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8 Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders

«Wie sollte eine Seele, die kein Drama mehr kennt, nicht depressiv werden?»

<p class="article-intro">Es sollte vor allem um die kognitiven Aspekte bei Angst und Depression gehen am 8<sup>th</sup> Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders (SFMAD) in Zürich,<sup>1</sup> aber die Veranstalter präsentierten viel mehr als das, nämlich ein Kaleidoskop an Themen, für die es eigentlich zwei Tage gebraucht hätte: Wie äussern sich kognitive Störungen bei Menschen mit Depressionen? Wie wichtig ist guter Schlaf für die kognitive Entwicklung von Kindern? Kann man sein Hirn mit Medikamenten «dopen»? Wie behandelt man aktuell Depression oder Burnout? Wir berichten über die spannendsten Themen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Eine h&auml;ufige Folge von Depressionen seien St&ouml;rungen im kognitiven Bereich, berichtete Prof. Dr. med. Pasquale Calabrese, Leiter der Arbeitsgruppe Neuropsychologie und Verhaltensneurologie an der Fakult&auml;t f&uuml;r Psychologie der Universit&auml;t Basel. Betroffen sind oft Aufmerksamkeit, Ged&auml;chtnis, Verarbeitungsgeschwindigkeit und mentale Kontrolle. Die kognitiven St&ouml;rungen beeinflussen die Lebensqualit&auml;t und wirken sich negativ auf das Arbeitsleben aus. Kognitive St&ouml;rungen k&ouml;nnten einem, wenn man sich allein auf den klinischen Eindruck verl&auml;sst, entgehen, so Calabrese, man m&uuml;sse die Patienten gezielt darauf untersuchen, zum Beispiel mit kognitiven Screening-Verfahren. Damit lassen sich auch die kognitiven Ver&auml;nderungen im Krankheitsverlauf dokumentieren.</p> <h2>Depressionsbehandlung: Ziel ist Remission</h2> <p>Einen pr&auml;gnanten &Uuml;berblick &uuml;ber die 2016 erschienenen Schweizer Leitlinien zur Behandlung von Depression<sup>2, 3</sup> und von Burnout<sup>4, 5</sup> gab Prof. Dr. med. Edith Holsboer-Trachsler, Extraordinaria f&uuml;r Stress- und Traumaforschung der Universit&auml;ren Psychiatrischen Kliniken Basel. &laquo;Holsboer-Trachsler schreibt seit Jahren ausgezeichnete Behandlungsempfehlungen&raquo;, kommentierte dies Prof. Dr. med. Gregor Hasler, Chefarzt an den Universit&auml;ren Psychiatrischen Kliniken in Bern. &laquo;Ich empfehle sie gerne meinen Mitarbeitern zum Lesen. Im Gegensatz zu den deutschen Leitlinien sind sie viel k&uuml;rzer und pr&auml;gnanter.&raquo; Ziel jeder Depressionsbehandlung ist die Remission. Wie man vorgeht, erkl&auml;rt die Behandlungsempfehlung anhand eines Algorithmus (Abb. 1). &laquo;Jeden Patienten und seine Angeh&ouml;rigen sollte man ausf&uuml;hrlich informieren &uuml;ber die zur Verf&uuml;gung stehenden Behandlungsoptionen, die Wirklatenz von Medikamenten, welche Nebenwirkungen auftreten k&ouml;nnen und wie man sie behandelt&raquo;, so Holsboer-Trachsler. Bei Patienten mit leichter depressiver Episode kann man den Patienten aktiv abwartend betreuen. Bessern sich die Beschwerden nach zwei Wochen nicht, sollte man eine Psychotherapie vorschlagen, eventuell in Kombination mit Medikamenten. Bei Patienten mit mittelschweren und schweren depressiven Episoden sollte man sofort eine Therapie beginnen. Neben den klassischen trizyklischen Antidepressiva stehen heute Antidepressiva der 2. und 3. Generation zur Verf&uuml;gung. F&uuml;r die Behandlung von leichten bis mittelschweren ist neu auch Hypericum zugelassen. Das ebenfalls neu zugelassene Pr&auml;parat Vortioxetin moduliert verschiedene Serotoninrezeptor-Subtypen und inhibiert den Serotonintransporter.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Neuro_1703_Weblinks_s33.jpg" alt="" width="1417" height="2265" /></p> <h2>&laquo;Was fr&uuml;her gewirkt hat, wirkt auch sp&auml;ter&raquo;</h2> <p>Welches Antidepressivum infrage kommt, h&auml;ngt von vielen Faktoren ab: z.B. davon, ob der Patient noch andere Krankheiten hat oder andere Medikamente einnimmt, welche Erfahrung man selbst mit dem Pr&auml;parat hat oder was der Patient m&ouml;chte. &laquo;Ich lege viel Wert auf die Anamnese&raquo;, sagt Prof. Hasler, &laquo;was fr&uuml;her gewirkt hat, wirkt auch sp&auml;ter.&raquo; Bei einer Neueinstellung k&ouml;nne auch die Familienanamnese helfen. &laquo;Das Ansprechen auf bestimmte Substanzen ist teilweise vererbt.&raquo; Spreche der Patient auf die Medikation nach 2&ndash;4 Wochen nicht an, berichtete Prof. Holsboer-Trachsler, solle man die Therapie optimieren, also etwa das Antidepressivum wechseln, ein anderes dazugeben oder Lithium bzw. ein atypisches Antipsychotikum oder andere Behandlungen wie Elektrokrampftherapie erw&auml;gen. Vor Umstellung der Medikation r&auml;t die Behandlungsempfehlung, ein therapeutisches Drug-Monitoring und den ABCB1-Gentest durchzuf&uuml;hren. Mit diesem sollen Patienten identifiziert werden, bei denen aufgrund von Genpolymorphismen viele der g&auml;ngigen Antidepressiva die Blut-Hirn-Schranke schlechter passieren k&ouml;nnten und die deshalb ungen&uuml;gend auf die Therapie ansprechen w&uuml;rden. Der Test kostet hierzulande 240 Franken, so Holsboer-Trachsler, die Kassen w&uuml;rden ihn noch nicht obligatorisch zahlen, aber man brauche ihn nur einmal im Leben durchzuf&uuml;hren. Prof. Hasler ist jedoch zur&uuml;ckhaltend. &laquo;Ich halte es f&uuml;r noch zu fr&uuml;h, den Test routinem&auml;ssig in einer Leitlinie zu empfehlen&raquo;, meint er. &laquo;Die Evidenz dazu haben k&uuml;rzlich Kollegen aus Melbourne zusammengefasst,<sup>6</sup> und die Haltung entspricht auch den internationalen Richtlinien zur Depressionsbehandlung.&raquo; Bei schwerer Therapieresistenz k&ouml;nne der Test durchaus Sinn haben, aber nicht als Routine bei jedem Therapieversagen. &laquo;Solche Gentests sind zwar spannend und werden vermutlich in Zukunft immer wichtiger, f&uuml;r die breite Anwendung fehlt aber bislang die Evidenz.&raquo;</p> <h2>Burnout: Patienten aktiv f&uuml;hren und begleiten</h2> <p>Burnout geh&ouml;rt im ICD-10 zu den &laquo;St&ouml;rungen verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbew&auml;ltigung&raquo; und wird klassifiziert unter &laquo;Z73.0 Ersch&ouml;pfungssyndrom (Burnout)&raquo;. &laquo;Burnout gilt nicht als eigenst&auml;ndige psychische St&ouml;rung, sondern kann eine solche begleiten&raquo;, erkl&auml;rte Prof. Holsboer-Trachsler. Insbesondere depressive St&ouml;rungen seien mit Burnout assoziiert, und eine positive pers&ouml;nliche oder Familienanamnese f&uuml;r Depression ist mit einem erh&ouml;hten Risiko verbunden, ein Burnout zu erleiden. Anhand eines Phasenmodells und der dazugeh&ouml;rigen Symptome erl&auml;uterte die Psychiaterin, wie sich aus chronischem Stress &uuml;ber Burnout depressive Symptome und schliesslich eine klinische Depression entwickeln kann. Die Symptome eines Burnouts sind stark vom Stadium der Stressbelastungsst&ouml;rung abh&auml;ngig und &uuml;berschneiden sich in ihrer klinischen Pr&auml;sentation mit anderen Erkrankungen. &laquo;Darum ist eine gr&uuml;ndliche Differenzialdiagnostik entscheidend, damit man die richtige Therapie verordnen kann&raquo;, sagte Holsboer-Trachsler. Ziele der Therapie sind die stabile Remission einer begleitenden Depression, die Erneuerung von Vitalit&auml;t und Erholungsf&auml;higkeit, die Wiederherstellung der Belastbarkeit hinsichtlich sozialer und beruflicher Funktionen sowie die Verst&auml;rkung konstruktiver Bew&auml;ltigungsstrategien. Der Therapeut sollte den Patienten aktiv f&uuml;hren und begleiten. Therapiebausteine sind unter anderem Psychoedukation, Psychotherapie, Achtsamkeits&uuml;bungen und Medikamente. Menschen, die leistungs- und erfolgsorientiert sind, was auf diejenigen mit Burnout oft zutrifft, k&ouml;nnen h&auml;ufig nicht auf ihre &uuml;blichen Ressourcen zur&uuml;ckgreifen, verzweifeln daran, verlieren die Hoffnung und werden hilflos. Man sollte als Therapeut dem Patienten immer wieder aufzeigen, dass es ihm Schritt f&uuml;r Schritt besser geht. Hier kann &laquo;Energie-Monitoring&raquo; helfen: Der Patient gibt dreimal t&auml;glich seine subjektive Stimmung, Energie und Anspannung auf einer visuellen Analogskala an und notiert dazu, was er gemacht hat oder was ihm passiert ist. So stellt er fest, was ihn zu viel Energie kostet, und kann lernen, seine Energie einzuteilen und Pausen einzuplanen. &laquo;Fehlt die soziale Unterst&uuml;tzung oder ist das soziale Netzwerk &uuml;berfordert, kann eine station&auml;re Behandlung sinnvoll sein&raquo;, sagt Hasler. Auch dann, wenn ambulante Behandlungsversuche fehlschlagen oder der Patient ein hohes Suizidrisiko hat.</p> <h2>Hirndoping: begrabene Hoffnung</h2> <p>Manch einer w&uuml;nscht sich, seinem Gehirn mit Pharmakostimulanzien &laquo;auf die Spr&uuml;nge helfen&raquo; zu k&ouml;nnen. Doch die Hoffnung darauf muss man vorerst begraben &ndash; so das Fazit von Prof. Dr. rer. nat. Boris Quednow, dem Leitenden Psychologen an der Psychiatrischen Universit&auml;tsklinik in Z&uuml;rich. &laquo;Hirndoping ist derzeit unsicher, wenig wirksam, wird &uuml;berbewertet und in Anbetracht der Komplexit&auml;t des Gehirns in absehbarer Zeit unwahrscheinlich&raquo;, berichtete Quednow. &laquo;Das Hirn kann man nicht wie einen Muskel trainieren.&raquo; Einige Stimulanzien k&ouml;nnen zwar durchaus die Vigilanz und das Arbeitsged&auml;chtnis verbessern, verschlechtern gleichzeitig aber andere kognitive Dom&auml;nen. Es gibt bisher keine wirksamen Substanzen, die das Langzeitged&auml;chtnis verbessern, und die Gesamtwirkung auf die intellektuelle Leistungsf&auml;higkeit ist eher schwach. &laquo;Abgesehen von der mangelnden Wirksamkeit haben die Pr&auml;parate, also zum Beispiel Methylphenidat, Amphetamine oder Modafinil, eine Reihe von Nebenwirkungen&raquo;, sagte Quednow. &laquo;Wir wissen auch nichts &uuml;ber die Langzeitnebenwirkungen bei Gesunden.&raquo; Aber nur wenige Leute w&uuml;rden bislang regelm&auml;ssig Hirndoping betreiben, beruhigte der Psychologe; in den USA sei der Gebrauch schon zur&uuml;ckgegangen. &laquo;Ich glaube nicht, dass Hirndoping bei Gesunden Zukunft hat &ndash; dazu haben die Pr&auml;parate zu viele Nebenwirkungen&raquo;, so Prof. Quednow. &laquo;Abgesehen davon funktioniert es nicht so, wie viele sich das erhoffen. W&uuml;rde es das tun, h&auml;tten wir aber tats&auml;chlich ein ethisches Problem.&raquo; Die Hirndopingpr&auml;parate, so ist er sich sicher, werden vermutlich einen &laquo;medientypischen Zyklus&raquo; aus Hype, Ern&uuml;chterung und Verteufelung durchlaufen.</p> <h2>Die Seele braucht Drama</h2> <p>Vielleicht nehmen die Leute Hirnstimulanzien, weil ihnen zu langweilig ist. Die zunehmende Langeweile, so die These des Philosophen Ludwig Hasler am Beginn des Symposiums, sei mitverantwortlich daf&uuml;r, dass so viele Menschen an Depressionen erkranken. Die Leute vermeiden Konflikte, Unvorhergesehenes und Unerw&uuml;nschtes, die Seele f&uuml;rchte sich sogar vor Kohlenhydraten. &laquo;Wie sollte eine Seele, die kein Drama mehr kennt, nicht depressiv werden?&raquo;, fragte Hasler provokant. &laquo;Durch die zunehmende Ich-Fixierung bleibt der Seele nur noch die Besch&auml;ftigung mit sich selbst, was auf Dauer ebenfalls langweilt und unzufrieden macht.&raquo; Doch wie kommen unsere Seelen wieder zu mehr Drama? Zukunft, Vielfalt und Verwandlung, so der Philosoph, seien die Schl&uuml;ssel zu einer gesunden Seele &ndash; und damit die beste Depressionsprophylaxe.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> 8<sup>th</sup> SFMAD, 6. 4. 2017, Z&uuml;rich <strong>2</strong> Holsboer-Trachsler E et al: Swiss Medical Forum 2016; 16(35): 716-24 <strong>3</strong> Holsboer-Trachsler E et al: Swiss Medical Forum 2016; 16(36): 739-43 <strong>4</strong> Hochstrasser B et al: Swiss Medical Forum 2016; 16(25): 538-41 <strong>5</strong> Hochstrasser B et al: Swiss Medical Forum 2016; 16(26-27): 561-6 <strong>6</strong> Bousman CA, Hopwood M et al: Lancet Psychiatry 2016; 3: 585-90 <strong>7</strong> S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie &laquo;Unipolare&nbsp;Depression&raquo; der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Psychiatrie,&nbsp;Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN). 2. Auflage,&nbsp;Version 4, 2015</p> </div> </p>
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