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Ist Prostatakrebs genetisch bedingt?

<p class="article-intro">Seit einigen Jahren ist auch in der Öffentlichkeit zunehmend bekannt, dass ein familiäres Auftreten von Brustkrebs sich teilweise auf angeborene Mutationen in unterschiedlichen Genen zurückführen lässt, was sich auch durch Bluttests bestimmen lässt und bei Vorhandensein solcher Mutationen zu differenzierten Empfehlungen in Bezug auf Vorsorge, aber auch Behandlung führen kann. Insbesondere Mutationen in den Genen BRCA1 und 2 sind als häufigste Ursache für das familiäre Brust- und Ovarialkarzinomsyndrom bekannt.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Genetisch bedingte Anlagen sind eine wichtige Ursache f&uuml;r Prostatakarzinom.</li> <li>Die h&auml;ufigste monogenetische Ursache ist ein mutiertes BRCA2-Gen.</li> <li>Eine genetische Testung bei ausgew&auml;hlten Patienten (z.B. junge Patienten, aggressives Karzinom, metastasiertes Stadium) ist medizinisch sinnvoll, aber noch nicht in Guidelines aufgef&uuml;hrt.</li> </ul> </div> <p>Weniger bekannt ist, dass sich auch bei 10&ndash;20 % der Patienten mit Prostatakrebs anamnestisch eine famili&auml;re H&auml;ufung erschliesst. Die Definition eines famili&auml;ren Prostatakarzinoms verlangt zwei Verwandte, die jung, d.h. bis zum 56. Altersjahr, an Prostatakrebs erkrankt sind, oder das Auftreten von Prostatakrebs in drei aufeinanderfolgenden Generationen, wobei die Vererbung &uuml;ber die m&uuml;tterliche oder v&auml;terliche Linie erfolgen kann.<br /> Dass das geh&auml;ufte famili&auml;re Auftreten nicht auf gemeinsamen Umwelteinfl&uuml;ssen beruht, sondern vor allem durch genetische Faktoren bedingt ist, l&auml;sst sich an Zwillingsstudien zeigen. So weisen eineiige Zwillinge, die ein identisches Erbgut haben, ein vierfaches h&ouml;heres Risiko einer konkordanten Prostatakarzinomerkrankung auf als zweieiige Zwillinge, bei denen nur die H&auml;lfte der Gene identisch ist. In einer grossen nordischen Zwillingsstudie<sup>1</sup> zeigte sich, dass etwa 57 % der Prostatakarzinominzidenz durch genetische Faktoren erkl&auml;rt werden k&ouml;nnen. Dieser Anteil ist &auml;hnlich hoch wie bei Melanomen, aber deutlich h&ouml;her als bei Brustoder Kolonkarzinomen.</p> <h2>BRCA-Mutationen</h2> <p>Diese genetische Disposition kann in einer Minderheit von F&auml;llen auf relativ seltene Gene zur&uuml;ckgef&uuml;hrt werden, mit allerdings hoher Penetranz. Das h&auml;ufigste Gen mit einer Disposition zu Prostatakrebs ist &ndash; wie beim heredit&auml;ren Brust- und Ovarialkarzinom &ndash; das BRCA-Gen, speziell das BRCA2-Gen. Bei einem mutierten BRCA2- Gen ist das Risiko, in fr&uuml;herem Alter an einem Prostatakarzinom zu erkranken, 4,5-mal h&ouml;her als bei gleichaltrigen M&auml;nnern und liegt bei ca. 20 % bis zum 70. Altersjahr. Mit BRCA2-Mutationen assoziierte Prostatakarzinome sind aggressiver und f&uuml;hren h&auml;ufiger und fr&uuml;her zu Metastasen und zum Tod.<br /> Die H&auml;ufigkeit derartiger Genmutationen variiert in unterschiedlichen Studien stark, vor allem in Abh&auml;ngigkeit vom untersuchten Patientenkollektiv. Knapp 3 % der M&auml;nner mit Prostatakrebs vor dem 56. Altersjahr weisen eine pathogene Mutation des BRCA2-Gens auf, bei der Gesamtheit der M&auml;nner mit Prostatakarzinom liegt diese Rate jedoch bei nur 0,45 % .</p> <h2>Weitere Genmutationen bei Prostatakrebs</h2> <p>Neben mutierten BRCA-Genen k&ouml;nnen auch andere Gene, wenn mutiert, zu Prostatakrebs f&uuml;hren. Weitere Untersuchungen konnten auch Ver&auml;nderungen im HOXB13- Gen mit Prostatakarzinom in Verbindung bringen.<br /> So fanden sich bei 692 M&auml;nnern mit metastasiertem Prostatakrebs in 82 F&auml;llen, also in 11,8 % , Mutationen in einem der erw&auml;hnten Gene (BRCA2 in 5,3 % , ATM in 1,6 % , CHEK2 in 1,9 % , RAD51D in 0,4 % und PALB2 in 0,4 % ).<sup>2</sup> Diese H&auml;ufigkeit ist deutlich h&ouml;her als in lokalisierten Stadien. Wie BRCA haben diese Gene meist eine Funktion in der Reparatur und Aufrechterhaltung der DNA.<br /> Einer der Autoren, Peter Nelson, folgerte daraus, dass die Resultate ein &uuml;berzeugendes Argument f&uuml;r eine Keimbahntestung bei diesen Patienten darstellen.<br /> Eine weitere Studie zeigt, dass es aufgrund der H&auml;ufigkeit von gefundenen Keimbahnmutationen auch durchaus Sinn machen k&ouml;nnte, genetische Untersuchungen in nicht metastasierten Stadien durchzuf&uuml;hren, wenn gewisse Risikokonstellationen vorliegen, wie eine Familienanamnese von Prostata- oder Brustkrebs oder bei T3-Stadien und einem Gleason-Score von &gt;7.<sup>3</sup></p> <h2>Paneldiagnostik</h2> <p>Die Erfassung solcher Mutationen kann heutzutage durch Paneltests, die gleichzeitig mittels hocheffizienter Methoden viele Gene gleichzeitig sequenzieren (NGS, &bdquo;next generation sequencing&ldquo;), auf schnellere und kosteng&uuml;nstigere Art erfolgen als fr&uuml;her mit sequenziellen Genuntersuchungen. Es gibt bereits eine Vielzahl solcher Paneltests, die von Universit&auml;ten wie auch kommerziellen Labors angeboten werden. Ein solcher Test, der die oben erw&auml;hnten Gene erfassen kann, ist der MyRisk-Test von Myriad.<br /> Das Wissen um solche Mutationen kann die Behandlungsstrategie &auml;ndern, aber auch zur Testung von Familienangeh&ouml;rigen f&uuml;hren und damit eine entsprechende Vorsorge erm&ouml;glichen. Selbst die Therapieplanung wird durch das Wissen um diese genetischen Mutationen beeinflusst. So ist bekannt, dass Platine bei Vorhandensein von solchen Mutationen besonders gut wirken. Diese gute Wirksamkeit zeigte sich in einer retrospektiven Studie.<sup>4</sup> Schon fr&uuml;he Phase-II-Studien mit dem PARP-Inhibitor Olaparib ergaben ein gutes Ansprechen bei Prostatakarzinom mit BRCA2-Mutationen.</p> <h2>Therapien beim Prostatakarzinom</h2> <p>Mutationen von BRCA2, aber auch anderen Genen, die bei der DNA-Reparatur eine Rolle spielen, k&ouml;nnen einerseits angeboren sein und somit sowohl im Blut wie im Tumor selber nachweisbar sein, aber andererseits in weiteren F&auml;llen nur im Tumor gefunden werden. F&uuml;r die Therapiewahl macht dies keinen Unterschied.<br /> Mateo et al. haben in einer innovativen Studie zeigen k&ouml;nnen, dass, falls im Tumorgewebe Mutationen in den oben erw&auml;hnten Genen gefunden wurden, das Ansprechen auf eine Therapie mit Olaparib sehr gut war. Von 50 Patienten mit vorbehandeltem kastrationsrefrakt&auml;rem Prostatakarzinom fanden sich bei 16 Patienten (32 % ) solche Mutationen. In diesen F&auml;llen konnte ein Ansprechen auf Olaparib in 14/16 F&auml;llen (88 % ) gezeigt werden.<sup>5</sup><br /> Diese Ver&ouml;ffentlichung f&uuml;hrte zu vielen weiteren Studien mit PARP-Inhibitoren, die aktuell durchgef&uuml;hrt werden bzw. in Planung sind. Es gibt bereits mehrere unterschiedliche PARP-Inhibitoren wie Niraparib und Rucaparib, die in Monotherapie oder unterschiedlichen Kombinationen wie mit hormonellen Therapien oder einer Immuntherapie mit Durvalumab (Anti-PDL1) bereits in Phase-III-Studien untersucht werden.<br /> Auch f&uuml;r die Vorsorge k&ouml;nnen sich im Wissen um eine BRCA-Mutation &Auml;nderungen ergeben. So empfehlen die NCCNGuidelines, bei solchen M&auml;nnern ein PSAScreening schon ab 45 Jahren durchzuf&uuml;hren.</p> <h2>Genetische Beratung</h2> <p>Die H&auml;ufigkeit solcher Mutationen wie auch m&ouml;gliche Auswirkungen auf die Familie sowie unterschiedliche Behandlungsm&ouml;glichkeiten belegen, dass es jetzt gute medizinische Gr&uuml;nde gibt, bei Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom mehr als bisher nach solchen Mutationen zu suchen.<br /> Die nationalen und internationalen Richtlinien f&uuml;r genetische Testungen und deren Bezahlung durch die Krankenkassen sind zurzeit allerdings noch nicht darauf eingestellt, d.h., solche Testungen sind keine kassenpflichtigen Leistungen. &Auml;nderungen in den Richtlinien wie auch in der Regulierung der Kosten&uuml;bernahme durch die Versicherer sind in den n&auml;chsten Jahren zu erwarten.<br /> In der Schweiz d&uuml;rfen medizinische Genetiker und Kliniker, die sich in der NCPTC(Network for Cancer Predisposition, Testing and Counseling)-Gruppe der SAKK treffen, auf Kosten der Krankenkassen indizierte genetische Tests veranlassen. Heute stellen sich meistens Frauen mit Brust- oder Ovarialkarzinom f&uuml;r eine genetische Beratung vor, manchmal geht es um das Lynch-Syndrom, nur selten jedoch werden Patienten mit Prostatakrebs f&uuml;r eine genetische Beratung zugewiesen. Hand in Hand mit der steigenden Zahl an Studien und Publikationen interessieren sich immer mehr Urologen daf&uuml;r und wollen sich entsprechend weiterbilden.</p> <h2>Genmutationen mit geringer Penetranz</h2> <p>Neben diesen eher seltenen Genen mit hoher Penetranz existiert auch eine Vielzahl von Genmutationen und Genvarianten, die das Risiko eines Prostatakarzinoms zwar erh&ouml;hen, aber nur wenig, die also eine nur geringe Penetranz aufweisen. In grossen Studien, welche den Einfluss von unterschiedlichsten Genvarianten pr&uuml;fen (GWAS, &bdquo;Genome Wide Association Studies&ldquo;) fanden sich &uuml;ber 100 SNPs, also Genvarianten, welche allein oder in Kombinationen zu einer erh&ouml;hten Prostatakarzinominzidenz f&uuml;hren. Ein Beispiel sind Genvarianten, die mit der Gr&ouml;sse eines Menschen in Verbindung stehen. Die Gr&ouml;sse ist assoziiert mit Genen, die einen Zusammenhang mit der Expression von IGF1 und IGF1-Rezeptor haben, welche auch als Treiber von Prostatakarzinom gelten.<sup>6</sup><br /> Aber auch unter Einbezug dieser Gene kann mit dem heute bekannten Wissen nur ein Teil der famili&auml;ren Prostatakarzinome auf eine definierte genetische Ursache zur&uuml;ckgef&uuml;hrt werden.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> Mutierte Gene mit Disposition zum heredit&auml;ren Prostatakarzinom sind h&auml;ufiger als fr&uuml;her angenommen, und zwar vor allem bei Patienten mit fortgeschrittenem, metastasiertem Prostatakarzinom oder ung&uuml;nstigen Prognosefaktoren wie Gleason &gt;7. Genetische Beratung und Testung k&ouml;nnen dem Patienten bei der Auswahl von Medikamenten helfen und auch Familienangeh&ouml;rigen eine angepasste Vorsorge erm&ouml;glichen oder andererseits den Druck aufgrund der M&ouml;glichkeit einer famili&auml;ren Tumorbelastung wegnehmen. Die weite Umsetzung dieser Erkenntnisse in die Klinik erfordert noch zus&auml;tzliche Studien, wie auch eine Anpassung von Richtlinien und Regeln f&uuml;r die &Uuml;bernahme der Kosten genetischer Untersuchungen.</div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Mucci J, Harris J: Familial risk and heritability of cancer among twins in nordic countries. JAMA 2016; 315: 68-76 <strong>2</strong> Pritchard C et al.: Inherited DNA-repair gene mutations in men with metastatic prostate cancer. NEJM 2016, 375: 443-53 <strong>3</strong> Giri VN et al.: Inherited mutations in men undergoing multigene panel testing for prostate cancer: emerging implications for personalized prostate cancer genetic evaluation. J Precis Oncol 2017; doi: 10.1200/ PO.16.00039 <strong>4</strong> Pomerantz MM et al.: The association between germline BRCA2 variants and sensitivity to platinum- based chemotherapy among men with metastatic prostate cancer. Cancer 2017; 123(18): 3532-9 <strong>5</strong> Mateo J et al.: DNA-repair defects and olaparib in metastatic prostate cancer. N Engl J Med 2015; 373: 1697-708 <strong>6</strong> Lophatananon A et al.: Height, selected genetic markers and prostate cancer risk: results from the PRACTICAL consortium. Br J Cancer 2017; 117(5): 734-43</p> </div> </p>
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