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Patient Blood Management: weniger Komplikationen und geringere Kosten

Blutprodukte rational einsetzen

<p class="article-intro">Der Patient hat nach der Hüftoperation eine Anämie – also gibt man ihm Blut, denn er soll sich schneller erholen. Doch was man fast reflexartig macht, hat wenig wissenschaftlichen Hintergrund: In Studien ist gezeigt worden, dass Bluttransfusionen keinen Vorteil bringen oder sogar einen Nachteil. Mit Patient Blood Management, einem multidisziplinären Behandlungskonzept, lassen sich eine präoperative Anämie und Blutverlust im Spital vermeiden, und Blutprodukte werden rationaler eingesetzt. <em>LEADING OPINIONS</em> hat sich erkundigt, wie man PBM an seinem Spital am besten einführt, mit welchen Widerständen man zu kämpfen hat und wie man diese überwindet.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Weniger Fremdblut spart Gesundheitskosten&raquo;, berichtete schon vor zwei Jahren das Schweizer Fernsehen,<sup>1</sup> und auch der Blutspendedienst des Schweizerischen Roten Kreuzes informiert dar&uuml;ber auf seiner Homepage.<sup>2</sup> Doch erkundigt man sich bei &Auml;rzten, haben nur wenige schon davon geh&ouml;rt, geschweige denn es in ihrer Klinik umgesetzt. Es geht um Patient Blood Management (PBM), ein multidisziplin&auml;res Behandlungskonzept, mit dem man eine An&auml;mie und Blutverlust vermeidet und Blutprodukte rational einsetzt. &laquo;Jedes Spital braucht PBM&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Donat R. Spahn, Direktor des Instituts f&uuml;r An&auml;sthesiologie am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich. &laquo;Damit k&ouml;nnen wir viele Operationen ohne Bluttransfusionen durchf&uuml;hren, die Patienten erholen sich schneller, k&ouml;nnen fr&uuml;her entlassen werden und haben weniger Komplikationen.&raquo; F&uuml;r die Einf&uuml;hrung ihres PBM-Programmes am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich wurden Spahn und sein Kollege Dr. med. Tarun Mehra im Juni mit dem Swiss Quality Award 2016 in der Kategorie &laquo;station&auml;r&raquo; ausgezeichnet.<sup>3</sup> Im ersten Jahr nach Einf&uuml;hrung von PBM wurden 27 % weniger Blutprodukte verabreicht und 83&thinsp;446 Franken pro 1000 Patienten respektive insgesamt mehr als zwei Millionen Franken eingespart (Abb. 1).<sup>4</sup><br /> Auch die Patienten profitieren von PBM: In einer aktuellen Studie mit 129&thinsp;719 Patienten aus vier grossen Universit&auml;tsspit&auml;lern in Deutschland erlitten die Patienten nach Einf&uuml;hrung von PBM seltener einen akuten Nierenschaden (2,39 % vs. 1,67 % ; p&lt;0,001).<sup>5</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite16.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <div id="rot"> <p>&laquo;Im ersten Jahr nach Einf&uuml;hrung von PBM wurden am USZ 27 % weniger Blutprodukte verabreicht und mehr als zwei Millionen Franken eingespart.&raquo; - D. Spahn, Z&uuml;rich</p> </div> <h2>Zweifel am Nutzen von Bluttransfusionen</h2> <p>&laquo;Lange Zeit hat niemand hinterfragt, wie wirksam Bluttransfusionen &uuml;berhaupt sind&raquo;, berichtet Prof. Dr. med. Kai Zacharowski, Direktor der Klinik f&uuml;r An&auml;sthesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie an der Universit&auml;t Frankfurt. 2011 ergab die FOCUS-Studie, dass Patienten nach Einsatz einer H&uuml;ftprothese nicht fr&uuml;her mobilisiert werden konnten, wenn sie Blutkonserven bekamen, und auch die Mortalit&auml;t nicht sank.<sup>6</sup> Selbst bei Patienten mit septischem Schock unterschied sich die 90-Tages-Mortalit&auml;t nicht, wenn die Patienten schon bei einem Hb von &lt;9g/dl Blutkonserven erhielten oder erst bei &lt;7g/dl.<sup>7</sup> Inzwischen belegen eine Handvoll Studien, dass Bluttransfusionen keinen Vorteil bringen oder sogar einen Nachteil, etwa dass sie bei Sch&auml;del-Hirn-Trauma das neurologische Outcome verschlechtern oder nach oberer gastrointestinaler Blutung die Mortalit&auml;t erh&ouml;hen.<sup>6&ndash;11</sup> In einer Herzchirurgie-Studie war zwar die 90-Tages-Mortalit&auml;t bei den restriktiv Transfundierten etwas h&ouml;her,<sup>12</sup> aber Zacharowski glaubt den Ergebnissen nicht. &laquo;Die Studie war nicht daf&uuml;r geplant, diese Frage zu beantworten, ausserdem war sie ziemlich klein.&raquo;<br /> PBM besteht aus mehr als hundert einzelnen Massnahmen.<sup>13</sup> &laquo;Welche Elemente die wichtigsten sind, h&auml;ngt vom Patienten, der geplanten Operation und seinen individuellen Problemen ab&raquo;, sagt Spahn. Die Massnahmen lassen sich drei Kategorien zuordnen: pr&auml;operativ nach einer An&auml;mie suchen und sie gegebenenfalls behandeln, den intra- und postoperativen Blutverlust vermindern und Blutprodukte gezielt und zur&uuml;ckhaltend einsetzen (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite17.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Einf&uuml;hrung von PBM am Beispiel des USZ</h2> <p>Spahn begann 2006, PBM am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich (USZ) einzuf&uuml;hren. &laquo;Das war anfangs nicht einfach, wir bekamen ziemlichen Gegenwind&raquo;, erinnert er sich. Viele Kollegen waren wenig bereit, sich Neuem zu &ouml;ffnen, oder hatten Angst, durch das restriktive Transfusionsverhalten k&auml;me es zu Komplikationen, f&uuml;r die sie keine Verantwortung &uuml;bernehmen wollten. Die &Auml;rztliche Direktion kam erst in einer zweiten Phase dazu. &laquo;Sie hat zum Gl&uuml;ck schnell erkannt, dass PBM eine sinnvolle Massnahme ist, die aber am gesamten USZ umgesetzt werden m&uuml;sste.&raquo; So wurden die Transfusionsrichtlinien als Weisung der &Auml;rztlichen Direktion f&uuml;r das ganze USZ als verbindlich erkl&auml;rt und ein elektronisches PBM-Monitoring- &amp; Feedback-Programm eingef&uuml;hrt. Damit wird jede Bluttransfusion erfasst, und quartalsweise erh&auml;lt jeder Klinikdirektor eine R&uuml;ckmeldung. Weicht das Transfusionsverhalten zu sehr ab von den PBM-Richtlinien, h&auml;lt die Kommission R&uuml;cksprache mit dem Klinikdirektor, und wenn sich nichts bessert, muss er jede Transfusion, die nicht den Richtlinien entspricht, schriftlich erkl&auml;ren. &laquo;Mit diesem Vorgehen wurden schon im ersten Jahr 27 % weniger Blutprodukte transfundiert&raquo;, berichtet Spahn.<sup>4</sup><br /> Wenn man PBM einf&uuml;hren wolle, brauche man Hartn&auml;ckigkeit, Geduld und wissenschaftliche Fakten, so Zacharowski: &laquo;Sagt man dem Klinikdirektor, PBM senke nicht nur die Komplikationsrate, sondern spare auch noch Geld, ist das ein schlagendes Argument.&raquo; Viel erreicht er mit der Schilderung von konkreten Fallbeispielen. Wie das einer 48-j&auml;hrigen Frau mit einer Eisenmangelan&auml;mie und einem Hb von 10,0g/dl. &laquo;W&uuml;rde die Frau in einer grossen Operation 1800ml Blut verlieren, w&uuml;rde sie auf ein Hb von 8,0g/dl rutschen, was ihr Outcome verschlechtern w&uuml;rde&raquo;, rechnet Zacharowski vor. &laquo;W&uuml;rde die An&auml;mie der Frau aber ad&auml;quat behandelt, k&auml;me sie vielleicht auf ein Hb von ungef&auml;hr 13g/dl. Durch den Blutverlust w&uuml;rde das Hb dann nur auf etwa 11g/dl sinken, und die Patientin br&auml;uchte keine Transfusion.&raquo; Zus&auml;tzlich kann man den intra- und postoperativen Blutverlust auf der Intensivstation deutlich senken, etwa mit einem ad&auml;quaten Gerinnungsmanagement, Cellsavern, Normothermie und der restriktiven Handhabung von Blutentnahmen.<br /> Zacharowski hat ausgerechnet, dass bei einem Patienten mit septischem Schock und akutem kardialem, pulmonalem und renalem Versagen in einer Woche im Schnitt 1623ml Blut abgenommen werden bzw. verloren gehen. Bei einem jungen, vorher gesunden Mann w&uuml;rde das Hb dadurch von 15g/dl auf 10,9g/dl sinken, bei einer &auml;lteren, gebrechlichen Frau aber von 11g/dl auf 4,8g/dl. &laquo;Wir sollten nicht wie Vampire Blut abnehmen, sondern wie Moskitos&raquo;, erkl&auml;rt Zacharowski. Neben strengen Indikationen, wann welcher Wert bestimmt wird, hat er den Hersteller der Blutabnahmer&ouml;hrchen gebeten, kleinere R&ouml;hrchen herzustellen, die mit weniger Blut auskommen.</p> <div id="rot"> <p>&laquo;Sagt man dem Klinikdirektor, PBM senke nicht nur die Komplikationsrate, sondern spare auch noch Geld, ist das ein schlagendes Argument.&raquo; - K. Zacharowski, Frankfurt am Main</p> </div> <h2>Initiale Investition zahlt sich f&uuml;r ein Spital rasch aus</h2> <p>Zacharowski hat schon vielen Kliniken geholfen, PBM einzuf&uuml;hren. Am liebsten macht er sich vor Ort ein Bild. Die Kosten, so sch&auml;tzt der An&auml;sthesist, belaufen sich auf rund 100&thinsp;000 Franken f&uuml;r Analyse, Prozessbeurteilung, Schulungen sowie Erstellen von Informationsmaterial plus weitere 150&thinsp;000 Franken, um einen Arzt freizustellen, der sich um PBM k&uuml;mmert. &laquo;Das sind aber nur grobe Sch&auml;tzungen, es kommt darauf an, wie viel PBM ein Spital will.&raquo; Spahn kam ohne zus&auml;tzliche Stellen- investition aus. &laquo;Das war aber nur dank pers&ouml;nlichem Engagement aller Beteiligten m&ouml;glich.&raquo; Doch auch mit diesen Ausgaben w&uuml;rde sich die Investition rasch lohnen. &laquo;Die Klinik spart ja jedes Jahr rund 83&thinsp;500 Franken pro 1000 Patienten durch die eingesparten Blutprodukte.&raquo;<br /> PD Dr. med. Behrouz Mansouri Tale-ghani, Leitender Arzt an der Universit&auml;tsklinik f&uuml;r H&auml;matologie am Inselspital Bern, hat schon seit mehr als zehn Jahren schrittweise wesentliche Inhalte von PBM in den Klinikalltag integriert. Bis Ende dieses Jahres will er unter dem Namen &laquo;PBM&raquo; weitere Massnahmen implementieren. &laquo;Bei uns gibt es keine Widerst&auml;nde von Kollegen oder Direktion&raquo;, erz&auml;hlt er. &laquo;Aber wie h&auml;ufig bei solchen komplexen Projekten f&uuml;rchten manche, es st&uuml;nden nicht gen&uuml;gend Ressourcen zur Verf&uuml;gung.&raquo;</p> <div id="rot"> <p>&laquo;Seit mehr als zehn Jahren haben wir am Inselspital Bern schrittweise wesentliche Inhalte von PBM in den Klinikalltag integriert.&raquo; - B. Mansouri Taleghani, Bern</p> </div> <p>Prof. Dr. med. Luzius Steiner, Chefarzt An&auml;sthesiologie am Universit&auml;tsspital Basel, versucht seit einem Jahr, ein PBM-Programm einzuf&uuml;hren. Einige Elemente hat er schon umgesetzt, etwa einen Algorithmus zum Management von Gerinnungsst&ouml;rungen oder interne Transfusionsrichtlinien. &laquo;PBM ist aufwendig und es ist schwierig, alle Beteiligten zu organisieren&raquo;, sagt er. F&uuml;r die Behandlung einer An&auml;mie braucht er zum Beispiel Mitarbeiter und R&auml;ume f&uuml;r Eiseninfusionen oder Erythropoetininjektionen. &laquo;Davon muss man die Spitalleitung erst einmal &uuml;berzeugen. Ohne ein klares Ja der Klinikdirek-tion f&uuml;r PBM geht es nicht.&raquo;</p> <div id="rot"> <p>&laquo;Ohne ein klares Ja der Klinikdirektion f&uuml;r PBM geht es nicht.&raquo; - L. Steiner, Basel</p> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> <a href="http://www.srf.ch/news/wirtschaft/weniger-fremdblut-spart-gesundheitskosten" target="_blank">http://www.srf.ch/news/wirtschaft/weniger-fremdblut-spart-gesundheitskosten</a> <strong>2</strong> <a href="http://www.blutspende.ch/de/blutspende/spenderinformationen/der_weg_ihrer_blutspende/einsatz_der_blutspende/pbm" target="_blank">http://www.blutspende.ch/de/blutspende/spenderinformationen/der_weg_ihrer_blutspende/einsatz_der_blutspende/pbm</a> <strong>3</strong> <a href="http://www.fmh.ch/sqa/swiss_quality_award/gewinner.html" target="_blank">http://www.fmh.ch/sqa/swiss_quality_award/gewinner.html</a> <strong>4</strong> Mehra T et al: Implementation of a patient blood management monitoring and feedback program significantly reduces transfusions and costs. Transfusion 2015; 55: 2807-15 <strong>5</strong> Meybohm P et al: Patient Blood Management is associated with a substantial reduction of red blood cell utilization and safe for patient&rsquo;s outcome. Ann Surg 2016; 264: 203-11 <strong>6</strong> Carson JL et al: Liberal or Restrictive transfusion in high-risk patients after hip surgery. N Engl J Med 2011; 365: 2453-62 <strong>7</strong> Holst LB et al: Lower versus higher hemoglobin threshold for transfusion in septic shock. N Engl J Med 2014; 371: 1381-91 <strong>8</strong> H&eacute;bert PC et al: A multicenter, randomized, controlled clinical trial of transfusion requirements in critical care. N Engl J Med 1999; 340: 409-17 <strong>9</strong> Robertson RS et al: Effect of erythropoietin and transfusion threshold on neurological recovery after traumatic brain injury: a randomized clinical trial. JAMA 2014; 312: 36-47 <strong>10</strong> Hajjar LA et al: Transfusion Requirements After Cardiac Surgery. The TRACS randomized controlled trial. JAMA 2010; 304: 1559-67 <strong>11</strong> Villanueva C et al: Transfusion strategies for acute upper gastrointestinal bleeding. N Engl J Med 2013: 368: 11-21 <strong>12</strong> Murphy GJ et al: Liberal or restrictive transfusion after cardiac surgery. N Engl J Med 2015; 372: 997-1008 <strong>13</strong> Meybohm P et al: Patient Blood Management bundles to facilitate implementation. Transfus Med Rev 2016 [epub ahead of print]</p> </div> </p>
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