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Neue ÖGZ-Nomenklatur

Wissenschaftlicher Hintergrund: Was bleibt, was hat sich geändert?

<p class="article-intro">Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwicklungsprozess. Klassifikationen müssen neu evaluiert und dem gegenwärtigen Wissensstand angepasst werden. Wesentliche wissenschaftliche Erkenntnisse zur Pathogenese des Zervixkarzinoms haben zu einer neuen zytologischen Nomenklatur der Österreichischen Gesellschaft für Zytologie (ÖGZ) geführt, die Auswirkungen auf unsere klinische Tätigkeit hat. Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass verschiedene Muster der Genexpression von humanen Papillomaviren (HPV) wesentlich dafür verantwortlich sind, ob und welche Veränderungen in den Epithelien der Cervix uteri entstehen und ob daraus ein Krebsrisiko abzuleiten ist oder nicht.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Frauen mit latenten HPV-Infektionen zeigen keine L&auml;sionen. Kolposkopie und Zytologie sind normal. Beide Untersuchungen sind jedoch wichtig, um zu best&auml;tigen, dass ein Normalbefund vorliegt.</li> <li>Produktive HPV-Infektionen f&uuml;hren zytologisch und histologisch zu LSIL. Betroffene Frauen haben ein nur geringes Risiko f&uuml;r die Progression zum invasiven Karzinom und sollen kontrolliert werden. Ca. 90 % bilden sich spontan in einem Zeitraum von 1&ndash;2 Jahren zur&uuml;ck, was einer Selbstheilung entspricht.</li> <li>Frauen mit transformierenden HPV-Infektionen entwickeln zytologisch und histologisch HSIL (CIN 2/3) und/oder ein AIS. Sie haben ein signifikantes Risiko f&uuml;r die Progression zum invasiven Karzinom und sind Kandidatinnen f&uuml;r eine Therapie.</li> <li>Der immunhistochemische Nachweis von p16INKA4a erlaubt, transformierende HPV-Infektionen in Gewebeproben zu erkennen, und ist damit gut geeignet, die pathologisch-anatomische Diagnostik zu objektivieren und besser reproduzierbar zu machen. Bei unklaren Befunden sollte diese Untersuchung angefordert werden.</li> </ul> </div> <p>Unver&auml;ndert gilt, dass in unserer klinischen Praxis die Histologie der goldene Standard ist. Der histologische Befund entscheidet, ob und wie eine Behandlung erfolgt und welche Ma&szlig;nahmen der Nachkontrolle n&ouml;tig sind. Was sich aber ge&auml;ndert hat, ist, dass wir heute vor dem Hintergrund grunds&auml;tzlich verschiedener Muster der Genexpression von HPV auf der einen Seite eine Gruppe von Frauen definieren k&ouml;nnen, die nur ein sehr geringes Risiko f&uuml;r die Progression zum invasiven Karzinom hat. Diese Frauen entwickeln keine oder &bdquo;low-grade squamous intraepithelial lesions&ldquo; (LSIL), welche sich zumeist spontan zur&uuml;ckbilden. In der Regel ist keine Behandlung, sondern eine Kontrolle angezeigt. Auf der anderen Seite besteht eine Gruppe von Frauen mit einem signifikanten Risiko f&uuml;r die Progression zum invasiven Karzinom. Diese Frauen entwickeln &bdquo;high-grade squamous intraepithelial lesions&ldquo; (HSIL) und sind Kandidatinnen f&uuml;r eine Behandlung.</p> <h2>Latente HPV-Infektion: klinischer Normalbefund</h2> <p>Wir sprechen heute nicht mehr von &bdquo;intraepithelialen Neoplasien&ldquo;, sondern von &bdquo;intraepithelialen L&auml;sionen&ldquo;, auch um klarzustellen, dass eine LSIL keine unmittelbare Krebsvorstufe darstellt. Wir gehen heute in der Pathogenese des Zervixkarzinoms nicht mehr von einem kontinuierlichen Fortschreiten von Ver&auml;nderungen im Epithel von normal &uuml;ber CIN 1, CIN 2 und CIN 3 bis zum Carcinoma in situ aus, sondern sprechen von latenten, produktiven und transformierenden HPV-Infektionen. Dabei entsprechen latente HPV-Infektionen klinisch einem Normalbefund, produktive HPV-Infektionen einer LSIL und transformierende HPV-Infektionen einer HSIL und/oder einem Adenocarcinoma in situ (AIS).</p> <p>Die meisten HPV-Infektionen der Zervix sind latent, werden nicht bemerkt und enden hier. HPV ist in Basalzellen in niedriger Kopiezahl nachweisbar. Es kommt hier zu keiner nennenswerten Genexpression und Replikation von HPV. Kolposkopie, Zytologie und Histologie sind normal.</p> <p>Nur ca. 10 % der Frauen mit persistierenden HPV-Infektionen entwickeln produktive Infektionen. Diese k&ouml;nnen durch Low-Risk- und High-Risk-HPV hervorgerufen werden. Zytologisch und histologisch kommt es zu charakteristischen morphologischen Ver&auml;nderungen in Form von Koilozyten. HPV vermehrt sich, die Viruslast ist hoch. Vor allem die sp&auml;ten HPV-Gene L1 und L2 werden exprimiert. Insgesamt ist die HPV-Genexpression gut kontrolliert und es besteht kein eigentliches Krebsvorstadium. In der Kolposkopie sind oft &bdquo;Minor&ldquo;-Ver&auml;nderungen oder Kondylome sichtbar. Zytologisch entsprechen produktive Infektionen nach aktueller zytologischer Nomenklatur der &Ouml;GZ einem Pap IIID. Histologisch kommt es zur CIN 1, zu Kondylomen oder nur zur Koilozytose. Ca. 90 % der produktiven Infektionen sind nach 1&ndash;2 Jahren nicht mehr nachweisbar, was einer Spontanregression bzw. einer Selbstheilung entspricht. Wichtig ist, dass produktive Infektionen nur im Plattenepithel und nicht im Zylinderepithel der Zervix vorkommen.</p> <p>Selten und fast ausschlie&szlig;lich durch High-Risk-HPV verursacht entstehen transformierende HPV-Infektionen. Diese f&uuml;hren zu HSIL (CIN 2, 3) und/oder zum AIS. Die HPV-Genexpression ist hierbei im Vergleich zur produktiven Infektion signifikant ver&auml;ndert. Durch die Expression der fr&uuml;hen HPV-Gene E6 und E7 kommt es zu einer St&ouml;rung des Zellzyklus und des programmierten Zelltodes, wodurch sich schrittweise Mutationen anh&auml;ufen, was zu einem unkontrollierten Wachstum f&uuml;hrt. Dies bedingt eine genetische Instabilit&auml;t im Epithel. Kolposkopisch sieht man zumeist &bdquo;Major&ldquo;-Ver&auml;nderungen. Zytologisch entsprechen transformierende Infektionen nach neuer Nomenklatur der &Ouml;GZ einem Pap IV. Es bestehen ein intraepitheliales Krebsvorstadium und ein signifikantes Risiko f&uuml;r die Progression zum invasiven Karzinom.</p> <h2>HSIL mit biologischen Eigenschaften von LSIL</h2> <p>Von klinischer Wichtigkeit ist, dass nicht alle transformierenden HPV-Infektionen zum invasiven Karzinom fortschreiten. Manche und insbesondere L&auml;sionen adoleszenter oder junger Frauen, die als HSIL klassifiziert werden, haben biologische Eigenschaften von LSIL, d.h., sie werden vom Immunsystem erkannt und gehen in Regression. Deshalb wird in &Ouml;sterreich wie auch in anderen L&auml;ndern und anders als im US-amerikanischen Kontext die CIN 2 nicht zu den sofort therapiebed&uuml;rftigen HSIL gez&auml;hlt. Generell haben HSIL, die morphologisch einer CIN 2 entsprechen, ein h&ouml;heres Potenzial zur Regression und zeigen eine geringere Progression zum invasiven Karzinom als HSIL, die einer CIN 3 entsprechen. Es ist deshalb wichtig, dass wir Gyn&auml;kologen unsere Partner in den pathologischen Instituten dazu anhalten, weiterhin zwischen HSIL (CIN 2) und HSIL (CIN 3) zu differenzieren, was in den meisten F&auml;llen m&ouml;glich ist. Nur im Zweifel sollte der Befund als HSIL (CIN 2, 3) wiedergegeben werden.</p> <p>Von wichtiger praktischer Bedeutung ist, dass transformierende HPV-Infektionen mit dem Biomarker p16INKA4a in Gewebeproben erkannt werden k&ouml;nnen, was zu einer signifikanten Verbesserung der Differenzialdiagnostik und interindividuellen Reproduzierbarkeit der histopathologischen Diagnostik f&uuml;hrt. Alle HSIL/AIS sind positiv f&uuml;r p16INKA4a. Jedoch zeigen auch ca. 10 % der LSIL (CIN 1) eine p16INKA4a-Positivit&auml;t. Diese p16INKA4a-positiven LSIL (CIN 1) sollen ebenso wie die p16INKA4a-negativen LSIL (CIN 1) zun&auml;chst beobachtet und die wahrscheinliche Regression abgewartet werden. Derzeit besteht keine Evidenz f&uuml;r die Notwendigkeit einer vorzeitigen Therapie dieser p16INKA4a-positiven LSIL.</p> <p>Ebenso bedeutsam ist, dass transformierende HPV-Infektionen zum einen &uuml;ber den Weg einer LSIL zur HSIL f&uuml;hren k&ouml;nnen, wenn ein reifes, stratifiziertes Plattenepithel infiziert wird. Es k&ouml;nnen jedoch andererseits auch De-novo-HSIL entstehen, wenn im Rahmen der Metaplasie innerhalb der Transformationszone ein sehr junges, unreifes, nur 2&ndash;3 Zelllagen umfassendes Plattenepithel infiziert wird. Diese Frauen k&ouml;nnen sich prim&auml;r mit einem Pap IV pr&auml;sentieren, w&auml;hrend die erstgenannte Gruppe von Frauen erst einen Pap IIID und dann einen Pap IV zeigt.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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