© cosmin4000 iStockphoto

Antidepressiva als Schmerz- und Schlafmittel

<p class="article-intro">Schmerz, Depression und Schlafstörungen: Wie Antidepressiva helfen können, diesem Circulus vitiosus zu entkommen, erläutert Prof. Dr. Martin Aigner, Vorstand der klinischen Abteilung für Erwachsenenpsychiatrie, Universitätsklinikum Tulln.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>F&uuml;r die Behandlung von depressiven St&ouml;rungen steht eine breite Palette an verschiedenen Wirkstoffen zur Verf&uuml;gung. Einige dieser Substanzen bieten &uuml;ber die antidepressive Wirkung hinaus zus&auml;tzliche g&uuml;nstige Effekte, die genutzt werden k&ouml;nnen. Gerade bei Patienten, die schon viele Medikamente einnehmen, kann mit bestimmten Antidepressiva der Polypharmazie gegengesteuert werden, indem man &bdquo;mehrere Fliegen mit einer Klappe schl&auml;gt&ldquo;, wie Prof. Aigner erkl&auml;rt. Wenn etwa zus&auml;tzlich zur Depression Schmerzzust&auml;nde und/oder Schlafst&ouml;rungen vorliegen, k&ouml;nnen SNRI, Trizyklika oder SARI hilfreich sein. &bdquo;SNRI wirken zwar nicht schlafansto&szlig;end, aber langfristig schlafverbessernd&ldquo;, so Aigner. &bdquo;Schlafansto&szlig;end wirken Tri- und Tetrazyklika wie Amitriptylin und Clomipramin.&ldquo; Bei Patienten, die unter SSRI an serotonergen Nebenwirkungen leiden, setzt Aigner auch Tianeptin als zweite Wahl ein. Der SARI Trazodon hat mit seinen serotonergen Wirkmechanismen ebenfalls schlaff&ouml;rdernde Eigenschaften. SSRI dagegen bieten bei Schmerz und Schlafst&ouml;rungen keinen Vorteil, ausgenommen bei Fibromyalgie.<br /><br /> Die Wirkung von Antidepressiva bei chronischen Schmerzen, wie z.B. der somatoformen Schmerzst&ouml;rung, ist schon seit den 1990er-Jahren bekannt. Bei chronischem Kopfschmerz, Polyneuropathie, Fibromyalgie u.a. werden sie als Koanalgetika empfohlen, insbesondere wenn zus&auml;tzlich zur chronischen Schmerzerkrankung Depression, Angst oder eine Schlafst&ouml;rung vorliegen. Evidenz f&uuml;r den Einsatz von Antidepressiva als unterst&uuml;tzende Therapie gibt es auch bei Osteoarthritis- Knieschmerz, funktionellem Brustschmerz, Reizdarm und bei chronischem R&uuml;ckenschmerz.<br /> Da bei den meisten Antidepressiva keine Toleranzentwicklung besteht, k&ouml;nnen sie bei chronischen Schmerzen l&auml;ngerfristig und auch unabh&auml;ngig von einer Depression eingesetzt werden, so Aigner. Die Vorteile sind vielf&auml;ltig: Sie greifen direkt in das Schmerzsystem ein, indem sie &ndash; &auml;hnlich wie Opioide &ndash; die absteigenden Bahnen aktivieren. &Uuml;ber die Extinktion neuroplastischer Vorg&auml;nge verhindern sie Chronifizierungsprozesse. Weiters haben sie einen g&uuml;nstigen Einfluss auf kognitive Prozesse; etwaige depressive Symptome werden mitbehandelt.<br /> Die Nachteile liegen in der Notwendigkeit der kontinuierlichen Einnahme &uuml;ber einen l&auml;ngeren Zeitraum und in den bekannten Nebenwirkungen wie Obstipation, Sehst&ouml;rungen, Mundtrockenheit, M&uuml;digkeit und Libidoverlust. Auch f&uuml;hlen sich manche Patienten stigmatisiert, wenn sie ein Antidepressivum einnehmen sollen. Die Information, dass Antidepressiva eine unabh&auml;ngige Wirkung auf das Schmerzsystem haben, kann diese Patienten oft &uuml;berzeugen, so Aigner.<br /> Bei chronischem Schmerz pr&auml;feriert Aigner SNRI gegen&uuml;ber Trizyklika wegen der geringeren Nebenwirkungen, insbesondere bei &auml;lteren Patienten (&uuml;ber 65 Jahre): &bdquo;Die anticholinerge Wirkung von Trizyklika kann die Kognition einschr&auml;nken, die Gefahr f&uuml;r ein Glaukom steigt und es kann zu Harnverhalt kommen.&ldquo; Auch auf den Blutdruck und die QTc-Zeit ist zu achten, betont Aigner, insbesondere wenn andere Medikamente dazukommen, welche die QTc-Zeit zus&auml;tzlich verl&auml;ngern, etwa Antibiotika.<br /> Gro&szlig;en Stellenwert haben Antidepressiva in der Behandlung des neuropathischen Schmerzes: Guidelines empfehlen Trizyklika, Pregabalin, Gabapentin, Tramadol, Opioide, Duloxetin und Venlafaxin sowie die topische Behandlung mit Lidocain und Capsaicin. Vorsicht ist geboten bei Kombinationstherapien: So haben etwa Venlafaxin und Tramadol beide eine agonistische Wirkung an &micro;-Rezeptoren, welche die Gefahr f&uuml;r ein serotonerges Syndrom erh&ouml;ht. Diese Medikamente sollten daher, wenn sie in Kombination verabreicht werden, nicht zu hoch dosiert und nicht zu lange gegeben werden. Bei &micro;-Agonisten ist au&szlig;erdem auf die Toleranzentwicklung zu achten. Daher wird eine maximale Therapiedauer von 8 bis 9 Wochen empfohlen.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Interdisziplinäres Herbstsymposium für Psychopharmakologie, 7. Oktober 2017, Wien </p>
Back to top