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«Es braucht einen Kulturwandel»
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23.11.2017
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<p class="article-intro">Patient Blood Management (PBM) ist ein Konzept mit mehr als hundert Massnahmen, mit dem man vor allem eine präoperative Anämie vermeidet, perioperativ den Blutverlust verringert und während der Operation die Blutgerinnung kontrolliert. Damit können Transfusionen vermieden und das Outcome verbessert werden. Obwohl die WHO bereits 2010 PBM als wichtiges Prinzip zur Verbesserung der Transfusionssicherheit in ihre Agenda aufgenommen hat,<sup>1</sup> haben viele Spitäler das Konzept noch nicht eingeführt. Wir haben Prof. Dr. med. Patrick Meybohm gefragt, was man als Orthopäde über PBM wissen muss.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Warum haben so viele Spitäler PBM noch nicht umgesetzt?</strong><br /> <strong>P. Meybohm:</strong> Das stimmt so nicht. Die meisten Spitäler sind dabei, einzelne Bausteine einzuführen. Es ist ein kontinuierlicher Prozess, manche Kliniken haben schon viele Massnahmen eingeführt, andere erst wenige. Wir in Frankfurt haben schätzungsweise gut die Hälfte der international empfohlenen 100 PBM-Einzelmassnahmen umgesetzt. Insgesamt dauert es sicherlich fünf Jahre, eine Klinik zu hundert Prozent «PBM-fit» zu machen.</p> <p><strong>Was ist die grösste Hürde?</strong><br /> <strong>P. Meybohm:</strong> Dass die Kollegen nicht verstehen, warum PBM so wichtig ist. Immer noch denken viele, Transfusionen seien sicher – schliesslich hat man das als Student und junger Arzt so gelernt. Blutprodukte bergen aber nicht nur die altbekannten Risiken wie Verwechslungen, Eisenüberladung, Hepatitis oder HIV, sondern auch neue Risiken. Wir wissen inzwischen, dass Fremdblut das Immunsystem moduliert und die Patienten anfälliger für Infektionen macht, etwa für eine Pneumonie. Abgesehen davon bergen die Transfusionen Risiken, die wir noch gar nicht kennen, wie Infektionen mit neuen Viren. Wir brauchen einen Kulturwandel, um den «Transfusionsreflex» zu vermeiden.</p> <p><strong>Was kann man als niedergelassener Orthopäde für PBM tun?</strong><br /> <strong>P. Meybohm:</strong> So früh wie möglich vor einer geplanten Operation sollte man das Hämoglobin und ein kleines Blutbild bestimmen lassen, also einige Wochen vor dem Eingriff. Je früher man das macht, desto besser. Denn dann hat man genügend Zeit, auffällige Werte abzuklären und zu therapieren. Die Orthopädie ist für PBM ideal, denn die meisten Eingriffe sind von langer Hand geplant, und man kann eigentlich schon Monate vorher die Laboruntersuchungen anordnen.</p> <p><strong>Und wenn die Laborwerte auffällig sind?</strong><br /> <strong>P. Meybohm:</strong> Dann schickt man den Patienten zum Hausarzt oder Internisten – die Abklärung und korrekte Therapie einer Anämie sollte man lieber dem Fachmann überlassen. Nimmt ein Patient zwei verschiedene Blutverdünner – also etwa Marcumar und ASS – sollte man rechtzeitig vor der Operation die Gabe von einem stoppen.</p> <p><strong>40 Prozent der Patienten mit präoperativer Anämie haben einen Eisenmangel.<sup>2</sup> Wie wird dieser behandelt?</strong><br /> <strong>P. Meybohm:</strong> Hat man einige Monate Zeit, dann erst einmal mit oralen Präparaten – das steht auch in den Leitlinien.<sup>3, 4</sup> Hat man weniger Zeit, wirkt das orale Eisen nicht oder bricht der Patient die Tablettentherapie ab, gibt man Infusionen.</p> <p><strong>Kann man die Infusionen auch in der Praxis verabreichen?</strong><br /> <strong>P. Meybohm:</strong> Nur wenn man für den Notfall gerüstet ist. In bis zu 1 % der Fälle kann es zu allergischen Reaktionen oder zu Blutdruckschwankungen kommen.</p> <p><strong>Was müssen Orthopäden im Spital wissen?</strong><br /> <strong>P. Meybohm:</strong> Man sollte jeden Tropfen Blut sparen, also zum Beispiel so selten wie möglich Blut abnehmen und nur wenig – hierfür gibt es spezielle kleine Abnahmeröhrchen. Man sollte blutsparend operieren und, wenn es blutet, «cell saver» verwenden. Und man sollte den Patienten im OP gut wärmen, denn wenn er auskühlt, funktioniert die Blutgerinnung nicht so gut.</p> <p><strong>Sind die Patienten, die zu Ihnen kommen, vorbereitet?</strong><br /> <strong>P. Meybohm:</strong> Leider nicht. Jeden Tag kommen Patienten ohne Hämoglobinkontrolle.</p> <p><strong>Verschieben Sie dann die OP?</strong><br /> <strong>P. Meybohm:</strong> Nein – die Erwartungshaltung bei allen Beteiligten ist sehr hoch. Würden wir die OP absetzen, geht der Patient möglicherweise ins nächste Spital. Es braucht eben Zeit, die Kollegen und auch die Bevölkerung aufzuklären. Immerhin haben wir es geschafft, dass die Risiken einer präoperativen Anämie jetzt in die Patientenaufklärungsbögen aufgenommen wurden. Viel besser wären noch mehr Fortbildungen für Niedergelassene und Patientenbroschüren im Wartezimmer, damit der Kulturwandel auch klappt.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> WHO Resolution A63/20, 2010. Availability, safety and quality of blood products. apps.who.int/gb/ebwha/pdf_ files/WHA63/A63_20-en.pdf <strong>2</strong> Camaschella C et al.: N Engl J Med 2015; 372: 1832-43 <strong>3</strong> NICE Guidelines on Blood Transfusion. www.nice.org.uk/guidance/qs138 <strong>4</strong> Padhi S et al.: BMJ 2015; 351: h5832</p>
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