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Hausarzt-Maximalbelastung bei Freitod eines Patienten

<p class="article-intro">In der Suizidprävention kommt dem Allgemeinmediziner eine Schlüsselrolle zu. Selbsternannte Nothelfer hingegen überschätzen ihre Möglichkeiten.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Meldung vom Freitod eines Patienten schl&auml;gt wie eine Bombe in den Ordinationsalltag ein. Der laufende Betrieb einer Landarztpraxis kommt zum Stillstand. Pl&ouml;tzlich werden die Probleme des Tages ganz klein. Selbst das Gemurre der Dauerpatienten &uuml;ber eine angeblich ungerechte Wartenummernvergabe verstummt schlagartig. Unter den Ortsbewohnern verbreitet sich die Schreckensmeldung in Windeseile: &bdquo;Der Eisenbahner- M&uuml;ller hat sich erschossen!&ldquo; Eine &auml;ltere Dame erg&auml;nzt: &bdquo;Genau wie sein Vater.&ldquo;<br /> Nichts bleibt der Landbev&ouml;lkerung nachhaltiger in Erinnerung als die lokale Statistik der Suizide. Ein Beispiel: Bereits bei meinem Antritt als Kassenarzt im Weinviertel 1981 drang die Information an meine Ohren, Bewohner eines Nachbarortes w&uuml;rden im Jargon der Alteingesessenen als die &bdquo;Schneider-H&auml;nger&ldquo; bezeichnet. In dem r&auml;umlich abgeschlossenen Ortsverband best&uuml;nde eine H&auml;ufung von Suiziden. Die Auflistung der tragischen F&auml;lle lie&szlig; mir gleich einen kalten Schauer &uuml;ber den R&uuml;cken laufen. Die Anzahl der Freitode unter den Bewohnern mit dem Familiennamen &bdquo;Schneider&ldquo; erschien wirklich vermehrt. In weiterer Folge legte ich bei allen Stammpatienten unter anderem mein Augenmerk darauf, ob suizidales Handeln in der Familiengeschichte einen Stellenwert hatte. So wird der Praktiker zum Familienarzt der besonderen Art. Es entstehen Querverbindungen, welche einem Au&szlig;enstehenden verborgen bleiben. Bei Kontakten mit derart belasteten Patienten lief ein Warnprogramm in meinem Hinterkopf ab. Sobald ein depressives Zustandsbild und/oder etwa ein chronischer Alkoholmissbrauch vorlagen, lenkte ich das Gespr&auml;ch auf eventuell vorliegende Suizidgedanken. Mitglieder der J&auml;gerschaft erschienen mir in diesem Zusammenhang besonders gef&auml;hrdet. Mit einer zu Hause verf&uuml;gbaren Schusswaffe ist die Hemmschwelle f&uuml;r die Selbstt&ouml;tung deutlich gesenkt. Beim feuchtfr&ouml;hlichen Zusammensitzen der Waidm&auml;nner wird nicht selten dar&uuml;ber diskutiert, wie sich der Schussgewandte auf sicherste Weise das Leben nehmen kann. So wurde ich eines Nachmittags von Anrainern zu einem befreundeten J&auml;ger gerufen. Er sa&szlig; leblos im Garten auf einem Stuhl. Das Jagdgewehr lag am Boden. Der Kopf des Depressiven fehlte komplett. In Erinnerung blieb mir dabei eine unnat&uuml;rliche Stille, die im Garten herrschte. Die sonst zahlreichen V&ouml;gel in den B&auml;umen hatten offensichtlich nach dem Schussknall das Weite gesucht.</p> <h2>Selbstt&ouml;tung im Nebenzimmer</h2> <p>Im Gegensatz dazu herrscht, so sich der Patient im Kreise seiner Familie das Leben nimmt, keine Spur von Stille. Diesbez&uuml;glich erinnere ich mich an den Freitod eines Familienvaters in den Vormittagsstunden eines Wochentages. Der Notarztwagen war zu diesem Zeitpunkt weit weg und damit nicht verf&uuml;gbar. Der Hausarzt der betroffenen Familie schien dem Disponenten der Notrufzentrale nicht bekannt gewesen zu sein. So wandte sich &bdquo;144 Notruf Nieder&ouml;sterreich&ldquo; an meine Nummer. Diese Berufung platzte in die laufende Ordinationst&auml;tigkeit. Der Warteraum war gesteckt voll. Nach knapp 5 Kilometern Fahrt stand ich vor dem Haus, in dem die Trag&ouml;die stattfand. Schon im Vorgarten waren Schreie zu h&ouml;ren. Die Gattin hatte zusammen mit der behinderten Tochter den t&ouml;dlichen Kopfschuss im Nebenzimmer mit anh&ouml;ren m&uuml;ssen. Panik war ausgebrochen. Die Ehefrau wurde von Weinkr&auml;mpfen gesch&uuml;ttelt, ihre Tochter schrie laut. 20 Minuten lang versuchte ich, als Krisenmanager ohne spezielle Ausbildung, mein Bestes. Schlie&szlig;lich traf der Bestatter, von einem vormitt&auml;glichen Begr&auml;bnis abberufen, am Ort des Geschehens ein und leistete mir volle Unterst&uuml;tzung. Nichtsdestoweniger h&auml;tten wir damals einen Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams vom Roten Kreuz, so er rasch verf&uuml;gbar gewesen w&auml;re, mit offenen Armen empfangen, denn bei Vorf&auml;llen wie diesem ist jede zus&auml;tzliche Unterst&uuml;tzung ein Segen.</p> <h2>Suizidpr&auml;vention durch Zwangseinweisung</h2> <p>Eine ganz besondere Herausforderung stellt der Umgang mit jenen Patienten dar, die vor Zeugen ihren Freitod ank&uuml;ndigen. Da kann der herbeigerufene Allgemeinmediziner in die Bredouille kommen. Um einen fatalen Ausgang zu verhindern, muss hier oft das Unterbringungsgesetz Anwendung finden: Einweisung gegen den Willen des Suizidpatienten auf eine psychiatrische Abteilung. Als nieder&ouml;sterreichischer Gemeindearzt nach der &bdquo;alten&ldquo; Version stand mir diese M&ouml;glichkeit offen. Was das bedeutet, wenn der Einzuweisende zum Bekanntenkreis geh&ouml;rt, braucht nicht extra betont zu werden. Der herbeigerufene Arzt hat zwischen Pest und Cholera zu w&auml;hlen. Unterl&auml;sst er die Zwangseinweisung und der Begutachtete vollzieht danach die Selbstt&ouml;tung, kann es ein gerichtliches Nachspiel geben. Im Juli 2017 ging ein Vorarlberger Zivilprozess durch die Medien, bei dem f&uuml;r den Freitod eines 69-J&auml;hrigen die vorher herbeigerufene &Auml;rztin verantwortlich gemacht wurde. Familienangeh&ouml;rige des Verstorbenen werfen der sogenannten &bdquo;Pool&auml;rztin&ldquo; vor, eine angeblich notwendige Zwangseinweisung in die Psychiatrie des Landeskrankenhauses Rankweil unterlassen zu haben. Am 22. August 2016 riefen Familienangeh&ouml;rige die Polizei um Hilfe. Grund: Der depressive Vater hatte seinen Selbstmord angek&uuml;ndigt. Die Pool&auml;rztin wurde beigezogen. Zwei Stunden nach der Untersuchung nahm sich der Mann das Leben. Er ertrank im Bodensee. Der Sohn des Verstorbenen forderte bei der ersten Verhandlung im Juli 2017 einen Schadenersatz von 22 000 Euro. Darin waren unter anderem die Kosten f&uuml;r die Beerdigung des Vaters in der T&uuml;rkei enthalten. &Uuml;ber den weiteren Verlauf des Verfahrens ist zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieser Ausgabe nichts bekannt.</p> <h2>&Ouml;3-Star Robert Kratky als selbsternannter Nothelfer</h2> <p>Au&szlig;enstehenden fehlt oft der Einblick in die hochkomplexe Suizidproblematik. Am Ende meiner Ausf&uuml;hrungen steht das aufrechte Angebot eines &Ouml;3-Stars. Die Bewertung dieses Angebots sei jedem Leser selbst &uuml;berlassen. Wir blenden in den Sommer zur&uuml;ck. Am 20. Juli beging Chester Bennington, der von Drogen- und Alkoholsucht gebeutelte S&auml;nger der Rockband &bdquo;Linkin Park&ldquo;, Suizid. W&auml;hrend &Ouml;1- H&ouml;rer den Kopf sch&uuml;ttelten, weil sie mit dem Namen des K&uuml;nstlers nichts anfangen konnten, traf die Todesmeldung Nu-Metal-Fans unter den &Ouml;3-H&ouml;rern mitten ins Herz. F&uuml;r sie z&auml;hlt Linkin Park zu den erfolgreichsten Rockbands der Welt. Erst einen Monat zuvor, am 14. Juni, hatten sie im Kreise von 50 000 Gleichgesinnten die Gelegenheit gehabt, dem nunmehr freiwillig aus dem Leben Geschiedenen auf dem Nova-Rock-Festival in Nickelsdorf zuzujubeln. Ein typisches Medienph&auml;nomen setzte ein: das Hochleben-Lassen eines bis dahin nahezu Unbekannten wegen seines pl&ouml;tzlichen, spektakul&auml;ren Ablebens.<br /> Als Begleiterscheinung der Berichterstattung wurde das Thema &bdquo;Freitod&ldquo; aufgegriffen. So fasste zum Beispiel die ehrw&uuml;rdige &bdquo;Frankfurter Allgemeine Zeitung&ldquo; Verhaltensregeln in Sachen Suizidgefahr in einem Kasten zusammen. Dabei wurden unter anderem mehrere telefonische Notdienste aufgelistet. &Uuml;berschrift: &bdquo;Hilfe bei Suizidgedanken&ldquo;. Auch Radiosender besch&auml;ftigten sich pl&ouml;tzlich mit den zahlreichen Formen der Depression. So lag f&uuml;r den Hitsender &Ouml;3 nichts n&auml;her, als wieder einmal die sperrige Kummernummer in Erinnerung zu rufen. Wer die Zahlenfolge dieser Telefonnummer frei im Ged&auml;chtnis hat, kann nicht zum Personenkreis der schwer Depressiven gez&auml;hlt werden: &bdquo;116 123&ldquo;. Anrufe unter dieser Nummer werden an geschulte Rotkreuz-Mitarbeiter weitergeleitet. Nachteil dieses Telefondienstes: Er ist nur zwischen 16 Uhr und 24 Uhr in Betrieb. Am Tag nach Benningtons Selbstmord richtete &Ouml;3-Moderator Kratky in seiner Sendung eindringliche Worte an die H&ouml;rer. Ein Suizid w&auml;re nichts Heldenhaftes. Der &Ouml;3-Star bot zum Abschluss des Statements seine Hilfe an: &bdquo;Sollten Sie gerade in einer Situation sein, wo Sie glauben, es gibt keinen Ausweg: Im allerschlimmsten Fall rufen Sie mich pers&ouml;nlich an!&ldquo;</p></p>
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