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Probleme bei längerfristiger Beatmung von chronisch kritisch Kranken

<p class="article-intro">Auf der Intensivstation ist das behandelnde Team mit mannigfaltigen strukturellen wie auch alltäglichen Problemen konfrontiert. Besonders spürbar werden diese bei der Behandlung von chronisch kritisch kranken Patienten, insbesondere wenn diese einer längerfristigen Beatmungstherapie bedürfen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Das Risiko f&uuml;r Chronifizierung kritischer Erkrankungen ist besonders bei &auml;lteren Menschen mit bestehenden Komorbidit&auml;ten und bei prolongierter Beatmungsdauer &gt;48 Stunden gegeben.</li> <li>Die Langzeitfolgen nach einer Intensivtherapie werden als &bdquo;Post Intensive Care Syndrome&ldquo; (PICS) zusammengefasst, das sowohl Patienten als auch Angeh&ouml;rige miteinbezieht.</li> <li>Ein psychologisches Betreuungsangebot f&uuml;r Patienten und Angeh&ouml;rige f&uuml;hrt zu deutlich besseren Outcomes bei der Bew&auml;ltigung einer kritischen Erkrankung.</li> <li>Die Abw&auml;gung zwischen sinnvollen intensivmedizinischen Ma&szlig;nahmen und etwaiger &Uuml;bertherapie ist essenziell.</li> </ul> </div> <p>Das Konzept der Behandlung kritisch Kranker unterliegt einem st&auml;ndigen Wandel und zielt auf eine m&ouml;glichst kurze Liegedauer bei m&ouml;glichst gutem Outcome ab. Unz&auml;hlige Studien konnten eindeutig eine Erh&ouml;hung der Mortalit&auml;t und der Hospitalisierungsdauer ab einer Sedierung von l&auml;nger als 48 Stunden nachweisen,<sup>1&ndash;3</sup> sodass das Ziel heutzutage ist, dass der intensivmedizinisch behandelte Patient zum ehestm&ouml;glichen Zeitpunkt wach, aufmerksam, schmerz-, angst- und delirfrei sein soll, um an seiner Behandlung und Genesung aktiv teilnehmen zu k&ouml;nnen.<sup>4</sup><br /> Obwohl heutzutage die Sedierung auf der Intensivstation kaum einen Stellenwert besitzt und nach M&ouml;glichkeit das Entw&ouml;hnen vom Respirator ab dem Zeitpunkt der Intubation erfolgt,<sup>4</sup> k&ouml;nnen unterschiedlichste Ereignisse jedweder Ursache zu einem verl&auml;ngerten Aufenthalt f&uuml;hren. Abh&auml;ngig von Art und Anzahl bestehender Vorerkrankungen beg&uuml;nstigen diese die Entwicklung zum chronisch Kranken (Abb. 1).<sup>5</sup><br /> Besonders betroffen sind &auml;ltere Menschen mit bestehenden Komorbidit&auml;ten. Erschwerend kommt h&auml;ufig eine durch s&auml;mtliche Komplikationen zus&auml;tzlich prolongierte Beatmungsdauer hinzu. Als prolongierte mechanische Beatmung wird in der Literatur ein Zeitraum von 48 Stunden bis zu 4 Wochen definiert. Im Regelfall handelt es sich allerdings um mechanische Beatmung &uuml;ber mehrere Wochen.<br /> Patienten &uuml;ber 65 Jahre, die bereits l&auml;nger als 48 Stunden mechanisch beatmet sind, haben neben einem h&ouml;heren Mortalit&auml;tsrisiko auch ein deutlich erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r eine bleibende Einschr&auml;nkung ihrer Lebensqualit&auml;t.<sup>6</sup><br /> Aber auch weitere akute Komorbidit&auml;ten wie Organversagen, die Entwicklung eines Nierenversagens, eines Delirs beg&uuml;nstigen die Entstehung einer chronisch kritischen Erkrankung. So betr&auml;gt beispielsweise die H&auml;ufigkeit des Delirs auf der Intensivstation bis zu 80 % und ist mit einer erh&ouml;hten Mortalit&auml;t,<sup>7</sup> l&auml;ngerer Liegedauer,<sup>8</sup> h&ouml;heren Kosten<sup>9</sup> und auch mit einer eingeschr&auml;nkten Lebensqualit&auml;t und h&auml;ufigerer Pflegeheimeinweisung vergesellschaftet.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Pneumo_1801_Weblinks_s30_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1038" /></p> <h2>Assoziierte Folge- und Begleiterkrankungen</h2> <p>Die chronisch kritische Erkrankung ist definiert als Respiratorabh&auml;ngigkeit in Verbindung mit einem Symptomenkomplex bestehend aus &bdquo;Critical illness&ldquo;-Myound Neuropathien, Gewichtsabnahmen, Mangelern&auml;hrung mit konsekutiver Ausbildung von Anasarka und auch einer St&ouml;rung der pulsatilen Hormonaussch&uuml;ttung, <sup>10</sup> einer erh&ouml;hten Infektanf&auml;lligkeit, h&auml;ufigen Multiresistenzen sowie verschiedenen Hautsch&auml;den. Hinzu kommt das Auftreten von Delir, kognitiver Dysfunktion, Angstst&ouml;rungen, h&auml;ufig auch wegen der Kommunikationsbarriere, welcher der beatmete Patient ausgesetzt ist, Schmerzen, Depression, Dyspnoe, Inkontinenz und auch Immobilisation.<sup>5</sup> Gilt zwar das &Uuml;berleben des Intensivaufenthaltes prim&auml;r als Erfolg, so ist es bei einer heutzutage deutlich steigenden Zahl an intensivmedizinisch Behandelten Zeit, sich &uuml;ber Langzeitfolgen nach Intensivtherapie Gedanken zu machen.<br /> Diese werden unter der Bezeichnung &bdquo;Post Intensive Care Syndrome&ldquo; (PICS) zusammengefasst, das sowohl den Patienten selbst betrifft als auch seine Angeh&ouml;rigen miteinbezieht (Abb. 2). Das PICS setzt sich aus verschiedenen neuropsychiatrischen und auch physischen Symptomen zusammen.<sup>11</sup> Abh&auml;ngig von der Sedierungstiefe und -dauer steigt die Inzidenz f&uuml;r posttraumatische Belastungsst&ouml;rung (PTBS). Ebenso ist erh&ouml;hter Benzodiazepinverbrauch mit vermehrten PTBS assoziiert. Dar&uuml;ber hinaus ist auch ein Zusammenhang zwischen verabreichten Benzodiazepinen und Depression erkennbar.<sup>12, 13</sup> Die Gabe von Vasopressoren und inotroper Medikation korreliert mit der Entwicklung einer sp&auml;teren Angstst&ouml;rung. Drei Monate nach Intensivaufenthalt liegen bei 55 % der Patienten psychische Erkrankungen vor. So leiden 27 % an einer posttraumatischen Belastungsst&ouml;rung, 46 % an einer Depression und etwa 44 % an Angstst&ouml;rung.<sup>14</sup><br /> Die physischen Einschr&auml;nkungen nach &Uuml;berleben einer kritischen Erkrankung sind einfacher nachvollziehbar. So weisen ehemalige Intensivpatienten abh&auml;ngig von der Beatmungsdauer pulmonale Einschr&auml;nkungen auf. Viele Faktoren im Intensivaufenthalt, wie Hyperglyk&auml;mie, Intensivpflege- und Krankenhausliegedauer, das Versagen eines oder mehrerer Organe, aber auch Immobilit&auml;t haben eine verst&auml;rkte neuromuskul&auml;re Schw&auml;che zur Folge. Eine optimierte Glukokortikoidgabe wie auch ein ad&auml;quates Blutzuckerregime scheinen ebenso Auswirkungen auf die physische Beeintr&auml;chtigung zu haben wie Fr&uuml;hmobilisation und ein konsequentes Weaning.<sup>12</sup><br /> Zur Folge hat all das eine reduzierte Lebensqualit&auml;t. Einschr&auml;nkungen in den Aktivit&auml;ten des t&auml;glichen Lebens sind nach 3 Monaten bei 86 % , nach 12 Monaten bei 69 % der Patienten nach Intensivstationsaufenthalt erkennbar.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Pneumo_1801_Weblinks_s30_abb2.jpg" alt="" width="2150" height="949" /></p> <h2>Miteinbeziehen des psychosozialen Umfelds</h2> <p>Zusehends r&uuml;cken auch die Angeh&ouml;rigen kritisch Kranker in den Fokus. Sie sind besonders h&auml;ufig von Angstst&ouml;rungen, akuter Belastungsreaktion, PTBS, Depression und Trauer betroffen. Man spricht vom &bdquo;Post Intensive Care Syndrome-Family&ldquo; (PICS-F).<sup>15</sup> So leiden 22,8&ndash;29 % der Angeh&ouml;rigen von &Uuml;berlebenden, welche mindestens 48 Stunden beatmet worden sind, noch nach einem Jahr an Depressionen.<sup>16</sup> Auch kommt es bei vielen Angeh&ouml;rigen zu einer Ver&auml;nderung des Sozialwie auch des Berufslebens bis hin zum Jobverlust.<sup>17</sup><br /> Aus diesem Grund soll bereits zu Beginn des Aufenthalts auf der Intensivstation die psychologische Begleitung von Patienten und insbesondere ihren Angeh&ouml;rigen erfolgen. Patienten, welche w&auml;hrend ihres Intensivaufenthaltes psychologische Betreuung erhalten, ben&ouml;tigen nach einem Jahr nur zu 8,1 % Psychopharmaka im Vergleich zu 41,7 % unter den Patienten ohne eine solche Betreuung. Psychologisch begleitete Patienten wie auch ihre begleiteten Familienangeh&ouml;rigen leiden demnach weniger an Angstst&ouml;rungen (8,9 vs. 17,4 % ), Depressionen (6,5 vs. 12,8 % ) und posttraumatischer Belastungsst&ouml;rung (21,1 vs. 57 % ) als nicht psychologisch Betreute.<sup>18</sup></p> <h2>Abw&auml;gung zwischen sinnvollen Ma&szlig;nahmen und &Uuml;bertherapie</h2> <p>Insgesamt liegt die 1-Jahres-Mortalit&auml;t des Intensivpatienten abh&auml;ngig vom Lebensalter, vorbestehenden und neu aufgetretenen Komorbidit&auml;ten sowie dem Krankheitsverlauf zwischen 46 und 68 % .<sup>5</sup><br /> Die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient das erste Jahr &uuml;berlebt und in ein selbstst&auml;ndiges, unabh&auml;ngiges Leben zur&uuml;ckfindet, liegt bei weniger als 12 % .<br /> Dies l&auml;sst die Frage aufkommen, wo die Grenze zwischen sinnvoller Intensivtherapie und &Uuml;bertherapie liegt. Von &Uuml;bertherapie wird gesprochen, wenn eine Therapie sehr wahrscheinlich keinen physiologischen Effekt erzielen kann oder keinen Nutzen f&uuml;r den Patienten im Sinne einer zufriedenstellenden Lebensqualit&auml;t ergibt oder sogar gegen den Willen des Patienten erfolgt.<sup>19</sup> Die Einsch&auml;tzung der Prognose oder des funktionellen Outcomes kann zwischen unterschiedlichen &Auml;rzten und Pflegepersonen stark variieren. Auch ist der Patientenwille, oft trotz vorliegender Patientenverf&uuml;gung, nicht sicher eruierbar, zumal Patientenverf&uuml;gungen h&auml;ufig im intensivmedizinischen Kontext in Zusammenschau mit der meist schlecht einsch&auml;tzbaren Prognose nicht verwertbar sind.<sup>20</sup><br /> Behandelnde &Auml;rzte sch&auml;tzen, dass bei etwa 20 % ihrer Patienten eine &Uuml;bertherapie erfolgt.<sup>21</sup> Das Gef&uuml;hl der unangemessenen Versorgung kritisch Kranker scheint jedoch ein Risikofaktor f&uuml;r die Entstehung von Burnout zu sein.<sup>22</sup> Eine rezente Arbeit konnte den Zusammenhang zwischen Wahrnehmung von &Uuml;bertherapie und emotionaler Ersch&ouml;pfung im Sinne eines Burnouts feststellen. Dadurch kommt es auch h&auml;ufiger zu beruflicher Umorientierung.<sup>23</sup><br /> Das Entstehen von interdisziplin&auml;ren Konflikten ist evident; so f&uuml;hlen sich Pflegekr&auml;fte meist nicht in Entscheidungsprozesse bez&uuml;glich der Therapie eingebunden, aber auch &Auml;rzte in Ausbildung f&uuml;hlen sich den von Fach&auml;rzten getroffenen Entscheidungen h&auml;ufig ausgeliefert.<br /> Im Spannungsfeld zwischen Therapie und Therapieentscheidung sowie h&auml;ufigen interdisziplin&auml;ren Konflikten steht zudem die Kommunikation mit Angeh&ouml;rigen. Die Involvierung in therapieentscheidende Prozesse stellt f&uuml;r Angeh&ouml;rige h&auml;ufig ein gro&szlig;es Problem dar.<sup>24&ndash;26</sup> In einer Welt, in der medizinisch bereits fast alles machbar scheint, ist es umso wichtiger, ethische Grenzen zu setzen. Die Entwicklung vom akut Erkrankten zum chronisch kritisch Kranken ist ein dynamischer und oft nicht vorhersagbarer Prozess. Jedoch soll das Ziel nicht das pure &Uuml;berleben sein, sondern das &Uuml;berleben mit funktionell m&ouml;glichst gutem Outcome im Sinne einer vertretbaren Lebensqualit&auml;t. Therapiebegrenzungen wie auch die ethische Vertretbarkeit der R&uuml;ck&uuml;bernahme auf die Intensivstationen und &bdquo;end-oflife decisions&ldquo; stellen einen wichtigen Aspekt im intensivmedizinischen Alltag dar und machen die Zusammenarbeit mit Palliativteams unabdingbar.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> 1 Shehabi Y et al.: Am J Respir Crit Care Med 2012; 186: 724-31 <strong>2</strong> Tanaka LM et al.: Crit Care 2014; 18: R156 <strong>3</strong> Stephens RJ et al.: Crit Care Med 2017; doi: 10.1097/ CCM.0000000000002885. [Epub ahead of print] <strong>4</strong> Balzer F et al.: Crit Care 2015; 19: 197 <strong>5</strong> S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement. AWMF online. 8/2015. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/001-012l_ S3_Analgesie_Sedierung_Delirmanagement_Intensivmedizin_ 2015-08_01.pdf <strong>6</strong> Nelson J et al.: Am J Respir Crit Care Med 2010; 182: 446-54 <strong>7</strong> Barnato AE et al.: Am J Respir Crit Care Med 2011; 183: 1037-42 <strong>8</strong> Witlox J et al.: JAMA 2010; 304: 443-51 <strong>9</strong> Ely EW et al.: JAMA 2004; 291: 1753-62 <strong>10</strong> Milbrandt E et al.: Crit Care Med 2004; 32: 955-62 <strong>11</strong> Hollander JM et al.: 21: 587-604 <strong>12</strong> Needham DM et al.: Crit Care Med 2012; 40: 502-9 <strong>13</strong> Desai SV et al.: Crit Care Med 2011; 39: 371-9 <strong>14</strong> Parker A et al.: Curr Phys Med Rehabil Rep 2013; 1: 307-14 <strong>15</strong> Wade DM et al.: Crit Care 2012; 16: R192 <strong>16</strong> Bienvenu O et al.: Crit Care Med 2012; 40: 618-24 <strong>17</strong> Haines KJ et al.: Crit Care Med 2015; 43: 1112-20 <strong>18</strong> Van Pelt DC et al.: Am J Respir Crit Care Med 2007; 175: 167-73 <strong>19</strong> Peris A et al.: Crit Care 2011; 15: R41 <strong>20</strong> Truog RD et al.: N Engl J Med 1992; 326: 1560-4 <strong>21</strong> Frick S: Crit Care Med 2003; 31: 456-61 <strong>22</strong> Huynh TN et al.: JAMA Intern Med 2013; 173: 1887-94 <strong>23</strong> Moss M et al.: Am J Crit Care 2016; 25: 368-76 <strong>24</strong> Schwarzkopf D: Crit Care Med 2017; 45: 265-73 <strong>25</strong> Palda VA: J Crit Care 2005; 20: 207-13 <strong>26</strong> Curtis JR et al.: Am J Respir Crit Care Med 2005; 171: 844-9</p> </div> </p>
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