<p class="article-intro">Alkoholabhängigkeit wird in zunehmendem Maße „Alkoholkrankheit“ genannt, um von dem religiös beeinflussten Schuldkonzept wegzukommen und auf den Krankheitswert und die biologischen Komponenten dieser Erkrankung hinzuweisen. Dennoch empfinden die Betroffenen immer noch sehr oft die psychosoziale Störung als im Vordergrund stehend. Evaluationen von Psychotherapien haben diesbezüglich aber positive wie auch negative Ergebnisse.<sup>1</sup> Warum ist die Behandlung von Alkoholabhängigen so schwierig?</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Alkoholabhängigkeit ist eine chronische, mit Rückfällen einhergehende Erkrankung, vergleichbar mit Diabetes, Depression oder Bluthochdruck.</li> <li>Das erste Medikament zur pharmakologischen Behandlung der Alkoholabhängigkeit, Disulfiram, wurde Ende der 1940er-Jahre entdeckt.</li> <li>Als „Säulen“ der heutigen pharmakologischen Behandlung der Alkoholkrankheit gelten Disulfiram, Naltrexon, Acamprosat, Gammahydroxybuttersäure sowie die neueren Anti-Craving-Substanzen Nalmefen und Baclofen.</li> <li>Viele andere Substanzen wurden/werden in Bezug zu Alkoholabhängigkeit überprüft.</li> <li>Regelmäßige medizinische Verlaufskontrollen zählen zu den wichtigsten Maßnahmen in der Therapie der Alkoholkrankheit</li> </ul> </div> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Neuro_1605_Weblinks_seite36.jpg" alt="" width="1449" height="944" /></p> <p>Die Heterogenität dieser Erkrankung ist heute unbestritten. Durch die Unterteilung in „Typologien“ wurde man der Heterogenität und der unterschiedlichen Verlaufsformen gerecht. Die Jellinek’sche Typologie, obwohl heute nur noch von historischem Interesse, war einer der ersten Versuche, die Alkoholkrankheit nach dem Trinkmuster in fünf Typen zu unterteilen.<sup>2</sup> Cloninger<sup>3</sup> und Babor<sup>4</sup> haben je zwei Typen (unterschiedlicher Schweregrad, unterschiedlicher Beginn der Krankheit), Del Boca und Hesselbrock haben vier Typen<sup>5</sup> und Lesch et al<sup>6–8</sup> vier Typen mit jeweils unterschiedlichen Therapien definiert, die auch „Verlaufstypen“ sind, d.h. unterschiedliche Prognosen aufweisen.<sup>6, 8–10</sup> Lesch et al<sup>6, 8–9</sup>, Pombo et al<sup>10</sup>, Windle und Scheidt<sup>11</sup> haben ebenfalls eine 4-Cluster-Klassifikation gewählt, während Zucker<sup>12</sup>, Driessen et al<sup>13</sup>, Cardoso et al<sup>14</sup> und Moss et al<sup>15</sup> eine 5-Cluster-Lösung gewählt haben. Leggio et al<sup>16</sup> haben die Relevanz der einzelnen Typologien und deren biologische Korrelate in einer sehr guten Übersicht erklärt und zusammengefasst. In dieser beschriebenen Heterogenität der Alkoholabhängigkeit kann auch das Therapieziel unterschiedlich zu sehen sein. Neben der Abstinenz achtet man immer mehr auf die Lebensqualität eines Menschen, wodurch das psychosoziale Konzept wieder an Bedeutung gewinnt. Eine japanische Studie zeigte schon früh, dass der weitere Verlauf auch durch psychosoziale Faktoren stark beeinflusst wird.<sup>17</sup></p> <h2>Alkoholismus als psychosoziale Störung</h2> <p>Psychosoziale Faktoren sind für das Risikoverhalten und auch für die Einstellung zu Prophylaxe und Therapie verantwortlich. Zu den bekanntesten psychosozialen Risikofaktoren zählen Stress/Belastung in der Familie, Stress/Belastung am Arbeitsplatz, allgemein belastende Erlebnisse, posttraumatische Störungen, wichtige Lebensveränderungen, ungünstige sozioökonomische Verhältnisse, ängstigende oder depressiogene Erlebnisse und Entwicklungsstörungen der Persönlichkeit. <br />Psychosoziale Faktoren, die die Therapie und den weiteren Verlauf günstig beeinflussen, sind geeignetes Reagieren auf somatische oder psychische Störungen (Entzugszeichen bei Absetzen des Alkohols, Wiederauftreten depressiver Zustände, Ängste) wie auch der Aufbau einer stabilen psychosozialen Rahmenbedingung des Lebens (tragendes Netz zwischenmenschlicher Beziehungen, das sich auf die Lebensführung auswirkt). <br />Sport ist ein wichtiger psychosozialer Faktor, der zur Erhaltung der Abstinenz enorm viel beiträgt. Durch Sport wird eine passive, konsumierende persönliche Haltung zugunsten einer aktiven Regeneration des mentalen und somatischen Befindens aufgegeben. Es beginnt das Erleben von Kondition, man stärkt seine gesunden Anteile und erlebt positive Energie. <br />Im Sinne des Methodenpluralismus steht es außer Zweifel, dass zwischen sozialen Belangen und der Krankheitsentstehung Zusammenhänge zu finden sind. Schlagworte dazu sind „Armut macht krank“, „Inaktivität macht krank“ usw.<sup>18</sup></p> <h2>Alkoholabhängigkeit aus Sicht der Psychotherapie</h2> <p>Für viele Psychotherapeuten gelten abhängige Patienten als für die Psychotherapie ungeeignet. In den Psychotherapierichtlinien gilt eine manifeste Sucht auch ausdrücklich als Ausschlussgrund für eine ambulante Psychotherapie. Daher fokussieren viele Psychotherapien auf die Komorbiditäten. Für Psychoanalytiker ist Sucht Ausdruck tiefer liegender Konflikte und Störungen in der Persönlichkeit, wobei die durch Alkohol verdeckten Konflikte in der Abstinenz wieder deutlich zutage treten. Freud vergleicht in frühen Schriften Sucht mit Masturbation, vor allem wegen des unmittelbaren Lustgewinns. Später beschreibt er die oralerotische Fixierung, eine Tendenz zur oralen Perversion und zu Homosexualität; er sieht im Rausch eine manische Flucht vor der Realität und betrachtet Alkohol als „Schutz vor dem alltäglichen Elend“.<sup>19</sup> Alkohol wurde also von der Triebpsychologie als ein Mittel verstanden, verdrängte Impulse auftauchen zu lassen. In der Ich-Psychologie wird Alkoholmissbrauch als missglückter Selbstheilungsversuch betont. Im Grunde geht es aus psychotherapeutischer Sicht immer um Regression, um Alkohol als „Idealobjekt“, das immer verfügbar ist und vorübergehend Probleme „löst“.<sup>19, 20</sup> So findet man in der Therapie immer wieder das Erarbeiten und Training alternativer Verhaltensweisen als wichtiges Element. Das „motivational interviewing“, die motivierende Gesprächsführung, ist ein pragmatischer Ansatz mit dem Ziel, die intrinsische Motivation zur Änderung des Verhaltens zu erhöhen. Entwickelt wurde es von Miller und Rollnick,<sup>21</sup> es ist durch elegantes Vermeiden des Widerstands gekennzeichnet. Es ist ein Bewusstmachen, eine Reflexion des eigenen Alkoholkonsums, aber ohne Drängen und vor allem ohne Konfrontation. Ziel ist, dass der Patient selbst Argumente für und wider das Trinken entwickelt. Erst dann folgt der Hinweis auf die Selbstverpflichtung, die die Patienten damit eingehen.</p> <h2>Alkoholkrankheit als biologische Erkrankung</h2> <p>Diese Auffassung der Alkoholkrankheit beschäftigt sich mit dem Alkoholstoffwechsel, dem Leberstoffwechsel und mit biologischen und genetischen Variationen derselben, da man darin eben auch einen wichtigen Teil der Ätiologie des Suchtgeschehens zu finden hofft. So können z.B. diejenigen Varianten der Alkoholdehydrogenase (ADH), die Alkohol rasch metabolisieren, ADH1B*2 und ADH1B*3, eine Acetaldehydakkumulation hervorrufen. Varianten der ALDH, die Acetaldehyd langsamer abbauen (z.B. ALDH2*2), führen natürlich auch zu einer Akkumulation von Acetaldehyd. ALDH2 ist der Wirkungsort, der für die aversiven Reaktionen von Disulfiram bei gleichzeitigem Alkoholkonsum verantwortlich ist. Solche genetischen Unterschiede im Metabolismus werden teilweise auch für die interkulturellen Unterschiede in der Verträglichkeit von Alkohol als Erklärung herangezogen.<sup>22</sup> Außerhalb der Leber findet man Alkoholdehydrogenase noch im Gehirn und in der Magenmukosa (ADH3). ADH3 wird durch Testosteron und Progesteron beeinflusst und man nimmt daher an, dass sie damit zu den Geschlechtsunterschieden bei den Reaktionen auf Alkohol beiträgt.<sup>23</sup></p> <h2>Interaktion von Alkohol mit Medikamenten</h2> <p>Alkoholkonsum steigert insbesondere bei großen Trinkmengen die Aktivität des Cytochrom-Enzyms CYP2E1 sowie in geringerem Ausmaß auch von CP3A4 und CYP1A2 in der Leber. Insbesondere Ersteres spielt neben der ADH im Alkoholabbau eine zentrale Rolle.<sup>24–27</sup> Diese alkoholinduzierte Enzymüberaktivität führt bei Alkoholkarenz zu vermehrtem Abbau von Medikamenten, die über dasselbe Enzymsystem verstoffwechselt werden. Andererseits konkurriert Alkohol im Körper mit anderen Medikamenten um das Enzym, sodass auch der gegenteilige Effekt, nämlich ein verminderter Abbau, möglich ist. Weiters kann auch der Aldehydmetabolismus durch Medikamente gehemmt und eine Antabus-ähnliche Reaktion bei gleichzeitigem Alkoholkonsum ausgelöst werden.<sup>24–26</sup> Folglich ist eine Voraussage über Art und Ausmaß der wechselseitigen Beeinflussung von Alkohol und Medikamenten kaum möglich und wird außerdem dadurch erschwert, dass die physiologische Enzymaktivität stark variiert. Eine Gefahr, einerseits durch Intoxikationen und andererseits durch fehlende Medikamentenwirkung, liegt auf der Hand. Die klinischen Konsequenzen dieser Zusammenhänge zeigten sich in einer rezenten amerikanischen Auswertung aller Notfallambulanzbesuche aufgrund von Medikamentennebenwirkungen. Hier stellte sich u.a. heraus, dass jene Patienten, die gleichzeitig eine Alkoholabhängigkeit hatten, signifikant schwerer betroffen waren und häufiger hospitalisiert werden mussten.<sup>25</sup> <br />Reviews der Literatur zu pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Interaktionen zwischen Alkohol und Medikamenten zeigten Evidenz für eine Reihe häufig angewandter Arzneimittel.<sup>24, 26</sup> (Tab. 1) <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Neuro_1605_Weblinks_seite35.jpg" alt="" width="1417" height="922" /></p> <h2>Die 6 Säulen der Pharmakotherapie der Alkoholkrankheit</h2> <p><strong>Naltrexon </strong><br />Im Zuge der Anhäufung von Acetaldehyd bei exzessivem Alkoholkonsum entstehen die sogenannten Kondensationsprodukte, die ihrerseits am My-Opiatrezeptor andocken und Craving auslösen.<sup>28</sup> Naltrexon besetzt diesen Rezeptor neutral, wodurch die Craving vermittelnde Wirkung der Kondensationsprodukte deutlich schwächer wird und die Patienten laut Eigenbericht, merkbar weniger trinken. Außerdem bewirkt Naltrexon eine Opiatrezeptor-vermittelte Verringerung der Dopaminausschüttung. Ein funktioneller Polymorphismus rs1799971b(A1 18G) im My-Opioid-Rezeptor-Gen (OPRM1) ersetzt Asn<sup>40</sup> durch Asp<sup>40</sup> und wird mit einer verbesserten Wirkung von Naltrexon in Zusammenhang gebracht. Dies galt anfangs nicht für depressive Patienten. Unerklärbar war daher, warum Naltrexon so hervorragend bei Typ III nach Lesch (setzt Alkohol zum Stressabbau, gegen Depressionen oder als Schlafmittel ein) wirkt.<sup>7</sup> Inzwischen konnte auch diese Frage insofern geklärt werden, als rezente Daten zeigen, dass dies doch für alle gilt.<sup>29</sup></p> <p><strong>Nalmefen </strong><br />Nalmefen ist wie Naltrexon ein kompetitiver My-Opiat-Rezeptor-Antagonist, hat jedoch eine bessere orale Bioverfügbarkeit und eine längere Halbwertszeit. Darüber hinaus ist Nalmefen ein schwacher partieller K-Antagonist. Ähnlich dem Naltrexon wird durch die Opiatblockade die Dopamin­ausschüttung verringert. Der dopaminvermittelte subjektiv angenehme Effekt des Alkohols ist damit deutlich reduziert.<sup>30</sup></p> <p><strong>Acamprosat </strong><br />Da Alkohol an den GABA-A-Rezeptoren andockt, wirkt er sedierend. Ein chronischer Alkoholkonsum bewirkt eine Verminderung dieser Rezeptoren, wodurch mehr Alkohol bis zum Eintritt der Sedierung konsumiert werden kann (Dosissteigerung). Vermehrt getrunkener Alkohol blockiert auch die Signalübertragung an den NMDA-Rezeptoren, die den Transport von Glutamat, einem wichtigen Neurotransmitter, regeln. Acamprosat<sup>31</sup> verhindert den Kalziumeinstrom und wirkt antiglutamaterg (Glutamat wird bei chronischem Alkoholkonsum vermehrt ausgeschüttet). So stellt Acamprosat die Balance zwischen inhibitorischen und exzitatorischen Neurotransmittern wieder her. Zusätzlich gibt es Hinweise darauf, dass Acamprosat leicht antidopaminerg und neuroprotektiv sein dürfte. Spanagl meint 2013, die Wirkung entstünde nur durch Kalzium, bleibt jedoch bis heute jede weitere Erklärung schuldig (<a href="http://www.zeit.de/2013/45/alkoholiker-sucht-rueckfall-kalzium" target="_blank">http://www.zeit.de/2013/45/alkoholiker-sucht-rueckfall-kalzium</a>). <br />Auch Caroverin hat ähnliche Wirkungen.<sup>32</sup> Heute wissen wir, dass für Acamprosat in vielen Studien Wirknachweise erbracht wurden, speziell wenn man es in den entsprechenden Untergruppen verabreichte, in denen es erfolgreich war (Lesch Typ I).<sup>33</sup> Es wird klinisch bei Lesch Typ I und II als Anti-Craving-Substanz eingesetzt, im Gegensatz zu Naltrexon, welches bei den Typen III und IV wirksam ist.<sup>34</sup></p> <p><strong>Baclofen </strong><br />Baclofen, ein GABA-B-Agonist, ist als Muskelrelaxans seit 1968 bekannt. Öffentliche Aufmerksamkeit erregte Baclo­fen 2009, als Olivier Ameisen behauptete, dass er seine Alkoholabhängigkeit damit geheilt habe. Studien (z.B. Cott et al<sup>35</sup>) wiesen jedoch schon viel früher auf eine Craving reduzierende Wirkung von Baclo­fen hin. Krupitzky et al<sup>36</sup> konnten eine positive Wirkung gegen Symptome wie Angst und depressive Verstimmung bei Alkoholabhängigen nachweisen. Es gibt eine Reihe von Studien, die positive Ergebnisse zeigen.<sup>37–40</sup> Eine 2-Jahres-Studie<sup>41</sup> mit 100 Patienten (Dosis: durchschnittlich 147mg Baclofen) zeigte bei 92 % der Patienten einen Craving reduzierenden Effekt. Garbutt et al<sup>42</sup> fanden bei 30mg Tagesdosis keine Überlegenheit gegenüber Placebo. Daran sieht man, dass die Frage der Dosierung noch nicht endgültig geklärt ist. Einen Hinweis liefern Imbert et al,<sup>43</sup> indem sie zeigen konnten, dass Patienten mit hohem Serumkreatinin und hoher alkalischer Phosphatase zu den Baclofen-Non-Respondern gehören. <br />Einzelberichte und persönliche Erfahrungen von Patienten findet man in Internetforen zum Thema Baclofen in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit (http://www.alkohol-und-baclofen-forum.de/). Eine Cochrane-Analyse für Baclofen im Alkoholentzug zeigte keine eindeutig positiven Ergebnisse für eine dem Placebo überlegene Wirkung im Entzug.44</p> <p><strong>Gammahydroxybuttersäure (Sodiumoxybat) </strong><br />Das Natriumsalz der Gammahydroxybuttersäure, das sogenannte Sodiumoxybat, ist in einigen Ländern als Therapie der Narkolepsie-assoziierten Kataplexie zugelassen. Im „American Journal of Drug and Alcohol Abuse“ wurde 2005 von O. Ameisen Gammahydroxybuttersäure gemeinsam mit Baclofen als Substitutionstherapie für einen Mangel an natürlichen GABA-B-wirksamen Transmittern postuliert.<sup>45</sup> Auch Chick und Nutt empfehlen es für Substitution bei chronischem Alkoholismus.<sup>46</sup> In Österreich und Italien ist Gammahydroxybuttersäure schon seit Anfang der 1990er-Jahre, im UK seit 2012 zugelassen, wird nur von spezialisierten Suchtzentren für ambulante Patienten verschrieben und unterliegt klaren Verschreibungsrichtlinien.<sup>46, 47</sup> Es eignet sich als Therapie im Entzug wie auch als Anti-Craving-Substanz. Caputo et al kombinierten erfolgreich Naltrexon und Sodiumoxybat sowie Nalmefene und Sodiumoxybat.<sup>48, 49</sup></p> <p><strong>Disulfiram </strong><br />Ende der 1940er-Jahre wurde, eher zufällig, von 2 dänischen Wissenschaftlern<sup>50</sup> das erste Medikament zur pharmakologischen Behandlung der Alkoholabhängigkeit, Disulfiram, entdeckt. Es greift in den Alkoholstoffwechsel ein, indem es die Aldehyddehydrogenase blockiert und somit eine völlige Abstinenz voraussetzt. Wenn dennoch Alkohol konsumiert wird, kommt es zu Tachykardie, Flush, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen. Heute wird es vor allem in Kombination mit Acamprosat oder in Kombination mit Naltrexon eingesetzt. <br />Weitere derzeit für die Alkoholtherapie interessante Substanzen sind Ondansetron<sup>51</sup>, im Endocannabinoidsystem wirkende Mittel, wie z.B. THC<sup>52</sup>, Oxytocin<sup>53</sup>, Gabapentin<sup>54</sup>, Topiramat<sup>55</sup>, Levetiracetam<sup>56</sup>. Eine gute Übersicht findet sich bei Litten et al.<sup>30</sup></p> <h2>Therapie und Therapieziele</h2> <p>Es besteht kein Zweifel, dass die absolute Abstinenz noch immer das Idealziel in der Alkoholtherapie ist. Viele Patienten wissen, dass es ihnen ohne Alkohol besser geht, fürchten jedoch, dass sie das Ziel „absolute Abstinenz auf Dauer“ nie erreichen werden, was dazu führt, dass sie erst gar nicht zur Therapie kommen. Wir wissen, dass bis zu 90 % der Alkoholabhängigen nicht in Therapie gehen. <br />Daher versucht man heute zunächst die Trinkmenge schrittweise zu reduzieren und gleichzeitig eine Dokumentation der Trinkmenge in Form eines Trinktagebuches (ist auch Selbstevaluation) durchzuführen. Die Trinkmengenreduktion wurde erst durch die Entwicklung neuer Medikamente, wie der oral zu verabreichenden, aus der Drogentherapie altbekannten Substanzen Naltrexon und Nalmefen, möglich. <br />Durch die schrittweise Reduktion des Alkoholkonsums wird einerseits die Wartezeit bis zu einer stationären Aufnahme sinnvoll genützt und andererseits der danach folgende Entzug deutlich erleichtert (Tab. 2). Unserer Erfahrung nach gelingt es vielen Patienten, auf null zu kommen, sodass sie das Bett in der Klinik gar nicht mehr benötigen. Langsam wird auch die Lebensqualität deutlich besser. Die Psychotherapie muss hier einsetzen und immer wieder die Unterschiede in der Lebensqualität vor und nach der Therapie hervorheben. <br />Die Frage, wer von dieser Methode profitiert, ist noch nicht ausreichend geklärt, und es bedarf weiterer Studien auf diesem Gebiet. Bisher bekannte Indikatoren für Non-Responder sind in Tabelle 3 angeführt.</p> <h2>Regelmäßige medizinische Kontrollen sind wichtig</h2> <p>Regelmäßige medizinische Verlaufskontrollen (mit Kontrollen von MCV, CDT, Leberwerten) zählen zu den wichtigsten Maßnahmen in der Therapie der Alkoholkrankheit.<sup>57</sup> Solange Alkoholabhängige mit einer medizinischen Ambulanz in Kontakt bleiben und regelmäßige Kon­trolltermine einhalten, können sie bei einem Rückfall stationär aufgenommen werden. Wir wissen, dass sich dadurch die Trinkdauer erheblich verkürzt. Unabdingbar für unsere Patienten ist, sich bei einem Rückfall so rasch wie möglich in der Ambulanz zu melden, denn rechtzeitig behandelt kann das Trinken ein „slip“ sein und muss nicht zum „relapse“, zum großen Rückfall, werden. Und wenn doch, so gilt: je früher die Intervention, umso besser.</p> <h2>Lebensqualität</h2> <p>Bold et al<sup>58</sup> konnten zeigen, dass mit Alkoholabhängigkeit vor allem Rauchen (34,1 % ), Hypertension (31,2 % ), Übergewicht (27,5 % ), Arthritis (21,0 % ), hoher Cholesterinspiegel (17,4 % ), Herzprobleme (8,7 % ) und Karzinome (7,2 % ) als die Lebensqualität beeinträchtigende Komorbiditäten einhergehen. Es konnte weiters gezeigt werden, dass die abstinente Zeit mit Gesundung und mehr Zufriedenheit mit dem Gesundheitsstatus korreliert. Psychisch fielen vor allem Dysthymie, Depression und Manie auf.<sup>59</sup> Vyssoki et al<sup>60</sup> konnten auch sehr klar die Rolle der Erfassung des Temperaments bei Alkoholabhängigkeit beschreiben, nämlich dass bei Typ IV vor allem zyklothyme Temperamente gefunden werden, was auf die psychische Instabilität dieser Patienten hinweist. Fein verweist darauf, dass auch bei Langzeitabstinenten im Vergleich zu nicht behandelten Alkoholabhängigen signifikant erhöhter Distress besteht. Diese Tatsache beeinträchtigt natürlich auch die Langzeitlebensqualität.<sup>59</sup> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Neuro_1605_Weblinks_seite37.jpg" alt="" width="1417" height="1206" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Neuro_1605_Weblinks_seite38.jpg" alt="" width="1417" height="599" /></p> <h2>Erhaltung und Substitution</h2> <p>Natürlich bietet sich die Idee der Substitutionsbehandlung auch bei Alkoholabhängigkeit an. Zielgruppe sind die schwer persönlichkeitsgestörten Patienten, die meist wiederholt an psychiatrischen Abteilungen aufgenommen werden, Delikte in der Vorgeschichte haben (z.B. Wegweisung wegen Bedrohung der Familie etc.), die schwer zu stabilisieren sind, eine ausgeprägte antisoziale Störung aufweisen – kurz Patienten, die schwer in ein Therapieprogramm eingeschlossen werden können bzw. eine Langzeittherapie bald wieder abbrechen und häufig schwere Rückfälle erleiden.</p> <h2>Langfristige Substitution</h2> <p>Chick und Nutt haben folgende Kriterien für eine Substitution von Alkohol er­stellt:<sup>46</sup> Eine Substitution soll</p> <ol> <li>den Alkoholkonsum und Folgeschäden reduzieren,</li> <li>weniger giftig sein als Alkohol,</li> <li>weniger Missbrauch ermöglichen als Alkohol,<</li> <li>Alkohol ersetzen und nicht mit Alkohol gemeinsam konsumiert werden können,</li> <li>bei Überdosierung sicherer sein als Alkohol,</li> <li>idealerweise die Wirkung von Alkohol nicht potenzieren (und umgekehrt) und</li> <li>gesundheitsökonomische Vorteile aufweisen.</li> </ol> <p>Abschließend soll darauf hingewiesen werden, dass es in diesem Artikel vor allem um Pharmakotherapie geht und dass andere Bereiche der Alkoholforschung, wie Marker, Genetik und Psychotherapie in all ihrer Komplexität, kaum bis gar nicht erwähnt sind. Dennoch hoffen wir, dass wir zeigen konnten, dass die Therapie Alkoholkranker maßgeschneidert sein muss, um Erfolge erzielen zu können. Moralisierende Ansätze sind hier völlig fehl am Platz. Es handelt sich – durchaus vergleichbar mit affektiven Störungen – um eine Erkrankung mit rezidivierendem Verlauf, starken psychosozialen Einflüssen und vielfältigen Ausprägungen sowie ebenso vielen therapeutischen Möglichkeiten.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Hester RK, Miller WR: Handbook of alcoholism treatment approaches: effective alternatives. 3rd ed., pp. 131-151. Boston, MA: Allyn & Bacon, 2003 <strong>2</strong> Jellinek EM: The dis­ease concept of alcoholism. 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