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Verletzungen des Akromioklavikulargelenkes

<p class="article-intro">Mit etwa 12 % aller Schultergürtelverletzungen sind Verletzungen des Akromioklavikulargelenkes (ACG) häufig und betreffen vor allem jüngere Patienten im Rahmen von Hochrasanztraumata. Männer sind dabei deutlich öfter betroffen als Frauen. Der aktuelle Artikel gibt eine Übersicht über Entstehung, Klassifikation, Diagnostik sowie Therapie der ACG-Verletzungen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Das Klaviertastenph&auml;nomen ist pathognomonisch f&uuml;r eine ACG-Sprengung.</li> <li>Die Beurteilung der horizontalen Instabilit&auml;t sollte klinisch sowie radiologisch mittels axialer R&ouml;ntgenaufnahmen erfolgen.</li> <li>Bei der Rockwood-Typ-III-Verletzung geht der Trend zur konservativen Therapie.</li> <li>Absolute OP-Indikationen stellen die Rockwood-Typ-IV&ndash;VI-Verletzungen dar.</li> <li>Bei jeder Operationstechnik ist ein gewisser Repositionsverlust zu erwarten.</li> </ul> </div> <h2>Anatomie</h2> <p>Das Akromioklavikulargelenk (ACG) stellt eine echte Gelenkverbindung zwischen oberer Extremit&auml;t und dem Stamm her. Es verbindet die Pars acromialis der Scapula mit dem lateralen Ende der Clavicula. Das ACG ist an beiden Knochenenden mit hyalinem Knorpel &uuml;berzogen und besitzt &ndash; um Unebenheiten auszugleichen &ndash; einen meniskoiden Discus articularis, bestehend aus Faserknorpel. Dieser bildet sich um das 30. Lebensjahr zur&uuml;ck und f&uuml;hrt unter anderem zur ACG-Arthrose, von der viele Patienten betroffen sind. Im Prinzip handelt es sich beim ACG um ein Kugelgelenk, das jedoch aufgrund der verschiedensten Band- und Muskelverbindungen zwischen Thorax und Scapula in seiner Beweglichkeit limitiert ist. Die Hauptbewegungen sind somit die Rotationsbewegung der Clavicula um die L&auml;ngsachse sowie Kippbewegungen der Scapula. Das Gelenk wird in horizontaler Ebene vom starken Lig. acromioclaviculare superior sowie vom schwach ausgepr&auml;gten Lig. acromioclaviculare inferior stabilisiert. Die vertikale Stabilit&auml;t wird von zwei korakoklavikul&auml;ren B&auml;ndern gesichert: vom Lig. conoideum, welches von der Clavicula (Tuberculum conoideum) zur Korakoidbasis zieht, sowie vom Lig. trapezoideum, das etwas weiter lateral an der Clavicula entspringt und ventral des Lig. conoideum am Processus coracoideus inseriert. Die mittlere korakoklavikul&auml;re Distanz betr&auml;gt ca. 1,3cm.</p> <h2>Unfallmechanismus</h2> <p>Der h&auml;ufigste Unfallmechanismus ist ein Sturz im Rahmen eines Hochrasanztraumas mit adduziertem Arm und direkter Krafteinwirkung auf die Schulter. Besonders gef&auml;hrdet sind Radfahrer, Mountainbiker oder Motorradfahrer. Der indirekte Mechanismus mit Sturz auf den ausgestreckten Arm ist weitaus seltener und resultiert lediglich in einer Verletzung der akromioklavikul&auml;ren B&auml;nder.</p> <h2>Klassifikation</h2> <p>Die altbekannte Tossy-Klassifikation wurde zugunsten der Rockwood-Klassifikation verlassen, da diese auch die horizontale Instabilit&auml;t miteinbezieht:</p> <ul> <li>Rockwood I: Zerrung des Bandapparates ohne ACG-Instabilit&auml;t</li> <li>Rockwood II: Ruptur der akromioklavikul&auml;ren B&auml;nder mit Teilverrenkung des ACG; der ACG-Spalt ist minimal erweitert, jedoch normaler korakoklavikul&auml;rer Abstand im Seitenvergleich.</li> <li>Rockwood III: Ruptur der akromioklavikul&auml;ren und korakoklavikul&auml;ren B&auml;nder, vollst&auml;ndige Vertikalverrenkung des ACG mit 25&ndash;100 % Tiefstand des Acromions im Seitenvergleich</li> <li>Rockwood IV: Verrenkung des ACG mit zus&auml;tzlicher horizontaler Instabilit&auml;t des lateralen Claviculaendes nach dorsal in den M. trapezius</li> <li>Rockwood V: Tiefstand des Acromions von 100&ndash;300 % im Vergleich zur gesunden Seite mit Abl&ouml;sung der Muskelans&auml;tze von M. deltoideus und M. trapezius</li> <li>Rockwood VI: Verrenkung der lateralen Clavicula unter das Acromion oder das Korakoid (sehr selten!)</li> </ul> <h2>Klinische Untersuchung</h2> <p>Neben dem Unfallmechanismus sind Druckschmerz und Schwellung &uuml;ber dem ACG sowie das sogenannte Klaviertastenph&auml;nomen pathognomonisch f&uuml;r das Vorhandensein einer ACG-Verletzung. Letzteres entsteht bei vollst&auml;ndiger Ruptur der korakoklavikul&auml;ren B&auml;nder, einerseits durch den Zug des M. sternocleidomastoideus, andererseits durch das Eigengewicht des Armes. Zumeist l&auml;sst sich in der Akutsituation lediglich die vertikale Instabilit&auml;t testen, da aufgrund der Schwellung sowie der ausgepr&auml;gten Schmerzhaftigkeit die &Uuml;berpr&uuml;fung der horizontalen Instabilit&auml;t vom Patienten nicht toleriert wird. Nach Abklingen der Schmerzsymptomatik nach einigen Tagen sollte jedoch auf diese Untersuchung nicht vergessen werden.<br />Um chronische Beschwerden im ACG zu testen, wird der &bdquo;painful arc&ldquo; verwendet, der dann positiv ist, wenn die Schmerzen erst &uuml;ber 120&deg; Abduktion auftreten. Weiters hilfreich ist der horizontale Armadduktionstest (HAAD-Test), bei dem eine passive horizontale Adduktion der betroffenen Schulter ausgef&uuml;hrt wird. Der Test ist dann positiv, wenn die Schmerzsymptomatik mit steigender Adduktion zunimmt. Schlie&szlig;lich kann auch ein Lokalan&auml;sthesie-Test durchgef&uuml;hrt werden, um eine ACG-Pathologie zu verifizieren. Ist der Patient nach intraartikul&auml;rer Applikation der Lokalan&auml;sthesie schmerzfrei, so spricht das f&uuml;r eine Affektion des ACG.</p> <h2>Bildgebung</h2> <p>Die radiologische Untersuchung erfolgt in erster Linie anhand von R&ouml;ntgenbildern der betroffenen Schulter. Aufgrund der schlechten Darstellbarkeit des ACG sollten zus&auml;tzlich spezielle Aufnahmen mit leicht gekippter R&ouml;hre (Zanca-Aufnahme) durchgef&uuml;hrt werden, um eine &Uuml;berlagerung mit der Spina scapulae zu vermeiden. Erg&auml;nzend k&ouml;nnen bei Instabilit&auml;tsverdacht gehaltene Aufnahmen mit oder ohne Seitenvergleich unter Belastung der oberen Extremit&auml;t mit 5kg Gewicht erfolgen. Ein axiales R&ouml;ntgen zur Beurteilung der horizontalen Stellung des lateralen Claviculaendes sollte ebenso zur Standarddiagnostik z&auml;hlen (Abb. 1). Eine MRT des Schultergelenkes empfiehlt sich vor allem bei der Frage nach Begleitverletzungen an der Rotatorenmanschette.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1706_Weblinks_s22_1.jpg" alt="" width="1417" height="648" /></p> <h2>Therapie: konservativ versus operativ</h2> <p>Die Therapie der ACG-Verletzungen erfolgt in Abh&auml;ngigkeit ihres Typs: Bei der Typ-I- und -II-Verletzung ist eine symptomatische Therapie unter Ruhigstellung im Bauerverband f&uuml;r 2 Wochen und Schmerzmedikation meist ausreichend. Nach Verbandabnahme sollten eine Gewichtsbelastung sowie eine Elevation des Armes &uuml;ber 90&deg; f&uuml;r insgesamt 6 Wochen ab dem Unfall vermieden werden. Eine Beschwerdefreiheit bei freier Beweglichkeit stellt sich &uuml;blicherweise nach ca. 4&ndash;6 Monaten ein.<br />Handelt es sich um eine Typ-III-Verletzung (Abb. 2), so ist es von besonderer Bedeutung, die Anspr&uuml;che und Bed&uuml;rfnisse des Patienten zu hinterfragen. Falls der Patient keine &Uuml;berkopfsportarten aus&uuml;bt und keine berufsbedingten Anforderungen an seine Schulter hat, kann auch bei der Typ-III-Verletzung eine konservative Therapie erfolgen. Die bisherige Literatur konnte keine &Uuml;berlegenheit der operativen gegen&uuml;ber der konservativen Therapie zeigen. Dies ist auch der Grund, warum bei der Typ-III-Verletzung zunehmend die konservative Therapie pr&auml;feriert wird. Der Vorteil der konservativen Therapie liegt sicher in der fr&uuml;heren Belastbarkeit der Schulter, der Nachteil in der Kosmetik bei verbleibender Deformit&auml;t im ACG. Wichtig ist es, dem Patienten zu erkl&auml;ren, dass in einem gewissen niedrigen Prozentsatz die Schmerzsymptomatik bei freier Beweglichkeit bestehen bleiben kann, sodass ein verz&ouml;gerter Eingriff mit Bandplastik (s.u.) n&ouml;tig werden kann.<br />Die Typ-IV-Verletzung mit dorsaler horizontaler Instabilit&auml;t (Abb. 3) sollte aufgrund der erheblichen Beschwerden, die damit verbunden sind, einer akuten operativen Therapie zugef&uuml;hrt werden. F&uuml;r die Typ-V-Luxation wird ebenso die prim&auml;re operative Therapie empfohlen. Die Typ-VI-Verletzung ist ausgesprochen selten und sollte mangels der gedeckten Reponierbarkeit offen eingerichtet und stabilisiert werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1706_Weblinks_s22_2.jpg" alt="" width="1417" height="654" /></p> <h2>Operative Therapie: akut versus sekund&auml;r</h2> <p>Aufgrund der Vielzahl der in der Literatur beschriebenen Techniken liegt der Gedanke nahe, dass es keinen hundertprozentigen Konsens zur operativen Technik bei der ACG-Luxation gibt. Die operative Akutversorgung der ACG-Luxation hat in den vergangenen Jahrzehnten eine interessante Entwicklung durchgemacht: Zun&auml;chst erfolgte die Stabilisierung des ACG mittels Transfixation durch Kirschner-Dr&auml;hte oder Hakenplatte. Eine alternative extraartikul&auml;re Technik stellte die Fixation der korakoklavikul&auml;ren Distanz mittels Bosworth-Schraube dar (Abb. 4). Die Nachteile dieser Techniken waren jedoch die maximale Mobilisierung von bis zu 90&deg; Abduktion sowie die n&ouml;tige Entfernung des Osteosynthesematerials. Die weitere Entwicklung erfolgte &uuml;ber dyn&shy;amische Fixationsmethoden mittels LARS-Band (Abb. 5) bis hin zur aktuell am meisten verwendeten Technik mit dem arthroskopisch unterst&uuml;tzten doppelten TightRope&reg;-System (Abb. 6). Dieses bietet den Vorteil der Wiederherstellung der Anatomie nicht nur im Sinne einer vertikalen, sondern auch einer horizontalen Stabilit&auml;t durch das wechselweise Anspannen der beiden Flaschenzugsysteme. Allen Operationstechniken gemeinsam ist, dass besonderes Augenmerk auf den wasserdichten Verschluss der deltoideopektoralen Faszie gelegt werden muss, um postoperative Infektionen zu vermeiden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1706_Weblinks_s22_3.jpg" alt="" width="1420" height="891" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1706_Weblinks_s22_5.jpg" alt="" width="684" height="515" /><br />Bei Versagen der konservativen Therapie bei Rockwood-Typ-II- und -III-Verletzungen, also beim Nichterlangen eines schmerz- und bewegungsfreien Zustandes, kann dem Patienten die sekund&auml;re operative Versorgung angeboten werden. Dies ist in ungef&auml;hr 10 % aller ACG-Luxationen der Fall. Aufgrund der Tatsache, dass 4 bis 6 Monate nach dem Unfall s&auml;mtliche Bandstrukturen bereits vernarbt sind, kann die operative Versorgung keine Heilung mehr erzielen. Die derzeit verwendete Technik f&uuml;r chronische ACG-Luxationen ist die arthroskopisch assistierte Bandplastik mit der Gracilis- bzw. Semitendinosussehne oder einem Allograft, augmentiert durch ein TightRope&reg;-System.<sup>1</sup> Diese kann entweder mit direkter Naht oder durch v-f&ouml;rmige Umschlingung des Korakoids und Fixation mittels Interferenzschrauben mit oder ohne zus&auml;tzliche &Uuml;berbr&uuml;ckung des ACG<sup>2</sup> erfolgen (Abb. 7). Der Discus articularis muss revidiert und bei Ruptur entfernt werden. Als Alternative ist schlie&szlig;lich auch die arthroskopische laterale Clavicularesektion als reine Schmerztherapie zu erw&auml;hnen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1706_Weblinks_s22_4.jpg" alt="" width="1417" height="631" /></p> <h2>Nachbehandlung</h2> <p>Die Nachbehandlung der ACG-Stabilisation ist von der operativen Technik abh&auml;ngig. &Uuml;blicherweise wird die obere Extremit&auml;t f&uuml;r 4 Wochen im Bauerverband ruhiggestellt. W&auml;hrend dieser Zeit wird der Verband nur f&uuml;r die K&ouml;rperhygiene und Pendel&uuml;bungen abgenommen. Die aktive Abduktion sollte f&uuml;r 6 Wochen ab der Operation 90&deg; nicht &uuml;berschreiten. St&auml;rkere Belastungen mit &Uuml;berkopfaktivit&auml;ten oder das Tragen von schweren Gegenst&auml;nden sollten f&uuml;r 3 Monate vermieden werden. Es wird empfohlen, 6 Monate keinen Kontaktsport auszu&uuml;ben.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Scheibel M et al.: Arthroscopically assisted coracoclavicular ligament reconstruction for chronic acromioclavicular joint instability. Arch Orthop Trauma Surg 2008; 128(11): 1327-33 <strong>2</strong> Grutter PW, Petersen SA: Anatomical acromioclavicular ligament reconstruction: a biomechanical comparison of reconstructive techniques of the acromioclavicular joint. Am J Sports Med 2005; 33(11): 1723-8<br /><strong>Weiterf&uuml;hrende Literatur:</strong><br />&bull; Habermeyer P, Lichtenberg S, Magosch P (Hrsg.): Schulterchirurgie. 4. Aufl. M&uuml;nchen: Elsevier GmbH, Urban &amp; Fischer Verlag, 2010 &bull; Rockwood CA, Williams GR, Young DC: Injuries of the acromioclavicular joint. In: Rockwood CA, Green DP, Bucholz RW, Heckman JD (eds.): Fractures in Adults. Philadelphia/New York: Lippincott-Raven, 1996. 1341-1414</p> </div> </p>
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