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Neurotoxizität bei Chemotherapie

<p class="article-intro">Die Neurotoxizität bei onkologischen Erkrankungen hat viele Gesichter. Als Ursache kommen direkte Schädigungen des Nervensystems durch den Tumor selbst oder durch seine Metastasen infrage. Ein weiterer in der Praxis relevanter Punkt sind die vor allem mit Chemo- oder Strahlentherapie assoziierten Neurotoxizitäten. Darüber hinaus können auch metabolisch-endokrinologische, aber auch infektiologische Komplikationen zu neurologischen Schädigungen führen. Eher selten kommt es bei onkologischen Erkrankungen zu paraneoplastischen, neuroimmunologischen Phänomenen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die Chemotherapie-induzierte Toxizit&auml;t des zentralen Nervensystems und die h&auml;ufiger auftretende Chemotherapie-induzierte Toxizit&auml;t des peripheren Nervensystems sind klinisch relevante Nebenwirkungen und in manchen F&auml;llen sogar der dosislimitierende Faktor.</li> <li>Die meisten durch Chemotherapie auftretenden Neurotoxizit&auml;ten sind bei rechtzeitigem Absetzen der Therapie in der Regel reversibel.</li> <li>F&uuml;r das rechtzeitige Erkennen einer Chemotherapie-bedingten Neurotoxizit&auml;t ist vor allem im Bereich des peripheren Nervensystems der zeitliche Zusammenhang des Auftretens der typischen Beschwerden mit der kumulativen Dosis der verabreichten Substanz relevant.</li> <li>Substanzkombinationen k&ouml;nnen zu einer exponentiellen Zunahme der Neurotoxizi</li> </ul> </div> <p>Neben den h&auml;ufig bei der Chemotherapie auftretenden Toxizit&auml;ten, wie H&auml;matotoxizit&auml;t, Alopezie, Kardiotoxizit&auml;t, Mukositis etc., stellt die Neurotoxizit&auml;t eine wichtige und in manchen F&auml;llen dosislimitierende Toxizit&auml;t in der onkologischen Therapie dar. Diese potenziellen Chemotherapie-induzierten Neurotoxizit&auml;ten im Bereich des zentralen und peripheren Nervensystems (ZNS bzw. PNS) k&ouml;nnen zu schwerwiegenden neurologischen Funktionseinbu&szlig;en sowie zu einer deutlichen Beeintr&auml;chtigung der Lebensqualit&auml;t f&uuml;hren.</p> <h2>Neurotoxizit&auml;ten des Zentralnervensystems</h2> <p>ZNS-Toxizit&auml;ten treten bei der systemischen Verabreichung von Chemotherapie insgesamt aufgrund der bestehenden Blut-Hirn-Schranke zum Gl&uuml;ck sehr selten auf. Der in der Literatur seit l&auml;ngerer Zeit beschriebene Begriff &bdquo;Chemobrain&ldquo; ist eine aus neurologischer Sicht schwer zu definierende Begleiterscheinung bei Patienten unter laufender Chemotherapie. Unter dem etwas unscharfen Begriff &bdquo;Chemobrain&ldquo; werden verschiedenste kognitive Dysfunktionen unter Chemotherapien beschrieben. Die pathophysiologische Ursache dieses Ph&auml;nomens ist weitgehend ungekl&auml;rt. Die Hypothesen reichen von passageren Stoffwechselst&ouml;rungen auf neuronaler Ebene bis hin zu Ver&auml;nderungen epigenetischer Faktoren durch die verabreichten chemotherapeutischen Substanzen. Als Risikofaktoren f&uuml;r das Auftreten von ZNS-Toxizit&auml;t gelten Chemotherapie im Hochdosisbereich, Alter &lt;5 Jahren bzw. &gt;60 Jahre sowie vorbestehende zerebrale Erkrankungen, wie z.B. eine vaskul&auml;re Enzephalopathie. <br /> Bei einer Hochdosis-Methotrexat-Therapie wird einerseits eine akute Enzephalopathie mit Auftreten 24 bis 48 Stunden nach der Infusion beschrieben. Das klinische Spektrum reicht von epileptischen Anf&auml;llen, deliranten Zust&auml;nden bis zu multifokal-neurologischen Ausf&auml;llen. Dieses akute Syndrom ist in der Regel reversibel.<br /> Gef&uuml;rchteter sind die Sp&auml;ttoxizit&auml;ten im Hochdosisbereich unter Methotrexat, vor allem in Kombination mit intra- thekaler Verabreichung bzw. mit Strahlentherapie. Die Sp&auml;t-ZNS-Toxizit&auml;t ist nicht reversibel und m&uuml;ndet oft in einem ausgepr&auml;gten demenziellen Zustandsbild.<br /> Die gelegentliche intrathekale Verabreichung von Chemotherapien, wie z.B. von AraC, Etoposid oder Methotrexat, kann zu lokalen ZNS-Toxizit&auml;ten f&uuml;hren. In diesem Zusammenhang zu nennen sind Myelopathien, Leukenzephalopathien, Radikulitis, Arachnoiditis etc. Eine akzidentielle intrathekale Verabreichung z.B. von Vincristin, wie leider des &Ouml;fteren schon vorgekommen, endet in der Regel t&ouml;dlich.<br /> Einige alkylierende Substanzen, wie ACNU, BCNU, CCNU oder Ifosfamid, weisen eine geringe Blut-Hirn-Schrankeng&auml;ngigkeit auf. Die genauen bzw. die einzelnen ZNS-Toxizit&auml;ten dieser Substanzen in Abh&auml;ngigkeit von der Dosis sind jedoch nicht bekannt. Ein wesentlicher Faktor scheint m&ouml;glicherweise die konkomitante Verabreichung mit Strahlentherapie zu sein. Bei der Gabe von Ifosfamid im Hochdosisbereich sind in ca. 5 % der F&auml;lle akute &ndash; in der Regel reversible &ndash; Enzephalopathien beschrieben. Einen Hochrisikobereich bez&uuml;glich der ZNS-Toxizit&auml;t stellt die Therapie des prim&auml;ren ZNS-Lymphoms dar. Hier zeigt sich eine eher geringe Toxizit&auml;t bei einzelnen Therapieans&auml;tzen, z.B. bei Methotrexat, entweder intra&shy;thekal oder systemisch verabreicht, allerdings eine exponentiell erh&ouml;hte Toxizit&auml;t bei Kombination der einzelnen Methoden, vor allem in Kombination mit Strahlentherapie.<br /> &Uuml;ber die zentrale Neurotoxizit&auml;t von &bdquo;zielgerichteten Therapien&ldquo; ist bislang noch wenig bekannt. Beschrieben sind hier einerseits zerebrovaskul&auml;re Komplikationen von antiangiogenen Therapien, wie z.B. mit dem monoklonalen Antik&ouml;rper Bevacizumab oder dem Tyrosinkinaseinhibitor Sunitinib. Unter diesen Therapien kann das Risiko f&uuml;r isch&auml;mische, aber auch h&auml;morrhagische Insulte erh&ouml;ht sein. Das posteriore reversible Enzephalopathie-Syndrom (PRES) &ndash; eine neurologische Komplikation mit Bewusstseinstr&uuml;bung, epileptischen Anf&auml;llen und fokal-neurologischen Ausf&auml;llen &ndash; kann ebenfalls akut nach Verabreichung von Bevacizumab oder Sunitinib auftreten. Das PRES ist bei entsprechender symptomatischer Behandlung reversibel. In diesem Kontext zu erw&auml;hnen ist auch die potenzielle Gefahr einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) unter Rituximab-Therapie &ndash; eine seltenere, aber h&auml;ufig progrediente und t&ouml;dlich verlaufende Komplikation.</p> <h2>Komplikationen im Bereich des peripheren Nervensystems</h2> <p>Die Chemotherapie-induzierten Komplikationen des peripheren Nervensystems werden im Allgemeinen als Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie (CIPNP) zusammengefasst. Das PNS ist im Vergleich zum ZNS durch die fehlende Blut-Hirn-Schranke toxischen Substanzen wie z.B. Chemotherapeutika st&auml;rker ausgesetzt und deshalb ist die Pr&auml;valenz der CIPNP bei Weitem h&ouml;her. Ca. 5 % aller Patienten entwickeln eine Chemotherapie-induzierte Neuropathie unter einer Monotherapie; bei Polychemotherapien steigt die Wahrscheinlichkeit rapide auf bis zu 40 % an.<br /> Zu den Substanzen, unter denen ca. 30 % der Patienten eine Chemotherapie-induzierte Neuropathie entwickeln, z&auml;hlen Bortezomib, Docetaxel, Oxaliplatin, Paclitaxel und Thalidomid. <br /> Substanzen, die in ca. 10 bis 30 % der F&auml;lle Chemotherapie-induzierte Neuropathien ausl&ouml;sen, sind z.B. Alemtuzumab, Altretamin, Capecitabin, Carboplatin, Cisplatin, Dacarbacin, Vincristin, Vinblastin.<br /> Im Wesentlichen f&uuml;hren die chemotherapeutischen Substanzen zu einer axonalen und seltener zu einer demyelinisierenden Neuropathie. Die Toxizit&auml;ten haben in der Regel einen kumulativen Zusammenhang und treten zumeist im Verlauf der Therapie auf. Akuttoxizit&auml;ten sind selten, jedoch in der Regel auch weitgehend reversibel. Zu beachten ist, dass bei Patienten mit pr&auml;existenten Polyneuropathien (heredit&auml;ren oder diabetischen Neuropathien) eventuell eine verst&auml;rkte Neurotoxizit&auml;t unter Chemotherapie im Bereich des PNS auftreten kann. <br /> Prinzipiell ist die Neurotoxizit&auml;t im Bereich des PNS distal-symmetrisch lokalisiert, mit Beginn im Bereich der Zehen und Fu&szlig;sohlen. Im weiteren Verlauf k&ouml;nnen sich die Beschwerden socken- und strumpff&ouml;rmig ausbreiten. Bei Fortschreiten der Symptome k&ouml;nnen in weiterer Folge auch Finger bzw. H&auml;nde handschuhf&ouml;rmig ebenfalls symmetrisch betroffen sein. In der Regel kommt es zu sensorischen Defiziten wie Par&auml;sthesien, Hyp&auml;sthesien und Hypalgesien, seltener sind schmerzhafte Missempfindungen. Motorische oder autonome Ausf&auml;lle sind bei Chemotherapie-induzierten Neuropathien eine Seltenheit. In der klinischen Diagnose stellt der zeitliche Zusammenhang der auftretenden Beschwerden mit der verabreichten Chemotherapie in Zusammenschau mit der kumulativen Dosis die wesentliche S&auml;ule dar. Eine klinisch-neurologische Untersuchung, etwaige Skalen und Scores, wie der Total Neuropathy Score (TNS) oder die CTC(Common Toxicity Criteria)-Skala des NCI (National Cancer Institute), sowie in ausgew&auml;hlten F&auml;llen eine elektrophysiologische Untersuchung k&ouml;nnen in der Diagnostik hilfreich sein.</p> <h2>Platine</h2> <p><strong>1. Cisplatin</strong><br /> Bei Cisplatin ist eine periphere Neurotoxizit&auml;t bei einer kumulativen Dosis von 300 bis 400mg/m&sup2; zu erwarten. In der Regel treten die ersten neuropathischen Beschwerden nach drei bis sechs Monaten Therapie auf. Vorsicht ist bei Kombinationstherapien angebracht. Die klinische Auspr&auml;gung zeigt vorwiegend eine sensible Neuropathie mit Ataxie und das sogenannte Coasting-Ph&auml;nomen. Das Coasting-Ph&auml;nomen beschreibt das Andauern bzw. auch die Zunahme der neuropathischen Beschwerden bis zu einigen Wochen &uuml;ber das Therapieende hinaus. <br /> <br /> <strong>2. Carboplatin</strong><br /> Carboplatin ist insgesamt weniger neurotoxisch als Cisplatin, verursacht jedoch &auml;hnliche Beschwerden und eine erh&ouml;hte Neurotoxizit&auml;t ist vor allem in Kombination mit Paclitaxel beschrieben.<br /> <br /> <strong>3. Oxaliplatin</strong><br /> Oxaliplatin hat neben seiner kumulativen Neurotoxizit&auml;t auch eine Akuttoxizit&auml;t. Diese besteht einerseits aus ca. 30 bis 60 Minuten nach Infusion auftretenden Muskelkr&auml;mpfen und Faszikulationen und andererseits aus einige Stunden bis Tage andauernden K&auml;lte-induzierten Schluckbeschwerden bzw. oropharyngealen Par&auml;sthesien und Dys&auml;sthesien, die sich auch gelegentlich auf alle Extremit&auml;ten ausbreiten k&ouml;nnen. Diese Form der Akuttoxizit&auml;t ist reversibel.<br /> Nach einer eigenen Untersuchung an einer Kohorte mit gastrointestinalen Tumoren unter Oxaliplatin-Therapie entwickelten bis zum 6. Zyklus insgesamt 88 % eine Chemotherapie-induzierte Neuropathie und 60 % der Patienten beschrieben eine akute Neurotoxizit&auml;t.</p> <h2>Alkaloide &ndash; Vincristin</h2> <p>Im Gegensatz zu Platinen k&ouml;nnen sich bei Verabreichung von Vincristin schon innerhalb der ersten drei Monate neben haupts&auml;chlich sensorischen auch motorische Neuropathien entwickeln. Zus&auml;tzlich charakteristisch f&uuml;r Vincristin sind Muskelkr&auml;mpfe. Selten kommt es unter Vincristin zu autonomen St&ouml;rungen mit Darmfunktionsst&ouml;rungen bis zum paralytischen Ileus. Ebenfalls selten sind Hirnnervenbeteiligungen (Nervus abducens und Nervus facialis) beschrieben.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Onko_1504_Weblinks_Seite167.jpg" alt="" width="913" height="357" /></p> <h2>Taxane</h2> <p><strong>Paclitaxel</strong><br /> Eine eindeutige dosisabh&auml;ngige Neurotoxizit&auml;t ist f&uuml;r Paclitaxel nicht klar belegt. Die ersten Symptome einer peripheren neurologischen Toxizit&auml;t treten in der Regel erst zwei bis drei Tage nach der Therapie auf. Die Symptome umfassen in erster Linie Myalgien (bis 60 % ) sowie sensorische Symptome im distal-symmetrischen Bereich der H&auml;nde und der F&uuml;&szlig;e. Auch bei Paclitaxel sind Darmfunktionsst&ouml;rungen beschrieben. Die sensomotorischen Symptome bzw. Myalgien sind nach Absetzen der Therapie in der Regel reversibel.<br /> <br /> <strong>Docetaxel</strong><br /> Die Neurotoxizit&auml;t von Docetaxel ist &auml;hnlich wie bei Paclitaxel, insgesamt aber weniger ausgepr&auml;gt.<br /> <br /> <strong>Thalidomid</strong><br /> Die Thalidomid-induzierte Neuropathie pr&auml;sentiert sich in Form einer sensorischen, axonalen, selten auch motorischen Neuropathie. Diese betrifft nach nur 6-monatiger Therapiedauer bereits ca. 70 % der Patienten. Aus diesem Grund wird eine Therapie mit Thalidomid nicht f&uuml;r l&auml;nger als 6 Monate empfohlen.</p> <h2>Proteasominhibitoren</h2> <p><strong>Bortezomib</strong><br /> Die Inzidenz der Chemotherapie-induzierten Polyneuropathie unter Bortezomib liegt bei ca. 30 % und in ca. 12 % der F&auml;lle ist die Chemotherapie-induzierte Neuropathie der dosislimitierende Faktor. Nach Absetzen von Bortezomib kommt es in der Regel zu einer klinischen Besserung und in den meisten F&auml;llen zu einer Remission der Neuropathie. Die vorwiegend sensorische Neuropathie bei Bortezomib ist h&auml;ufig von neuropathischen Schmerzen begleitet und nicht selten der dosislimitierende Faktor der Therapie.<br /> <br /> <strong>Carfilzomib</strong><br /> Carfilzomib kann ebenfalls eine schmerzhafte sensorische Neuropathie verursachen. Diese tritt jedoch insgesamt weniger h&auml;ufig auf als unter Bortezomib.<br /> <br /> In Tab. 1 ist die zu erwartende kumulative Dosis bis zum Auftreten einer Chemotherapie-induzierten Polyneuropathie (CIPNP) bei einzelnen chemotherapeutischen Substanzen angef&uuml;hrt.</p> <h2>Kombination von Chemotherapien mit zielgerichteten Therapien</h2> <p>Bei Kombination von Bevacizumab und Paclitaxel ist eine vermehrte Toxizit&auml;t im Sinne einer CIPNP beschrieben. Ebenso trifft dies auf die Kombination von Trastuzumab und Paclitaxel zu. Bei Trastuzumab mit Paclitaxel ist die CIPNP der wichtigste dosislimitierende Faktor.</p> <h2>Symptomatische Therapie der Chemotherapie-induzierten Neuropathie</h2> <p>Die Therapie der Wahl bei CIPNP ist das Absetzen der Chemotherapie. Eine symptomatische Therapie, vor allem bei schmerzhaften Neuropathien, kann mit Antikonvulsiva, wie z.B. Gabapentin, Pregabalin, Carbamazepin etc., versucht werden. Bei Taxan-induzierten Neuropathien gibt es in der Literatur Hinweise auf eine m&ouml;gliche Verbesserung der neuropathischen Beschwerden durch Acetyl-L-Carnitin. Die Akuttoxizit&auml;t, ausgel&ouml;st durch Oxaliplatin, kann mit einer prophylaktischen Verabreichung von Kalzium- oder Magnesiumsalzen abgemildert werden.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: ÖGHO-Kongress 2015, Vortrag „Neurotoxizität bei Chemotherapie“ am 23. April 2014 im Rahmen der Session „ZNS-Malignome“, 23.–25. April 2015, Salzburg </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>Literatur beim Verfasser</p> </div> </p>
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