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Lunge – Umwelt – Arbeitsmedizin

Enzyme als inhalative Allergene am Arbeitsplatz

<p class="article-intro">Schon seit Langem werden Enzyme industriell eingesetzt. Die Anwendungsgebiete und die Auswahl der verwendeten, vermehrt mikrobiell hergestellten Enzyme werden stetig erweitert. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass es sich bei allen inhalativ aufgenommenen Enzymen um potenzielle Allergene handelt.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Enzyme sind Proteine, die chemische Reaktionen katalysieren, ohne sich dabei selbst zu ver&auml;ndern bzw. zu verbrauchen. Da viele biochemische Reaktionen nur dann in messbarer Geschwindigkeit ablaufen, wenn sie durch Enzyme katalysiert werden, ist es nicht verwunderlich, dass Enzyme bereits seit Langem in gro&szlig;en Mengen in den verschiedensten Industriezweigen eingesetzt werden (Tab. 1).</p> <p>Grunds&auml;tzlich handelt es sich bei Enzymen um Naturstoffe, die fr&uuml;her oft direkt aus tierischen oder pflanzlichen Materialien gewonnen wurden. So stammen die Proteasen Bromelain bzw. Papain aus der Ananas bzw. der Papaya und die Pankreasenzyme Trypsin und Chymotrypsin wurden urspr&uuml;nglich aus den Bauchspeicheldr&uuml;sen von Schweinen oder Rindern isoliert. Das f&uuml;r die K&auml;seherstellung unverzichtbare Chymosin (Rennin) kommt hingegen nat&uuml;rlicherweise im Labmagen junger K&auml;lber vor. Inzwischen werden die meisten Enzyme ausschlie&szlig;lich biotechnologisch mithilfe von Mikroorganismen (Bakterien, Hefen oder Schimmelpilze) hergestellt. Dabei handelt es sich einerseits um solche Enzyme, die von dem jeweiligen Mikroorganismus (Produktionsorganismus) nat&uuml;rlicherweise hergestellt werden. Zu den wichtigsten Produktionsorganismen z&auml;hlen Bakterien der Gattung Bacillus und Schimmelpilze der Gattung <em>Aspergillus</em>. Andererseits werden aber auch immer h&auml;ufiger Gene f&uuml;r bestimmte Enzyme aus anderen (Ursprungs-)Organismen in die jeweiligen Produktionsorganismen kloniert, sodass es eine nahezu un&uuml;berschaubare Zahl an verschiedenen Enzymen gibt. In der Enzym-Datenbank BRENDA sind derzeit Informationen zu 77 000 Enzymen aus mehr als 30 000 verschiedenen Organismen enthalten.<sup>3</sup> Auch eine Liste der kommerziellen Enzyme des Verbands der Hersteller von Enzymprodukten (AMFEP, Association of Manufacturers and Formulators of Enzyme Products)<sup>4</sup> zeigt, dass es sehr viele verschiedene Enzyme gibt, die zwar die gleiche Reaktion katalysieren, jedoch aus v&ouml;llig verschiedenen Organismen stammen und teilweise sehr unterschiedliche Aminos&auml;uresequenzen und Raumstrukturen aufweisen. Da die Benennung eines Enzyms entsprechend der Reaktion, die es katalysiert, erfolgt, laufen alle reaktionsgleichen Enzyme unter dem gleichen Namen (z.B. existieren in der AMFEP-Liste 17 verschiedene Xylanasen) und unter einer identischen EC-Nummer (bei Xylanase: EC 3.2.1.8). Die EC-Nummern (EC, &bdquo;enzyme commission&ldquo;), die aus vier durch Punkte voneinander getrennte Zahlen bestehen, bilden die Grundlage der Systematisierung von Enzymen. So beginnen die ECNummern aller kohlenhydratspaltenden Enzyme (Glycosidasen) mit 3.2.1 und die aller proteinspaltenden Enzyme (Proteasen) mit 3.4 (Tab. 1 und 2). Zus&auml;tzlich sei darauf hingewiesen, dass reaktionsgleiche Enzyme oft unter verschiedenen Handelsnamen vertrieben werden. So ist beispielsweise die sehr h&auml;ufig in der Waschmittelindustrie eingesetzte Protease Subtilisin, die urspr&uuml;nglich aus dem Bakterium <em>B. subtilis</em> gewonnen wurde, als Alcalase<sup>&reg;</sup>, Esperase<sup>&reg;</sup>, Durazym<sup>&reg;</sup>, Maxatase<sup>&reg;</sup>, Savinase<sup>&reg;</sup> etc. erh&auml;ltlich. Teilweise sind diese Enzyme identisch, teilweise unterscheiden sich jedoch ihre Sequenzen oder Strukturen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Pneumo_1802_Weblinks_jatros_pneumo_1802_s10_tab1.jpg" alt="" width="2151" height="1283" /></p> <h2>Sensibilisierende Wirkung von Enzymen</h2> <p>Inzwischen sind in der Literatur viele F&auml;lle von Atemwegssensibilisierungen nach beruflicher Exposition gegen&uuml;ber Enzymst&auml;uben beschrieben worden. W&auml;hrend f&uuml;r einige Enzyme bisher nur einzelne Kasuistiken vorliegen, existieren f&uuml;r andere z.T. mehrere Fallserien und Querschnittstudien in entsprechend exponierten Kollektiven. Einen zusammenfassenden &Uuml;berblick &uuml;ber die bisher in der Literatur als atemwegssensibilisierend beschriebenen Enzyme gibt Tabelle 2.</p> <p>Neben den Kasuistiken und Studien zu einzelnen Enzymen gibt es detaillierte &Uuml;bersichten &uuml;ber Enzyme als berufliche Atemwegsallergene generell<sup>1, 2, 22, 23</sup> bzw. &uuml;ber Enzyme in einzelnen Industrien wie der Waschmittelindustrie<sup>24, 25</sup> oder der Backindustrie<sup>18, 26</sup>. All diese Studien belegen, dass Besch&auml;ftigte, die gegen&uuml;ber Enzymst&auml;uben exponiert sind, ein erh&ouml;htes Sensibilisierungsrisiko aufweisen. In Rahmen einer Studie wurden Sensibilisierungspr&auml;valenzen f&uuml;r Aspergillus-Enzyme von 8 % f&uuml;r Glucoamylase, 11 % f&uuml;r Xylanase, 13 % f&uuml;r Cellulase und bis zu 34 % f&uuml;r &alpha;-Amylase berichtet.<sup>2</sup> Wie bereits von Baur und Mitarbeitern im Jahr 2000 beschrieben, sind aerogene Enzyme potente Inhalationsallergene, sodass die entsprechenden Sensibilisierungen auch in vielen F&auml;llen zu rhinokonjunktivalen und/oder asthmatischen Beschwerden bzw. zur Diagnose einer Berufsallergie f&uuml;hren.<sup>23</sup> So reagierten in &alpha;-Amylase-sensibilisierten Kollektiven zwischen 16 % und 100 % positiv im bronchialen Provokationstest auf das Enzym.<sup>2</sup> In der Enzymindustrie ist man sich des Risikos berufsbedingter Sensibilisierungen bewusst. Unter Mitwirkung verschiedener US-amerikanischer und europ&auml;ischer Enzymhersteller wurde z.B. ein Programm initiiert, in dessen Rahmen in ca. 100 enzymherstellenden bzw. -verarbeitenden Firmen Luftmessungen zur Expositionsabsch&auml;tzung durchgef&uuml;hrt wurden.<sup>27</sup> Zudem wurden die ca. 23 000 Mitarbeiter &uuml;ber das Sensibilisierungsrisiko, die richtige Handhabung der Produkte und den Gebrauch von Schutzausr&uuml;stung (z.B. Atemschutz) aufgekl&auml;rt. Dar&uuml;ber hinaus wurden die Mitarbeiter regelm&auml;&szlig;ig untersucht (Lungenfunktionstest, &Uuml;berpr&uuml;fung einer m&ouml;glichen Enzymsensibilisierung mittels Haut-Pricktests oder spezifischen IgETests) und bez&uuml;glich allergischer Beschwerden befragt. Die Sensibilisierungspr&auml;valenz lag dabei bei ca. 8 % .<sup>27</sup></p> <p>Insgesamt herrscht Konsens dar&uuml;ber, dass inhalativ aufgenommene Enzyme grunds&auml;tzlich Allergene sind. Aus diesem Grunde findet sich auch in der MAK- und BAT-Werte-Liste der Eintrag, &bdquo;dass zahlreiche Vertreter aus dieser Stoffgruppe eine sensibilisierende Wirkung an den Atemwegen aufweisen k&ouml;nnen&ldquo;.<sup>28</sup> Auch auf EU-Ebene sind Enzyme entsprechend der CLP-Verordnung (&bdquo;regulation on classification, labelling and packaging of substances and mixtures&ldquo;) mit H334 &bdquo;Kann bei Einatmen Allergie, asthmaartige Symptome oder Atemwegsbeschwerden verursachen&ldquo; (fr&uuml;her R42) gekennzeichnet.<sup>29</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Pneumo_1802_Weblinks_jatros_pneumo_1802_s11_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="1984" /></p> <h2>Fallstricke bei der Diagnostik der Enzymallergie</h2> <p>Wie bereits erw&auml;hnt, sind Enzyme potente Typ-I-Allergene. In den meisten publizierten F&auml;llen einer berufsbedingten Enzymallergie war ein T&auml;tigkeitsbezug eindeutig gegeben und fast immer korrelierten Symptome, Hauttestergebnisse, der Nachweis spezifischer IgE-Antik&ouml;rper und &ndash; wenn durchgef&uuml;hrt &ndash; auch das Ergebnis des spezifischen Provokationstests gut. Ein Problem kann allerdings darin bestehen, das geeignete Enzymmaterial f&uuml;r die Allergietestung zu finden. Einerseits stehen nur wenige kommerzielle Pricktest- L&ouml;sungen oder spezifische IgE-Tests f&uuml;r Enzyme zur Verf&uuml;gung. Zum anderen unterscheiden sich reaktionsgleiche Enzyme oft deutlich in ihrer Aminos&auml;uresequenz und/oder der r&auml;umlichen Struktur und sind deshalb nicht immer kreuzreaktiv. So auch im Falle eines 60-j&auml;hrigen Chemiearbeiters, der seit 32 Jahren mit der Herstellung und Verpackung von Detergenzien betraut war und seit 10 Jahren beim Umgang mit dem Enzympr&auml;parat Termamyl<sup>&reg;</sup>, einer &alpha;-Amylase, &uuml;ber sich verschlimmernde Rhinokonjunktivitis und Atemnot klagte. W&auml;hrend der kommerziell verf&uuml;gbare IgE-Test mit &alpha;-Amylase aus A. oryzae negativ verlief, war der IgE-Test mit dem Enzympr&auml;parat Termamyl<sup>&reg;</sup> positiv (21,6 kU/l).<sup>6</sup> Dabei handelt es sich um eine bakterielle &alpha;-Amylase aus <em>B. stereothermophilus</em>, die nach vorheriger gentechnischer Ver&auml;nderung von vier Aminos&auml;uren kommerziell in dem Bakterium <em>B. licheniformis</em> produziert wird. Auch Elms und Mitarbeiter fanden in ihrer Studie unter Verwendung von polyklonalen Kaninchenseren keine Kreuzreaktivit&auml;t zwischen fungalen und bakteriellen &alpha;-Amylasen. Dar&uuml;ber hinaus zeigten aber auch die bakteriellen &alpha;-Amylasen aus <em>B. amyloliquefaciens</em> und <em>B. licheniformis</em> sowie die fungalen Glucoamylasen aus <em>A. niger</em> und <em>Rhizopus</em> keinerlei Kreuzreaktivit&auml;ten.<sup>30</sup> Dies zeigt, wie wichtig es bei der Diagnostik von berufsbedingten Enzymsensibilisierungen ist, dass genau das Enzympr&auml;parat als Testmaterial verwendet wird, gegen&uuml;ber dem der Patient auch tats&auml;chlich exponiert war. Somit ist es empfehlenswert, die Patienten um Produktproben vom Arbeitsplatz zu bitten. Ist dies nicht m&ouml;glich, oder soll ein weiterer Extrakt getestet werden, muss exakt recherchiert werden, mit welchem Enzym (Ursprungsorganismus, Produktionsorganismus, Handelsname etc.) der Patient Umgang hatte.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Enzyme werden seit Langem und in immer gr&ouml;&szlig;erem Ausma&szlig; industriell eingesetzt. Seit den 1960er-Jahren werden zunehmend berufsbedingte Allergien gegen nat&uuml;rliche, inzwischen aber vermehrt gegen mikrobiell hergestellte und teilweise gentechnisch ver&auml;nderte Enzyme beschrieben. Es kann davon ausgegangen werden, dass alle inhalativ aufgenommenen Enzyme Allergenwirkung haben. Dabei handelt es sich in der Regel um Typ- I-Allergien.</p> <p>Bei der Diagnostik muss ber&uuml;cksichtigt werden, dass reaktionsgleiche Enzyme, je nachdem aus welchem Organismus sie stammen und ob sie direkt daraus isoliert oder gentechnisch (ver&auml;ndert) hergestellt wurden, eine gro&szlig;e Heterogenit&auml;t aufweisen k&ouml;nnen. Selbst wenn sie unter einem Namen und einer gemeinsamen EC-Nummer subsumiert werden, kann eine Kreuzreaktivit&auml;t zwischen diesen Enzymen fehlen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Baur X: Int Arch Occup Environ Health 2005; 78(4): 279- 86 <strong>2</strong> Green BJ et al.: J Allergy (Cairo) 2011; 2011: 682574. doi: 10.1155/2011/682574 <strong>3</strong> Enzym-Datenbank BRENDA. The Comprehensive Enzyme Information System. Updated Januar 2018. Braunschweig. http://www.brenda-enzymes. org/ <strong>4</strong> Association of Manufacturers and Formulators of Enzyme Products (AMFEP): List of commercial enzymes. Updated Mai 2015. 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Weinheim: Verlag Wiley- VCH, 2017 <strong>29</strong> Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): Gefahrstoffliste 2016 &ndash; Gefahrstoffe am Arbeitsplatz (IFA-Report 1/2016). Berlin: November 2018. http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/rep0116.pdf 30 Elms J, Robinson E , M ason H e t a l.: A nn O ccup H yg 2006; 50(4): 379-84</p> </div> </p>
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