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Patientenverfügung kritisch betrachtet

<p class="article-intro">„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. ‚Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!‘ ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ (Immanuel Kant, 1784)</p> <hr /> <p class="article-content"><p>M&ouml;glicherweise h&auml;lt sich der &Auml;rztestand f&uuml;r m&uuml;ndig und aufgekl&auml;rt. Bedient er sich aber bei dieser Selbsteinsch&auml;tzung seines eigenen Verstandes? Oder verl&auml;sst er sich auf die Wissenschaft?<br /> In einem Aufsatz, erschienen im Februar 2017 in der Wochenzeitung &bdquo;Die Furche&ldquo;, warnt Univ.-Prof. Dr. Peter Strasser, Rechtsphilosoph an der Universit&auml;t Graz, vor dem Mythos Wissenschaft. &bdquo;Es ist gewiss ein Irrtum zu glauben, die Wissenschaft sch&uuml;tze die Wahrheit davor, in den Dienst wahrheitsfremder Interessen zu treten. Meist stehen hinter den angeblich harten Fakten die unterschiedlichsten Interessen, unterst&uuml;tzt von Machtzirkeln, welche die Suche nach Wahrheit am wenigsten interessiert.&ldquo;<br /> Es ist viele Jahre her, da erschrak ich &uuml;ber das Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie, n&auml;mlich, dass die letzten Monate eines Menschenlebens die kostenintensivsten sind. Die Wissenschaftlichkeit hob diese banale Erkenntnis und die Diskussion dar&uuml;ber auf ein Niveau, das durch grundgesetzlich zugesicherte Freiheit vor allgemeiner Entr&uuml;stung gesch&uuml;tzt ist. Als Schritt in eine &auml;hnlich unbehagliche Richtung empfand ich auch den Beschluss eines Patientenverf&uuml;gungsgesetzes im Jahre 2006, das seither die B&uuml;rger dazu ermuntert, ihr Lebensende &bdquo;mit zu gestalten&ldquo;. In seinem 2014 erschienenen Buch &bdquo;Dein Gehirn wei&szlig; mehr, als du denkst&ldquo; nennt der aus &Ouml;sterreich stammende Neurowissenschaftler Prof. Dr. Niels Birbaumer die Patientenverf&uuml;gung eine Aufforderung zum Selbstmord. Dem Patienten fehle jeder Realit&auml;tsbezug, um die hier gefragten Entscheidungen zu treffen. Prof. Birbaumer steht damit in krassem Gegensatz zu Gesundheitspolitikern und Patientenanwaltschaft, die allj&auml;hrlich wieder die zu geringe Zahl getroffener Patientenverf&uuml;gungen beklagen.<br /> Der Newsletter &bdquo;Bioethik aktuell&ldquo; berichtet in seiner Februarausgabe von der kanadischen Studie &bdquo;Kostenanalyse von medizinischer Sterbehilfe&ldquo;, die ein Einsparungspotenzial von 139 Mio. US-Dollar (99 Mio. Euro) j&auml;hrlich ausweist. Diese Studie wurde im J&auml;nner 2017 ausgerechnet im offiziellen Medium der kanadischen &Auml;rztekammer ver&ouml;ffentlicht. Die Autoren, ein Gesundheitswissenschaftler und ein Gesundheits&ouml;konom, wollen zwar ihre Arbeit nicht als Aufzeigen einer M&ouml;glichkeit der Kostenreduktion im Gesundheitswesen verstanden wissen, doch liefern sie ihre Erkenntnisse genau sieben Monate nach der Verabschiedung eines Gesetzes, das sowohl aktive Sterbehilfe wie auch assistierten Suizid f&uuml;r todkranke Menschen in Kanada landesweit legalisiert. Es erhoben sich prompt kritische Stimmen, die von Diskriminierung sprachen. Sie forderten auch f&uuml;r chronisch Kranke das gleiche Recht auf aktive Sterbehilfe ein.<br /> In den Monaten von Juni bis Dezember 2016 starben in Kanada 774 Personen durch T&ouml;tung auf Verlangen. Mit einer Steigerung darf gerechnet werden. In den Niederlanden mit grob halb so vielen Einwohnern wie Kanada lie&szlig;en 5516 Menschen im Jahr 2015 ihr Leben durch Euthanasie beenden, das sind zehnmal mehr, als der Stra&szlig;enverkehr forderte.</p> <h2>Was geht uns das an?</h2> <p>Unsere Gesundheitspolitiker bedauern immer wieder die geringe Zahl getroffener Patientenverf&uuml;gungen. &Ouml;sterreichische Wissenschaftler gefallen sich seit Jahren als Forscher &uuml;ber eine m&ouml;gliche Verbesserung der nat&uuml;rlichen Geburt. Wenn aber der Beginn des Lebens durch medizinisches Eingreifen komfortabler gestaltet werden k&ouml;nnte, warum nicht auch das Lebensende?<br /> Kanada wird aktuell in der Diskussion um ein Freihandelsabkommen als in seinen Rechtsnormen und seinem Wirtschaftssystem durchaus vergleichbares Land gepriesen und die Niederlande bieten vielen Gesundheitsreformern schon lange ein Beispiel f&uuml;r ein erstrebenswertes Gesundheitssystem.<br /> Die Solidarit&auml;t der politisch Verantwortlichen mit den gesunden Beitragszahlern steht zumindest gleichberechtigt neben dem Versorgungswillen gegen&uuml;ber Bed&uuml;rftigen. Auch im Wissen um lebensbedrohliche Not halten sie es f&uuml;r angebracht, zun&auml;chst Berechnungen anzustellen, ob man sich Hilfe leisten kann. Die Patientenanwaltschaft ist mit ihrer Propaganda f&uuml;r Standardisierung und Automatisierung voll ausgelastet. Eine ausreichende Dokumentation scheint ihr ein allzeit ausreichender Kontrollmechanismus zu sein. Von der neu angetretenen &bdquo;Reform- Regierung&ldquo; ist eine energische und konsequente gesellschaftspolitische Positionierung dringend einzufordern.</p></p>
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