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Apomorphin bei fortgeschrittenem Parkinsonsyndrom

<p class="article-intro">Spätkomplikationen wie motorische Fluktuationen sind ein weitverbreitetes Problem nach jahrelanger Levodopa-Therapie. Apomorphin ist als wirksamster Dopaminagonist eine sehr gute und häufig unterschätzte Alternative zur invasiven Therapie in der Symptomkontrolle bei langjähriger Parkinsonerkrankung.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Apomorphin geh&ouml;rt zu den am schnellsten wirkenden Parkinsonmedikamenten (5&ndash;15 Minuten).</li> <li>Apomorphin-Injektionen beenden bis zu 95 % aller Off-Phasen.</li> <li>Die Ersteinstellung sollte durch einen erfahrenen Neurologen oder in einem Zentrumsspital erfolgen.</li> </ul> </div> <h2>Einf&uuml;hrung und Pharmakologie</h2> <p>Apomorphin ist das &auml;lteste Medikament zur Parkinsontherapie und wird bereits seit Jahrhunderten wegen seiner sedativen, emetischen und psychotischen Wirkung verwendet. Allerdings blieb die Wirkung auf das Bewegungssystem bis Mitte des 19. Jahrhunderts unbekannt; erst 1951 erfolgte der erste Nachweis von Rigidit&auml;ts- und Bewegungsverbesserung in Tierversuchen. Wegen seiner vielen Nebenwirkungen und des gleichzeitigen Aufschwungs von Levodopa dauerte es allerdings bis 1979, bis die ersten erfolgreichen Behandlungen bei Patienten mit Morbus Parkinson &ndash; mit subkutanem Apomorphin in Kombination mit Domperidon &ndash; von einer italienischen Arbeitsgruppe publiziert wurden. Seitdem ist Apomorphin ein fixer Bestandteil der fortgeschrittenen medikament&ouml;sen Parkinsontherapie.</p> <p>Seine Wirkung entfaltet Apomorphin haupts&auml;chlich durch seine Dopamin-&auml;hnliche Molekularstruktur. Im Gegensatz zu anderen Dopaminagonisten, wie Pramipexol und Ropinirol, welche limitiert &uuml;ber den D2- und D3-Rezeptor wirken, entfaltet Apomorphin seine Wirkung als einziger Dopaminagonist auf alle Dopaminrezeptoren (D1, D2, D3, D4, D5). Durch vergleichbare Affinit&auml;t zum D1-Rezeptor kombiniert Apomorphin damit die Wirkung auf die motorischen Parkinsonsymptome von Levodopa mit einem Dopaminspeichernden Effekt am nigrostriatalen System aufgrund seiner D2Sh-Wirkung.</p> <p>Apomorphin &uuml;berbr&uuml;ckt dank seiner lipophilen Struktur rasch die Blut-Hirn- Schranke und entfaltet bereits 5&ndash;15 Minuten nach subkutaner Applikation seine Wirkung im Gehirn. Somit wirkt Apomorphin fast dreimal so schnell wie l&ouml;sliches Madopar &ndash; unabh&auml;ngig vom gastrointestinalen System.</p> <p>Aufgrund der unspezifischen Wirkung und des multilokul&auml;ren Vorhandenseins von Dopaminrezeptoren im zentralen Nervensystem f&uuml;hrt Apomorphin allerdings auch zu Nebenwirkungen, welche ohne medikament&ouml;se Vorbereitung zu einer deutlichen Therapieeinschr&auml;nkung f&uuml;hren w&uuml;rden. Die g&auml;ngigste Nebenwirkung ist &ndash; wegen der Wirkung auf die Area postrema &ndash; sicherlich &Uuml;belkeit und Erbrechen. Seltener kann es allerdings auch zu Impuls- Kontroll-St&ouml;rungen &uuml;ber das limbische System (D3-Rezeptor) f&uuml;hren. Obwohl derzeit noch keine Studien vorliegen, k&ouml;nnte die geringere D3:D2-Ratio eine geringere Impuls-Kontroll-St&ouml;rung durch Apomorphin im Vergleich zu anderen Dopaminagonisten bedeuten.</p> <p>Durch den ausgepr&auml;gten hepatischen First-pass-Effekt von Apomorphin ist eine subkutane oder intraven&ouml;se Applikation bis dato unabdingbar. Die damit verbundenen Hautver&auml;nderungen (von harmlosen Hautkn&ouml;tchen bis zu Nekrosen und Abszessen) f&uuml;hren, wenn sie auch deutlich seltener geworden sind, zu den h&ouml;chsten Abbruchraten im Vergleich aller Nebenwirkungen. Die gef&auml;hrliche h&auml;molytische An&auml;mie ist eine seltene und kaum gesehene Nebenwirkung.</p> <h2>Anwendungsgebiet und Zukunftsaussicht</h2> <p>Wegen des Wirkungsverlusts von Levodopa und des Auftretens von Sp&auml;tkomplikationen beim fortgeschrittenen Parkinsonsyndrom etablierte sich Apomorphin vor allem als Rescue-Medikation bei morgendlichen Akinesien und Off-Phasen.</p> <p>Dies ist auch in mehreren Open-Label- Studien beschrieben. Die Anwendung in der Pen-Applikationsform kann t&auml;gliche Off-Phasen im Durchschnitt bis zu 45 % reduzieren. Der gro&szlig;e Vorteil liegt dabei in der rascheren und zuverl&auml;ssigeren Wirkung im Vergleich zu l&ouml;slichem Madopar (97 % vs. 45 % Beendigung der Off- Phase). Die Dosistitration des Apomorphin- Pens kann sowohl in der Praxis als auch in einem Zentrum erfolgen. Eine Vortherapie mit Domperidon (10mg f&uuml;r mindestens 2 Tage 2&ndash;3x tgl.) und eine zuvor durchgef&uuml;hrte elektrokardiografische Kontrolle zum Ausschluss eines Long-QT-Syndroms sind dabei Voraussetzung. Zur Dosisfindung werden zuerst 2mg appliziert, dann kann alle 15 Minuten bis zu einem zufriedenstellenden Ergebnis hochtitriert werden.</p> <p>Obwohl bereits in vielen Open-Label- Studien die Verringerung der Off-Phasen gezeigt wurde, besteht bez&uuml;glich Dyskinesiereduktion eine geteilte Meinung. Vom klinischen Aspekt her werden Patienten, die bereits vor der Apomorphin-Therapie an intermittierenden (Levodopa-induzierten) Dyskinesien leiden, eine leichte Zunahme der &Uuml;berbeweglichkeit bemerken. Eine gleichzeitige Reduktion der t&auml;glichen Levodopa-Dosis kann allerdings in l&auml;ngerer Hinsicht auch zu einem R&uuml;ckgang der Dyskinesierate f&uuml;hren. Wie die ersten Ergebnisse der Toledo-Trial zeigen, kann durch Apomorphin eine signifikante Reduktion der Off-Phasen ohne vermehrtes Auftreten von behandlungsbedingten Nebenwirkungen (Dyskinesien) erreicht werden. Der Grad der Wirkung auf die &bdquo;nonmotor symptoms&ldquo; (NMS), wie M&uuml;digkeit, Blasenst&ouml;rung oder Schmerzen, ist ebenfalls in nur wenigen Studien untersucht, in diesen zeigen sich allerdings zumeist positive Ergebnisse. Eine aussagekr&auml;ftige Empfehlung kann diesbez&uuml;glich dennoch nicht abgegeben werden.</p> <p>Trotz aller Vorteile bleibt die subkutane Injektion h&auml;ufig ein gro&szlig;es Problem f&uuml;r viele Patienten, sei es aus k&ouml;rperlichen (Hautver&auml;nderungen) oder psychiatrischen Gr&uuml;nden (demenzielle Entwicklung). Aus diesem Grund scheint eine neue, derzeit in klinischen Studien gepr&uuml;fte Applikationsform (sublingual) eine zukunftsreiche Alternative darzustellen. Die Tablette wird dabei unter der Zunge appliziert und l&ouml;st sich innerhalb von 2 Minuten auf. &Uuml;ber die Schleimh&auml;ute wird der Wirkstoff aufgenommen. Die ersten Studienergebnisse zeigten dabei eine &auml;hnlich gute Wirkung wie die anderen Applikationsformen. Dennoch muss sich diese Form der Apomorphin-Gabe erst in gr&ouml;&szlig;eren placebokontrollierten randomisierten Studien beweisen und ist bis dato nur ein Zukunftsgedanke.</p> <p>Insgesamt treten Sp&auml;tkomplikationen bei ca. 80 % aller Patienten mit idiopathischen Parkinsonsyndromen nach 6-j&auml;hriger Levodopa-Therapie auf. Eine kontinuierliche dopaminerge Stimulation stellt dabei oft die einzige M&ouml;glichkeit einer Symptomlinderung dar. Dabei gibt es drei Optionen: die kontinuierliche Apomorphin- Pumpe, die jejunale Pumpentherapie mittels Duodopa und die tiefe Hirnstimulation. Obwohl keine randomisierten Vergleichsstudien existieren, stellt die Apomorphin- Pumpe als am wenigsten invasives Verfahren h&auml;ufig eine geeignete Alternative zu den anderen Verfahren dar. Der finanzielle Aspekt &ndash; eine kosteneffiziente Therapie zu etablieren &ndash; spielt eine immer gr&ouml;&szlig;ere Rolle in unserer Arbeit. Um aus gesundheits&ouml;konomischer Sicht eine Empfehlung aussprechen zu k&ouml;nnen, fehlen leider Daten dazu, welche Therapie kosteng&uuml;nstiger ist. Direkte Vergleiche lassen allerdings die Mutma&szlig;ung zu, dass zumindest ein &auml;hnlicher kosteneffizienter Aspekt von Apomorphin im Vergleich mit der Standard-Therapie vorliegt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1706_Weblinks_jatros_neuro_1706_s11_bild.jpg" alt="" width="1455" height="503" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1706_Weblinks_jatros_neuro_1706_s12_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="825" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Apomorphin kann sowohl als Pen als auch in der kontinuierlichen Injektionsform (Pumpe) bei geeigneten Patienten mit fortgeschrittenem ideopathischem Parkinsonsyndrom mit motorischen Fluktuationen zur Reduktion der t&auml;glichen Off- Dauer verwendet werden. Weiters kann die Therapie Off-Dauer und Dyskinesien bei Patienten mit schweren motorischen Komplikationen reduzieren und stellt damit eine Alternative zur Duodopa-Pumpentherapie oder tiefen Hirnstimulation dar. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf die richtige Patientenselektion gelegt werden &ndash; die Erfolgsrate ist bei selbstst&auml;ndiger Applikation h&ouml;her. Bei Patienten mit ausgepr&auml;gter orthostatischer oder neuropsychiatrischer Komponente und/ oder schwerer Demenz sollte nur in Ausnahmef&auml;llen eine Apomorphin-Therapie eingesetzt werden.</p> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>&bull; Chaudhuri KR, Ondo W: Handbook of Movement Disorders, Current Medicine Group, 2009.16. &bull; Deleu D et al.: Drugs Aging 2004; 21: 687-709 &bull; Dewey RB et al.: Arch Neurol 2001; 58: 1385-92 &bull; Drapier S et al.: Parkinsonism Relat Disord, 2012; 18(1): 40-4 &bull; Garcia Ruiz PJ et al.: Mov Disord 2008; 23(8): 1130-6 &bull; Hisahara S et al.: Int J Med Chem 2011; doi: 10.1155/2011/403039 &bull; Hauser RA et al.: Mov Disord 2016; 31(9): 1366-72 &bull; Isaacson SH et al.: Mov Disord Clin Pract 2016; doi: 10.1002/mdc3.12350. &bull; Jenner P, Katzenschlager R: Parkinsonism Relat Disord 2016; 33 Suppl 1: S13-S21 &bull; Kempster PA et al.: J Neurol Neurosurg Psychiatry 1990; 53(11): 1004-7 &bull; Manson AJ et al.: Mov Disord 2002; 17(6): 1235-41 &bull; Menon R, Stacy M: Expert Opin Pharmacother 2007; 8(12): 1941-50 &bull; Ostergaard L et al.: J Neurol Neurosurg Psychiatry 1995; 58(6): 681-7 &bull; Pahwa R et al.: J Neurol Sci 2007; 258(1-2): 137-43 &bull; Pietz K et al.: J Neurol Neurosurg Psychiatry 1998; 65(5): 709-16 &bull; Stibe CM et al.: Lancet 1988; 1(8582): 403-6 &bull; Van Laar T et al.: Clin Neurol Neurosurg, 1993; 95(3): 231-5&bull; Walter E, Odin P: J Med econ 2015; 18(2): 155-65</p> </div> </p>
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