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52. Jahrestagung der Deutschen Diabetesgesellschaft in Hamburg, 24.–27. Mai 2017

Diabetologie von Jung bis Alt

<p class="article-intro">Das Motto „Fortschritt für unsere Patienten“ war während des Diabetes-Kongresses überall zu spüren. Das merkte man auch in einer der Pressekonferenzen und in Symposien: Dort ging es um Fortschritte, die den Alltag der Patienten erleichtern und verbessern sollen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Weltweit nimmt die Neuerkrankungsrate an Typ-1-Diabetes im Kindesund Jugendalter zu, sie steigt j&auml;hrlich um drei bis vier Prozent in allen L&auml;ndern Europas&ldquo;, berichtete Andreas Neu (im Foto der Pressekonferenz 2. v. l.) aus T&uuml;bingen. Jedes 600. Kind in Deutschland hat einen Typ-1-Diabetes, das sind etwa 31 000 Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 20 Jahren.<br /> Warum es immer mehr Kinder werden, die Typ-1-Diabetes bekommen, wird derzeit noch diskutiert. So kann eine bessere Erfassung der Erkrankten eine Rolle spielen, aber auch ein ver&auml;nderter Genpool, weil durch Schwangere mit Typ-1-Diabetes die Gene entsprechend weitergegeben werden. M&ouml;glicherweise beeinflussen auch ver&auml;nderte Lebensumst&auml;nde die Diabetesh&auml;ufigkeit, allerdings ist auch hier unklar, welche das sein k&ouml;nnen. Interessant ist, dass nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 die Rate der Menschen mit Typ-1-Diabetes in den &ouml;stlichen Bundesl&auml;ndern st&auml;rker anstieg und sich die Raten in den westlichen und &ouml;stlichen Bundesl&auml;ndern einander anglichen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s14_pk-foto.jpg" alt="" width="1456" height="686" /></p> <h2>Stoffwechsel geschult hybrid steuern</h2> <p>Der Aufgabe, den Kindern, und auch Erwachsenen, das Leben mit Typ-1-Diabetes zu verbessern und zu erleichtern, haben sich Forscher vom Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover verschrieben &ndash; mit der Entwicklung eines Closed-Loop- Systems. Olga Kordonouri (1. v. l.): &bdquo;Wir haben akademische Gruppen, aber auch Firmen, die sehr intensiv an diesem Traum arbeiten.&ldquo; Inzwischen ist in den USA ein Hybrid-Closed-Loop-System zugelassen: Dieses System kann bei abfallenden Glukosewerten die Insulinzufuhr drosseln, bei steigenden Werten die Insulinzufuhr steigern. &bdquo;Man hat mittlerweile sehr gut gesehen, dass solche Systeme nachts bei mahlzeitenunabh&auml;ngiger Insulinversorgung sehr gut funktionieren.&ldquo;<br /> Aber auch tags bietet das System Vorteile. Eine Aufgabe verbleibt noch bei den Patienten: &bdquo;F&uuml;r die Mahlzeiten muss der Patient selbst Insulin verabreichen, den Bolus abgeben &ndash; deshalb hei&szlig;t es hybrides System.&ldquo; Eins darf dabei nicht vergessen werden, denn v&ouml;llig automatisiert l&auml;uft das System wie beschrieben noch nicht und die Anwender m&uuml;ssen die vielen Daten verstehen und umsetzen: &bdquo;Man braucht weiterhin eine Schulung.&ldquo;</p> <h2>Pflegebed&uuml;rftige Diabetiker haben besondere Probleme</h2> <p>Um die &auml;ltesten Patienten geht es J&uuml;rgen Wernecke (1. v. r.) aus Hamburg. Die Zahl der zu pflegenden Menschen, auch mit Diabetes, steigt und wird immer weiter steigen. Dieses Problem muss langfristig angegangen werden, aber auch kurzfristige L&ouml;sungsans&auml;tze gibt es. &bdquo;Die Demenzrate bei &auml;lteren Menschen mit Diabetes mit schweren Hypoglyk&auml;mien ist doppelt so hoch. Dem m&uuml;ssen wir einfach mit differenzierten Therapiezielen gegen&uuml;berstehen.&ldquo; Wahrscheinlich sterben mehr pflegebed&uuml;rftige Menschen an einer Hypoglyk&auml;mie, als bekannt ist, weil ein kardialer Tod angenommen wird, wenn sie morgens tot im Bett liegen.<br /> Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hat f&uuml;r die Schulung des Pflegepersonals Programme aufgelegt: &bdquo;Wir haben jetzt schon seit ein, zwei Jahren ein sogenanntes Langzeitprogramm f&uuml;r die Klinik und auch f&uuml;r die station&auml;re Pflege mit 160 Ausbildungsstunden.&ldquo; Es soll aber weitergehen, z.B. mit einem modularen Schulungssystem.</p> <h2>Wie &Auml;ltere mit Diabetes therapieren?</h2> <p>Markolf Hanefeld aus Dresden wies in einem Symposium zum Thema Epidemiologie auf den Mangel an Therapiestudien mit Senioren hin. Deshalb ist wegen fehlender Daten eine Therapieentscheidung bei &auml;lteren Menschen eher eine Risikoabw&auml;gung. Eindr&uuml;cklich warnte er vor dem Einsatz eines bestimmten Sulfonylharnstoffs: &bdquo;Glibenclamid, das sollten Sie wirklich niemals mehr alten Menschen verordnen!&ldquo;<br /> Wie eine Untersuchung gezeigt hat, f&uuml;hrt dieses Antidiabetikum h&auml;ufig wegen schwerer Hypoglyk&auml;mien zur Krankenhausaufnahme (Greco D et al., 2010), zumal bei &auml;lteren Menschen mit Diabetes sowieso einige Risikofaktoren f&uuml;r und Risiken durch Hypoglyk&auml;mien bestehen (Lecomte P, 2005) (Tab. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s15_tab1.jpg" alt="" width="686" height="1164" /></p> <h2>Versorgung sichern durch Nachwuchsf&ouml;rderung</h2> <p>Damit die Patienten mit Diabetes auch weiterhin ausreichend diabetologisch ausgebildete &Auml;rzte finden, engagiert sich die DDG in der Nachwuchsf&ouml;rderung. Kongress- Pr&auml;sidentin Annette Sch&uuml;rmann (3. v. l.) erl&auml;uterte, dass durch die &Ouml;konomisierung in der Medizin Diabetesabteilungen in Kliniken und diabetologische Lehrst&uuml;hle an Universit&auml;ten verlorengehen. &bdquo;Da versuchen wir seit geraumer Zeit entgegenzuwirken.&ldquo;<br /> Deshalb wird der &auml;rztliche und naturwissenschaftliche Nachwuchs mit Stipendien zum Kongress eingeladen, im Jahr 2017 waren es 154 Empf&auml;nger, ausgew&auml;hlt aus 220 Bewerbern.<br /> W&auml;hrend des Kongresses werden die Stipendiaten von Mentoren betreut und k&ouml;nnen an speziellen Sitzungen teilnehmen, zuvor gab es einen speziellen Nachwuchstag. &bdquo;Das wird sehr gut angenommen.&ldquo; Ein Drittel der Stipendiaten bewirbt sich wiederholt um die Stipendien, worin sich ein nachhaltiges Interesse am Thema Diabetes zeigt. Auch im Medizinstudium muss die Diabetologie einen h&ouml;heren Stellenwert bekommen &ndash; ebenfalls ein Anliegen der DDG.</p> <h2>Versorgung in prim&auml;r&auml;rztlichen Praxen unklar</h2> <p>Wie aber funktioniert die Patientenbetreuung in der Prim&auml;rversorgung? Eine ern&uuml;chternde Feststellung dazu machte Wolfgang Rathmann aus D&uuml;sseldorf: &bdquo;Wir wissen eigentlich so gut wie gar nichts &uuml;ber die Behandlung und vor allem die Effektivit&auml;t und Qualit&auml;t der antihyperglyk&auml;mischen Therapie in diesen prim&auml;r&auml;rztlichen Praxen.&ldquo; Was man wei&szlig;, sind die entscheidenden Pr&auml;diktoren f&uuml;r den Beginn einer Kombinationstherapie auf der Basis einer Metformintherapie: das HbA<sub>1c</sub> und der N&uuml;chternglukosewert (Rathmann W et al., 2017). Au&szlig;erdem zeigt sich, dass Dipeptidylpeptidase- 4-Hemmer (DPP-4-Hemmer) inzwischen die Sulfonylharnstoffe von Platz 1 der Kombinationspartner verdr&auml;ngt haben (Rathmann W et al., 2016).</p> <h2>Nachwuchsmangel f&ouml;rdert Hypoglyk&auml;mien</h2> <p>Das Problem des Nachwuchsmangels bei &Auml;rzten spielte auch bei ihm eine Rolle, und zwar der Nachwuchsmangel in l&auml;ndlichen Regionen.<br /> In einer Studie (Kostev K et al., 2014) wurde deutlich, dass Diabetiker mit einer Insulintherapie, die in kleineren St&auml;dten leben, ein um 26 % h&ouml;heres Risiko f&uuml;r eine schwere Hypoglyk&auml;mie haben. Die Begr&uuml;ndung, die Rathmann dazu gab: &bdquo;Je gr&ouml;&szlig;er die r&auml;umliche Entfernung ist, desto geringer ist wahrscheinlich die Visitenfrequenz &ndash; und das hat Auswirkungen auf die Qualit&auml;t der Stoffwechseleinstellung.&ldquo;</p> <h2>Diabetesrucksack erleichtern durch Selbsthilfe</h2> <p>Die medizinische Versorgung ist das eine, die Beteiligung der Diabetiker selbst das andere: Selbsthilfe ist das Stichwort. Jens Kr&ouml;ger, Vorstandvorsitzender von diabetesDE &ndash; Deutsche Diabetes-Hilfe: &bdquo;Ich glaube, ganz wichtig ist, dass wir den Patienten eine Stimme geben und mehr f&uuml;r Geh&ouml;r sorgen aus Sicht der Patienten.&ldquo; Denn: &bdquo;Ein Mensch mit Diabetes hat einen Rucksack zu tragen &ndash; ich w&uuml;nsche dem Menschen immer, dass er viele Phasen hat, wo dieser Rucksack m&ouml;glichst leicht ist.&ldquo;<br /> In diesem Rucksack befinden sich viele Wackersteine, z.B. Unterzuckerungen, Blutzuckermessen und -dokumentieren, Gedankenmachen &uuml;ber Ern&auml;hrung. Die SHILD-Studie zeigt, wie Diabetiker Selbsthilfe bewerten: &bdquo;Viele haben gesagt, dass sie sich durch die Selbsthilfe entlasteter f&uuml;hlen, weil sie sich austauschen k&ouml;nnen.&ldquo; Aber auch die organisierte Selbsthilfe findet Kr&ouml;ger wichtig: &bdquo;Patienten m&uuml;ssen aus unserer Sicht ein Stimmrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss haben &ndash; oder traut man ihnen nicht zu, m&uuml;ndig genug zu sein, um ein Urteil abzugeben? Ich glaube, das kann auf keinen Fall der Fall sein!&ldquo; Er wurde deutlich: &bdquo;Ich glaube, Selbsthilfe wird zunehmend an Bedeutung gewinnen.&ldquo;</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Aus Diabetes Kongress Report 3/2017, Seiten 20-22 </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Greco D et al.: Exp Clin Endocrinol Diabetes 2010; 118: 215-9 <strong>2</strong> Kostev K et al.: Prim Care Diabetes 2014; 8: 127-31 <strong>3</strong> Lecomte P: Diabetes Metab 2005; 31: 5S105-11 <strong>4</strong> Rathmann W et al.: Diabetes Obes Metab 2016; 18: 8403 <strong>5</strong> Rathmann W et al.: Diabetes Obes Metab 2017; 19: 866-73</p> </div> </p>
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