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Nicht-invasive fetale Blutgruppenbestimmung

„Next generation sequencing“

<p class="article-intro">Die Immunisierung einer Schwangeren gegen fetale Blutgruppenmerkmale kann den Feten im Rahmen einer fetalen/neonatalen Alloimmunthrombozytopenie (FNAIT) oder einer hämolytischen Erkrankung des Feten/Neugeborenen (HDN) vital gefährden. Zur Ermittlung des Risikos in einer bestehenden Schwangerschaft ist häufig eine fetale Blutgruppenbestimmung erforderlich, die heute nicht-invasiv aus dem zellfreien Plasma der Schwangeren erfolgen kann.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Risikoabkl&auml;rung bei fetomaternaler Inkompatibilit&auml;t erfordert die Differenzierung und Bewertung der klinischen Bedeutung des Antik&ouml;rpers in einem erfahrenen Speziallabor sowie in der Regel die genetische Untersuchung beider Eltern.</li> <li>Ist der m&uuml;tterliche Antik&ouml;rper potenziell klinisch relevant und ist der Vater heterozygot f&uuml;r das implizierte Blutgruppenmerkmal, ist eine nicht&shy;invasive fetale Blutgruppenbestimmung ab der 12. SSW indiziert.</li> <li>Ein invasives diagnostisches Vorgehen (Amniozentese, Nabelschnurpunktion) ist bei fetomaternaler Inkompatibilit&auml;t heute in der Regel nicht indiziert.</li> <li>Die nicht-invasive F&uuml;hrung von Schwangerschaften mit fetomaternaler Inkompatibilit&auml;t erfordert eine enge Abstimmung der Pr&auml;natalmedizin mit der Transfusionsmedizin/Immunh&auml;matologie.</li> </ul> </div> <p><br /> Vor 20 Jahren berichtete die Arbeitsgruppe von Lo, dass in zellfreiem Plasma von Schwangeren fetale DNA-Fragmente nachweisbar sind.<sup>1</sup> Zellfreies Plasma enth&auml;lt ca. 90 % maternale DNA-Fragmente und ca. 10 % fetale DNA-Fragmente, die aus untergehenden (apoptotischen) Zellen der Plazenta stammen. Der fetale Anteil nimmt mit dem Gestationsalter zu und erreicht zum Zeitpunkt der Geburt einen Anteil von ca. 25 % . Fetale DNA-Fragmente haben eine mittlere L&auml;nge von 143 Basenpaaren.<sup>2</sup> Die absolute Zahl der fetalen DNA-Fragmente je Milliliter Plasma ist sehr gering. Das relative Verh&auml;ltnis fetaler DNA-Fragmente aus verschiedenen Chromosomen zueinander wird im Rahmen nicht-invasiver pr&auml;nataler Tests (NIPT) zum Aneuploidie-Screening eingesetzt.<br />Die nicht-invasive Bestimmung des fetalen Rhesusmerkmals wurde in einigen europ&auml;ischen L&auml;ndern in die Mutterschaftsvorsorge zur Indikationsstellung f&uuml;r die Rhesusprophylaxe bei RhD-negativen Schwangeren eingef&uuml;hrt.<sup>3</sup> F&uuml;r andere Blutgruppenmerkmale stehen nicht-invasive Verfahren bisher nur eingeschr&auml;nkt oder nicht zur Verf&uuml;gung. Wir konnten zeigen, dass die klinisch relevanten fetalen thrombozyt&auml;ren und erythrozyt&auml;ren Blutgruppenmerkmale durch &bdquo;next generation sequencing&ldquo; aus maternaler zellfreier Plasma-DNA bestimmt werden k&ouml;nnen.<sup>4</sup></p> <h2>Pathogenese und Genetik der fetomaternalen Inkompatibilit&auml;t</h2> <p>Die Immunisierung der Schwangeren erfolgt gegen ein Blutgruppenantigen, das der Fetus von seinem Erzeuger ererbt hat. M&uuml;tterliche Antik&ouml;rper der Immunglobulinklasse IgG gegen fetale Blutgruppenantigene werden aktiv &uuml;ber die Plazenta in den kindlichen Kreislauf transportiert und f&uuml;hren dort zur Destruktion fetaler Blutzellen: Es entsteht eine fetale Thrombozytopenie mit der Gefahr fetaler/neonataler Blutungen (FNAIT) oder eine fetale An&auml;mie mit Entwicklung eines Hydrops fetalis (HDN). Die Blutgruppenantigene werden in der Regel durch eine Punktmutation (&bdquo;single nucleotide polymorphism&ldquo;, SNP) mit konsekutivem Austausch einer Aminos&auml;ure an einem Glykoprotein der Zellmembran kodiert (eine Ausnahme stellt das Merkmal RhD dar: Der RhD-negative Ph&auml;notyp entsteht in der Regel durch Fehlen des RHD-Gens). Die betroffenen Schwangeren sind homozygot in dem betreffenden Blutgruppensystem. Der Fetus hat ein Allel von seiner Mutter sowie das antithetische Allel von seinem Vater ererbt. Er ist daher heterozygot und besitzt ein Allel, welches f&uuml;r das implizierte Alloantigen kodiert. Ist der Vater homozygot f&uuml;r das Blutgruppenalloantigen, sind 100 % der Nachkommen Merkmalstr&auml;ger. Ist der Vater heterozygot, so betr&auml;gt die Wahrscheinlichkeit, dass der Fetus Merkmalstr&auml;ger ist, 50 % (Abb. 1). In diesem Fall ist eine Bestimmung des fetalen Genotyps erforderlich, da nur diejenigen Feten, die das paternale Merkmal auspr&auml;gen, durch die m&uuml;tterlichen Antik&ouml;rper gef&auml;hrdet sind.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Gyn_1702_Weblinks_s16.jpg" alt="" width="1051" height="1103" /></p> <h2>Bestimmung fetaler Blutgruppen&shy;merkmale durch &bdquo;targeted next generation sequencing&ldquo;</h2> <p>Unter der Annahme, dass 10 % der zirkulierenden DNA-Fragmente in m&uuml;tterlichem Plasma fetalen Ursprungs sind (fraktionale fetale DNA-Konzentration), sind 5 % der Allele paternalen Ursprungs (Abb. 1). Konventionelle Methoden zum Nachweis fetaler Blutgruppenmerkmale bedienen sich in der Regel quantitativer PCR-Verfahren (z.B. TaqMan-PCR). W&auml;hrend der Nachweis des fetalen RHD-Gens mit diesen Methoden relativ einfach ist, gibt es beim Nachweis fetaler Blutgruppen, die durch SNPs kodiert werden, zwei Herausforderungen: Die fetale Genvariante muss vor dem Hintergrund des hohen &Uuml;berschusses maternaler Genvarianten erkannt werden. Hier besteht das Risiko falsch positiver Ergebnisse. Ferner kann bei einem negativen Ergebnis nicht abgesch&auml;tzt werden, ob das negative Ergebnis infolge einer zu geringen Konzentration fetaler DNA erzielt wurde. Bei m&auml;nnlichen Feten k&ouml;nnen Y-chromosomale Sequenzen zum Nachweis einer ausreichenden Konzentration fetaler DNA herangezogen werden. Bei weiblichen Feten k&ouml;nnen plazentaspezifische Methylierungsmuster zum Nachweis fetaler DNA eingesetzt werden. Beide Strategien erlauben jedoch keine zuverl&auml;ssige Quantifizierung fetaler DNA.<br />Wir haben ein Verfahren entwickelt, mit dem zahlreiche paternale fetale Allele parallel nachgewiesen werden k&ouml;nnen. Zun&auml;chst werden ca. 30 kurze DNA-Fragmente, die jeweils einen relevanten/informativen SNP flankieren, amplifiziert. Die Bibliothek amplifizierter DNA-Fragmente wird anschlie&szlig;end massiv parallel sequenziert (&bdquo;next generation sequencing&ldquo;; Abb. 1). Dies erlaubt eine Absch&auml;tzung der fraktionalen fetalen DNA-Konzentration an Genorten, an denen die Schwangere homozygot und der Fetus Tr&auml;ger eines paternalen Allels ist. Liegt die fraktionale fetale DNA-Konzentration &uuml;ber 4 % , wird eine sichere Bestimmbarkeit paternaler Allele angenommen. Ferner fordern wir mindestens 1000 Sequenzierergebnisse (&bdquo;reads&ldquo;) je Genort f&uuml;r ein valides Ergebnis. Gegenw&auml;rtig umfasst die Sequenzierstrategie folgende Genorte: RHD (RhD), RHCE (C, c, E, e), DARC [F(a), F(b)], GYPB (S, s), KEL (K, k), SLC14A1 [Jk(a), Jk(b)], ITGB3 (HPA-1a, HPA-1b), ITGA2B (HPA-3a, HPA-3b), ITGA2 (HPA-5a, HPA-5b), CD109 (HPA-15a, HPA-15b). Das Verfahren wurde in zahlreichen F&auml;llen jeweils mit Best&auml;tigung des Genotyps am Neugeborenen erfolgreich klinisch eingesetzt.</p> <h2>Fetale/neonatale Alloimmun&shy;thrombozytopenie (FNAIT)</h2> <p>F&uuml;r die fetale/neonatale Alloimmunthrombozytopenie ist derzeit kein prospektives Screening in der Schwangerschaft etabliert. Die Diagnose wird daher in der Regel gestellt, wenn ein sonst unauff&auml;lliges Neugeborenes klinisch apparente Blutungszeichen (Petechien, H&auml;matome) entwickelt. Am h&auml;ufigsten wird die FNAIT durch m&uuml;tterliche Antik&ouml;rper gegen das humane Pl&auml;ttchen-Antigen 1a (HPA-1a) hervorgerufen. In der Folgeschwangerschaft kann eine Behandlung der Schwangeren mit hoch dosiertem Immunglobulin (Behandlungsbeginn: 20. SSW; 1g/kg KG je Woche bis zur Entbindung) das Auftreten fetaler Blutungskomplikationen verhindern. Gef&uuml;rchtet ist insbesondere das Auftreten intrakranieller Blutungen. Bei Feststellung der Schwangerschaft sollte u.a. eine Bestimmung des v&auml;terlichen Genotyps erfolgen. Ist der Vater heterozygot f&uuml;r das implizierte Antigen, besteht eine Indikation zur Feststellung des fetalen Genotyps. Wir empfehlen eine nicht&shy;invasive Erstuntersuchung ab der 12. SSW. H&auml;ufig kann bereits in der 12. SSW eine eindeutige Diagnose gestellt werden, ggf. ist eine Wiederholung im weiteren Schwangerschaftsverlauf notwendig. Ist der Fetus Merkmalstr&auml;ger, wird eine Indikation zur Immunglobulinprophylaxe gestellt. Ist der Fetus negativ f&uuml;r das implizierte Merkmal, sind weitere Ma&szlig;nahmen in der aktuellen Schwangerschaft nicht notwendig.</p> <h2>H&auml;molytische Erkrankung des Feten/Neugeborenen (HDN)</h2> <p>M&uuml;tterliche Antik&ouml;rper gegen fetale Blutgruppenantigene an Erythrozyten sind entweder aus vorangegangenen Schwangerschaften bekannt oder sie werden im Rahmen der Mutterschaftsvorsorgeuntersuchungen festgestellt. Auch bei der h&auml;molytischen Erkrankung des Feten/Neugeborenen sollte zun&auml;chst festgestellt werden, ob der Vater homozygot oder heterozygot f&uuml;r das implizierte Merkmal ist. Ist der Vater heterozygot (z.B. RHD-heterozygot oder Kk), besteht eine Indikation zur Bestimmung des fetalen Genotyps, um festzustellen, ob in der aktuellen Schwangerschaft ein Risiko f&uuml;r das Auftreten einer fetalen An&auml;mie besteht. Zur Bestimmung des fetalen RHD-Status hat sich die quantitative PCR bew&auml;hrt. In der Regel ist der fetale RHD-Status ab der 12. SSW sicher zu bestimmen. Genetische Besonderheiten bei den Eltern (z.B. RHD-Kategorien; RHD-Varianten bei Personen afrikanischer Abstammung) k&ouml;nnen im Einzelfall zu falschen Ph&auml;notypvorhersagen f&uuml;hren. Der fetale Genotyp weiterer relevanter Blutgruppensysteme kann durch die oben beschriebene Methode ebenfalls ab der 12. SSW festgestellt werden. Aus dem Ergebnis wird die weitere Strategie zur fr&uuml;hzeitigen Erkennung einer fetalen An&auml;mie durch Ultraschalldiagnostik abgeleitet.</p> <div id="Fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Invasive Ma&szlig;nahmen zur Bestimmung fetaler Blutgruppenmerkmale bei Schwangeren mit fetomaternaler Inkompatibilit&auml;t (FNAIT, HDN) k&ouml;nnen heute in der Regel vermieden werden.</p> </div> <p>&nbsp;</p> <p><span class="link-color"><a class="article-link" href="../fachthemen/8049" data-locked="0">zur&uuml;ck zum Themenschwerpunkt zur OEGGG Jahrestagung</a></span></p> <p>&nbsp;</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Lo YMD et al: Presence of fetal DNA in maternal plasma and serum. Lancet 1997; 350: 485-7 <strong>2</strong> Chan KCA et al: Sec&shy;ond generation noninvasive fetal genome analysis reveals de novo mutations, single-base parental inheritance, and preferred DNA ends. PNAS 2016; 113: E8159-68 <strong>3</strong> de Haas M et al: Sensitivity of fetal RHD screening for safe guidance of targeted anti-D immunoglobulin prophylaxis. Prospective cohort study of a nationwide programme in the Netherlands. BMJ (Clinical research ed.) 2016; 355: i5789 <strong>4</strong> Wienzek-Lischka S et al: Noninvasive fetal genotyping of human platelet antigen-1a using targeted massively parallel sequencing. Transfusion 2015; 55: 1538-44</p> </div> </p>
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