© magicmine iStockphoto

ERS 2017

„Treatable traits“: Was wird aus Asthma und COPD?

<p class="article-intro">Ein im renommierten Journal „The Lancet“ publiziertes Konsensusdokument mit dem Titel „After asthma: redefi ning airways diseases“1 dürfte in den kommenden Monaten für heftige Diskussionen innerhalb der pneumologischen Community sorgen. Die „Lancet Commission“, die das Papier verfasste, schlägt nämlich vor, sich von der gewohnten Taxonomie der Atemwegserkrankungen zu verabschieden.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Pneumo_1705_Weblinks_s12.jpg" alt="" width="1455" height="986" /></p> <p>Die Commission kn&uuml;pft damit an eine 2016 ver&ouml;ffentlichte Arbeit an, in der gefordert wurde, die Begriffe Asthma und COPD &uuml;berhaupt zu verlassen, sich stattdessen auf konkrete Ph&auml;no- und Endotypen zu konzentrieren und dabei pragmatisch die Behandelbarkeit im Blick zu behalten.<sup>2</sup> Statt von Asthma und COPD solle in Zukunft von &bdquo;airway disease&ldquo; gesprochen werden. Der Begriff der &bdquo;treatable traits&ldquo; war geboren. Gemeint sind damit sowohl ph&auml;notypische als auch endotypische Aspekte der Erkrankung, die sowohl messbar als auch behandelbar sind. Dies sei ein Ansatz im Sinne der &bdquo;precision medicine&ldquo;, wie Prof. Dr. Ian Pavord von der Universit&auml;t Oxford, der Erstautor des &bdquo;Lancet&ldquo;-Papers, anl&auml;sslich der Pr&auml;sentation des Dokuments forderte. Diese &bdquo;treatable traits&ldquo; k&ouml;nnen stabil sein oder sich im Krankheitsverlauf bzw. infolge der Therapie ver&auml;ndern. Ein und derselbe Patient kann auch von mehreren &bdquo;treatable traits&ldquo; betroffen sein.<br />Viel zu diesem Umdenken beigetragen haben klinische Studien zu Pr&auml;paraten, die lediglich in Subgruppen der Asthmapopulation Wirksamkeit zeigten. So war die erste Studie mit dem Antik&ouml;rper Mepolizumab in einer Population von Patienten mit moderatem bis schwerem Asthma ein Fehlschlag.<sup>3</sup> Als man die untersuchte Population auf Patienten mit erh&ouml;hter Eosinophilenzahl im Sputum einschr&auml;nkte, zeigte sich pl&ouml;tzlich eine gute Wirksamkeit.<sup>4</sup> Bei der COPD sind &auml;hnliche Entwicklungen zu erwarten, denn auch hier werden bei einem relevanten Teil der Patienten vermehrt Eosinophile im Sputum gefunden.<sup>5</sup> &bdquo;Mit der Diagnose COPD unterstellen wir quasi automatisch eine neutrophile Entz&uuml;ndung der Atemwege. Das ist schlicht und einfach falsch&ldquo;, betonte Pavord.</p> <h2>Umdenken im Rahmen von GINA</h2> <p>Wie die Umsetzung aus der Sicht der Global Initiative for Asthma (GINA) aussehen k&ouml;nnte, erl&auml;uterte die Vorsitzende des wissenschaftlichen Komitees von GINA, Prof. Dr. Helen Reddel vom Woolcock Institute of Medical Research der Universit&auml;t Sydney. Die Initiative GINA wurde 1993 von NHLBI und WHO ins Leben gerufen. Sie gab &uuml;ber viele Jahre die &bdquo;Global Strategy for Asthma Management und Prevention&ldquo; heraus. Seit 2014 produziert GINA Materialien f&uuml;r das Management von Asthma im allgemeinmedizinischen Alltag &ndash; mit dem naheliegenden Ziel einer Reduktion sowohl von Symptomen als auch von Komplikationen. Der Weg dorthin f&uuml;hrt, so Reddel, von Ideen &uuml;ber Evidenz zur Translation in den klinischen Alltag. Der Schl&uuml;ssel zu diesem Vorgehen sind Daten aus wissenschaftlichen Studien.<br />Reddel betont, dass die Erkenntnisse, die gegenw&auml;rtig zu einer Erosion der Taxonomie f&uuml;hren, keineswegs neu sind: &bdquo;Vor sechzig Jahren gab es einen breiten Konsensus, dass Atemwegserkrankungen heterogene und teilweise &uuml;berlappende Zustandsbilder sind.&ldquo; So wurde 1998 der Begriff &bdquo;Chronic non-specific lung dies&shy;ease&ldquo; gepr&auml;gt. Die American Thoracic Society (ATS) hielt 1987 fest, dass Asthma zu einer dauerhaften Atemwegsobstruktion f&uuml;hren k&ouml;nne, w&auml;hrend bei vielen COPD-Patienten ein signifikantes Ma&szlig; an Reversibilit&auml;t gefunden wird. Dem setzte die ATS 1995 mit einem Statement ein Ende, in dem gefordert wurde, Asthma aufgrund seines inflammatorischen Charakters von der COPD zu separieren, obwohl die ATS auch in diesem Dokument einr&auml;umte, dass die Obstruktion im Rahmen einer COPD eine ausgepr&auml;gte reversible Komponente haben k&ouml;nne und Patienten mit Asthma nicht selten auch eine irreversible Obstruktion entwickelten.<br />Ein Verlassen der gewohnten Taxonomie h&auml;tte aus Sicht von GINA erhebliche Konsequenzen. Gegenw&auml;rtig geht man ja davon aus, dass Asthma und COPD voneinander getrennte Entit&auml;ten sind, die anhand spezifischer Kriterien diagnostiziert werden k&ouml;nnen. Dieses Konzept hatte auch erheblichen Einfluss auf das Design klinischer Studien und den Zulassungsprozess neuer Medikamente. Dies betrifft selbstverst&auml;ndlich auch die Industrie, die sich an den Vorgaben der Zulassungsbeh&ouml;rden orientieren muss und gleichzeitig auch bestrebt ist, f&uuml;r ihre Produkte breite Indikationen zu bekommen. Und es hatte Nebenwirkungen. So wurden zum Beispiel Daten, die diesem Konzept widersprachen, h&auml;ufig im Review-Prozess ausgesondert. Reddel verweist hier beispielsweise auf Daten zum Auftreten eosinophiler Granulozyten bei COPD, die von der wissenschaftlichen Community schlicht abgelehnt wurden. Reddel weist in diesem Zusammenhang auch auf einen &bdquo;Flow on&ldquo;-Effekt hin, der letztlich auch die Planung von akademischen Studien beeinflusst.<br />Was man sich seitens GINA w&uuml;nscht, sind mehr und realistischere Daten. Reddel: &bdquo;Das bedeutet Populationen von Asthma- und/oder COPD-Patienten aus aller Welt mit m&ouml;glichst wenigen Ausschlusskriterien. Auch Komorbidit&auml;ten sollten st&auml;rker ber&uuml;cksichtigt werden. Und wir ben&ouml;tigen bessere Endpunkte.&ldquo; GINA ist diesbez&uuml;glich in engem Kontakt sowohl mit den Zulassungsbeh&ouml;rden als auch mit der Industrie. Reddel nennt als eines der in dieser Hinsicht relevanten Projekte die von Astra Zeneca finanzierte NOVELTY-Studie,<sup>6</sup> eine Beobachtungsstudie, in die Patienten mit Asthma und/oder COPD eingeschlossen werden und die der Identifikation von Ph&auml;notypen und molekularen Endotypen der Atemwegserkrankung dienen soll. Reddel: &bdquo;Wir m&uuml;ssen gemeinsam mit der Industrie Biomarker entwickeln, die f&uuml;r Therapieentscheidungen bei Asthma und COPD herangezogen werden k&ouml;nnen. Das betrifft aber auch Parameter wie die Effekte von &Uuml;bergewicht oder Umweltverschmutzung.&ldquo; In diesem Zusammenhang sollte auch die nicht hypothesengeleitete Suche nach relevanten Biomarkern vorangetrieben werden. Konzepte wie Netzwerkanalysen und Systembiologie werden dabei ins Spiel kommen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Pneumo_1705_Weblinks_s12_2.jpg" alt="" width="1455" height="946" /><br />Ob es sinnvoll sei, Begriffe wie &bdquo;Asthma&ldquo; einfach &uuml;ber Bord zu werfen, sei eine andere Frage. Reddel: &bdquo;Die Sprache muss den Bed&uuml;rfnissen entsprechen. Das hei&szlig;t wir werden breite Termini ben&ouml;tigen, um beispielsweise mit unseren Patienten zu kommunizieren oder die &ouml;ffentliche Wahrnehmung von Erkrankungen und den davon Betroffenen zu verbessern. Die Verwendung solcher Termini bedeutet jedoch nicht, dass die Therapie nach dem Motto ,one size fits all&lsquo; gestaltet werden solle. Eine pr&auml;zisere Taxonomie w&auml;re w&uuml;nschenswert. Daf&uuml;r ben&ouml;tigen wir allerdings auch pr&auml;zisere Definitionen.&ldquo;<br />Im &bdquo;Lancet&ldquo;-Paper wird f&uuml;r Asthma eine Aufteilung entlang einer symptomatischen und einer inflammatorischen Achse vorgeschlagen, aus der sich vier &bdquo;boxes&ldquo; ergeben: Benigne, pr&auml;dominant symptomatische, pr&auml;dominant entz&uuml;ndliche und konkordante Erkrankung (also schweres, sowohl entz&uuml;ndliches als auch symptomatisches Asthma). Daran k&ouml;nne sich die Therapie orientieren. W&auml;hrend bei der benignen Erkrankung symptomatische Behandlung ausreichend ist, profitieren pr&auml;dominant symptomatische Patienten von lang wirksamen Beta-2-Agonisten oder Antimuskarinika. Beim pr&auml;dominant entz&uuml;ndlichen Asthma w&auml;ren inhalative Kortikosteroide in hohen Dosierungen und allenfalls Biologika indiziert. Patienten mit konkordanter Erkrankung ben&ouml;tigen schlie&szlig;lich das volle Repertoire von LAMA, LABA, inhalativen Steroiden und Biologika.<sup>1</sup> Dass bei diesem Konzept offene Fragen bleiben, r&auml;umt auch Pavord ein. Denn nach diesem Schema k&ouml;nnte und sollte man bei Patienten mit benignem oder pr&auml;dominant symptomatischem Asthma das ICS absetzen. Pavord: &bdquo;Wir wissen aber nicht, ob das sicher ist, da wir dazu keine Daten haben.&ldquo; Beim Prinzip sei man sich jedoch recht sicher: Atemwegsdysfunktion und eosinophile Entz&uuml;ndung stellen zwei voneinander unabh&auml;ngige &bdquo;treatable traits&ldquo; dar, die nicht zwingend miteinander korreliert sind und auch getrennt und mit unterschiedlichen Zielsetzungen behandelt werden sollen: die Dysfunktion der Atemwege wegen der Symptomatik und die eosinophile Inflammation wegen des Risikos von Exazerbationen.<br />Um hier weiterzukommen, ben&ouml;tige man jedoch, so Reddel, gro&szlig;e Beobachtungsstudien, die kl&auml;ren sollen, wie viele Patienten in welche Box fallen oder in gar keine Box passen bzw. ob die Zuordnung zu einer Box langfristig stabil bleibt oder in Bewegung ist. In diesem Sinne ist auch eine genauere und bessere Validierung der Biomarker erforderlich, sofern auf deren Basis wichtige Therapieentscheidungen getroffen werden sollen. Wie vorsichtig man sein m&uuml;sse, habe beispielsweise eine Case-Control-Studie gezeigt, die eine deutliche Erh&ouml;hung der Zahl von Hospitalisierung wegen Asthma ergab, wenn bei Patienten unter LABA-Therapie die ICS-Compliance abnahm.<sup>7</sup><br />Bericht: Reno Barth</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Session „The Lancet Commission on asthma“, ERS International Congress, 12. September 2017, Mailand </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Pavord ID: After asthma: redefining airways diseases. The Lancet; published online: Sept. 11, 2017 <strong>2</strong> Agusti A et al.: Treatable traits: toward precision medicine of chronic airway diseases. Eur Respir J 2016; 47(2):410-9 <strong>3</strong> Flood- Page P et al.: A study to evaluate safety and efficacy of mepolizumab in patients with moderate persistent asthma. Am J Respir Crit Care Med 2007; 176(11): 1062-71 <strong>4</strong> Haldar P et al.: Mepolizumab and exacerbations of refractory eosinophilic asthma. N Engl J Med 2009; 360(10): 973-84 <strong>5</strong> Pavord ID, Agusti A: Blood eosinophil count: a biomarker of an important treatable trait in patients with airway disease. Eur Respir J 2016; 47(5): 1299-303 <strong>6</strong> http://aznoveltyproject.com/ 7 Sadatsafavi M et al.: Dispensation of long-acting &beta; agonists with or without inhaled corticosteroids, and risk of asthma-related hospitalisation: a population-based study. Thorax 2014; 69(4): 328-34</p> </div> </p>
Back to top