© Vladimir_Timofeev iStockphoto

Die Radiotherapie beim Mammakarzinom nach Sentinellymphknoten-Resektion

Wann soll die Axilla nach brusterhaltender Chirurgie mitbestrahlt werden?

<p class="article-intro">Aktuell geben nicht nur die Studienresultate zu Indikationen und verkürzten Therapieschemata der postoperativen Radiotherapie beim Mammakarzinom zu reden, sondern auch die Frage, inwieweit die Axilla und der regionäre Lymphabfluss einschliesslich des Mammaria-interna-Abflussgebietes in das Radiotherapiefeld einbezogen werden sollen. </p> <hr /> <p class="article-content"><p>Historisch gesehen war der Therapieplan nach durchgef&uuml;hrter ausgedehnter Dissektion der Axilla klar vorgegeben.<sup>1</sup> Patientinnen ohne Befall von axill&auml;ren Lymphknoten wurden bei Vorliegen von anderen Risikofaktoren alleine mittels Tangentenbestrahlung der betroffenen operierten Mamma oder Thoraxwand behandelt. Andererseits entschied man sich beim Vorliegen von befallenen axill&auml;ren Lymphknoten, unter Ber&uuml;cksichtigung der Anzahl und der Risikofaktoren f&uuml;r ein erh&ouml;htes lokoregion&auml;res Rezidiv, die Axillaregion mitzubestrahlen und vermehrte Langzeittoxizit&auml;ten in Kauf zu nehmen, jedoch ohne klare Evidenz, dass die Chirurgie der Axilla einen direkten &Uuml;berlebensvorteil erbrachte. Dieses &uuml;ber Jahrzehnte praktizierte Vorgehen hat sich seit der Einf&uuml;hrung der Sentinellymphknoten-Resektion bei klinisch nodal-negativen Patientinnen grundlegend ge&auml;ndert. Die Sentinellymphknoten-Resektion ist zum Standard geworden, um zu bestimmen, ob bei Patientinnen ein region&auml;rer Lymphknotenbefall vorliegt, und hat die Dissektion der Axilla abgel&ouml;st.<sup>2</sup> Selbst bei positiven Sentinellymphknoten ist es bei Patientinnen mit Mammakarzinom und brusterhaltendem Therapiekonzept mit niedrigem Risiko f&uuml;r ein Rezidiv nicht mehr zwingend gefordert, eine axill&auml;re Dissektion durchzuf&uuml;hren.<sup>3</sup> Der Vorteil f&uuml;r die Patientinnen ist offenkundig: Ohne Chirurgie in der Axilla treten weniger postoperative Folgesch&auml;den wie das Lymph&ouml;dem auf, was die Lebensqualit&auml;t der betroffenen Frauen deutlich verbessert. Dieses Vorgehen ist aber f&uuml;r die Art und Weise, wie die postoperative Radiotherapie beim lokalisierten Mammakarzinom durchgef&uuml;hrt wird, nicht ohne Auswirkungen geblieben. Beim Wegfall der axill&auml;ren Lymphonodektomie mussten die Kriterien, ob eine Patientin von einer Radiotherapie der Lymphabflusswege profitiert, und die Risiken neu definiert und in klinischen Studien erarbeitet werden.</p> <h2>Vorgehen bei positiven Sentinellymphknoten ohne Axilladissektion &ndash; Konsequenzen f&uuml;r die Radiotherapie</h2> <p>Die Diskussion und Entscheidungshilfen zur Frage, ob die Radiotherapie beim Mammakarzinom bei Vorliegen von positiven Sentinellymphknoten auf die Axilla ausgedehnt werden soll, basieren im Wesentlichen auf drei in den letzten sechs Jahren publizierten Phase-III-Studien (Tab. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Onko_1704_Weblinks_s39.jpg" alt="" width="2151" height="1544" /></p> <h2>a) ACOSOG-Z0011-Studie:<sup>4</sup> Axilla&shy;dissektion oder Beobachten. &laquo;Primum non nocere&raquo;</h2> <p>Das Ziel der Z0011-Studie bestand darin, den Einfluss der kompletten Axilladissektion bei Vorliegen von positiven Sentinellymphknoten und klinisch unauff&auml;lliger Axilla auf das Gesamt&uuml;berleben zu untersuchen. Diese Studie mit einem &laquo;non-inferiority design&raquo; schloss insgesamt 891 von 1900 geplanten Patientinnen mit brusterhaltendem Therapiekonzept ein. Die Studie wurde aus statistischen Gr&uuml;nden aufgrund einer zu geringen Sterberate fr&uuml;hzeitig beendet. Die in die Studie eingeschlossenen Patientinnen hatten eine klinisch unauff&auml;llige Axilla, cT1/cT2-Tumoren und ein bis zwei histologisch befallene Sentinellymphknoten. Die Radiotherapie der Mamma sollte &uuml;ber tangentiale Felder ohne Einschluss der Lymphabflusswege erfolgen, was als Ausschlusskriterium galt. Die Art der Systemtherapie und der endokrinen Therapie war nicht vorgegeben, die Systemtherapie wurde jedoch bei &uuml;ber 95 % der eingeschlossenen Patientinnen durchgef&uuml;hrt und eine Kombination aus Anthrazyklinen und Taxanen gew&auml;hlt. Im Therapiearm mit Axilladissektion (n=445) mussten mindestens zehn Lymphknoten entfernt werden. Nach einer medianen Beobachtungszeit von 6,3 Jahren zeigten sich keine Unterschiede &ndash; sowohl im 5-Jahres-&Uuml;berleben (Axilla: 91,8 % vs. Sentinel: 92,5 % ) als auch im rezidivfreien &Uuml;berleben (82,2 % vs. 83,9 % ). Als signifikanter Unterschied zeigten sich jedoch sowohl eine h&ouml;here Rate an chirurgischen Komplikationen nach Axilladissektion als auch vermehrt Lymph&ouml;deme. Kritik an dieser Studie gab es vor allem in Bezug auf die Tatsache, dass der prim&auml;re Endpunkt nicht erreicht worden und das Rezidivrisiko der eingeschlossenen Patientinnen gering gewesen war. Somit war es nicht erstaunlich, dass in der Gruppe der Patientinnen mit zus&auml;tzlicher Axilladissektion kaum noch zus&auml;tzliche Lymphknoten gefunden wurden. Ein weiterer Schwachpunkt der Studie war die Tatsache, dass es f&uuml;r die Tangentenbestrahlung keine Qualit&auml;tsanforderungen gab und die kraniokaudale Feldausdehnung nicht definiert war.</p> <h2>b) NCIC-CTG-MA.20-Studie:<sup>5</sup> Axilla&shy;dissektion und Radiotherapie. &laquo;Mehr ist besser, oder doch nicht?&raquo;</h2> <p>Diese Studie hat die Frage getestet, ob eine zur Ganzbrustbestrahlung zus&auml;tzliche Radiotherapie des gesamten Lymphabflussgebietes (Axilla, supraklavikular und Mammaria interna) bei Patientinnen mit brusterhaltender Chirurgie und adjuvanter Systemtherapie einen &Uuml;berlebensvorteil ergibt. Es wurden 1832 Patientinnen in die Studie eingeschlossen. Als Einschlusskriterien galten die brusterhaltende Chirurgie mit positiven Lymphknoten (1&ndash;3 Lymphknoten positiv: 85 % , &gt;3 Lymphknoten positiv: 5 % ) anhand der Sentinelmethode oder Axilladissektion (96 % der Patientinnen!) oder mit negativen Lymphknoten (cN0 high-risk: 10 % ), aber mit zus&auml;tzlichen Risikofaktoren wie Tumoren gr&ouml;sser 5cm oder Tumoren gr&ouml;sser 2cm und weniger als 10 Lymphknoten in der Axilladissektion und mindestens G3-Differenzierung oder &Ouml;strogenrezeptor-negativ oder lymphovaskul&auml;re Invasion. Nach einer medianen Beobachtungszeit von 9,5 Jahren zeigte sich kein Unterschied im 10-Jahres-&Uuml;berleben (Mamma plus gesamter Lymphabfluss: 82,8 % vs. Mamma alleine: 81,8 % ). Ein kleiner signifikanter Vorteil von 5 % zeigte sich im rezidivfreien &Uuml;berleben (82 % vs. 77 % ). Wie zu erwarten waren bei den Patientinnen mit Lymphabflussbestrahlung eine erh&ouml;hte Rate an akuter Pneumonitis (1,2 % vs. 0,2 % ) und vermehrte chronische Arm-Lymph&ouml;deme (8,4 % vs. 4,5 % ) zu verzeichnen. Als Diskussionspunkt bei dieser Studie kann angebracht werden, dass der prim&auml;re Endpunkt negativ ausgefallen ist und sich berechtigterweise die Frage stellt, ob die erh&ouml;hte Rate an Nebenwirkungen durch eine ausgedehntere Radiotherapie in Kauf genommen werden soll &ndash; bei sich in Zukunft st&auml;ndig verbessernder Systemtherapie. Eine weitere Frage, welche diese Studie nicht beantworten kann, ist, was dies f&uuml;r Patientinnen nach neoadjuvanter Chemotherapie im Hinblick auf die Radiotherapie der Axilla bedeutet.</p> <h2>c) EORTC-10981-22023-AMAROS-Studie:<sup>6</sup> Axilladissektion oder Radiotherapie. &laquo;Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.&raquo;</h2> <p>Das Ziel dieser &laquo;non-inferiority study&raquo; war es, herauszufinden, ob die Bestrahlung der Axilla nach Sentinellymphknoten-Resektion einer Axilladissektion bez&uuml;glich der region&auml;ren Tumorkontrolle gleichwertig ist, aber weniger Nebenwirkungen mit sich bringt. 4823 Patientinnen mit cT1/cT2-Tumoren und klinisch negativer Axilla waren in die Studie eingeschlossen worden. 82 % der Patientinnen wurden brusterhaltend operiert, bei 175 erfolgte die Mastektomie. Patientinnen (&laquo;intention-to-treat&raquo;, n=1425) mit positiven Sentinellymphknoten (1&ndash;3 Lymphknoten positiv: 99 % , 1 Lymphknoten positiv: 75 % ) wurden randomisiert in die Gruppen Axilladissektion (n=744) und Radiotherapie der Axilla (n=681). Eine Systemtherapie (Chemotherapie und/oder endokrine Therapie) wurde 90 % dieser Patientinnen verabreicht. Nach einer medianen Beobachtungszeit von 6,1 Jahren zeigte sich kein Unterschied in der Rate an R&uuml;ckf&auml;llen in der Axilla (Axilladissektion: 0,43 % vs. Radiotherapie Axilla: 1,19 % ). Als signifikante Unterschiede zeigten sich aber h&ouml;here Raten an ipsilateralen Lymph&ouml;demen nach Axilladissektion nach einem (28 % vs. 15 % ), drei (23 % vs. 14 % ) und f&uuml;nf Jahren (23 % vs. 11 % ) gegen&uuml;ber der Radiotherapie der Axilla. Als Kritikpunkt zu dieser Studie kann angebracht werden, dass der geplante &laquo;non-inferiority test&raquo; aufgrund von zu wenigen Ereignissen fehlschlug und die Power der Studie zu gering war, wohl auch wegen der noch kurzen medianen Beobachtungszeit von 6,1 Jahren. F&uuml;r die definitive Antwort auf die Frage, welche die bessere Therapieoption f&uuml;r Patientinnen nach brusterhaltender Chirurgie betreffend die axill&auml;re Tumorkontrolle ist, muss erst auf die Analyse der Langzeitresultate gewartet werden.</p> <h2>Schlussfolgerungen</h2> <p>Wer aus den oben genannten drei Studien eine klare Antwort darauf erwartet, ob und wie die Radiotherapie der Axilla nach Sentinellymphknoten-Resektion mit ein bis drei positiven Lymphknoten und brusterhaltender Chirurgie durchgef&uuml;hrt werden soll, muss leider entt&auml;uscht werden, denn alle drei Studien haben den prim&auml;ren Studienendpunkt verfehlt. Vielmehr ist es die Erkenntnis, dass das Zusammenspiel zwischen Gewichten des Risikos des mikroskopischen Befalls der region&auml;ren Lymphknoten und die durch die zus&auml;tzliche Radiotherapie der Axilla verursachten Nebenwirkungen &uuml;ber eine erfolgreiche Tumorkontrolle entscheiden. Klar ist auch, dass der Schl&uuml;ssel zur Beantwortung dieser Frage im besseren Verst&auml;ndnis der Tumorbiologie liegt und nicht in der Anzahl der befallenen Lymphknoten.</p> <p>Folgende Schlussfolgerungen k&ouml;nnen aber gezogen werden:</p> <ul> <li>Patientinnen mit niedrigem Risikoprofil &ndash; wie in der Z0011-Studie beschrieben &ndash; k&ouml;nnen bei Befall von einem bis zwei Sentinellymphknoten unter ad&auml;quater Systemtherapie ohne zus&auml;tzliche Radiotherapie der Axilla behandelt werden, unter der Voraussetzung, dass die Lymphabflussgebiete in Level I und II eingeschlossen werden (&laquo;hohe Tangente&raquo;). Ob Patientinnen mit niedrigem Risikoprofil trotzdem von einer Radiotherapie der Axilla profitieren &ndash; wie in der AMAROS-Studie erw&auml;hnt &ndash;, bleibt anhand der bisher publizierten Resultate unklar. Gewiss ist jedoch, dass mit der Radiotherapie der Axilla das Risiko f&uuml;r Nebenwirkungen zu- und die Lebensqualit&auml;t abnimmt, wenn auch weniger stark als nach Axilladissektion.</li> <li>Patientinnen mit einem ung&uuml;nstigen Risikoprofil wie in der MA.20-Studie, d.h. mit einem Risiko f&uuml;r einen weiteren Lymphknotenbefall von &uuml;ber 30 % trotz Axilladissektion oder bei ung&uuml;nstiger Tumorbiologie (cN0 high-risk), profitieren von einer Radiotherapie der region&auml;ren Lymphknotenstationen einschliesslich des Mammaria-interna-Abflussgebietes.<sup>7, 8</sup> Da nur 4 % der Patientinnen keine Axilladissektion erhalten haben, sind die Resultate lediglich bedingt auf Patientinnen anwendbar, die nur eine Sentinellymphknoten-Resektion erhalten haben.</li> <li>Es gilt weiterhin, dass ab vier befallenen Lymphknoten eine Radiotherapie der Lymphabflusswege obligat ist.<sup>9, 10</sup></li> <li>Unbestritten bleibt auch die Tatsache, dass der multidisziplin&auml;re Weg mit adjuvanter Systemtherapie und postoperativer Radiotherapie der Mamma das lokoregion&auml;re Rezidivrisiko reduziert und die Brustkrebsmortalit&auml;t senkt.<sup>11</sup></li> </ul></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Recht A, Houlihan MJ: Axillary lymph nodes and breast cancer: a review. Cancer 1995; 76(9): 1491-512 <strong>2</strong> Krag DN et al: Sentinel-lymph-node resection compared with conventional axillary-lymph-node dissection in clinically node-negative patients with breast cancer: overall survival findings from the NSABP B-32 randomised phase 3 trial. Lancet Oncol 2010; 11(10): 927-33 <strong>3</strong> Galimberti V et al: Axillary dissection versus no axillary dissection in patients with sentinel-node micrometastases (IBCSG 23-01): a phase 3 randomised controlled trial. Lancet Oncol 2013; 14(4): 297-305 <strong>4</strong> Giuliano AE et al: Axillary dissection vs no axillary dissection in women with invasive breast cancer and sentinel node metastasis: a randomized clinical trial. JAMA 2011; 305(6): 569-75 <strong>5</strong> Whelan TJ et al: Regional nodal irradiation in early-stage breast cancer. N Engl J Med 2015; 373(4): 307-16 <strong>6</strong> Donker M et al: Radiotherapy or surgery of the axilla after a positive sentinel node in breast cancer (EORTC 10981-22023 AMAROS): a randomised, multicentre, open-label, phase 3 non-inferiority trial. Lancet Oncol 2014; 15(12): 1303-10 <strong>7</strong> Haffty BG et al: Positive sentinel nodes without axillary dissection: implications for the radiation oncologist. J Clin Oncol 2011; 29(34): 4479-81 <strong>8</strong> Shah C, Vicini FA: Regional nodal irradiation: moving beyond overall survival. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2016; 94(1): 208-9 <strong>9</strong> Fehm T, Wallwiener D: Axillary dissection vs. no axillary dissection in women with invasive breast cancer and sentinel node metastasis: implications for the radiation oncologist. Strahlenther Onkol 2012; 188(12): 1155-6 <strong>10</strong> Sautter-Bihl ML et al: DEGRO practical guidelines: radiotherapy of breast cancer III &ndash; radiotherapy of the lymphatic pathways. Strahlenther Onkol 2014; 190(4): p 342-51 <strong>11</strong> Early Breast Cancer Trialists&rsquo; Collaborative Group et al: Effect of radiotherapy after breast-conserving surgery on 10-year recurrence and 15-year breast cancer death: meta-analysis of individual patient data for 10&nbsp;801 women in 17 randomised trials. Lancet 2011; 378(9804): 1707-16</p> </div> </p>
Back to top