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Ergebnisse schaftfreier inverser Schulterprothesen im Vergleich zu schaftgeführten Systemen

<p class="article-intro">Die schaftfreie anatomische Schulterendoprothetik ist mittlerweile etabliert und auch im inversen Bereich gibt es Erfahrungen von mehr als 10 Jahren. In eigenen Vergleichsuntersuchungen wurde geprüft, ob schaftfreie inverse Prothesen im Vergleich zu schaftgeführten mittelfristig gute oder sogar bessere Ergebnisse liefern. </p> <hr /> <p class="article-content"><p>Im Bereich der Schulterendoprothetik besteht seit 2004 ein deutlicher Trend zu schaftfreier Versorgung. Speziell im anatomischen Versorgungsbereich haben viele Implantathersteller mittlerweile eine solche im Portfolio, mit teils erheblichen Unterschieden in Verankerungsart und Form. Mehrfach haben Studien hierzu sehr gute Ergebnisse gezeigt, die Nachteile der Schaftf&uuml;hrung konnten vermindert werden. <br />Die sogenannte zweite Generation von schaftfreien Implantaten bietet auch eine Konversion von anatomisch auf invers (Churchill, Athwal CRMM 2016). Im inversen Bereich gibt es zunehmend Interesse und Erfahrungen, aber bislang noch wenige Studien und nur wenige Anbieter. Bessere Voraussetzungen f&uuml;r Folgeeingriffe, Knochenerhalt und geringere Notching-Raten sollen aus der anatomiegerechteren Implantation und proximalen Verankerung ableitbar sein. In eigenen Vergleichsuntersuchungen wurde gepr&uuml;ft, ob schaftfreie inverse Prothesen im ausgew&auml;hlten Patientengut mittelfristig vergleichbar gute oder bessere Ergebnisse bieten.</p> <h2>Was ist schaftfrei, weshalb schaftfrei?</h2> <p>Von schaftfreier Versorgung spricht man bei rein metaphys&auml;rer Verankerung der Prothese ohne Er&ouml;ffnung der Diaphyse. Die Prim&auml;rfixation beruht auf einer Pressfittechnik in zementfreier Form und wird spongi&ouml;s eingebracht. Trabekul&auml;res Titan (SMR, Lima Corporate), Plasmaspraying oder Hydroxylapatit-Beschichtungen (TESS, Zimmer Biomet) unterst&uuml;tzen den Einheilungsvorgang oder wirken osteokonduktiv, und Mikromotionen erhalten die periprothetischen Knochenanteile.<br />Bei Schaftf&uuml;hrung f&uuml;hrt eine Ableitung der Kr&auml;fte in die Diaphyse im Langzeitverlauf &ndash; aufgrund einer Minderung der Mikrobewegungen &ndash; zum Knochenabbau im proximalen Bereich des Humerus (Stressshielding bis zu 80 % ) und erh&ouml;ht das Komplikationsrisiko im Revisionsfall deutlich (bis zu 16 % intraoperative Schaftfrakturen bei Revisionen: Sperling et al., CORR 2015). <br />Im Hinblick auf die steigende Lebenserwartung der Bev&ouml;lkerung und die wachsenden Aktivit&auml;tslevel und Anspr&uuml;che unserer Patienten sollte in unsere &Uuml;berlegungen einflie&szlig;en, dass auch im periprothetischen Frakturfall (bis 2,3 % ) die Notwendigkeit langstreckiger Zug&auml;nge mit Knochenverlust und erh&ouml;hten Komplikationszahlen besteht.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1706_Weblinks_s37_1.jpg" alt="" width="2150" height="767" /></p> <h2>Vorteile schaftfreier Prothesen</h2> <p>Operative Vorteile betreffen die einfache anatomische Positionierungsm&ouml;glichkeit und Anpassung an eventuelle fehlverheilte kn&ouml;cherne Situationen. Das anatomische posteriore und mediale Offset des Kopfes (0,1&ndash;5,4mm) in Bezug zur Schaftachse l&auml;sst sich durch schaftfreie Systeme besser rekonstruieren und die individuelle weichteilige Anatomie besser respektieren. Zeitersparnis und Minderung intraoperativer Komplikationen wie Schaftsprengungen (bis 2,3 % ) sind bekannt. Der Verlust der Tuberkula durch schaftgef&uuml;hrtes Aufreamen der Metaphyse oder schwierige varische oder zu proximale Positionierungen der Schaftprothese sind dadurch vermeidbar.</p> <h2>Nachteile schaftfreier Prothesen</h2> <p>Noch besteht kein klares reproduzierbares Kriterium zur Bestimmung der Knochenqualit&auml;t f&uuml;r eine schaftfreie Versorgung. Pr&auml;operative Messungen der Knochendichte oder des &bdquo;deltoid tuberosity index&ldquo; (Spross et al., CORR 2015) geben Anhaltspunkte zur Beurteilung des Knochens, aber bilden insbesondere die Strukturen der Metaphyse nicht ab. Sie erlauben auch keine R&uuml;ckschl&uuml;sse auf das oss&auml;re Heilungspotenzial. Derzeit bleiben nur die subjektive Beurteilung der Spongiosaqualit&auml;t nach Resektion der Kalotte mittels Fingerdruck und der Ausschluss von kn&ouml;chernen Defektsituationen bei zystischen Ver&auml;nderungen oder Verletzungen/Frakturen der Integrit&auml;t des kortikalen Ringes. Eine vorsichtige Pr&auml;paration und ein gutes Pressfit von weniger als 150&micro;m Spaltbildung sind Voraussetzung f&uuml;r eine gute Einheilung im spongi&ouml;sen Knochen. Eine Kompaktierung mittels Knochenchips ist derzeit nicht nachweisbar vorteilhaft. Jedenfalls sind eine gesunde Knochenheilung und Durchblutung Voraussetzung f&uuml;r die Einheilung der metaphys&auml;ren Komponente.<br />Die radiologischen Erfahrungen haben gezeigt, dass schaftfreie Designs eine Streustrahlung/Artefakte vornehmlich in Zone 1 und 2 erzeugen k&ouml;nnen, die als Minderung der Knochenqualit&auml;t um bis zu 23 % interpretiert wurden (Churchill RS, JBJS 2016; Collin P, Int Orth 2017). Bei entsprechender Anpassung des R&ouml;ntgens mittels Verringerung der R&ouml;hrenspannung (KV) lassen sich deutlich bessere Bildgebungen erreichen.</p> <h2>Eigene Vergleichsergebnisse schaftfrei versus schaftgef&uuml;hrt</h2> <p>Im Rahmen von Nachuntersuchungen (R&uuml;cklaufquote von 68 % ) der fr&uuml;hen und mittelfristigen Ergebnisse wurden die Patienten nach schaftfreier inverser Prothesenversorgung durch einen unabh&auml;ngigen Untersucher klinisch und radiologisch nachuntersucht und die Ergebnisse von 2006 bis 2013 mit Patienten nach schaftgef&uuml;hrter inverser Versorgung direkt gematcht. Das Patientenalter lag im Durchschnitt bei 74,5 Jahren; das Geschlechterverh&auml;ltnis lag bei 2,3:1 (w:m). Die OP-Indikation wurde auf Cuffarthropathien ohne Voroperationen festgelegt, und Patienten mit Frakturen, rheumatischen Erkrankungen, zystischen Ver&auml;nderungen und nierenerkrankte Patienten wurden ausgeschlossen. 6 Patienten waren zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung bereits verstorben. 7 Patienten waren nicht zur Vorstellung verf&uuml;gbar, sie teilten jedoch telefonisch ihre hohe Zufriedenheit mit.<br />Die R&ouml;ntgenuntersuchungen (true-ap und axial) wurden von unabh&auml;ngigen Radiologen auf Zeichen von Osteolyse, Migration und Radioluzenzen beurteilt. Zus&auml;tzlich wurden der Inklinationswinkel (&bdquo;neck shaft angle&ldquo;, NSA), die Lateralisierung und auch die subacromiale Distanz vermessen.<br />In den klinischen Ergebnissen zeigten sich sehr zufriedenstellende Werte mit einer sehr hohen Zufriedenheit der Patienten von 1,1 (stemless) zu 1,4 (stem), einer VAS von 0,4 (stemless) zu 1,2 (stem) und einem SSV von 86,6 (stemless) zu 82,4 (stem). Der Constant-Score lag bei 65,4 (stemless) zu 64,6 (stem), der ASES bei 76,2 versus 78,0. Auch bilateral versorgte Patienten unter h&auml;ufiger Verwendung von zwei Unterarmkr&uuml;cken zeigten sich sehr zufrieden.<br />Im Funktionstest fanden sich sehr gute Werte mit einem Trend zu besseren Werten der IRO und Flexion in der schaftfreien Gruppe bei FLEX 7,9:7,0, ABD 6,9:6,8, ER 6,6:7,3 und IR 5,3:4,2.<br />Die OP-Dauer war im schaftfreien Bereich mit durchschnittlich 80,5 versus 109,5 Minuten deutlich geringer. Bluttransfusionen wurden in der schaftfreien Gruppe nicht ben&ouml;tigt, in der schaftgef&uuml;hrten Gruppe waren sie zweimal erforderlich.<br />An Komplikationen fanden sich in der schaftfreien Gruppe ein symptomatisches Os acromiale mit folgender Pin-Cerclage und eine traumatische Schulterluxation nach Sturz 4 Jahre postoperativ. Diese konnte unkompliziert mittels Inlaywechsel und SSC-Refixation bei stabilem Invers-Body versorgt werden. In der Schaftgruppe fanden sich zwei H&auml;matome, eine Par&auml;sthesie und ein symptomatisches Schnappen bei medialisiertem Drehzentrum, die zwei H&auml;matomdrainagen und einen Inlaywechsel nach sich zogen. <br />Vollst&auml;ndige Prothesenlockerungen mit folglicher Revisionsnotwendigkeit kamen in beiden Gruppen nicht vor.<br />Die radiologischen Ergebnisse zeigten hinsichtlich des &bdquo;inferior notching&ldquo; in der schaftfreien Gruppe nur Notching vom Grad 1, und zwar in 8,5 % . In der schaftgef&uuml;hrten Gruppe fand sich Notching Grad 1 in 20 % , Grad 2 in 17 % und Grad 3 in 13 % . Weiters zeigten sich in der Schaftgruppe eine verst&auml;rkte Medialisierung und eine erh&ouml;hte subacromiale Distanz. Fragliche partielle Osteolysen fanden sich in der Stemless-Gruppe nur einmal in Zone 4 und zweimal in Zone 1, in der Schaftgruppe dreimal in Zone 1 und viermal in Zone 2. Ein Knochenabbau konnte bei der Stemless-Gruppe nicht gefunden werden. Am auff&auml;lligsten zeigte sich der Unterschied der schaftfreien Inklination beim NSA von durchschnittlich 134,4&deg; (116&deg;&ndash;152&deg;) versus 155&deg; fixem Winkel der Schaftprothesen (Abb. 4).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1706_Weblinks_s37_2.jpg" alt="" width="868" height="1613" /></p> <h2>Beurteilung und Interpretation</h2> <p>Die verwendeten schaftfreien Verankerungssysteme zeigen im ausgew&auml;hlten Patientengut in den Beobachtungen von 2006 bis heute auch f&uuml;r inverse Schulterprothesensysteme exzellente Ergebnisse bei gesicherter Prim&auml;rfixation. Der Benefit des Knochenerhaltes der Metaphyse und der Tuberkula durch Aufrechterhaltung der Mikrobewegungen kann best&auml;tigt werden.<br />Die optimierte anatomische Platzierung der Prothese scheint klinisch leichte Vorteile zu bringen. Weitere Einflussgr&ouml;&szlig;en wie die Glenosph&auml;rengr&ouml;&szlig;e, -positionierung, Medialisierung/Lateralisierung, Weichteilbehandlung und Muskelspannung erschweren jedoch die klare Beurteilung und Vergleichbarkeit. Wie stark die vermehrte Lateralisierung (+3mm bei der Stemless-Gruppe) und eine geringere Distalisierung ausschlaggebend sind, bleibt zu beobachten, da die Vergleichbarkeit von Schulterr&ouml;ntgen durch nicht standardisierte und nicht skalierte R&ouml;ntgenaufnahmen eingeschr&auml;nkt ist. Eine bessere Beurteilung von R&ouml;ntgenaufnahmen bei schaftfreien Prothesendesigns ist durch eine Ver&auml;nderung der R&ouml;ntgenstrahlenh&auml;rte (Verringerung der KV) zu erreichen (Hudek et al., JOR 2016).<br />Die Verringerung des NSA durch die variable Implantationsposition bei schaftfreien Designs zeigt im Langzeitverlauf von bis zu 10 Jahren geringere Notching-Raten bei sehr guten klinischen Ergebnissen ohne eine erh&ouml;hte Instabilit&auml;tsrate. Die Vorteile des Knochenerhalts und die Minderung von Komplikationen im Revisionsfall sind auch aus eigenen Erfahrungen eindeutig &ndash; so lassen sich k&uuml;nftig bessere Ergebnisse nach Revisionen erwarten.</p> <h2>Ausblick</h2> <p>Verbesserte und konvertierbare schaftfreie Systeme liegen im Trend und bieten potenziell Vorteile f&uuml;r den Patienten und im Revisionsfall. Im eigenen Vorgehen werden schaftfreie Systeme bevorzugt und speziell bei j&uuml;ngeren Patienten verwendet. Die Risiko-Nutzen-Abw&auml;gung und die Beurteilung der Voraussetzungen f&uuml;r ein schaftfreies Vorgehen obliegen der Erfahrung und Einsch&auml;tzung des spezialisierten Schulterchirurgen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei den Verfassern</p> </div> </p>
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