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«Die Diagnose ist eine Herausforderung»
Leading Opinions
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20.10.2016
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<p class="article-intro">Infektiöse Endokarditiden präsentieren sich heutzutage eher atypisch. Das Schwierige ist die Diagnose: Man muss daran denken. An einem Symposium im Luzerner Kantonsspital erklärten PD Dr. med. Peiman Jamshidi, Co-Chefarzt Kardiologie, und Dr. med. Marco Rossi, Chefarzt Infektiologie, anschaulich und praxisrelevant, wie man auf die Diagnose kommt. Die Therapie ist dann verhältnismässig einfach: In der neuen ESC-Leitlinie ist das Vorgehen für jeden Keim genau beschrieben.</p>
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<p class="article-content"><p>Ich habe seit Jahren keine infektiöse Endokarditis mit typischer Präsentation mehr gesehen», berichtete PD Dr. med. Peiman Jamshidi. «Fieber, Appetitverlust, vergrösserte Milz, Osler-Knoten – so haben wir es im Studium gelernt. Heutzutage sehen wir aber öfter atypische Präsentationen. Deshalb muss man einfach an die Möglichkeit einer Endokarditis denken.» <br /> Die klinischen Zeichen einer infektiösen Endokarditis sind sehr variabel, wobei keines ausreichend sensibel und spezifisch ist, um die Diagnose zu stellen. Der klinische Verlauf kann perakut sein oder die Symptome können sich schleichend entwickeln. Gemäss der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie muss in folgenden Situationen an eine Endokarditis gedacht werden:</p> <ul> <li>bei einem neu aufgetretenen Herzgeräusch,</li> <li>bei Embolien unbekannten Ursprungs,</li> <li>bei Sepsis unbekannter Ursache und bei Fieber, insbesondere unter bestimmten Voraussetzungen: z.B. bei Patienten mit neu aufgetretenen Überleitungsstörungen am Herzen, intrakardialem prothetischem Material oder peripheren Abszessen unbekannter Ursache (ESC-Leitlinien zur infektiösen Endokarditis).<sup>1</sup></li> </ul> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite73.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <p>Vermutet man klinisch eine Endokarditis, sind die ersten Schritte zur Diagnose eine transthorakale Echokardiografie (TTE) und danach eine transösophageale Echokardiografie (TEE). Nur wenn beide negativ sind und der klinische Verdacht gering ist, muss man nicht weiter nach einer Endokarditis suchen (Abb. 1). «Leider hat die TTE eine niedrige Sensitivität», sagte Jamshidi. «Man kann grosse Vegetationen, also grösser als 5mm, einfach erkennen, aber kleine Vegetationen unter 3mm erkennt man mitunter nur in der TEE.» Ist die TEE negativ und besteht klinisch weiterhin der Verdacht auf eine Endokarditis, sollte man die TEE innerhalb von 7 bis 10 Tagen wiederholen.<br /> «Findet man in Blutkulturen Bakterien und erhärtet sich im Echo der Verdacht auf eine Endokarditis, ist das Vorgehen einfach», erklärte Jamshidi. «Man startet eine Antibiotikatherapie gemäss Antibiogramm.» Ist die Kultur negativ, der Verdacht aber aufgrund der Klinik und des Echos hoch, muss man eine probatorische Antibiotikabehandlung machen. Die Duke-Kriterien, die auf Klinik, Laborbefunden und Bildgebung beruhen, helfen bei der Diagnose (Tab. 1). Eine Endokarditis gilt demnach als gesichert, wenn zwei Hauptkriterien erfüllt sind oder ein Haupt- und drei Nebenkriterien oder fünf Nebenkriterien. Sind ein Haupt- und ein Nebenkriterium oder drei Nebenkriterien erfüllt, liegt möglicherweise eine Endokarditis vor. <br /> Bei penicillinempfindlichen Keimen und Gruppe-D-Streptokokken wird der Patient mit Penicillin G behandelt (12–18 Mio. IE/d i.v. in 6 Dosen über 4 Wochen) oder mit Amoxicillin (100–200mg/kg/d i.v. in 4–6 Dosen über 4 Wochen) oder mit Ceftriaxon (1x 2g/d i.v. oder i.m. über 4 Wochen).<sup>1</sup><br /> Schwieriger ist die Entscheidung, ob der Patient operiert werden muss. «Das kann sich jeden Tag ändern, weshalb man die Situation bei der Visite täglich neu beurteilen muss», sagte Jamshidi. Die Entscheidung hängt von diversen Faktoren ab. Hat der Patient zum Beispiel eine Endokarditis an der Aorten- oder Mitralklappe mit Klappenobstruktion oder -destruktion, die zu einem Lungenödem führt, muss notfallmässig operiert werden. Wenn sich die Infektion nicht kontrollieren lässt oder ein Patient persistierendes Fieber und positive Blutkulturen hat, besteht eine dringende OP-Indikation, ebenso bei grossen Vegetationen über 10mm und bei Embolie trotz Antibiose.<sup>1</sup> «Man kann das aber nicht pauschalisieren», sagte Jamshidi. «Man muss das von Fall zu Fall im Team entscheiden.» Liegt eine OP-Indikation vor, sprechen die Daten einer neuen Metaanalyse von 21 Studien für eine Operation innerhalb der ersten Woche. Bei Patienten, die so behandelt wurden, war die Mortalität geringer als bei jenen, die erst nach 8 bis 20 Tagen operiert wurden.<sup>2</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite72.png" alt="" /></p> <h2>Gesundheitssystem muss ambulante Therapien ermöglichen</h2> <p>Das Hauptproblem der infektiösen Endokarditis sei aber nicht die Therapie, sondern die Diagnose, sagte Dr. med. Marco Rossi. «Wenn man die Diagnose erst einmal gestellt hat, ist es einfach. Denn in den ESC-Leitlinien ist für jeden Keim genau beschrieben, welche Antibiose man wählen soll.» Gut findet er, dass im Punkt 4 der Leitlinie betont wird, wie wichtig das «Endokarditis-Team» ist: «Es braucht eine gute Zusammenarbeit von Hausarzt, Spitalärzten, Kardiologen, Herzchirurgen, Intensivmedizinern und Infektiologen, um den Patienten optimal behandeln zu können.» Die Krankheit hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt. Die klassische Endokarditis lenta sieht er kaum noch, häufiger jedoch akute Infektionen durch <em>S. aureus</em>, nosokomiale Endokarditiden und solche bei intravenösem Drogenabusus im rechten Herzen, die eine schlechte Prognose haben. Manche Patienten präsentieren sich mit Symptomen, bei denen man nicht gleich an eine Endokarditis denkt, etwa mit einer septischen Arthritis, einer Spondylodiszitis oder Fieber unklarer Ursache. «Vor jeder Antibiotikagabe müssen Blutkulturen abgenommen werden, um das passende Antibiotikum zu finden», betonte Rossi. Schwierig wird es, wenn die Blutkulturen negativ sind. Das kann daran liegen, dass der Patient mit Antibiotika vorbehandelt ist oder dass es Keime sind, die schwierig zu züchten sind, wie <em>Brucella sp</em>., <em>Coxiella sp</em>. oder Th. whipplei. Selten kann eine Endokarditis auch eine nicht infektiöse Ursache haben, etwa massiven Gewichtsverlust wegen eines Malignoms (marantische Endokarditis) oder Lupus erythematodes. Das Vorgehen bei negativen Blutkulturen wird in der Leitlinie ebenfalls detailliert beschrieben. So werden bei Verdacht auf <em>Coxiella sp</em>. zum Beispiel IgG-Bestimmungen empfohlen, Gewebekulturen, Immunhistologie und PCR des chirurgischen Materials.<br /> Eine Herausforderung in der Endokarditisbehandlung sieht der Infektiologe in der Art der Therapie. «Wir müssen unser Gesundheitssystem so ausrichten, dass wir auch ambulant kontinuierlich Antibiotika geben können, zum Beispiel mit Pumpen-Infusionssystemen», forderte Rossi. Das Wichtigste sei aber nach wie vor die Diagnose: «Dafür muss man sich Zeit nehmen und interdisziplinär zusammenarbeiten.»</p></p>
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<p><strong>1</strong> Habib G et al: 2015 ESC Guidelines for the management of infective endocarditis: The Task Force for the Management of Infective Endocarditis of the European Society of Cardiology (ESC). Endorsed by: European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS), the European Association of Nuclear Medicine (EANM). Eur Heart J 2015; 36: 3075-128 <strong>2</strong> Narayanan MA et al: Early versus late surgical intervention or medical management for infective endocarditis: a systematic review and meta-analysis. Heart 2016; 102: 950-7</p>
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