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Rheumatherapie im Wandel

<p class="article-intro">Noch nie standen so viele verschiedene Wirkstoffe gegen rheumatische Erkrankungen zur Verfügung wie heute, und es werden noch mehr: In der Warteschleife befinden sich Biosimilars, Anti-IL-6-Therapien und orale Alternativen zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis. Man könnte glauben, dass sich rheumaorthopädische Eingriffe durch die vielfältigen medikamentösen Therapieoptionen erübrigt hätten. Dem ist aber nicht so. </p> <hr /> <p class="article-content"><p>Beim mittlerweile schon traditionellen Ortho-Rheuma-Special-Meeting des Universimed-Verlages trafen sich f&uuml;hrende Orthop&auml;den und Rheumatologen sowie Vertreter der Pharmaindustrie zum interdisziplin&auml;ren Update. Doz. Dr. Burkhard Leeb, LK Weinviertel in Stockerau, berichtete &uuml;ber neue Strategien in der medikament&ouml;sen Rheumatherapie. Was den Rheumaorthop&auml;den im Zeitalter der Biologika noch zu tun bleibt, dar&uuml;ber gab Doz. Dr. Johannes Holinka, Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Orthop&auml;die, Wien, Auskunft. Der Vorsitzende der Veranstaltung, Dr. Rudolf Puchner, Pr&auml;sident elect der &Ouml;GR, pr&auml;sentierte abschlie&szlig;end zwei Fallbeispiele, mit denen er die oftmals schwierige Diagnosefindung bei Schmerzpatienten und die Notwendigkeit interdisziplin&auml;rer Zusammenarbeit von Orthop&auml;den und Rheumatologen aufzeigte.</p> <h2>Biosimilars: Generika oder doch etwas anderes?</h2> <p>Seit der erstmaligen Verabreichung eines TNF-Blockers an einen Rheumapatienten vor mehr als 20 Jahren hat sich die medikament&ouml;se Therapie dieser Erkrankung dramatisch gewandelt. Heute steht eine ganze Reihe von pharmazeutischen M&ouml;glichkeiten zur Verf&uuml;gung und viele weitere sind in der Pipeline. Das am schnellsten wachsende Segment auf diesem Sektor ist das der Biosimilars. <br /> Doz. Leeb erkl&auml;rt, warum Biosimilars nicht &ndash; wie andere Nachahmerprodukte &ndash; einfach als Generika bezeichnet werden k&ouml;nnen. Der erste Unterschied ist (fast) augenf&auml;llig: Biosimilars sind, so wie auch die Biologika, sehr gro&szlig;e Molek&uuml;le. Ihre molekulare Masse ist etwa 1000-mal so gro&szlig; wie die eines &bdquo;einfachen&ldquo; Medikamentes, ihre Synthese ist dementsprechend komplex. Aufgrund der biotechnologischen Herstellung unterliegt die Zulassung von Biosimilars auch anderen Regulatorien als die der Generika. &bdquo;Biologische Prozesse sind nie v&ouml;llig ident&ldquo;, erkl&auml;rt Leeb. Ziel kann es daher nur sein, eine m&ouml;glichst gro&szlig;e &Auml;hnlichkeit mit dem Originator zu erreichen. F&uuml;r die Zulassung von Biosimilars ist deshalb der Nachweis der Nichtunterlegenheit erforderlich. Auch bei manchen bereits zugelassenen Biologika wurden die Herstellungsprozesse im Lauf der Zeit ge&auml;ndert, wie Leeb berichtet: &bdquo;Die EMA wird zwar &uuml;ber alle Prozess&auml;nderungen informiert, an die &Auml;rzte wurden diese Informationen jedoch in der Regel nicht weitergegeben.&ldquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s82_1.jpg" alt="" width="250" /></p> <h2>Was kommt?</h2> <p>Da in naher Zukunft f&uuml;r etliche Biologika die Patente ablaufen, werden in den n&auml;chsten Jahren weitere Biosimilars auf den Markt kommen, meint Leeb. Zudem werden Biologika vermutlich billiger werden. Man k&ouml;nnte dann eventuell auch Patienten mit niedriger Krankheitsaktivit&auml;t mit Biologika behandeln; ein etwaiger Vorteil m&uuml;sste erst nachgewiesen werden. Eine eigene Studie von Leeb et al spr&auml;che jedenfalls daf&uuml;r. In dieser wurde Tocilizumab an Patienten mit milder bis moderater rheumatoider Arthritis verabreicht, was zu einer deutlichen Verminderung der Krankheitsaktivit&auml;t f&uuml;hrte.1 In Phase II&ndash;III der Pr&uuml;fung befinden sich weiters neue Anti-IL-6-Therapien, n&auml;mlich die Substanzen Sarilumab, Olokizumab, Clazakizumab und Sirukumab, sowie auch das gegen IL-17 gerichtete Ixekizumab. <br />Neben den riesigen Biologika- und Biosimilarmolek&uuml;len gibt es aber auch neue kleine Molek&uuml;le, die zur Behandlung rheumatischer Arthritiden geeignet sind und oral verabreicht werden k&ouml;nnen. Es sind dies Januskinase(JAK)-Inhibitoren wie Tofacitinib und Baricitinib, die laut Leeb demn&auml;chst auch in Europa auf den Markt kommen werden. Eine typische &bdquo;Schnittstellenerkrankung&ldquo;, mit der &Auml;rzte verschiedenster Disziplinen konfrontiert werden k&ouml;nnen, ist die Psoriasisarthritis (PsA), denn sie kann sich an Haut und N&auml;geln, an Gelenken, Wirbelk&ouml;rpern und Sehnen, im Magen-Darm-Trakt und an den Augen (Iritis) manifestieren. Zur Behandlung der aktiven PsA sind (bei unzureichendem Ansprechen auf herk&ouml;mmliche synthetische Basistherapeutika) TNF-&alpha;-Blocker, der Interleukin-12/23R-Hemmer Ustekinumab, der Anti-IL-17-Antik&ouml;rper Secukinumab und der PDE-4-Hemmer Apremilast, als &bdquo;small molecule&ldquo; in Tablettenform, zugelassen. Weitere Anti-IL-17-Therapien wie Brodalumab und Ixekizumab befinden sich in der Pipeline.</p> <h2>Orthop&auml;dische Rheumachirurgie heute</h2> <p>Biologika haben die Behandlung der rheumatoiden Arthritis revolutioniert, schwere Gelenksdeformit&auml;ten sind dadurch selten geworden. &bdquo;Die Patienten sind heutzutage weniger von Gelenksdestruktionen betroffen, station&auml;re Behandlungen von Rheumapatienten sind insgesamt stark zur&uuml;ckgegangen, Synovialitiden und Weichteileingriffe sind sehr selten geworden&ldquo;, best&auml;tigt Doz. Holinka. Dennoch sind die Rheumaorthop&auml;den noch nicht arbeitslos. Das Indikationsspektrum f&uuml;r rheumachirurgische Eingriffe ist immer noch mannigfaltig. Vor allem an der unteren Extremit&auml;ten sind h&auml;ufig noch operative Versorgungen notwendig. Der Trend geht dabei in die Richtung weniger invasiver Eingriffe: Synovektomien in fr&uuml;hen Stadien werden heutzutage fast ausschlie&szlig;lich arthroskopisch durchgef&uuml;hrt. Die moderne Rheumachirurgie steckt sich au&szlig;erdem h&ouml;here Ziele: &bdquo;Fr&uuml;her standen Schmerzlinderung und Erhalt der Mobilit&auml;t im Vordergrund. Heute versucht man, mittels operativer Eingriffe die Gelenksfunktionen zu verbessern&ldquo;, sagt Holinka. Biologika haben also den Leidensdruck von den Patienten genommen. Diese an und f&uuml;r sich erfreuliche Entwicklung birgt allerdings die Gefahr, dass die Indikation zur Operation sp&auml;ter gestellt wird als fr&uuml;her. &bdquo;Die Operationsbereitschaft der Patienten ist gesunken, weil sie keine starken Schmerzen haben. Die Gelenksdestruktion schreitet indes weiter fort &ndash; zwar nicht so schnell wie fr&uuml;her, aber doch stetig&ldquo;, betont Holinka. Je sp&auml;ter der Operationszeitpunkt, umso weniger k&ouml;nne funktionserhaltend operiert werden. Eine arthroskopische Versorgung ist nicht mehr m&ouml;glich, wenn das Gelenk schon stark gesch&auml;digt ist. Dies ist auch der Grund, warum die Zahl der endoprothetischen Versorgungen bei Rheumapatienten nicht r&uuml;ckl&auml;ufig ist. Das Stadium der Erkrankung, das Ansprechen auf die konservative Therapie und die individuelle Situation des Patienten sollten deshalb nach Meinung Holinkas interdisziplin&auml;r beurteilt werden, um den bestm&ouml;glichen Zeitpunkt f&uuml;r eine eventuell notwendige Gelenksoperation zu finden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s82_2.jpg" alt="" width="250" /></p> <h2>Hand, Fu&szlig; und Finger</h2> <p>Waren fr&uuml;her Resektionsarthroplastiken das Hauptaufgabengebiet der Rheumachirurgie, so sind es heute eher gelenks&shy;erhaltende Operationen, z.B. am Metatarsale oder am Gro&szlig;zehengrundgelenk. &bdquo;Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass Arthroplastik und Arthrodese am Vorfu&szlig; gleich gute Ergebnisse hinsichtlich Schmerzfreiheit bringen, die Gelenksfunktion kann aber mit der <br />Arthrodese besser erhalten werden&ldquo;, so Holinka. <br />Sch&auml;den am Handgelenk k&ouml;nnen in fr&uuml;hen Stadien sehr gut mit arthroskopischen Methoden behandelt werden. Arthrodesen und Endoprothesen k&ouml;nnen damit hinausgez&ouml;gert oder sogar vermieden werden. In den letzten Jahren gibt es auch zunehmend Fortschritte bei der arthroskopischen Versorgung von Fingergelenken: &bdquo;Bei isolierten Entz&uuml;ndungen k&ouml;nnen Patienten sogar im MCP-Gelenk von einer arthroskopischen Synovektomie sehr profitieren.&ldquo; Nach wie vor werden nat&uuml;rlich auch Silkonspacer eingesetzt.<br />&bdquo;Offene Operationen waren fr&uuml;her weitaus &ouml;fter n&ouml;tig, denn man musste auch die Sehnen mitbehandeln&ldquo;, erkl&auml;rt Holinka. &bdquo;Mit dem Einsatz von Biologika sind Synovialitiden selten geworden.&ldquo; Heute ist isolierter Gelenksbefall h&auml;ufiger anzutreffen, und dieser kann arthroskopisch versorgt werden. &bdquo;Arthroskopie ist eigentlich bei allen Gelenken m&ouml;glich. Die Vorteile sind ein geringeres Operations&shy;trauma und dadurch eine schnellere Rehabilitation.&ldquo; <br />Auch in der Endoprothetik f&uuml;r Rheumapatienten hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Minimal invasive, muskelschonende Zug&auml;nge werden angestrebt. Holinka: &bdquo;Bei der Knieendoprothetik ist der Zeitpunkt wichtig: je schlechter die Beweglichkeit vor der Operation, desto schlechter das Outcome. Wartet man zu lange, so sind die B&auml;nder bereits gesch&auml;digt und achsgef&uuml;hrte bzw. Revisionsprothesen unvermeidbar.&ldquo; Schulter-, Knie- und Ellbogenprothesen zeigen laut Holinka im Allgemeinen recht gute Langzeitergebnisse, leider nur m&auml;&szlig;ig ist die Langlebigkeit von Hand- und Sprunggelenksprothesen. Hier sollten die Patienten genau evaluiert und aufgekl&auml;rt werden. Periprothetische Infektionen sind besonders bei Rheumapatienten ein Problem. Diesbez&uuml;glich sollten alle m&ouml;glichen perioperativen Pr&auml;ventionsma&szlig;nahmen getroffen werden.</p> <h2>Knifflige F&auml;lle</h2> <p>Leiden Menschen an tief sitzenden Kreuzschmerzen, ist der Weg zur richtigen Diagnose oftmals ein langer. Dr. Puchner berichtet von einer 22-j&auml;hrigen Medizinstudentin, die 3 Jahre lang immer wieder an Kreuzschmerzen litt, vor allem im <br />Sitzen und Liegen. Bei Bewegung besserten sich die Symptome. Umfangreiche orthop&auml;dische, neurologische und internistische Untersuchungen erbrachten keine eindeutige Diagnose. Das Ergebnis der psychiatrischen Untersuchung lautete: innerer Widerwille gegen das Medizinstudium. Erst nach einer jahrelangen Odyssee der Patientin wurde mittels Labor- und MRI-Befund die richtige Diagnose gestellt: axiale Spondyloarthritis. Dieser Fall hat sich vor etwa 10 Jahren zugetragen; Puchner hofft, dass eine solche Krankengeschichte heutzutage nicht mehr vorkommt. Ein aktuellerer Fall betrifft eine 26-j&auml;hrige Journalistin aus Boston. Sie hatte persistierende Schmerzen im tiefen Kreuz und Stei&szlig;bein, diffuse Ges&auml;&szlig;schmerzen, vor allem nachts und in den fr&uuml;hen Morgenstunden, aber auch nach l&auml;ngeren Autofahrten. Die Glutealmuskulatur war schon bei kleinster Ber&uuml;hrung schmerzempfindlich. Die Diagnose der Primary Care lautete Muskelverspannung. Eine Therapie mit Analgetika half nur kurz, die Schmerzen wurden st&auml;rker und begannen, in R&uuml;cken und Bauch auszustrahlen. Beim Beugen nach vorne kam es zu einschie&szlig;enden Schmerzen in der Glutealregion, ebenso beim Drehen des Kopfes. Der R&ouml;ntgenbefund war unauff&auml;llig, f&uuml;r eine MRT-Untersuchung wurde keine Indikation gesehen. Eine von Physiotherapeuten durchgef&uuml;hrte Elektrostimulation brachte in der Folge wesentliche Besserung, was die Behandler in der Diagnose &bdquo;Piriformis-Syndrom&ldquo; best&auml;rkte. Die Patientin konnte wieder Sport betreiben und empfand nur mehr leichte Schmerzen. Nach wenigen Monaten kehrten die Schmerzen jedoch vehement zur&uuml;ck und es trat zus&auml;tzlich eine Miktionsst&ouml;rung auf. Auf Verlangen wurde nun eine MRT-Untersuchung durchgef&uuml;hrt und es zeigte sich schlie&szlig;lich ein lumbosakraler intraduraler Tumor. Die histologische Diagnostik ergab ein myxopapill&auml;res Ependymom. F&auml;lle wie diese w&uuml;rden zeigen, so Puchner, dass eine gemeinsame Begutachtung von Kreuzschmerzpatienten durch Orthop&auml;den und Rheumatologen durchaus zielf&uuml;hrend sei und vielen Patienten lange Leidenswege ersparen k&ouml;nnte.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s82_3.jpg" alt="" width="250" /></p> <h2>Quelle:</h2> <p>Ortho-Rheuma-Special, Veranstaltung der Universimed Cross Media Content GmbH, 15. September 2016, Wien</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Leeb B et al: The safety and effect on disease activity of tocilizumab in combination with MTX versus tocilizumab monotherapy in patients with mild to moderate RA: an attempt to optimise the treatment response. Arthritis Rheumatol 2015; 67(Suppl 19): Abstract Nr. 1039</p> </div> </p>
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