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Leitlinien: Updates und Praxisrelevantes

<p class="article-intro">Der diesjährige Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie stand unter dem Motto «Urologie: für alle, für jeden, für uns». Passend dazu befassten sich gleich mehrere Sitzungen mit praxisrelevanten Aspekten der verschiedenen Leitlinien und lieferten zudem aktuelle Updates. Eine dieser Sitzungen umfasste Updates der Leitlinien zum Nierenzell- und Harnblasenkarzinom sowie die Themen Fertilitätsprotektion und Supportivtherapie.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Nierenzellkarzinom: Amendment zur Leitlinie</h2> <p>Prof. Christian Doehn, L&uuml;beck, berichtete &uuml;ber aktuelle &Auml;nderungen der Leitlinie zum Nierenzellkarzinom (RCC). Diese Leitlinie wurde erst vor zwei Jahren publiziert. Aufgrund neuer Studienergebnisse wurde jedoch ein Amendment n&ouml;tig. Die aktuellen Daten zur adjuvanten Therapie des nicht metastasierten RCC lassen noch immer keine Empfehlung f&uuml;r diese Behandlung zu. F&uuml;r die Zweitlinientherapie des metastasierten RCC wurde 2015 ein Therapieschema erarbeitet, das inzwischen &uuml;berarbeitet werden musste, da neue Substanzen f&uuml;r die Therapie zuge&shy;lassen wurden. Das aktualisierte Schema ist in Tabelle 1 dargestellt.<sup>1</sup> Keine &Auml;nderungen gab es dagegen bei der Erstlinientherapie. Allerdings seien seitdem mehrere Studien publiziert worden, die erneute &Auml;nderungen erforderlich machen w&uuml;rden. Die erste, eine Phase-III-Studie, in der der neue Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) Tivozanib mit Sorafenib bei Patienten mit metastasiertem RCC verglichen wurde, f&uuml;hrte zur Zulassung der Substanz. Tivozanib zeigte dabei sowohl bei Patienten, die nicht vorbehandelt waren, als auch bei Patienten nach einer Zytokintherapie ein verl&auml;ngertes progressionsfreies &Uuml;berleben (PFS), hatte jedoch keine Vorteile beim Gesamt&uuml;berleben (OS).<sup>2</sup> Allerdings zeigten weitere Analysen, dass Patienten nach Tivozanib seltener eine Zweit- oder Drittlinientherapie ben&ouml;tigten als nach Sora&shy;fenib.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Uro_1703_Weblinks_s18_1.jpg" alt="" width="1419" height="730" /><br />Eine weitere Substanz, die bereits f&uuml;r die Zweitlinientherapie zugelassen ist, wurde nun auch f&uuml;r die Erstlinienbehandlung getestet: Cabozantinib. In der zugrunde liegenden Studie waren, anders als sonst &uuml;blich, Patienten mit intermedi&auml;rem und hohem Risiko in einer Gruppe zusammengefasst und analysiert worden. Dies f&uuml;hrte dazu, dass Cabozantinib beim PFS und OS der Vergleichssubstanz Sorafenib &uuml;berlegen war. Eindeutig war auch der Vorteil von Cabozantinib bei der Gesamtansprechrate (ORR): Sie lag bei 46 % (vs. 18 % ).<sup>3</sup> Die dritte Studie, die in der Zwischenzeit neue Ergebnisse bei der Behandlung des fortgeschrittenen oder metastasierten RCC brachte, verglich die Kombination von Nivolumab und Ipilimumab mit Sunitinib. Die Kombination zeigte Vorteile beim PFS und beim OS, aber besonders hob Doehn hervor, dass es erstmals gelungen war, nach einer Vorbehandlung mit Interleukin 2 Komplettremissionen zu erreichen.<sup>4</sup> Schliesslich wies Doehn noch auf die Patientenleitlinien hin, die er seinen Kollegen zur Information der Patienten ans Herz legte.</p> <h2>Harnblasenkarzinom: ein Update</h2> <p>Prof. Margitta Retz, M&uuml;nchen, stellte zun&auml;chst die soeben erschienene Patientenleitlinie vor, die beim Kongress erstmals ausgeh&auml;ndigt wurde. Retz wies besonders auf die Checklisten, praktischen Tipps und Frageb&ouml;gen zum Vorbereiten des Gespr&auml;chs mit dem Arzt hin. Ein anderes wichtiges Thema sei die Nachsorge, weil dabei selbst niedergelassene &Auml;rzte nicht immer sicher seien, was den Patienten wann angeboten werden sollte, sagte Retz. Sie empfahl die Brosch&uuml;re nicht nur f&uuml;r die Patienteninformation, sondern auch f&uuml;r junge Assistenz&auml;rzte. Kritisch merkte sie an, dass kein Hinweis auf neue Therapieformen wie die Immuntherapie enthalten sein durfte, da diese auch noch nicht in der im vergangenen Jahr ver&ouml;ffentlichten &Auml;rzteleitlinie erw&auml;hnt wurde. Die US-amerikanischen NCCN-Leitlinien seien da schon weiter, betonte Retz. Sie empfehlen f&uuml;r Patienten, die nicht f&uuml;r eine Cisplatin-Therapie geeignet sind, in der Erstlinienbehandlung zus&auml;tzlich auch Atezolizumab und Pembrolizumab. F&uuml;r die Zweitlinientherapie haben die NCCN-Leitlinien alle bereits zugelassenen Substanzen in ihre Empfehlungen aufgenommen, darunter Pembrolizumab, Atezolizumab, Durvalumab, Nivolumab und Avelumab. Da die Zulassungen der Wirkstoffe oftmals aufgrund von Phase-II-Studien erfolgten, sei der Empfehlungsgrad f&uuml;r die neuen Medikamente allerdings lediglich 2A, betonte Retz.</p> <h2>Krebs behandeln &ndash; Fertilit&auml;t erhalten</h2> <p>Prof. Sabine Kliesch, M&uuml;nster, befasste sich mit der S2k-Leitlinie zur Fertilit&auml;tsprotektion. In Deutschland treten von insgesamt rund 450 000 Krebsneuerkrankungen etwa 78 000 bei Patienten auf, die j&uuml;nger als 40 Jahre sind. Da Tumortherapien h&auml;ufig zur Sch&auml;digung der Gonaden f&uuml;hren, m&uuml;ssten gerade die j&uuml;ngeren Patienten hinsichtlich der M&ouml;glichkeiten einer Fertilit&auml;tsprotektion aufgekl&auml;rt werden, sagte Kliesch. Allerdings gehe aus einer Umfrage anl&auml;sslich der Publikation der US-Guidelines zur Fertilit&auml;tsprotektion hervor, dass nur 39 % der Onkologen ihre Patienten dahingehend aufkl&auml;ren.<sup>5</sup> Die erste Empfehlung der deutschen Leitlinie lautet daher, dass rechtzeitig vor einer Tumortherapie mit den Patienten &uuml;ber das Risiko einer m&ouml;glichen Unfruchtbarkeit und die Auswahl der Methode zum Erhalten der Fruchtbarkeit gesprochen werden soll. Eine aktuelle Studie st&uuml;tzt dieses Vorgehen. Sie belegt, dass bei M&auml;nnern, die als Heranwachsende an Krebs erkrankten, die Wahrscheinlichkeit eigener Kinder im Vergleich zu Frauen deutlich reduziert ist (HR: 0,65 vs. 0,79).<sup>6</sup> Die Leitlinie geht auf die unterschiedlichen Ursachen f&uuml;r eine Unfruchtbarkeit ein. Kliesch wies besonders darauf hin, dass auch einseitige Orchiektomien zu einer dauerhaft beeintr&auml;chtigten Fertilit&auml;t f&uuml;hren k&ouml;nnen. Dies gelte generell f&uuml;r alle Eingriffe im kleinen Becken, da diese Ejakulationsst&ouml;rungen verursachen k&ouml;nnten, betonte sie. Die neuen zielgerichteten Therapien und Immuntherapien sind laut Kliesch noch nicht so umfassend hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit untersucht. Die vorliegenden Daten deuteten aber auf ein geringeres Risiko hin.</p> <h2>S3-Leitlinie &laquo;Supportive Therapie&raquo;</h2> <p>Auch f&uuml;r die Begleittherapie von Nebenwirkungen gibt es eine aktuelle S3-Leitlinie<sup>7</sup>, die von Dr. med. Chris Protzel, Schwerin, vorgestellt wurde. Dabei stand die Antiemesis im Vordergrund, da &Uuml;belkeit und Erbrechen zu den h&auml;ufigsten Nebenwirkungen von Krebstherapien z&auml;hlen. Die Leitlinie bietet eine gute Klassifikation des Emesisrisikos und der jeweils ausl&ouml;senden Substanzen (Tab. 2). Anhand dieser Einteilung wird eine Emesisprophylaxe mit 5-HT<sup>3</sup>-Rezeptor-Antagonisten (5-HT<sup>3</sup>-RA) und Dexamethason vor Therapiebeginn bei allen Substanzen empfohlen, von denen ein moderates Emesisrisiko ausgeht. Kommt es trotz optimaler Antiemese zu &Uuml;belkeit und/oder Erbrechen, sollte Olanzapin als Rescue-Anti&shy;emese Metoclopramid vorgezogen werden (&laquo;off-label use&raquo;!).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Uro_1703_Weblinks_s18_2.jpg" alt="" width="1419" height="657" /><br />&laquo;Heiss diskutiert wurden auch die Optionen f&uuml;r tumortherapieinduzierte An&auml;mien, vor allem die Erythropoese-stimulierenden Agenzien (ESA)&raquo;, sagte Protzel. Nach Sichtung der sehr umfangreichen Literatur zu diesem Thema formulierten die Autoren der Leitlinie eine Kannempfehlung: &laquo;Zur Therapie der Chemotherapie-induzierten An&auml;mie kann eine ESA-Gabe erwogen werden.&raquo; Dabei muss der Patient &uuml;ber den m&ouml;glichen Nutzen wie die Verbesserung der Lebensqualit&auml;t und die Risiken der Behandlung, zum Beispiel Thromboembolien, informiert werden.<br />Auch zur Prophylaxe der Polyneuropathie &auml;ussert sich die S3-Leitlinie: &laquo;Es besteht keine wirksame medikament&ouml;se Prophylaxe der Chemotherapie-induzierten Polyneuropathie.&raquo; Entscheidend sei die nicht medikament&ouml;se Prophylaxe durch geeignetes Funktionstraining, so Protzel. Therapeutisch steht ebenfalls die Bewegungstherapie, beispielsweise Balance&uuml;bungen, sensomotorisches und Vibrationstraining sowie Training der Koordination und Feinmotorik, im Vordergrund. F&uuml;r die Behandlung neuropathischer Schmerzen kann das Antidepressivum Duloxetin, ein SSNRI (selektiver Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor), im &laquo;off-label use&raquo; erwogen werden. Ebenfalls eine Kannempfehlung erhielt der topische Einsatz von 1 % igem Menthol zum Einreiben der schmerzenden Areale. Protzel ging auch kurz auf die Prophylaxe und Therapie der Mukositis ein. Hier werden regelm&auml;ssige Mundsp&uuml;lungen mit Wasser oder 0,9 % iger NaCl-L&ouml;sung sowie das K&uuml;hlen durch Lutschen von Eisw&uuml;rfeln (vor allem bei Chemotherapie mit 5-Fluorouracil) empfohlen. <br />Ein grosses Thema sind die Prophylaxe und Therapie von oss&auml;ren Komplikationen. Zur Pr&auml;vention sollte eine osteoprotektive Therapie mit Bisphosphonaten bzw. Denosumab unter Ber&uuml;cksichtigung der unterschiedlichen Daten f&uuml;r die verschiedenen Entit&auml;ten erfolgen. Therapieoptionen sind die medikament&ouml;se Schmerztherapie, die lokale Bestrahlung, operative Interventionen und die systemische Tumortherapie &ndash; wobei unter anderem Radionuklide und Bisphosphonate oder Denosumab genannt werden. Aufgrund der Entwicklung neuer Medikamente, die mit zum Teil bisher nicht &uuml;blichen Nebenwirkungen einhergehen, ist &laquo;nach der Leitlinie vor der Leitlinie&raquo;, betonte Protzel. Trotz aller zielgerichteten Therapien sollte man die supportive Therapie nicht aus den Augen verlieren, schloss er.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 69. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie, Akademie-Forum Onkologie «Praxisrelevantes und Neues aus den Leitlinien zur Onkologie», 20.–23. September 2017, Dresden </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong>&nbsp;Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Nierenzellkarzinoms, Langversion 1.2, 2017, AWMF-Registernummer: 043/017OL, <a href="http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Nierenzellkarzinom.85.0.html">http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Nierenzellkarzinom.85.0.html</a> (Zugriff am 24. 10. 2017) <strong>2</strong>&nbsp;Motzer RJ et al.: Tivozanib versus sorafenib as initial targeted therapy for patients with metastatic renal cell carcinoma: results from a phase III trial. J Clin Oncol 2013; 31: 3791-9 <strong>3</strong>&nbsp;Choueiri TK et al.: Cabozantinib versus sunitinib as initial targeted therapy for patients with metastatic renal cell carcinoma of poor or intermediate risk: the Alliance A031203 CABOSUN trial. J Clin Oncol 2017; 35: 591-7 <strong>4</strong>&nbsp;Escudier B et al.: CheckMate 214: efficacy and safety of nivolumab + ipilimumab (N+I) v sunitinib (S) for treatment-na&iuml;ve advanced or metastatic renal cell carcinoma (mRCC), including IMDC risk and PD-L1 expression subgroups. ESMO 2017, LBA5 <strong>5</strong>&nbsp;Nangia AK et al.: Clinical guidelines for sperm cryopreservation in cancer patients. Fertil Steril 2013; 100: 1203-9 <strong>6</strong>&nbsp;Armuand G et al.: Reproductive patterns among childhood and adolescent cancer survivors in Sweden: a population-based matched-cohort study. J Clin Oncol 2017; 35: 1577-83 <strong>7</strong>&nbsp;Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen &ndash; Langversion 1.1, 2017, AWMF-Registernummer: 032/054OL, <a href="http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Supportive-Therapie.95.0.html">http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Supportive-Therapie.95.0.html</a> (Zugriff am 24. 10. 2017)</p> </div> </p>
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