hrt zu einer verbesserten Schmerzreduktion bei deutlich geringerer Opioiddosierung (Reduktion der Opiatdosierung circa auf 60 % ). Das Zusammenwirken von Kortikoiden mit Cannabinoiden moduliert die Reaktion auf Stresssituationen, das Zusammenwirken von &Ouml;strogen mit Cannabinoiden beeinflusst die Hypervigilanz bei Frauen. Die Kooperation von Cannabinoiden mit dem Orexin/Hypocretin-System beeinflusst Schlaf und Nahrungsaufnahme.</p> <p>Seit den 1990er-Jahren wurden zum Thema Cannabinoide insgesamt ca. 24 000 Publikationen ver&ouml;ffentlicht. Eine f&uuml;r mich wichtige Zusammenschau ist die Ver&ouml;ffentlichung der National Academies Press mit einem Review aller 10 700 englischsprachigen Publikationen.<sup>3</sup> Diese Ver&ouml;ffentlichung zeigt auch deutlich die Schwachstellen der Forschung im Bereich der Cannabinoide auf und betont die Notwendigkeit systematischer wissenschaftlicher T&auml;tigkeit auf allen Gebieten.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Pinsger M et al.: Nutzen einer Add-On-Therapie mit dem synthetischen Cannabinomimetikum Nabilone bei Patienten mit chronischen Schmerzzust&auml;nden &ndash; eine randomisierte kontrollierte Studie. Wien Klin Wochenschr 2006; 118(11-12): 327-35 <strong>2</strong> Jetly R et al.: The efficacy of nabilone, a synthetic cannabinoids in the treatment of PTSD-associated nightmares: a preliminary randomized, double-blind, placebo-controlled cross-over design study. Psychoneuroendocrinology 2015; 51: 585-8 <strong>3</strong> National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine: 2017. The health effects of cannabis and cannabinoids: the current state of evidence and recommendations for research. Washington, DC: The National Academies Press. doi: 10.17226/24625 <strong>4</strong> David Kendall and Stephen Alexander: Cannabinoid Pharmacology, Volume 80, 1. Ausgabe in: Advances in Pharmacology 2017, Academic Press, Cambridge MA</p> </div> </p>
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