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Generationenwechsel beim Drogenkonsum

<p class="article-intro">Menschen mit Opiatabhängigkeit werden immer älter. Jüngere drogenabhängige Patienten konsumieren eher Stimulanzien. Entsprechend erweitern sich auch die Themen am interdisziplinären Suchtmedizin-Kongress, der jedes Jahr Ende Juni/Anfang Juli in München stattfindet. In diesem Jahr wurden Aspekte des älteren Opiatabhängigen und Prävention und Therapie der Stimulanzienabhängigkeit, beleuchtet.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><br /> Aktuell liegt das Durchschnittsalter der opiatabh&auml;ngigen Substitutionspatienten am Zentrum f&uuml;r Abh&auml;ngigkeitserkrankungen der Universit&auml;t Basel beispielsweise bei 49 Jahren, berichtete der dortige Oberarzt Dr. med. Marc Vogel in M&uuml;nchen.<sup>1</sup> Zehn Prozent der Patienten sind bereits &uuml;ber 55 Jahre alt und unter 25-j&auml;hrige Heroinabh&auml;ngige gebe es fast nicht mehr, so der Suchtmediziner.<br /> &Auml;ltere Heroinabh&auml;ngige sind aufgrund ihrer Venensituation und Komorbidit&auml;ten, z.B. einer chronischen obstruktiven Atemwegs&shy;erkrankung (COPD), auf das Angebot alternativer Applikationswege angewiesen. Manche haben das Opiat auch noch nie injiziert. Die individuell unterschiedlichen Pr&auml;ferenzen f&uuml;r Applikationsformen muss auch die Substitutionstherapie ber&uuml;cksichtigen, forderte Dr. med. Vogel. Dabei ist es mit der oralen Verf&uuml;gbarkeit eines Substitutionsmittels alleine nicht getan. Nach seinen Erfahrungen ist nur ein Drittel der Opiatabh&auml;ngigen mit dem in der Schweiz erh&auml;ltlichen Diacetylmorphin (DAM) oral alleine ausreichend substituiert. Ebenso viele ben&ouml;tigen zus&auml;tzlich noch DAM als Injektion und mehr als die H&auml;lfte spritzt ausschliesslich.</p> <h2>Sniffen als h&auml;ufige Alternative</h2> <p>In Basel gibt jeder f&uuml;nfte Substitutionspatient an, &uuml;ber die DAM-Tabletten hinaus auch noch zu sniffen &ndash; meist DAM-Tabletten, aber auch Strassenheroin, das heute viel g&uuml;nstiger zu haben ist als vor 20 Jahren, so Dr. med. Vogel. Als subjektive Gr&uuml;nde f&uuml;r das Sniffen nannten die Befragten:</p> <ul> <li>ein rascheres Anfluten,</li> <li>Ablehnen einer Injektion in den Muskel oder die Leiste bei schlechtem Venenstatus,</li> <li>Hoffnung auf eine Applikationsform mit geringerem Risiko, z.B. hinsichtlich einer &Uuml;berdosierung.</li> </ul> <p>Weitere alternative Applikationswege sind die Inhalation (Diaphinzigaretten, Folienrauchen oder Feststoffinhalation) und die nasale oder rektale Anwendung. Die rektale Anwendung ist allerdings wenig akzeptiert und das Rauchen als Zigaretten ineffektiv, weil dabei das Opiat teilweise verbrennt. Wenn keine COPD vorliegt, scheint daher das Folienrauchen am besten geeignet, meinte Dr. med. Vogel. In den Niederlanden gebe es das schon regelhaft in der Substitution.<br /> F&uuml;r ihn ist derzeit vor allem das Sniffen von DAM-Feststoff eine gute Option, um zus&auml;tzlich zur Basissubstitution den f&uuml;r viele Patienten notwendigen Kick zu erzeugen. Ignorieren d&uuml;rfe man das Problem nicht, betonte er: Werden keine Alternativen angeboten, endet die Suche nach dem Kick zu h&auml;ufig wieder bei Strassenheroin.</p> <h2>Methamphetamin-Abh&auml;ngigkeit dominiert</h2> <p>Die Konsumgewohnheiten von j&uuml;ngeren drogenabh&auml;ngigen Patienten haben sich massiv ge&auml;ndert. Bei ihnen stehen psychoaktive Substanzen wie Crystal Meth im Vordergrund. Das zeigten auch Befragungen und Speichelprobenanalysen von 334 Patienten, die im &Ouml;kumenischen Hainich Klinikum M&uuml;hlhausen in Th&uuml;ringen zum qualifizierten Entzug aufgenommen wurden.<sup>2</sup> Am h&auml;ufigsten gaben die Patienten an, Methamphetamin und Cannabis (THC) zu konsumieren. Nach den letzten 30 Tagen befragt, dominierte Methamphetamin als am meisten konsumierte Droge. Das spiegelte sich auch in den Speichelproben wider, in denen THC aber nur in geringerem Masse nachzuweisen war. Neben der grossen Gruppe der prim&auml;r von Methamphetamin Abh&auml;ngigen fand sich auch ein kleinerer Anteil von Patienten, die opiatabh&auml;ngig waren und Methamphetamin nur als Beikonsum verwendeten. Als weitere Drogen wurden Benzodiazepine, Methadon, Opioide und Buprenorphin genannt, im Speichel fanden sich gelegentlich auch Kokain und Ketamin. Die &laquo;neuen psychoaktiven Substanzen&raquo; &ndash; 2015 wurden 39 von ihnen in der Bundesrepublik Deutschland registriert<sup>3</sup> &ndash; spielten eine untergeordnete Rolle und haben bislang keinen erh&ouml;hten Behandlungsbedarf erzeugt, betonen die Autoren.</p> <h2>Baukasten f&uuml;r die Stimulanzientherapie</h2> <p>Seit M&auml;rz 2017 steht eine deutsche Fassung des in den USA entwickelten Matrix-Modells zur Therapie bei Stimulanzienmissbrauch zur Verf&uuml;gung. Das f&uuml;r die ambulante Therapie konzipierte Therapiepaket ist modular strukturiert und einzelne Module k&ouml;nnen auch im station&auml;ren Setting eingesetzt werden, wie Ren&eacute; Ehrenberg von SuPraT &ndash; Suchtfragen in Praxis und Theorie e.V., M&uuml;hlhausen, berichtete.<sup>4</sup> Dazu trage bei, dass die Sitzungen voneinander unabh&auml;ngig und die Gruppen offen konzipiert seien. Die einzelnen Therapiesitzungen seien vorgeplant und strukturiert und dank der Schritt-f&uuml;r-Schritt-Anleitungen und des immer gleichen methodischen Vorgehens bed&uuml;rfe die Umsetzung f&uuml;r erfahrene Behandler keines spezifischen Trainings.<br /> Das Matrix-Modell integriert Bew&auml;hrtes und Evidenzbasiertes und ber&uuml;cksichtigt dabei alle Aspekte des Lebens. So unterst&uuml;tzt es die Strukturierung eines drogenfreien Lebensstils und das Erreichen und Aufrechterhalten der Abstinenz, vermittelt Zeitmanagement- und Planungskompetenzen und informiert &uuml;ber unterst&uuml;tzende ambulante Strukturen. Es umfasst kognitiv-behaviorale Therapieans&auml;tze, R&uuml;ckfallpr&auml;vention, Psychoedukation, systemische Ans&auml;tze und integriert das ambulante Hilfsnetzwerk.<br /> Das Methamphetamin Treatment Project (MTP) pr&uuml;fte randomisiert-kontrolliert die Effektivit&auml;t des Matrix-Modells gegen&uuml;ber einer konventionellen Therapie. Bei der Matrix-Therapie war die Zahl der besuchten Sitzungen h&ouml;her, die Behandlungszeit l&auml;nger, die Zahl Methamphetamin-freier Urinproben h&ouml;her und die Abstinenzperiode l&auml;nger als bei konventionell behandelten Patienten.<sup>5</sup><br /> Die Struktur des Manuals (vergleiche Kasten) ist auf US-amerikanische Verh&auml;ltnisse abgestimmt und im ambulanten Bereich in Deutschland oder &Ouml;sterreich in dieser Intensit&auml;t wahrscheinlich nicht durchzuf&uuml;hren. Ehrenberg, der das Manual ins Deutsche &uuml;bersetzt hat, bedient sich selbst aber gezielt einzelner Module und hat damit gute Erfahrungen gemacht.</p> <h2>Konsum kontrollieren via Smartphone</h2> <p>Eine neue App namens &laquo;Checkpoint-C&raquo; (Abb. 1) hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen, die Crystal Meth konsumieren, zu erreichen und vor einem problematischen Konsum zu warnen. Sie wurde von der Ostdeutschen Arbeitsgemeinschaft Suchtmedizin und der Hochschule Merseburg f&uuml;r Crystal-Konsumenten, Angeh&ouml;rige und Interessenten entwickelt. Zentrales Modul ist die Konsumerfassung nach Art, Menge und Datum. Die Konsumzeitpunkte lassen sich grafisch &uuml;bersichtlich darstellen und helfen den Konsumenten, ihren Konsum einzuordnen, erl&auml;uterte Peter Jeschke, niedergelassener Nervenarzt und Suchtmediziner aus Halle.<sup>6</sup> Auch der Beigebrauch kann notiert werden. Selbsttests zu Selbstwertgef&uuml;hl, Selbstkontrolle, Selbstrealisierung und Realit&auml;tsbezug sollen bei der Selbstreflexion helfen. Ein Lexikon informiert &uuml;ber Konsumeffekte, Risiken und Management.<br /> Die App ist kostenfrei im Google Play Store und im App Store oder auf https://checkpoint-c.de/apps-2/crystal-app/ erh&auml;ltlich. Die Verbreitung erfolgt aktuell unter anderem &uuml;ber soziale Netzwerke oder &uuml;ber die Verteilung von Brosch&uuml;ren in der Partyszene, aber auch bei Haus&auml;rzten, Jobcentern, Fahrschulen, Substitutionspraxen oder Beratungsstellen. &Uuml;ber 300 User haben die App bereits installiert.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 18. Interdisziplinärer Kongress für Suchtmedizin, 29. Juni bis 1. Juli 2017, München </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Vogel M: Suchtmed 2017; 19(3): 126 <strong>2</strong> Weiland J et al.: Suchtmed 2017; 19(3): 164, Abstract #14 <strong>3</strong> Die Drogenbeauftragte der Bundesrepublik Deutschland: Drogen- und Suchtbericht Juni 2016, <a href="http://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateien-dba/Drogenbeauftragte/4_Presse/1_Pressemitteilungen/2016/2016_2/160928_Drogenbericht-2016_NEU_Sept.2016.pdf">http://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateien-dba/Drogenbeauftragte/4_Presse/1_Pressemitteilungen/2016/2016_2/160928_Drogenbericht-2016_NEU_Sept.2016.pdf</a>, zuletzt eingesehen am 1. 8. 2017 <strong>4</strong> Ehrenberg R: Suchtmed 2017; 19(3): 128-9 <strong>5</strong> Rawson RA et al.: Addiction 2004; 99(6): 708-17 <strong>6</strong> Jeschke P et al.: Suchtmed 2017; 19(3): 128</p> </div> </p>
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