GTH 2017

Die Möglichkeiten der Hämostaseregulation werden vielfältiger

<p class="article-intro">Das wissenschaftliche Programm der Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH) reflektierte den kräftigen Innovationsschub, der in den vergangenen Jahren wichtige neue Ansätze zum Verständnis der Hämophilie sowie zur Entwicklung neuer Therapieoptionen gebracht hatte. Es profitieren nicht nur Prophylaxe und Therapie durch Faktorpräparate. Auch neue Targets zur Hämostaseregulation werden untersucht. Ein großer Hoffnungsträger für die weitere Zukunft einer kurativen Behandlung ist die Gentherapie. </p> <hr /> <p class="article-content"><p>Seit wenigen Jahren stehen gentechnisch hergestellte Faktorenkonzentrate mit verl&auml;ngerter Wirkdauer zur Verf&uuml;gung. Grundlage daf&uuml;r sind unterschiedliche Ans&auml;tze wie die Modifikationen der FVIII-Protein-Sequenz, Fusionen der Gerinnungsfaktoren VIII und IX mit einem Albumin oder mit der Fc-Dom&auml;ne von IgG sowie die Pegylierung, bei der es sich um eine chemische Modifikation der FVIII/FIX-Proteine (Tab. 1 und 2) handelt. Durch Anwendung dieser verschiedenen Methoden ist es m&ouml;glich geworden, die Halbwertszeit f&uuml;r den Gerinnungsfaktor VIII im besten Fall von 12 auf 18 Stunden (Abb. 1) und f&uuml;r den Faktor IX von 20 auf 100 Stunden zu verl&auml;ngern (Abb. 2). &bdquo;Bei Patienten mit H&auml;mophilie A kann damit die Zahl der Infusionen im Rahmen eines prophylaktischen Therapieregimes von dreimal w&ouml;chentlich auf zweimal pro Woche reduziert werden&ldquo;, so Univ.-Prof. Dr. Christoph Male von der Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Kinder- und Jugendheilkunde am AKH Wien. Die klinischen Daten zeigen eine gute Response der Patienten, die Blutungsraten konnten im Vergleich zu den bisherigen Therapieoptionen reduziert werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1703_Weblinks_s8_1.jpg" alt="" width="2151" height="584" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1703_Weblinks_s8_3.jpg" alt="" width="2151" height="480" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1703_Weblinks_s8_2.jpg" alt="" width="1456" height="870" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1703_Weblinks_s10_2.jpg" alt="" width="1456" height="637" /></p> <p>Bei der Mehrzahl der Patienten werden mit den neuen FIX-Pr&auml;paraten nach 7&ndash;14 Tagen Trough-Levels &ge;1IU/dl erreicht. Im Gegensatz zu den neuen FVIII-Pr&auml;paraten ist mit den FIX-Pr&auml;paraten im Vergleich zur Vortherapie eine weitaus deutlichere Reduktion der notwendigen Faktormenge m&ouml;glich. Die Response ist mit einer relevanten Verringerung der Blutungsrate ebenfalls gut. Bislang wurde bei vortherapierten Patienten (PTP) mit den neuen Pr&auml;paraten kein vermehrtes Auftreten von Inhibitoren gegen den verabreichten FVIII oder FIX beobachtet. Prof. Male sieht mit den neuen Pr&auml;paraten eine deutliche Verbesserung der Anwenderfreundlichkeit, der Wirksamkeit und des FIX-Verbrauchs gegeben. <br />Zum praktischen Einsatz jedoch stehen f&uuml;r ihn noch einige Fragen offen. Zum Nachweis der Wirksamkeit werden weitere Studiendaten ben&ouml;tigt, insbesondere aus randomisierten Untersuchungen, ebenso zur Anwendung &uuml;ber l&auml;ngere Zeitr&auml;ume und zum Einsatz bei akuten Blutungen und chirurgischen Eingriffen. Davon erhofft sich Male auch weitere Erkenntnisse zum tats&auml;chlichen Nutzen einer l&auml;ngeren HWZ, beispielsweise zur Ausdehnung der Applikationsintervalle, ohne die Blutungsintervalle zu erh&ouml;hen. Unzureichend ist die Datenlage auch zur Immunogenit&auml;t bei zuvor unbehandelten Patienten (PUP), zu Anti-PEP-Antik&ouml;rpern und PEG-Akkumulation im Gewebe. Unklar ist zudem, wie das optimale Therapiemanagement f&uuml;r Kinder und Jugendliche aussehen soll, und welches der geeignete Zeitpunkt f&uuml;r ein Labormonitoring ist.</p> <h2>Paradigmenwechsel in der H&auml;mophilietherapie?</h2> <p>Auf der GTH-Jahrestagung wurden auch verschiedene M&ouml;glichkeiten zur Wiederherstellung der Hom&ouml;ostase abseits des intrinsischen Xase-Komplexes bei H&auml;mophiliepatienten diskutiert. Mittels dieser neuen Ans&auml;tze k&ouml;nnte sich die bisherige Behandlung im Hinblick auf eine Erh&ouml;hung der Wirksamkeitsspiegel (Trough-Level), der Akzeptanz von Blutungen bei schlecht kontrollierten Patienten und einer individualisierten Therapie ver&auml;ndern. <br />Zu den Highlights des Jahres 2016 z&auml;hlt Prof. Dr. Robert Klammroth, Berlin, die Entwicklung von Prophylaktika f&uuml;r Patienten mit H&auml;mophilie A und FVIII-Hemmk&ouml;rpern. Betroffen sind davon etwa 30 % der Patienten mit H&auml;mophilie A. Um diese Immunreaktion zu umgehen, wurde mit Emicizumab ein bispezifischer Antik&ouml;rper entwickelt, der gleichzeitig an Faktor X und an Faktor IX bindet und Letzteren zu Faktor IXa aktiviert. Der Antik&ouml;rper wirkt wie nat&uuml;rlicher Faktor VIII, ist aber gegen Hemmk&ouml;rper unempfindlich. Die Pharmakokinetik zeigt bei gesunden Probanden einen dosisproportionalen Anstieg der Cmax und der AUC, die mittlere Halbwertszeit betr&auml;gt etwa 4&ndash;5 Wochen.<sup>1</sup> Die Plasmaspiegel von FIX und FX werden nicht beeinflusst. Der Antik&ouml;rper muss nur einmal w&ouml;chentlich subkutan gegeben werden.<br />In einer Pilotstudie mit gesunden japanischen Probanden erwies sich Emicizumab in Dosierungen bis zu 1mg/kg als gut vertr&auml;glich, es traten keine schweren unerw&uuml;nschten Ereignisse oder Thrombosen auf. Eine offene Dosiseskalationsstudie behandelte 18 japanische Patienten mit schwerer H&auml;mophilie A mit 0,3, 1,0 oder 3,0mg/kg KG. Damit konnte die Blutungsinzidenz dosisabh&auml;ngig um bis zu 100 % verringert werden. Durchbruchblutungen konnten erfolgreich behandelt werden. In der randomisierten, offenen Phase-III-Studie HAVEN 1 (NCT02622321) zeigte eine Prophylaxe mit Emicizumab bei Personen &ge;12 Jahre mit H&auml;mophilie A und FVIII-Hemmk&ouml;rpern eine statistisch signifikante Verringerung der Blutungsereignisse im Vergleich zu Patienten mit episodischer FVIII-Therapie, aber ohne Prophylaxe (prim&auml;rer Endpunkt). Die Studie erreichte nach Herstellerangaben alle sekund&auml;ren Endpunkte, konkrete Ergebnisse waren auf dem GTH noch nicht verf&uuml;gbar. Als h&auml;ufigste Nebenwirkungen wurden &ndash; wie bereits in fr&uuml;heren Studien &ndash; Reaktionen an der Injektionsstelle beobachtet. Die Auswertung zeigte allerdings auch, dass offenbar nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch das Thromboserisiko dosisabh&auml;ngig steigt, so Prof. Klammroth. Ein Todesfall (Analblutung) ist nach Angaben der Entwicklerfirmen nicht mit der Einnahme von Emicizumab assoziiert.<br />Der klinische Stellenwert von Emicizumab wird in Zukunft, so Prof. Klammroth, stark vom Sicherheitsprofil des Antik&ouml;rpers abh&auml;ngen. Eine der offenen Fragen ist f&uuml;r ihn, inwiefern die Gabe von Emicizumab und Prothrombinkomplex-Konzentraten (aPCC) synergistische Effekte zeitigt und ob aufgrund dessen die Dosis von aPCC eventuell limitiert werden muss. M&ouml;glicherweise lassen sich auch vergleichbare Effekte mit rekombinantem aktiviertem FVIIa erreichen. F&uuml;r die Praxis bedeutsam sind auch die k&uuml;nftigen Anforderungen an das klinische Monitoring einer Emicizumab-Prophylaxe.<br />Das aktivierte Protein C (APC) unterdr&uuml;ckt als nat&uuml;rlicher Gerinnungshemmer die weitere Thrombingenerierung, indem es die Gerinnungskofaktoren Va und VIIIa proteolytisch spaltet. Seine proteolytische Aktivit&auml;t im Plasma wird vor allem von den Serpinen Protein-C-Inhibitor (PCI), Plasminogenaktivator-Inhibitor-1 (PAI-1) und Alpha-1-Proteinase-Inhibitor (&alpha;1-PI) reguliert. Durch die Gabe von mutierten, hochspezifischen APC-Serpinen konnte nun im Mausmodell die Generierung von Thrombin erh&ouml;ht und die physiologische Ablagerung von Fibrin und Thrombozyten bei Gef&auml;&szlig;wandsch&auml;digungen verbessert werden, berichtete Prof. Anne Angelillo-Scherrer, Bern.<sup>2</sup> Zu den Innovationen in der H&auml;mophilietherapie geh&ouml;rt auch die Entwicklung von Tissue-Factor-Pathway-Inhibitoren (TFPI) und von Protein S (PS) als Kofaktor von TFPI sowie Antithrombin-Inhibitoren (AT3-I) auf der Basis von Antik&ouml;rpern, Adaptameren oder mit &bdquo;RNA interference technology&ldquo; hergestellten RNA-Molek&uuml;len. Wenn diese &bdquo;nicht-Faktor-basierten&ldquo; Konzepte bis zur Praxisreife gef&uuml;hrt werden, k&ouml;nnte dies laut Dr. Sara Calzavarini, Bern, in einigen Jahren zu einem Paradigmenwechsel in der H&auml;mophilietherapie f&uuml;hren und die Prophylaxe von Gelenkblutungen und Arthropathien erheblich verbessern.</p> <h2>Schwangerschaft und Blutungsrisiko</h2> <p>Frauen mit einem Von-Willebrand-Syndrom (VWS) leiden au&szlig;er an Menorrha&shy;gien auch unter geh&auml;uften endometrialen Komplikationen in Verbindung mit Blutgerinnungsst&ouml;rungen. Insbesondere w&auml;hrend einer Schwangerschaft kommt es zu wechselnden Ver&auml;nderungen der Hom&ouml;ostase, wie Dr. Ute Scholz, Leipzig, erkl&auml;rte (Tab. 3). Sie kritisierte, dass insbesondere in Deutschland die Leitlinien nicht dem aktuellen Stand des Wissens entsprechen. Zielf&uuml;hrender ist f&uuml;r sie ein Blick auf die internationalen Guidelines.<sup>3</sup> VWS-assoziierte Blutungen treten w&auml;hrend der Schwangerschaft deutlich seltener auf als post partum. Nach der Geburt sollte die Patientin l&auml;nger als bisher &uuml;blich &ndash; in den ersten sechs Wochen &ndash; engmaschig &uuml;berwacht werden.<br />Eine Forschergruppe um Prof. Dr. Rainer Zotz, D&uuml;sseldorf, wies in einer prospektiven Studie<sup>4</sup> nach, dass schwangere Frauen mit einer positiven Anamnese eines thromboven&ouml;sen Ereignisses (VTE) und erh&ouml;hten Konzentrationen der Prothrombinfragmente F1 + F2 ein signifikant h&ouml;heres Thromboserisiko hatten als Schwangere mit normalen Blutwerten (p&lt;0,0001).<sup>4</sup> In den Ergebnissen sind der schwangerschaftsbedingte Anstieg der Prothrombinfragmente F1 + F2 sowie eine Heparinprophylaxe ber&uuml;cksichtigt. Pathologisch hohe Konzentrationen der Prothrombinfragmente F1 + F2 sind auch assoziiert mit einem Faktor-V-Leiden (APC-Resistenz) und der Prothrombinmutation G20210A (p=0,011).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1703_Weblinks_s8_4.jpg" alt="" width="1419" height="968" /></p> <h2>Weiterhin Hoffnung auf Gentherapie</h2> <p>Die Entwicklung gentherapeutischer Strategien zur kurativen Therapie der H&auml;mophilie blickt mittlerweile auf mehrere Jahrzehnte an Forschungsarbeit zur&uuml;ck. Rezent vermehrt ins Zentrum der Aufmerksamkeit ger&uuml;ckt sind insbesondere Ans&auml;tze, wonach DNA-Sequenzen zur Synthese von Gerinnungsfaktoren mittels viraler Vektoren k&uuml;nstlich in Hepatozyten von betroffenen Patienten eingeschleust werden sollen. Ein Problem stellen dabei bislang jedoch die Immunreaktionen des K&ouml;rpers gegen die Vektoren dar. Als Transportvehikel &ndash; Genf&auml;hren oder Genvektoren &ndash; werden heute bevorzugt Adeno-assoziierte Viren (AAV) aus der Familie der Parvoviren eingesetzt. Im Fokus der Gentherapie steht vor allem die H&auml;mophilie B, da das FIX-Protein lediglich aus 461 Aminos&auml;uren besteht, w&auml;hrend sich das FVIII-Protein aus 2351 Aminos&auml;uren zusammensetzt; das F9-Gen ist dementsprechend kleiner. Zudem scheint die FIX-Expression weniger kompliziert zu sein als jene von FVIII. Eine derzeit favorisierte Strategie ist die Verwendung von FIX Padua. Es bindet 8- bis 12-mal st&auml;rker als Wildtyp-FIX. Damit soll der goldene Mittelweg gefunden werden, um bei Patienten mit H&auml;mophilie A oder B FVIII-/FIX-Wirkspiegel &gt;30 % als Wirksamkeitsschwelle zu erreichen und damit spontane Blutungen zu verhindern, ohne Thrombosen oder Immunreaktionen wie die Hemmk&ouml;rperbildung oder intolerable Hepatitiden zu verursachen, berichtete Prof. Dr. Thierry Vandendriessche, Br&uuml;ssel. AAV-Vektoren k&ouml;nnen jedoch nur bei Patienten ohne pr&auml;formierte adenovirale Antik&ouml;rper als Vehikel eingesetzt werden, um keine Hemmk&ouml;rperbildung zu provozieren.<br />Vandendriessche stellte aktuelle Daten aus dem Studienprogramm SPK-9001 vor.<sup>5</sup> Dieses erhielt Mitte 2016 von der amerikanischen Gesundheitsbeh&ouml;rde FDA und Anfang M&auml;rz 2017 von der EMA den &bdquo;Breakthrough Designation Therapy&ldquo;-Status.<sup>6, 7</sup><br />Das Studienprogramm, das einen neuartigen, gentechnisch ver&auml;nderten AAV-Vektor f&uuml;r den nat&uuml;rlichen humanen Gerinnungsfaktor IX (&bdquo;FIX Padua&ldquo;-Gen) untersucht, befindet sich aktuell in der Phase II der klinischen Pr&uuml;fung. In einer Phase-I/II-Studie (NCT02484092)<sup>5</sup>, die Patienten mit schwerer H&auml;mophilie B eingeschlossen hatte, stieg nach einmaliger Gabe bei jenen neun Patienten, die einen Behandlungszeitraum von 12 Wochen nach der Infusion absolviert hatten, die Faktor-IX-Konzentration von &lt;2 % auf im Mittel 28,5 % . Zwei der neun Patienten entwickelten einen asymptomatischen Anstieg der AST/ALT-Spiegel. Nach einer Dosis von 60mg Prednisolon, ausschleichend dosiert, verbesserte sich der ALT-Wert innerhalb von 42 bis 72 Stunden. Au&szlig;er bei einem Patienten, der mit Verdacht auf eine Sprunggelenkblutung zwei Tage nach der Vektorinfusion FIX substituierte, trat nach der Gentherapie bei keinem Patienten eine Blutung auf.</p> <p><strong>Quelle:&nbsp;</strong></p> <p>61. Jahrestagung der Gesellschaft f&uuml;r Thrombose- und H&auml;mostaseforschung, 15.&ndash;18. Februar 2017, Basel</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Uchida N et al: Blood 2016; 127: 1633-1641 <strong>2</strong> Polderijk SG et al: Blood 2017; 129(1): 105-113 <strong>3</strong> Nichols WL et al: Haemophilia 2008; 14(2): 171-232 <strong>4</strong> Zotz RB et al: Highlight Session IV, GTH 2017 <strong>5</strong> George LA et al: 32<sup>nd</sup> International Congress of the World Federation of Hemophilia 2016, Post 30-MP-M <strong>6</strong> Pressemitteilung von Spark Therapeutics (ONCE) und Pfizer Inc. (PFE) vom 21. 7. 2017 <strong>7</strong>&nbsp;Pressemitteilung der EMA vom 8. 3. 2017</p> </div> </p>
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