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Medikamentöse Behandlungsoptionen bei Demenz, kognitiven Störungen und Verhaltensstörungen

<p class="article-intro">Es gibt zwar keine neuen Medikamente zur Behandlung der Demenzen, durch zunehmende Erfahrung wissen wir aber mehr über die zum Teil seit Langem verfügbaren Medikamente. Dadurch können diese sicherer und auch effizienter eingesetzt werden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>F&uuml;r die Behandlung kognitiver Symptome bei Alzheimerdemenz stehen drei Cholinesterasehemmer und Memantin zur Verf&uuml;gung.</li> <li>Diese Substanzen sind wirksam und sollten unter Ber&uuml;cksichtigung des Nebenwirkungs- und Interaktionspotenzials sowie unter Therapieevaluation eingesetzt werden.</li> <li>Zur Behandlung der behavioralen und psychischen Symptome der Demenz sollten immer zuerst die nicht medikament&ouml;sen vor medikament&ouml;sen Therapien eingesetzt werden.</li> <li>F&uuml;r die Wirksamkeit psychopharmakologischer Therapie gibt es nur wenig Evidenz aus kontrollierten Studien, aber vielfache Erfahrungen aus dem klinischen Alltag.</li> <li>Der Einsatz sollte daher vorsichtig und unter engmaschiger Therapiekontrolle und Evaluation von Wirksamkeit und Nebenwirkungen erfolgen, insbesondere der Einsatz von Antipsychotika und Benzodiazepinen.</li> </ul> </div> <p>Demenzen zeichnen sich durch St&ouml;rungen der Kognition (Prim&auml;rsymptomatik), psychische und behaviorale (Verhaltens-) St&ouml;rungen (BPSD, Sekund&auml;rsymptomatik) sowie St&ouml;rungen der Alltagsfunktionalit&auml;t aus. F&uuml;r die Behandlung sowohl der kognitiven St&ouml;rungen wie auch der BPSD stehen nicht medikament&ouml;se und medikament&ouml;se Therapien zur Verf&uuml;gung (Abb. 1). Es gilt der Grundsatz, dass zuerst die nicht medikament&ouml;sen Behandlungsoptionen eingesetzt werden sollen. Die medikament&ouml;sen Behandlungsoptionen kommen dann zum Einsatz, wenn die nicht medikament&ouml;sen Therapien nicht ausreichen, bzw. um diese zu unterst&uuml;tzen. Dieser Text befasst sich mit den aktuell zur Verf&uuml;gung stehenden medikament&ouml;sen Therapieoptionen bei Demenz.<br /> Zu unterscheiden sind bei der medikament&ouml;sen Behandlung der Demenz die Behandlung der kognitiven St&ouml;rungen einerseits und die Behandlung der BPSD auf der anderen Seite.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1801_Weblinks_s20_abb1.jpg" alt="" width="2150" height="1264" /></p> <h2>Medikament&ouml;se Behandlung kognitiver St&ouml;rungen bei Demenz</h2> <p>F&uuml;r die Behandlung kognitiver St&ouml;rungen stehen vier Medikamente zur Verf&uuml;gung, die seit vielen Jahren zugelassen sind. Zu betonen ist, dass diese Medikamente f&uuml;r die Behandlung kognitiver St&ouml;rungen bei Demenz vom Alzheimertyp, die die h&auml;ufigste Form der degenerativen Demenzen darstellt, sowie bei gemischter Demenz (Alzheimerdemenz + vaskul&auml;re Zeichen) eine Zulassung besitzen. Sie k&ouml;nnen aber auch bei Demenzen anderer Genese (wie Lewy-K&ouml;rperchen-Demenz, vaskul&auml;re Demenz) wirksam sein &ndash; der Einsatz erfolgt dann jedoch &laquo;off-label&raquo;.<br /><br /> <strong>Cholinesterasehemmer (CHE-I)</strong> <br />Von den vier zugelassenen Medikamenten geh&ouml;ren drei zur Klasse der Cholinesterasehemmer, deren Wirkprinzip in der Hemmung des Abbaus des Acetylcholins besteht, sodass dadurch im bereits degenerierten cholinergen System mehr Acetylcholin f&uuml;r die synaptische &Uuml;bertragung und damit f&uuml;r die Grundlage von Lernvorg&auml;ngen zur Verf&uuml;gung steht. Die drei Acetylcholinesterasehemmer haben somit das gleiche Wirkprinzip, sie unterscheiden sich aber in der Pharmakokinetik (Tab. 1) und &ndash; wenngleich nur diskret &ndash; auch in der Pharmakodynamik (zus&auml;tzliche Wirkung am Nikotin-Rezeptor von Galantamin).<br /> Aufgrund dieser unterschiedlichen Eigenschaften ist die Vertr&auml;glichkeit zwischen den Substanzen unterschiedlich und auch die Wirksamkeit kann im individuellen Fall unterschiedlich ausgepr&auml;gt sein, obwohl statistisch keine Wirksamkeitsunterschiede zwischen den Substanzen nachweisbar sind. Es ist daher durchaus sinnvoll, bei ausbleibender Stabilisierung durch einen Cholinesterasehemmer (z.B. Donepezil) nach einem Zeitraum von 6 bis 12 Monaten einen Therapieversuch mit einer anderen Substanz dieser Klasse (z.B. Galantamin) zu unternehmen. Die drei Cholinesterasehemmer sind f&uuml;r die Behandlung leichter bis mittelgradiger Demenzen vom Alzheimertyp sowie f&uuml;r gemischte Demenz zugelassen. Für Rivastigmin besteht zudem eine Zulassung für Demenz bei Morbus Parkinson.<br /><br /> <strong>Glutamatantagonist &ndash; Memantin</strong><br /> Als zweite Behandlungsm&ouml;glichkeit &ndash; mit einem anderen pharmakodynamischen Ansatz &ndash; kann der Glutamatantagonist Memantin eingesetzt werden. Sein Wirkprinzip besteht in der Hemmung des Glutamatrezeptors am postsynaptischen Neuron, wodurch die dauerhafte glutamaterge Stimulation aufgrund intrazerebraler neuropathologischer Prozesse reduziert wird und eingehende pr&auml;synaptische Impulse besser erkannt werden k&ouml;nnen. Dadurch wird die Informations&uuml;bertragung zwischen den Zellen erh&ouml;ht und Lernvorg&auml;nge werden verbessert. Da es sich beim glutamatergen System um das wesentliche &uuml;bergeordnete, das Nervensystem stimulierende System handelt und glutamaterge Neurone ubiquit&auml;r im Gehirn vorhanden sind, entfaltet Memantin einen globalen Effekt (nicht nur auf das cholinerge System wie bei CHE-I) und kann daher bei allen Demenzformen und auch bei schwer ausgepr&auml;gter Symptomatik eingesetzt werden. Eine Zulassung besteht f&uuml;r mittelschwere und schwere Demenzen.<br /> Memantin und Cholinesterasehemmer k&ouml;nnen kombiniert werden. Aus der Datenlage ergeben sich jedoch keine ausreichenden Hinweise f&uuml;r eine Empfehlung dieser Kombination. Lediglich f&uuml;r Patienten mit schwerer Demenz, die mit Donepezil vorbehandelt sind, wird die Erw&auml;gung einer Kombinationsbehandlung empfohlen.<br /> F&uuml;r Ginkgo-biloba-Extrakte liegen Hinweise f&uuml;r eine Besserung kognitiver und nicht psychotischer Verhaltenssymptome bei leichter bis mittelgradiger Alzheimerdemenz oder vaskul&auml;rer Demenz vor. Eine Behandlung kann entsprechend den S3- Leitlinien erwogen werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1801_Weblinks_s20_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="485" /></p> <h2>Behaviorale und psychische Symptome der Demenz (BPSD)</h2> <p>BPSD sind Symptome der Demenz, die f&uuml;r den Patienten wie auch f&uuml;r das betreuende Umfeld sehr belastend sein k&ouml;nnen. Hierzu geh&ouml;ren depressive Syndrome, St&ouml;rungen des Schlaf-wach-Rhythmus, Unruhe und Agitiertheit bis zu aggressivem Verhalten sowie psychotische Symptome wie Wahn und Halluzinationen.<br /><br /> <strong>Effekte der Cholinesterasehemmer und von Memantin</strong><br /> W&auml;hrend die Gabe von Cholinesterasehemmern sowie Memantin die Progredienz der kognitiven St&ouml;rung lediglich verz&ouml;gern und nur &auml;usserst selten vor&uuml;bergehend auch verbessern kann, ist mittlerweile gut etabliert, dass all diese Substanzen gute Effekte auf die BPSD zeigen. Daher sollte bei Vorliegen von BPSD im Rahmen einer Demenz vor der symptomatischen Therapie, die auf das jeweilige Zielsymptom oder -syndrom ausgerichtet ist (z.B. Antidepressiva, Antipsychotika), zun&auml;chst ein CHE-I oder Memantin gegeben werden. Dies gilt f&uuml;r alle BPSD, auch f&uuml;r Depressionen im Rahmen einer Demenz sowie Halluzinationen, z.B. bei Lewy-K&ouml;rperchen-Demenz.<br /> Eine genauere Betrachtung der Datenlage zeigt, dass Cholinesterasehemmer v.a. bei Apathie, Depression, Angespanntheit und Irritabilit&auml;t bei leichter bis mittelschwerer AD wirksam sind, Memantin ist eher bei Agitation, Aggression, Wahn und Halluzinationen bei mittelschwerer bis schwerer AD wirksam.<br /> Da f&uuml;r den Einsatz der weiteren Psychopharmakaklassen nur wenige kontrollierte Studien vorliegen, muss eine Bewertung vielfach nicht nur auf evidenzbasierten Kriterien beruhen, sondern weitere Faktoren, wie die Expertenmeinung sowie einzelne vorliegende Studien, die nicht g&auml;nzlich den evidenzbasierten Kriterien entsprechen, mit einbeziehen.</p> <h2>Depressive Syndrome</h2> <p>F&uuml;r die Behandlung depressiver Syndrome im Rahmen einer Demenz k&ouml;nnen somit v.a. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Moclobemid und Trazodon empfohlen werden. Auf der Grundlage der pharmakodynamischen Wirksamkeit kann der Einsatz von Agomelatin (Schlafregulation, keine Sedierung, kein erh&ouml;htes Sturzrisiko) sowie von dem erst vor Kurzem zugelassenen Antidepressivum Vortioxetin, das auch positive Wirkungen auf die kognitive Leistungsf&auml;higkeit zeigt, empfohlen werden.</p> <h2>Psychotische Symptome, Unruhe und Verwirrtheit</h2> <p>Bei der Behandlung von psychotischer Symptomatik sowie Unruhe und Agitiertheit gilt, dass Risperidon das einzige in der Alterspsychiatrie zugelassene Antipsychotikum ist. Bei Patienten mit Parkinsonund Lewy-K&ouml;rperchen-Demenz m&uuml;ssen Antipsychotika ohne extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen gegeben werden. An erster Stelle stehen hier Quetiapin, Olanzapin und Clozapin, wobei Clozapin, wegen der potenziellen Blutbildsch&auml;digung, insbesondere aber wegen der anticholinergen Nebenwirkungen im Alter, problematisch ist. Als Alternative kann &ndash; falls keine Sedierung oder Schlafregulation notwendig ist &ndash; Aripiprazol eingesetzt werden.<br /> Typische Antipsychotika sollten aufgrund des erh&ouml;hten Nebenwirkungsprofils vermieden werden. Insbesondere die Verl&auml;ngerung der QT-Zeit (auch bei einzelnen Antidepressiva) sowie erh&ouml;hte Mortalit&auml;t unter Antipsychotika bei Patienten mit Demenz erfordern eine strenge Indikationsstellung und ein engmaschiges Therapiemonitoring. Die Behandlung sollte daher zeitlich limitiert erfolgen, wobei die Indikationsstellung alle 6 Wochen zu &uuml;berpr&uuml;fen ist.</p> <h2>Bewertung weiterer Substanzklassen</h2> <p>Antikonvulsiva k&ouml;nnen zur Stimmungsstabilisierung, als adjuvante Therapie bei depressiven und manischen Zust&auml;nden sowie bei Unruhe und Agitation eingesetzt werden. Aufgrund der hohen Nebenwirkungsrate werden sowohl Valproat (aufgrund der Studienlage) wie auch Carbamazepin nicht als Therapie erster oder zweiter Wahl empfohlen. Bei Gabapentin und Lamotrigin sind die Nebenwirkungen geringer ausgepr&auml;gt (abgesehen vom seltenen, aber m&ouml;glichen Stevens-Johnson- Syndrom bei Lamotrigin) und positive Wirkungen sind beschrieben, sodass diese beiden Medikamente bei Agitation, Aggression (beide) und Disinhibition und Depression (Lamotrgin) sowie Angst und Schlafproblemen (Gabapentin) eingesetzt werden k&ouml;nnen.</p> <h2>Benzodiazepine</h2> <p>Benzodiazepine wie auch Benzodiazepin- Analoga (Z-Substanzen) werden zur Schlafregulation, Sedierung und Anxiolyse eingesetzt. Sie zeigen eine rasche und gute Wirksamkeit, sind aber bei Demenz auch mit relevanten Nebenwirkungen verbunden. Hier sind v.a. die erh&ouml;hte Sturzgefahr aufgrund der Muskelrelaxation, der Wirkverlust, die Atemdepression und die Verschlechterung der kognitiven Funktion zu beachten. Ein besonderes Problem stellt das Abh&auml;ngigkeitspotenzial dar. Die Verwendung bei Demenz sollte aufgrund dieses Nebenwirkungsprofils in der Dosierung zur&uuml;ckhaltend und nur kurzzeitig (&lt;4 Wochen) vorgenommen werden.<br /> Wenn Benzodiazepine eingesetzt werden, sollten prim&auml;r diejenigen Benzodiazepine eingesetzt werden, die den Lebermetabolismus umgehen und nur &uuml;ber die Niere ausgeschieden werden, dies sind z.B. Lorazepam und Oxazepam.</p> <h2>Grundprinzipien der Psychopharmakotherapie im Alter</h2> <p>Die folgenden wichtigsten Grundprinzipien gelten f&uuml;r die Psychopharmakotherapie bei &auml;lteren Patienten (nach Mosimann und M&uuml;ri, 2011):</p> <ul> <li>In erster Linie sollen nicht medikament&ouml;se Therapien eingesetzt werden. Wenn diese nicht ausreichen, k&ouml;nnen zus&auml;tzlich Medikamente eingesetzt werden. Es soll dann ein individueller Therapieplan erstellt werden.</li> <li>Die bisherigen Medikamente sollten intensiv &uuml;berpr&uuml;ft werden, wenn m&ouml;glich sollte die Pharmakotherapie vereinfacht werden, bevor zus&auml;tzliche Medikamente verschrieben werden. Wann immer m&ouml;glich sollte eine Monotherapie angestrebt werden.</li> <li>Wenn m&ouml;glich Rezeptorantagonisten (d.h. Anticholinergika, Antihistaminika, Dopaminantagonisten) vermeiden</li> <li>Zur Evaluation ungeeigneter Medikamente k&ouml;nnen gut etablierte Listen (z.B. die Beers-Kriterien [https://www. dcri.org/trial-participation/the-beerslist/] oder die Priscus-Liste [http:// priscus.net/download/PRISCUS-Liste_ PRISCUS-TP3_2011.pdf]) verwendet werden.</li> <li>F&uuml;r die Evaluation von m&ouml;glichen Medikamenteninteraktionen stehen weitere elektronische Datenbanken, wie z.B. MediQ (http://www.mediq.ch/welcome_ public), zur Verf&uuml;gung.</li> <li>Es sollte eine Substanz nach der anderen angesetzt werden und nicht mehrere Substanzen gleichzeitig, nur so lassen sich der Effekt einer Substanz wie auch die Nebenwirkungen bewerten.</li> <li>Es sollte immer mit einer niedrigen Startdosis begonnen werden, gefolgt von langsamem Aufdosieren.</li> <li>Die Erkrankten respektive die Angeh&ouml;rigen m&uuml;ssen &uuml;ber die Therapie aufgekl&auml;rt werden.</li> </ul></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>&bull; Benkert O, Hippius H (Hrsg.): Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie. 10. Auflage. Springer Verlag, 2014 &bull; Deuschl G et al.: S3-Leitlinie Demenzen. 2016. In: Deutsche Gesellschaft f&uuml;r Neurologie, Hrsg. Leitlinien f&uuml;r Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien &bull; F&ouml;rstl H et al.: Psychopharmaka in der Geriatrie und Gerontopsychiatrie. In: Riederer F, Laux G (Hrsg.): Grundlagen der Neuro-Psychopharmakologie. Wien &ndash; NewYork: Springer Verlag, 2010 &bull; Georgescu D: &laquo;Off-label-use&raquo; in der alterspsychiatrischen Demenzbehandlung. Swiss Archives of Neurology and Psychiatry 2015; 166(4): 135-42 &bull; Hemmeter U, Goppel S: Arzneimittelsicherheit beim &auml;lteren Menschen. Psychiatrie und Neurologie 2015; 5: 2-5 &bull; Monsch A et al.: Konsensus zur Diagnostik und Betreuung von Demenzkranken in der Schweiz. Schweiz Med Forum 2008; 8(8): 144-9 &bull; Savaskan E: Recommendations for diagnosis and therapy of behavioral and psychological symptoms in dementia (BPSD). Praxis 2014; 103(3): 135-48</p> </div> </p>
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