© Catalin Rusnac iStockphoto

7. Interdisziplinäres Prostatakarzinomsymposium 9. November 2017, St. Gallen

Überlegungen zu Screening und Therapiesequenz

<p class="article-intro">Am interdisziplinären Prostatakarzinomsymposium wurden in diesem Jahr verschiedenste Themen diskutiert, darunter Ansätze zur Verhinderung einer Überdiagnose und -therapie beim Einsatz eines PSA-basierten Screenings, aber auch die Sequenz einer Systemtherapie bei einem kastrationsresistenten metastasierten Tumor.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Das interdisziplin&auml;re Prostatakarzinomsymposium ist ein eint&auml;giges deutschsprachiges Symposium, dessen Ziel es ist, eine Auswahl neuer und auch umstrittener Fragen aus den Bereichen Biologie, Screening, Abkl&auml;rung und Behandlung des Prostatakarzinoms aus interdisziplin&auml;rer Sicht zu diskutieren.</p> <h2>Screening reduziert Mortalit&auml;t</h2> <p>Prof. Dr. med. Axel Semjonow, M&uuml;nster (D), sprach &uuml;ber Pro und Kontra einer Tumorfr&uuml;herkennung und die Rolle der aktiven &Uuml;berwachung. Zu Beginn seines Referats erinnerte er daran, dass das Prostata-spezifische Antigen (PSA) bereits vor etwa 30 Jahren Eingang in den klinischen Alltag gefunden hat. &laquo;Im Grunde ist es erstaunlich, dass das PSA bei der Fr&uuml;herkennung nach wie vor die erste Rolle spielt&raquo;, meinte er dazu. In den vergangenen 30 Jahren haben sich die Anforderungen an Tumormarker beim Prostatakarzinom, im Speziellen an das PSA, jedoch stark ver&auml;ndert. Prof. Semjonow erkl&auml;rte hierzu: &laquo;Mitte der 1980er-Jahre war man heilfroh, ein Prostatakarzinom in einem noch behandelbaren Stadium zu finden. Mit dem Beginn der PSA-&Auml;ra, Ende der 1980er-Jahre, waren durch das Screening zwar sehr fr&uuml;he Diagnosen m&ouml;glich, jedoch f&uuml;hrten diese auch zu vielen unn&ouml;tigen Biopsien.&raquo; In der Folge h&auml;tte sich die Forschung v.a. darauf konzentriert, die Zahl der unn&ouml;tigen Biopsien zu reduzieren. Prof. Semjonow erl&auml;uterte weiter: &laquo;Anfang 2000 wurde klar, dass ein Prostatakarzinom auch zu fr&uuml;h entdeckt werden kann. Viele Zentren spezialisierten sich deshalb darauf, diejenigen Prostatakarzinome zu diagnostizieren, die auch eine Therapie ben&ouml;tigten, und nicht das Reservoir an indolenten und wahrscheinlich nicht signifikanten Tumoren.&raquo; Bis zum Jahr 2009 sei zudem v&ouml;llig unklar gewesen, ob mithilfe eines PSA-basierten Screenings die Prostatakarzinommortalit&auml;t tats&auml;chlich reduziert werden kann. Dies &auml;nderte sich mit dem Bekanntwerden der ersten Resultate der Studie ERSPC (European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer), an der auch die Schweiz beteiligt war.<sup>1, 2</sup> Bei einem Follow-up von 9 bzw. 11 Jahren zeigte diese, dass durch ein PSA-basiertes Screening die Mortalit&auml;t signifikant reduziert werden kann. Die neusten Daten dieser Studie wurden 2014, nach einem Follow-up von 13 Jahren, vorgestellt und zeigten eine Reduktion des relativen Mortalit&auml;tsrisikos um 21 % .<sup>3</sup></p> <h2>Weniger &Uuml;berdiagnosen dank neuer Screening-Strategie?</h2> <p>&laquo;Was uns aber Sorgen macht, ist die &Uuml;berdiagnose, also die Diagnose eines Tumors, der undiagnostiziert weder zu Symptomen noch zum Tod f&uuml;hrt&raquo;, so Prof. Semjonow. Damit es zu einer &Uuml;berdiagnose kommen kann, m&uuml;ssen drei Voraussetzungen erf&uuml;llt sein: die Existenz eines asymptomatischen Krankheitsreservoirs, Aktivit&auml;ten zur Entdeckung (z.B. Screening) und ein langer nat&uuml;rlicher Verlauf (d.h. eine geringe Mortalit&auml;t). &laquo;All dies trifft auf das Prostatakarzinom zu&raquo;, betonte der Redner und veranschaulichte dies anhand entsprechender Studiendaten. Mithilfe von Modellen wurde zudem errechnet, dass ein Screening von M&auml;nnern zwischen 55 und 67 in einem Intervall von 4 Jahren zu einer &Uuml;berdiagnose von 48 % f&uuml;hrt.<sup>4</sup> &laquo;Ist diese &Uuml;berdiagnose zwangsl&auml;ufig auch mit einer &Uuml;bertherapie assoziiert?&raquo;, fragte Prof. Semjonow. &laquo;Nicht unbedingt, sofern bei Verdacht auf eine &Uuml;berdiagnose eine aktive &Uuml;berwachung anstelle einer Therapie gestartet wird&raquo;, meinte er. Eine aktive &Uuml;berwachung sei dabei nicht mit einem &laquo;watchful waiting&raquo; zu verwechseln, betonte er. &laquo;Bei der aktiven &Uuml;berwachung geht es darum, eine kurative Therapie so lange zu verz&ouml;gern, wie dies f&uuml;r den Betroffenen keinen Nachteil bedeutet. Beim Watchful Waiting dagegen wird beobachtet und eine palliative Therapie eingesetzt, sobald Symptome auftreten.&raquo; Kriterien, die f&uuml;r eine aktive &Uuml;berwachung sprechen, sind ein sehr niedriges oder niedriges Risiko. &laquo;Und bei M&auml;nnern mit einer begrenzten Lebenserwartung &ndash; von weniger als 10 Jahren &ndash; kann dieses Vorgehen auch bei Tumoren mit einem g&uuml;nstigen intermedi&auml;ren Risiko gew&auml;hlt werden. &raquo; Wie er weiter erl&auml;uterte, werden in Studien zur aktiven &Uuml;berwachung die PSA-Werte anfangs engmaschig kontrolliert (alle 3 Monate), sp&auml;ter wird ein gr&ouml;sserer Abstand gew&auml;hlt (alle 6 Monate). Eine digitale rektale Untersuchung wird alle 6 bis 12 Monate durchgef&uuml;hrt, eine erste Rebiopsie wird innerhalb von 6 bis 12 Monaten nach Diagnosestellung empfohlen, danach in Abst&auml;nden von 2 bis 4 Jahren. &laquo;Weitere Parameter, die eine aktive &Uuml;berwachung allenfalls noch sicherer machen k&ouml;nnten, wie z.B. das proPSA oder ein multiparametrisches MRI (mpMRI) vor einer Rebiopsie, werden derzeit untersucht&raquo;, erg&auml;nzte Prof. Semjonow. Obwohl Studien laufen, in denen die Risiken und Nutzen einer aktiven &Uuml;berwachung untersucht werden, ist die bisherige Studiendauer f&uuml;r eine endg&uuml;ltige Aussage noch zu begrenzt. Eine der am weitesten fortgeschrittenen Studien ist die 2006 gestartete PRIAS (Prostate Cancer Research Active Surveillance, www.prias- project.org). Prof. Semjonow forderte dazu auf, Patienten unter aktiver &Uuml;berwachung dieser Studie zu melden, damit ein aussagekr&auml;ftiges Resultat erreicht werden kann. Als Ausblick pr&auml;sentierte er zum Schluss die Rationale einer in Finnland geplanten Studie, die den Effekt eines ver&auml;nderten Screenings untersuchen wird.<sup>5</sup> Bei gut 16 000 von insgesamt 67 000 eingeschlossenen M&auml;nnern wird dazu das PSA bestimmt. Liegt es &uuml;ber 3ng/ml, wird ein zus&auml;tzliches Multi-Kallikrein- Panel durchgef&uuml;hrt. Ergeben sich daraus Hinweise auf ein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r ein klinisch relevantes Prostatakarzinom, folgt ein mpMRI. Zeigt dieses Anzeichen f&uuml;r ein Malignom, wird bei diesen M&auml;nnern eine gezielte Biopsie durchgef&uuml;hrt. &laquo;Ziel der Studie ist es, die durch das Screening erreichte Senkung der Mortalit&auml;t zu erhalten, die Zahl der &Uuml;berdiagnosen jedoch zu reduzieren&raquo;, so Prof. Semjonow. &laquo;Sollte dieses Konzept funktionieren, werden wir viel weniger aktive &Uuml;berwachungen machen und viel weniger M&auml;nner mit der Information beunruhigen m&uuml;ssen, dass sie ein Prostatakarzinom haben, von dem wir aber glauben, dass wir es nicht behandeln m&uuml;ssen&raquo;, schloss er.</p> <h2>Therapiesequenz bei kastrationsresistenten Tumoren</h2> <p>PD Dr. med. Aurelius Omlin, St. Gallen (CH), griff in seinem Vortrag zur Systemtherapie des metastasierten Prostatakarzinoms unter anderem das Thema der Therapiesequenz bei kastrationsresistenten Tumoren auf. &laquo;Die Wahl der Therapie in der kastrationsresistenten Situation h&auml;ngt von verschiedenen Faktoren ab&raquo;, erkl&auml;rte er (Tab. 1). Zu den entscheidenden Faktoren geh&ouml;rt insbesondere die Prim&auml;rtherapie, die ein Patient in der kastrationsnaiven Situation erhalten hat (Hormontherapie [ADT] mit bzw. ohne Docetaxel). Die Teilnehmenden der diesj&auml;hrigen Advanced Prostate Cancer Consensus Conference (APCCC) sprachen sich bei Patienten, die als Prim&auml;rtherapie ADT alleine erhalten hatten und asymptomatisch waren, mehrheitlich f&uuml;r eine Folgebehandlung mit Abirateron oder Enzalutamid aus (86 % vs. 6 % f&uuml;r Docetaxel).<sup>6</sup> Bei symptomatischen M&auml;nnern stimmten 52 % f&uuml;r Abirateron oder Enzalutamid und 46 % f&uuml;r Docetaxel. &laquo;Ich denke, die Mehrheit der M&auml;nner ist asymptomatisch, wenn sie kastrationsresistent werden&raquo;, erl&auml;uterte Dr. Omlin. Falls asymptomatische M&auml;nner als Prim&auml;rtherapie ADT plus Doxetaxel erhalten hatten, waren 90 % der Konferenzteilnehmenden f&uuml;r den Einsatz von Abirateron oder Enzalutamid, 2 % f&uuml;r Cabazitaxel und 2 % f&uuml;r Docetaxel. Bei symptomatischen M&auml;nnern w&uuml;rden 73 % Abirateron/ Enzalutamid, 19 % Cabazitaxel und 6 % Docetaxel w&auml;hlen. &laquo;Die Experten der Consensus Conference wurde zudem gefragt, was sie w&auml;hlen w&uuml;rden, wenn ein Patient ADT plus Docetaxel erhalten hat, bereits innerhalb von 6 Monaten nach Abschluss der Chemotherapie kastrationsresistent wird und das PSA wieder steigt&raquo;, erl&auml;uterte Dr. Omlin. Bei asymptomatischen Patienten w&uuml;rde die Mehrheit (77 % ) Abirateron/Enzalutamid w&auml;hlen und 17 % Cabazitaxel.<sup>6</sup> Symptomatische Patienten w&uuml;rden 57 % mit Abirateron/ Enzalutamid und 27 % mit Cabazitaxel behandeln.<br /> &laquo;Immer h&auml;ufiger wird als Prim&auml;rtherapie auch ADT plus Abirateron, Letzteres in diesem Setting bis zur Progression, eingesetzt. Dieser Anteil wird mit einer Kassenzul&auml;ssigkeit von Abirateron zudem noch weiter steigen&raquo;, so der Redner. Damit stelle sich die Frage, wie diese Patienten in der kastrationsresistenten Situation behandelt werden sollen. &laquo;Wir wissen es nicht, denn es gibt dazu keine Daten aus prospektiven Studien&raquo;, erkl&auml;rte Dr. Omlin. &laquo;Die Aktivit&auml;t von Enzalutamid wird in dieser Situation wahrscheinlich eher gering sein. Bei Patienten mit einer Oligoprogression k&auml;me vielleicht eine fokale Therapie infrage. Und bei Patienten, die einen PSA-Anstieg und nur Knochenmetastasen aufweisen, w&auml;re allenfalls die Zugabe von Radium-223 eine Option.&raquo;<br /> Schliesslich ging Dr. Omlin auch auf die Frage der Sequenz Abirateron &ndash; Enzalutamid bzw. Enzalutamid &ndash; Abirateron ein. Die Phase-IV-Studie PLATO untersucht die Sicherheit und Wirksamkeit einer Gabe von Enzalutamid plus Abirateron/ Prednison im Vergleich zu Placebo plus Abirateron/Prednison bei einem PSA-Anstieg unter Enzalutamid. Die am diesj&auml;hrigen ASCO pr&auml;sentierten Daten dieser Studie zeigten ein PSA-Ansprechen von 0,8 % bzw. 2,5 % .<sup>7</sup> &laquo;Also entt&auml;uschende Resultate&raquo;, kommentierte der Redner. De Bono et al. untersuchten die Gabe von Enzalutamid nach einer mindestens 24-w&ouml;chigen Behandlung mit Abirateron. 8 &laquo;Die Studie zeigte eine Aktivit&auml;t von Enzalutamid bei selektionierten Patienten, die sehr gut auf Abirateron angesprochen hatten&raquo;, so Dr. Omlin.<br /> Er fasste schliesslich zusammen: &laquo;Die Therapiesequenz bei kastrationsresistenten Tumoren wird zunehmend komplexer, da sie von unserer Wahl in der kastrationsnaiven Situation abh&auml;ngt. Abirateron nach Enzalutamid zeigt eine geringe Aktivit&auml;t, w&auml;hrend Enzalutamid nach Abirateron bei selektionierten Patienten eine moderate Aktivit&auml;t zeigt. Und ganz wichtig wird wahrscheinlich die Frage sein, welche Therapie wir bei einem Progress nach ADT plus Abirateron w&auml;hlen sollen.&raquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Onko_1707_Weblinks_s52_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="836" /></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 7. Interdisziplinäres Prostatakarzinomsymposium, 9. November 2017, St. Gallen </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Schr&ouml;der FH et al.: Screening and prostate-cancer mortality in a randomized European study. N Engl J Med 2009; 360: 1320-8 <strong>2</strong> Schr&ouml;der FH et al.: Prostate-cancer mortality at 11 years of follow-up. N Engl J Med 2012; 366: 981-90 <strong>3</strong> Schr&ouml;der F et al.: Screening and prostate cancer mortality: results of the European Randomised Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC) at 13 years of follow- up. Lancet 2014; 384: 2027-35 <strong>4</strong> Draisma G e t a l.: Lead times and overdetection due to prostate-specific antigen screening: estimates from the European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer. J Natl Cancer Inst 2003; 95: 868-78 <strong>5</strong> Auvinen A et al.: A randomized trial of early detection of clinically significant prostate cancer (ProScreen): study design and rationale. Eur J Epidemiol 2017; 32: 521-7 <strong>6</strong> Gillessen S et al.: Management of patients with advanced prostate cancer: the report of the Advanced Prostate Cancer Consensus Conference APCCC 2017. Eur Urol 2017 Jun 24. pii: S0302-2838(17)30497-9. [Epub ahead of print] <strong>7</strong> Attard G et al.: A phase IV, randomized, double-blind, placebo-controlled study of continued enzalutamide post prostate-specific antigen progression in men with chemotherapy-naive metastatic castration-resistant prostate cancer. J Clin Oncol 2017; 35(suppl): Abstract 5004 <strong>8</strong> de Bono JS et al.: Antitumour activity and safety of enzalutamide in patients with metastatic castration-resistant prostate cancer previously treated with abiraterone acetate plus prednisone for =24 weeks in Europe. Eur Urol 2017 Aug 22. pii: S0302- 2838(17)30664-4. [Epub ahead of print]</p> </div> </p>
Back to top