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Genitale Fehlbildungen in der Kinder- und Jugendgynäkologie

DSD und Gonadektomie

<p class="article-intro">„Disorders of sex development“ (DSD) – Störungen/Varianten der Geschlechtsentwicklung gehören zu den seltenen Erkrankungen, die zum Teil komplexe Anforderungen an die medizinische Versorgung stellen. Trotz der Forderung, die Behandlungen in spezialisierten Zentren durchzuführen, kann der Frauenarzt in der Primärdiagnostik, z.B. bei ausbleibender Pubertätsentwicklung, gefordert sein. Es ist daher wichtig, Kenntnisse im Umgang mit Betroffenen und in deren Beratung zu haben sowie eine heimatnahe Nachversorgung übernehmen zu können. </p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Geschlechtsangleichende Ma&szlig;nahmen bei Betroffenen mit DSD sollten nach dem Prinzip der &bdquo;full consent policy&ldquo; erfolgen.</li> <li>Nur DSD mit einem vorhandenen Y-Anteil haben ein erh&ouml;htes malignes Entartungspotenzial in Hinsicht auf Keimzelltumoren.</li> <li>Die Gonadektomie ist bei funktionsunt&uuml;chtigen Gonaden einer 46,XY-DSD-Gonadendysgenesie bei hohem Entartungspotenzial nach Diagnosestellung zu empfehlen.</li> <li>Die komplette Androgeninsensitivit&auml;t (CAIS) hat nach neueren Daten ein geringeres Malignomrisiko und kann bildgebend &uuml;berwacht werden.</li> </ul> </div> <p><br /> St&ouml;rungen oder Varianten der Geschlechtsentwicklung betreffen eine uneinheitliche Gruppe von Menschen mit Abweichungen der Geschlechtsdeterminierung oder -differenzierung. Unter dem Begriff &bdquo;disorders of sex development&ldquo; werden sie zusammengefasst. Sie kennzeichnen angeborene Varianten der genetischen, gonadalen und anatomischen Anlagen eines Menschen, sodass das Geschlecht einer Person nicht mehr eindeutig den biologischen Kategorien &bdquo;m&auml;nnlich&ldquo; oder &bdquo;weiblich&ldquo; zugeordnet werden kann. <br />In der Vergangenheit wurde bei Kindern mit DSD die therapeutische Strategie einer &bdquo;optimal gender policy&ldquo; praktiziert. Sie erhielten im Neugeborenen- und Kindesalter geschlechtsangleichende Behandlungen, die oft heftige Kritik der Betroffenen nach sich zog. Daher sollte diese Strategie durch das Konzept einer &bdquo;full consent policy&ldquo; ersetzt werden. Kritisiert wurden Art und Ausma&szlig; von Eingriffen, die ohne wissenschaftliche Evidenz, teilweise ohne ausreichende Aufkl&auml;rung der Kinder und auch ihrer Eltern, vorgenommen wurden. Vielfach wurde das traumatisierende Potenzial dieser Eingriffe, die im &bdquo;besten Sinne&ldquo; erfolgten, untersch&auml;tzt. Heute gilt es, Betroffene vor ungerechtfertigten Eingriffen zu sch&uuml;tzen, aber auch das Recht auf angemessene medizinische Versorgung, auf Schadens- und Leidensvermeidung, auf F&uuml;rsorge und Aufkl&auml;rung mit oder ohne Intervention zu wahren. Seit 2006 wird eine Terminologie verwendet, die diskriminierende Ausdr&uuml;cke wie Pseudohermaphroditismus eliminiert und eine Einteilung auf chromosomal beschreibender Basis vorsieht.</p> <h2>Verschiedene Gruppen der DSD</h2> <p>Drei Gruppen werden unterschieden: DSD mit numerischen Ver&auml;nderungen der Chromosomen &ndash; zu diesen geh&ouml;ren das Ullrich-Turner-Syndrom und auch das Klinefelter-Syndrom. Bei 46,XY-DSD stehen St&ouml;rungen der Hodenentwicklung und der Androgenbiosynthese sowie deren Wirkungen im Vordergrund. St&ouml;rungen der Steroidbiosynthese mit Enzymdefekten in der Kortikoidsynthese, die zu einem Androgen&uuml;berschuss f&uuml;hren, finden sich haupts&auml;chlich bei 46,XX-DSD.<br />Nur DSD-Betroffene, bei denen der Karyotyp ein Y-Chromosomenteil enth&auml;lt, haben ein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r eine neoplastische Transformation der Keimzelle und k&ouml;nnen sogenannte Typ-II-Keimzelltumore entwickeln. Andere maligne Transformationen wie epitheliale oder Keimstrangstromatumore sind sehr selten mit DSD assoziiert. <br />Urspr&uuml;nglich wurde f&uuml;r alle Formen der XY-Gonadendysgenesie das Risiko einer malignen Entartung gesehen. Neuere Untersuchungen zeigen z.B. ein m&ouml;glicherweise geringeres Risiko f&uuml;r Menschen mit einer Mutation im &bdquo;steroidgenetic factor 1&ldquo;. Das Entartungspotenzial k&ouml;nnte m&ouml;glicherweise abh&auml;ngig von der zugrunde liegenden Mutation sein.</p> <h2>Empfehlungen zur Gonadektomie</h2> <p>Die ph&auml;notypische sexuelle Differenzierung ist das Resultat dreier Prozesse: der Stabilisierung und Entwicklung des Urogenitalh&ouml;ckers, der Differenzierung der bipotenten Gonade in Testis oder Ovarium, bezeichnet als gonadale Geschlechtsdeterminierung, und einer intakten Hormonproduktion und Aktion. In der Vergangenheit wurden einige Gene identifiziert, die auf verschiedenen Ebenen in diese Prozesse involviert sind. Bei Untervirilierungssyndromen entwickeln sich die Gonaden zu Testes ohne Entartungspotenzial, bei der Gonadendysgenesie variiert die Histologie von Streak-Gonaden, undifferenziertem Gewebe bis zu dysgenetischen Testes, abh&auml;ngig vom Differenzierungsschritt, an dem die Entwicklung gest&ouml;rt ist. Die Tumorentwicklung bei DSD-Personen ist assoziiert mit dem Gonadoblastom-Locus am Y-Chromosom und mit der Koexpression von TSPY (Testes-spezifisches Y-kodiertes Protein) und OCT 3/4. OCT und TSPY f&ouml;rdern das &Uuml;berleben und die Proliferation von neoplastischen Zellen. <br />Welchen Patienten soll nun eine Gonad&shy;ektomie empfohlen werden und zu welchem Zeitpunkt? Und gibt es eine Indikation zu einer Gonadenbiopsie? Es existieren keine randomisierten, kontrollierten Studien zu diesen Fragen. Die Literatur basiert auf theoretischen &Uuml;berlegungen, Fallberichten, Beobachtungsstudien und retrospektiven Fallanalysen. Unterschieden wird zumeist zwischen der reinen Gonadendysgenesie als 46 XY und den partiellen Gonadenwdysgenesien als 45 X/46 XY und Varianten. Die Rate gonadaler Malignome variiert in der vorhandenen Literatur bei der reinen Gonadendysgenesie von 22 bis 45 % und 100 % f&uuml;r das Frasier-Syndrom und bei noch geringeren Fallzahlen von 10 bis 57 % f&uuml;r die partielle Gonadendysgenesie. Die Empfehlung zur Gonadektomie wird in der Literatur noch immer durchg&auml;ngig f&uuml;r die reine Gonadendysgenesie (46,XY-DSD), bei weiblichem Ph&auml;notypus, funktionsunt&uuml;chtigen Gonaden und hoher Pr&auml;valenz von Keimzelltumoren gestellt. Das Risiko der Entartung steigt mit der Lebenszeit an, sodass die Entfernung bei Diagnosestellung gerechtfertigt ist. Bei der partiellen Gonadendysgenesie korreliert das Malignomrisiko invers mit dem Grad der Virilisierung. Je geringer der Virilisierungsgrad, desto h&ouml;her das Entartungsrisiko. Hier werden in der Literatur Biopsien der Gonaden vor und nach der Pubert&auml;t empfohlen. <br />Bei der kompletten Androgeninsensitivit&auml;t (CAIS) wurde im Analogschluss zu einem erh&ouml;hten Tumorrisiko bei nicht deszendierten, intraabdominal gelegenen Hoden des Kryptorchismus ebenfalls die Gonadektomie empfohlen. Neueren Studien zufolge ist das Malignomrisiko jedoch deutlich geringer als fr&uuml;her angenommen. Eine maligne Entartung vor der Pubert&auml;t scheint sehr selten zu sein, sodass auf jeden Fall die spontan einsetzende Pubert&auml;tsentwicklung abgewartet und mit den Betroffenen dar&uuml;ber diskutiert und entschieden werden kann. In der Hamburger Intersex-Studie wurden Menschen mit DSD nach ihrer Zufriedenheit mit im Kindes- und Jugendalter erfolgten geschlechtsangleichenden Ma&szlig;nahmen befragt. Die Ergebnisse zeigten bei Personen mit einer kompletten Androgeninsensitivit&auml;t ein hohes Ma&szlig; an Unzufriedenheit mit der &bdquo;geschlechtsangleichenden Ma&szlig;nahme&ldquo; Gonadektomie. Eine regelm&auml;&szlig;ige bildgebende &Uuml;berwachung ist bei belassenen Gonaden zu empfehlen, bei der partiellen Androgeninsensitivit&auml;t mit Zuordnung zum m&auml;nnlichen Geschlecht kann die Verlagerung der Gonaden in ein Skrotum &uuml;berlegt werden.</p> <div id="Fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Voraussetzung f&uuml;r die Empfehlung einer Gonadektomie bei DSD sind die zugrunde liegende Diagnose, die Kenntnis des Entwicklungspotenzials und der Auswirkungen belassener Gonaden und deren m&ouml;glichen Malignomrisikos. Eine generelle Empfehlung sollte es nicht geben, vielmehr eine individuell angepasste Entscheidung, die die Bed&uuml;rfnisse der Betroffenen ber&uuml;cksichtigt.</p> </div> <p>&nbsp;</p> <p><span class="link-color"><a class="article-link" href="../fachthemen/8049" data-locked="0">zur&uuml;ck zum Themenschwerpunkt zur OEGGG Jahrestagung</a></span></p> <p>&nbsp;</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Brinkmann L, Schuetzmann K, Richter Appelt H: Gender assignment and medical history of individuals with different forms of intersexuality. Evaluation of medical records and the patients perspective. J Sex Med 2007; 4: 964-80<br /><strong>2</strong> McCann-Crosby B et al: State of the art review in gonadal dysgenesis challenges in diagnosis and management. Int J Pediatr Endocrinol 2014; 2014: 4 <strong>3</strong> Pleskacova J et al: Tumor risks in disorders of sex development. Sex Dev 2010; 4: 259-69 <strong>4</strong> Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Varianten/St&ouml;rungen der Geschlechtsentwicklung (Disorders of Sex Development, DSD). Stellungnahme der Bundes&auml;rztekammer. Dtsch &Auml;rztebl 2015; DOI: 10.3238/arztebl.2015.stn_dsd_baek_01</p> </div> </p>
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