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Ordinationsübernahme ohne Reue

<p class="article-intro">Unsere Redaktion sprach mit zwei Jungärztinnen, die vor einigen Monaten eine allgemeinmedizinische Ordination übernommen haben, beide haben schulpflichtige Kinder.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Zur Person</h2> <ul> <li>&Auml;rztin C. Fr&ouml;hlich* ist Kassenvertragsinhaberin und bietet in einer zus&auml;tzlichen, auch r&auml;umlich getrennten Privatordination Manualtherapie und Akupunktur an.</li> <li>&Auml;rztin A. Kaiser* ist Dauervertreterin und einen Tag pro Woche Schul&auml;rztin in einem Bundesgymnasium, Zusatzausbildung: PSY-Diplom.</li> </ul> </div> <p><strong>Fast ein Jahr nach der Ordinations&uuml;bernahme &ndash; bereuen Sie Ihre Entscheidung?<br /><br /> C. Fr&ouml;hlich:</strong> Keinesfalls, es ist f&uuml;r mich als Medizinerin und als Mutter die beste Option.<br /><br /><strong> Lief die Praxis&uuml;bernahme nach einem etablierten &Uuml;bergabemodell ab?<br /><br /> C. Fr&ouml;hlich:</strong> So ist es. Wir arbeiteten sechs Monate mit dem erfahrenen Kollegen unter einem Dach, meine Arbeit wurde von ihm nach den Tarifs&auml;tzen f&uuml;r Ordinationsvertretungen honoriert. Dann hatte ich den vertragskonformen Teil des letzten Jahresumsatzes zu bezahlen und f&uuml;hrte die Ordination weiter.<br /> <strong>A. Kaiser:</strong> Auch ich habe in diesen sechs Monaten in der Ordination gearbeitet, es stand von vornherein fest, dass C. die Zusammenarbeit sucht. Fachlich verlief alles unaufgeregt und planm&auml;&szlig;ig. <br /><br /><strong>Gab es dennoch Anfangs&uuml;berraschungen?<br /><br /> C. Fr&ouml;hlich:</strong> Ich habe die b&uuml;rokratischen H&uuml;rden erst jetzt in vollem Ausma&szlig; wahrgenommen. Sie sind arbeitsbehindernd.<br /><strong> A. Kaiser:</strong> Eine Patientin, die seit Jahren erfolgreich mit einem Biologikum behandelt wird, das auch immer anstandslos bewilligt wurde, soll jetzt nach Chefarztwillen mit einem Generikum therapiert werden. Die Patientin vertr&auml;gt es schlecht. Meine Argumentation gen&uuml;gte nicht. Ich musste mich um eine Stellungnahme des Rheumazentrums bem&uuml;hen. Daraufhin wurde das Originalpr&auml;parat bewilligt, die Chef&auml;rztin fragte im Verh&ouml;rton: &bdquo;Haben Sie die Unvertr&auml;glichkeit der Beh&ouml;rde gemeldet?&ldquo; Und dann: &bdquo;Diese Bewilligung ist eine Ausnahme, wahrscheinlich wird das Originalpr&auml;parat demn&auml;chst aus dem Erstattungskodex gestrichen.&ldquo;<br /><strong> C. Fr&ouml;hlich:</strong> Als sie dann noch dar&uuml;ber klagte, dass sie sich jetzt mehrere Male mit dieser Bewilligung besch&auml;ftigen musste und das sehr zeitaufwendig sei, sprach sie mir aus der Seele &ndash; sie meinte es aber eher vorwurfsvoll.<br /><br /> <strong>Durch das kassenvertragsbedingte Ende der Laborgemeinschaften kooperieren Sie jetzt mit einem Gro&szlig;labor &ndash; wie l&auml;uft dies ab?<br /><br /> C. Fr&ouml;hlich:</strong> Papierfrei, vollautomatisch und unpers&ouml;nlich. Die Routine l&auml;uft klaglos, der mitunter hilfreiche Anruf bei der pers&ouml;nlich bekannten Laborfach&auml;rztin ist keine Option mehr.<br /><strong> A. Kaiser:</strong> Die Zusammenarbeit mit den Fach&auml;rzten wird zunehmend problematischer. Die Wartezeiten haben die Grenze der Zumutbarkeit &uuml;berschritten &ndash; wir sprechen von Monaten.<br /><strong> C. Fr&ouml;hlich:</strong> Das Gleiche gilt f&uuml;r Physiotherapeuten, diese sind einfach alle ausgelastet. Wir m&uuml;ssen uns unter diesem Druck der Wahl&auml;rzte bedienen, mit denen funktioniert es gut. Wir f&ouml;rdern aber damit ganz massiv die Zweiklassenmedizin, deren Teil wir als Kassenvertrags&auml;rztinnen definitiv nicht sein wollen.<br /><strong> A. Kaiser:</strong> Ich stelle auch gro&szlig;es Unverst&auml;ndnis bei der Spitals&auml;rzteschaft fest. Sie sind offensichtlich furchtbar unter Druck und ahnungslos, was unsere Arbeitsbedingungen betrifft. Der oft geh&ouml;rte Sager von &bdquo;den Niedergelassenen, die alles ins Krankenhaus schicken&ldquo; ist daf&uuml;r beispielhaft. Sie haben weder von der Quantit&auml;t noch von der Qualit&auml;t unserer Arbeit eine Vorstellung.<br /> Unl&auml;ngst mussten wir einen Patienten innerhalb eines Tages sogar zweimal einweisen, bis unser Verdacht auf Pulmonalembolie best&auml;tigt war.<br /><br /> <strong>Wie k&ouml;nnte man das Verh&auml;ltnis zwischen den &Auml;rzten verbessern?<br /><br /> C. Fr&ouml;hlich:</strong> Die Lehrpraxis f&uuml;r alle als fester Bestandteil der Ausbildung w&auml;re nicht nur f&uuml;r die Allgemeinmedizin w&uuml;nschenswert, auch die intra-/extramurale Zusammenarbeit w&uuml;rde durch das Wissen um das unterschiedliche Arbeitsumfeld respektvoller werden.<br /><strong> A. Kaiser:</strong> Ich habe das Gef&uuml;hl, dass wir momentan die Verbitterung der Spitalskollegen abbekommen. Sie beneiden uns um unsere Freiheit und um unseren Verdienst &ndash; ohne beides zu kennen. Sie geringsch&auml;tzen unsere Arbeit aus dem gleichen Grund.<br /><br /><strong> Das von der Politik so angeprangerte &bdquo;Einzelk&auml;mpfertum&ldquo; scheint es wirklich zu geben, allerdings mit v&ouml;llig anderem Inhalt.<br /><br /> C. Fr&ouml;hlich:</strong> Ich verstehe, was Sie meinen, aber in meiner Ordination ist durch die Zusammenarbeit mit A. das Einzelk&auml;mpfertum abgeschafft. Unsere Kooperationskultur ist auch durch den offenen Umgang mit unseren Defiziten gepr&auml;gt, das gibt ein Gef&uuml;hl der Befreiung.<br /><strong> A. Kaiser:</strong> Die Dauervertretung hat meine Arbeitseinstellung als Ordinationsvertreterin ge&auml;ndert. Die Kontinuit&auml;t der Patientenbetreuung steht im Vordergrund. Die Intervention, bis der gewohnte Arzt wieder da ist, hat an Bedeutung verloren.<br /><br /><strong> Demn&auml;chst tritt die Bereitschaftsdienstregelung in Kraft. Sehen Sie dadurch eine weitere Entlastung f&uuml;r Sie?<br /><br /> A. Kaiser:</strong> Ja, demn&auml;chst soll zwischen 17:00 und 22:00 Uhr nur mehr ein Arzt pro Bezirk in R&auml;umlichkeiten des &ouml;rtlichen Krankenhauses Bereitschaftsdienst machen. Dazu sollen die Kassenvertrags&auml;rzte zwangsverpflichtet werden, ein weiterer Arzt soll in der gleichen Region Visiten fahren. Angeblich werden diese Visiten&auml;rzte zugekauft, das m&uuml;ssen nicht wir &ouml;rtlich Niedergelassenen abdecken. Woher diese Kollegen kommen und wer die Kosten daf&uuml;r tr&auml;gt, wei&szlig; ich nicht. Unsere Dienstbereitschaftspflicht wird jedenfalls deutlich abnehmen.<br /><strong> C. Fr&ouml;hlich:</strong> Nach unserer Ordinations&uuml;bernahme hat die Zahl der Visiten ohnehin deutlich abgenommen, denn wir animieren die Patienten, unsere Ordination aufzusuchen. Aus unerkl&auml;rlichen Gr&uuml;nden kursiert au&szlig;erdem das Ger&uuml;cht, wir w&uuml;rden keine Visiten machen. Zwar stimmt das nachweislich nicht, aber ehrlich gestanden treten wir diesem Ger&uuml;cht auch nicht engagiert entgegen.<br /><br /><strong> Ist f&uuml;r Sie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gegeben?<br /><br /> A. Kaiser:</strong> Ja, die Arbeitszeiten sind vorhersehbar, die Bereitschaftsdienstzeiten r&uuml;ckl&auml;ufig.<br /><strong> C. Fr&ouml;hlich:</strong> Die Wochenenddienste teilen wir uns, und nicht zuletzt: Unser beider gleicher famili&auml;rer Status sichert das gegenseitige Verst&auml;ndnis, wenn es eine von uns wirklich einmal schleudert.<br /><br /><strong> Wir danken f&uuml;r das Gespr&auml;ch und w&uuml;nschen f&uuml;r die Zukunft unverminderte Freude am Beruf.</strong><br /><br /> *) Namen von der Redaktion ge&auml;ndert.</p></p>
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