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Demenz: Überforderung, Naht- und Bruchstellen

<p class="article-intro">Demenz führt bei Betroffenen, Behandelnden, Betreuenden und Pflegenden häufig zu Überforderung. Das erweiterte sozialpsychiatrische Achsenmodell ist ein mögliches Gesamtbehandlungskonzept, welches versucht, das Risiko für Überforderung durch koordinierte Zusammenarbeit aller Beteiligten zu minimieren.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Demenzbehandlung erfordert ein Gesamtbehandlungskonzept.</li> <li>Zeit, Kompetenz, Bereitschaft zur Kommunikation, Koordination und ausreichende Angebote sind Voraussetzungen f&uuml;r die Behandlung und Betreuung.</li> <li>Angeh&ouml;rige m&uuml;ssen im Gesamtbehandlungskonzept mitber&uuml;cksichtigt werden.</li> <li>Betroffene brauchen eine Begleitung durch den gesamten Krankheitsverlauf.</li> <li>Demenz ist nicht heilbar, aber behandelbar.</li> </ul> </div> <p>Demenz ist prinzipiell ein Syndrom, welches aus einer &bdquo;ABC-Abfolge&ldquo; besteht (Abb. 1): A f&uuml;r &bdquo;activities of daily living&ldquo; (Alltagsschwierigkeiten), B f&uuml;r &bdquo;behavior&ldquo; (Verhaltensver&auml;nderungen) und C f&uuml;r &bdquo;cognition&ldquo; (Merkf&auml;higkeit, Orientierung etc.). Weitere f&uuml;r die Diagnose notwendige Kriterien sind Bestehen der Symptomatik &uuml;ber mindestens 6 Monate und chronisch progredienter Verlauf. Die verschiedenen Demenzerkrankungen (Abb. 2) sind die Verursacher des Demenzsyndroms und verlaufen, was die zeitliche Abfolge betrifft, im Hinblick auf die Symptomcluster A, B, C in unterschiedlicher Weise.</p> <p>Bei den meisten Demenzerkrankungen sind anf&auml;nglich vor allem die Merkf&auml;higkeit und Orientierung beeintr&auml;chtigt. Im weiteren Verlauf sind neben weiteren kognitiven F&auml;higkeiten die Alltagsfertigkeiten beeintr&auml;chtigt, das Erleben, Befinden und Verhalten der Betroffenen ver&auml;ndert sich. Demenzerkrankungen verlaufen in mehreren Stadien, deren &Uuml;berg&auml;nge flie&szlig;end sind. Im leichten Stadium ist die selbstst&auml;ndige Lebensf&uuml;hrung geringf&uuml;gig eingeschr&auml;nkt, Unterst&uuml;tzungsbedarf besteht bei anspruchsvollen T&auml;tigkeiten. Im mittelschweren Stadium braucht es bereits bei einfachen T&auml;tigkeiten Unterst&uuml;tzung, die selbstst&auml;ndige Lebensf&uuml;hrung ist deutlich eingeschr&auml;nkt. Im schweren Stadium ist die selbstst&auml;ndige Lebensf&uuml;hrung nicht m&ouml;glich und der Unterst&uuml;tzungsbedarf bei allen T&auml;tigkeiten erforderlich.</p> <p>F&uuml;r eine ad&auml;quate Behandlung und Betreuung braucht es eine m&ouml;glichst fr&uuml;hzeitige Diagnose und ein therapeutisches Gesamtkonzept, welches die Betroffenen und Beteiligten durch den Prozess der Erkrankung begleitet. Einem therapeutischen Gesamtkonzept liegt eine wichtige Frage zugrunde: Was l&auml;sst Betroffene l&auml;nger gut zu Hause leben bzw. was verz&ouml;gert den Heimeintritt? Die wesentlichen Faktoren daf&uuml;r sind eine gute medizinische Versorgung, die Unterst&uuml;tzung der pflegenden Angeh&ouml;rigen und das Angebot gemeindenaher Dienste (Luppa et al., 2008, 2010; Riedel-Heller 2014). Therapieziele sind die Stabilisierung der Kognition und der Befindlichkeit, der Erhalt und die Verbesserung der Alltagsfertigkeiten und Lebensqualit&auml;t durch soziale Teilhabe, Aktivit&auml;ten und Beziehungen.</p> <p>Daher erfordert ein therapeutisches Gesamtkonzept die Ber&uuml;cksichtigung aller betroffenen Bereiche und das Zusammenwirken verschiedenster Berufsgruppen. Das erweiterte sozialpsychiatrische Achsenmodell (Kalousek und Psota, 1999) (Abb. 3) ist ein solches Gesamtbehandlungskonzept.<br /> Im Folgenden wird dieses Modell dargestellt, die Anforderungen und die sich daraus ergebenden Naht- und Bruchstellen bei der Behandlung und Betreuung von Menschen mit Demenz werden hier aufgezeigt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1802_Weblinks_jatros_neuro_1802_s35_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1061" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1802_Weblinks_jatros_neuro_1802_s36_abb2.jpg" alt="" width="2153" height="1039" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1802_Weblinks_jatros_neuro_1802_s36_abb3.jpg" alt="" width="1417" height="1091" /></p> <h2>Das erweiterte sozialpsychiatrische Achsenmodell (Kalousek und Psota, 1999)</h2> <p><strong>Achse 1: psychisches &amp; somatisches Zustandsbild</strong><br /> Die fr&uuml;hzeitige und sorgf&auml;ltige Diagnostik (inkl. Differenzialdiagnostik) unter Ber&uuml;cksichtigung der somatischen Erkrankungen und der Gesamtmedikation ist die Grundlage f&uuml;r das weitere Prozedere. Ohne Diagnose erhalten Betroffene selten die entsprechenden Hilfsangebote, wie Behandlung, Betreuung, Pflege und Unterst&uuml;tzung, die erforderlich w&auml;ren, um ein Leben in W&uuml;rde und mit entsprechender Lebensqualit&auml;t zu leben. Zur ersten Achse z&auml;hlt auch die medikament&ouml;se Behandlung der Demenzerkrankung und ihrer Begleitsymptomatik. Hier ist ganz besonders auf die Vermeidung anticholinerg wirksamer Medikamente zu achten (cave: Delir!). Erfordernisse sind ausreichende niederschwellige ambulante Angebote, leichte Erreichbarkeit, entsprechende Kompetenz, Vernetzungsm&ouml;glichkeiten und Bereitschaft zur Koordination und Kooperation mit anderen erforderlichen medizinischen und nicht medizinischen Diensten.</p> <p><strong>Achse 2: Wohnen</strong><br /> Die Mehrzahl der Betroffenen w&uuml;nscht sich, zu Hause wohnen zu k&ouml;nnen. Erfordernisse f&uuml;r einen Verbleib zu Hause sind die Gew&auml;hrleistung von Sicherheit, die Kontinuit&auml;t in der Betreuung, das Vorhandensein mobiler medizinischer Angebote und mobiler Betreuungsangebote.</p> <p>Wenn ein Verbleib zu Hause nicht m&ouml;glich ist, so braucht es demenzgerechte Alternativen (Wohngemeinschaften, station&auml;re Pflege) mit entsprechender Kompetenz in Therapie und Pflege.</p> <p><strong>Achse 3: Tagesstruktur/Tagesinhalt</strong><br /> F&uuml;r Menschen mit Demenz sind ein strukturierter Tagesablauf, strukturierte Betreuungseinheiten und differenzierte Angebote je nach Stadium der Demenzerkrankung in Tageseinrichtungen erforderlich. Erfordernisse sind ein ausreichendes und leistbares Angebot, zeitliche und personelle Kontinuit&auml;t, leichte Erreichbarkeit und der niederschwellige Zugang.</p> <p><strong>Achse 4: Angeh&ouml;rige</strong><br /> Ca. 80 % aller Menschen mit Demenz werden von ihren Angeh&ouml;rigen betreut und gepflegt. Daher braucht es auch ein entsprechendes Angebot f&uuml;r betreuende Angeh&ouml;rige. Es ist bekannt, dass die verringerte Belastung der pflegenden Angeh&ouml;rigen eine verringerte Hospitalisierung und Institutionalisierung der von Demenz Betroffenen zur Folge hat. Die Schwierigkeit f&uuml;r Betreuende besteht darin, dass sie Hilfe und Unterst&uuml;tzung f&uuml;r Menschen leisten, die sich selbst nur selten als hilfsbed&uuml;rftig erleben. Erfordernisse sind ausreichende begleitende kompetente Angebote zur Information, Beratung und Intervention.</p> <p><strong>Achse 5: professionelle Helfer</strong><br /> Auch hier gilt, dass die Schwierigkeit f&uuml;r Betreuende darin besteht, dass sie Hilfe und Unterst&uuml;tzung f&uuml;r Menschen leisten, die sich selbst nur selten als hilfsbed&uuml;rftig erleben. Erfordernisse sind ausreichende Kompetenz durch Ausbildung, Information, Beratung, Supervision und die Bereitschaft zur Vernetzung, Kooperation und Koordination mit anderen medizinischen und nicht medizinischen Diensten.</p> <p><strong>Achse 6: rechtliche und ethische Aspekte</strong><br /> Menschen mit Demenz sollten das Recht auf Begleitung/Assistenz und eine faire Pflegegeldeinstufung haben. Sie haben das Recht auf gesetzliche Vertretung (Vertretungsbefugnis, Vorsorgevollmacht, Sachwalterschaft, Erwachsenenschutz &hellip;). Es gilt die Fremd- und Selbstgef&auml;hrdung zu ber&uuml;cksichtigen. Umgang, Kommunikation, Behandlung, Pflege und Betreuung sollen immer unter Ber&uuml;cksichtigung des Autonomiebed&uuml;rfnisses, des mangelnden Krankheitsgef&uuml;hls und der damit mangelnden Krankheitseinsicht erfolgen. Selbstverst&auml;ndlich sollten alle Beteiligten den Menschen mit Demenz mit Respekt, Achtsamkeit und Flexibilit&auml;t begegnen.</p> <p>Zusammengefasst sind die Grundlage f&uuml;r das Gelingen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes zum einen das Vorhandensein des erforderlichen Angebots, ausgestattet mit entsprechender Kompetenz, zum anderen die Bereitschaft zur Kommunikation und Kooperation mit den Betroffenen selbst, mit ihren Angeh&ouml;rigen und mit allen beteiligten Berufsgruppen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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