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Der lange Kopf der Bizepssehne als Ursache für den vorderen Schulterschmerz

<p class="article-intro">Der vordere Schulterschmerz ist ein häufiges Symptom, das zur Vorstellung an einer unfallchirurgischen oder orthopädischen Abteilung führt. Dieser Artikel soll eine Übersicht über die zahlreichen Ursachen der Bizepssehnenpathologie geben, um eine bessere Differenzierung und damit auch Behandlung zu ermöglichen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Wir wissen derzeit bei Weitem noch nicht alles &uuml;ber die Funktion und Pathologie der langen Bizepssehne (LBS).</li> <li>Der vordere Schulterschmerz, welcher durch eine LBS-Pathologie ausgel&ouml;st wird, kann in jedem Lebensalter auftreten.</li> <li>Die Ursachen daf&uuml;r k&ouml;nnen &auml;u&szlig;erst vielf&auml;ltig sein und sind in Abh&auml;ngigkeit ihrer Genese differenziert zu therapieren.</li> <li>Die konservative Therapie ist Mittel der Wahl.</li> <li>Operativ erzielen sowohl die Tenodese als auch die Tenotomie gute funktionelle Ergebnisse. Es empfiehlt sich, auf Begleitverletzungen (RM-Rupturen, Impingement, SSC-Rupturen) zu achten.</li> <li>Die Tenotomie sollte bei Teilrupturen der LBS, einer therapieresistenten Tenosynovitis, bei Instabilit&auml;t oder bei Patienten &uuml;ber 60 Jahren bevorzugt werden.</li> <li>Die Tenodese ist eine ausgezeichnete Therapie bei jungen und aktiven Patienten.</li> </ul> </div> <p>Der Bizepsmuskel ist nicht nur ein zweigelenkiger, sondern auch ein zweik&ouml;pfiger Muskel. Der kurze Kopf entspringt am Processus coracoideus, der lange am Tuberculum supraglenoidale der Scapula im Glenohumeralgelenk und zieht &uuml;ber den Sulcus intertubercularis nach extraartikul&auml;r, wo beide K&ouml;pfe in den Muskelbauch &uuml;bergehen und &uuml;ber den Lacertus fibrosus an der Unterarmfaszie sowie an der Tuberositas radii inserieren. Die lange Bizepssehne (LBS) wird beim Austritt aus dem Glenohumeralgelenk durch eine Weichteilschlinge, den sogenannten Bizeps-Pulley (Abb. 1), stabilisiert. Dieser wird durch das coracohumerale Ligament (CHL), das superiore glenohumerale Ligament (SGHL) sowie durch Teile der Sub&shy;scapularissehne (SSC) und der Supraspinatussehne (SSP) gebildet.<br /> Die Blutversorgung der LBS erfolgt &uuml;ber die A. circumflexa humeri anterior, welche die Sehne von distal erreicht. Die Innervation erfolgt &uuml;ber ein komplexes Netzwerk an Neurofilamenten, ausgehend vom Nervus musculocutaneus. Die Hauptfunktion des Bizepsmuskels besteht in der Ellbogenflexion sowie in der Unterarmsupination. Biomechanisch betrachtet hat die LBS im Glenohumeralgelenk weitere Funktionen: Sie agiert als vorderer Schulterstabilisator sowie als Humeruskopfdepressor, jedoch nur dann, wenn die Depressorfunktion der Rotatorenmanschette im Sinne einer Ruptur nicht mehr gegeben ist.<br /> Pathophysiologisch liegen dem LBS-Schmerz drei Hauptursachen zugrunde: Inflammation bzw. Degeneration, Instabilit&auml;t oder Rupturen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1605_Weblinks_Seite19_1.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Tendinitis, Peritendinitis und Tendinose</h2> <p>Unter dem Aspekt der Inflammation werden zwei Gruppen differenziert betrachtet: die Tendinitis sowie die Peritendinitis.<br /> Die isolierte Tendinitis ist selten (5 % Inzidenz) und zumeist bei jungen Patienten mit &Uuml;berlastungssyndrom anzutreffen. Sie ist eine Dom&auml;ne der konservativen Therapie mittels Sportkarenz, entz&uuml;ndungshemmender Medikation (NSAR) sowie gezielter Physiotherapie (Scapulafixatoren- und Depressorentraining). Falls die konservative Therapie nicht zur Beschwerdefreiheit f&uuml;hrt, kann dem Patienten auch die operative Therapie (Tenodese) angeboten werden. F&uuml;r den Rest der Tendinitiden gilt, dass sie geh&auml;uft mit anderen Schulterpathologien wie zum Beispiel Impingement oder Rotatorenman&shy;schetten(RM)-L&auml;sionen auftreten. Hier ist in erster Linie die Hauptpathologie zu behandeln. Je nach Zustand der LBS kann diese entweder tenotomiert oder mittels Tenodese versorgt werden.<br /> Die Peritendinitis entspricht einer Tenosynovitis der LBS. Es zeigen sich klinisch eine deutliche Druckdolenz bei Palpation, eine Schmerzzunahme bei &Uuml;berkopfaktivit&auml;ten und eine Wanderung des Schmerzpunktes bei Au&szlig;enrotation. Weiters liegt ein positives &bdquo;biceps tension sign&ldquo; vor. Die Behandlung der Peritendinitis ist ebenfalls konservativ und besteht aus Sportkarenz, k&uuml;hlen Umschl&auml;gen sowie Physiotherapie (Scapulafixatoren- und Depressorentraining).<br /> Bei der Tendinose (Abb. 2) handelt es sich um eine Sehnendegeneration. Sie pr&auml;sentiert sich mit &auml;hnlicher Symptomatik wie die Tendinitis, allerdings geben Patienten hier auch Ruheschmerzen an. Die Behandlung unterscheidet sich von den o.g. Therapien: Entz&uuml;ndungshemmende Medikation und kalte Umschl&auml;ge sind nicht zielf&uuml;hrend. Es werden Dehnungs&uuml;bungen des Bizeps, exzentrisches Muskeltraining, RM-Training sowie die graduelle Steigerung des Krafttrainings empfohlen. Stellt sich konservativ kein Behandlungserfolg ein, ist zumeist die Tenotomie Methode der Wahl.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1605_Weblinks_Seite19_2.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Instabilit&auml;t</h2> <p>Die LBS-Instabilit&auml;t entsteht durch einen Verlust der stabilisierenden Weichteile, wobei Habermeyer<sup>1</sup> in 90 % eine Assoziation mit Verletzungen des Bizeps-Pulleys angibt und Lafosse<sup>2</sup> bei 200 untersuchten RM-Rupturen in 45 % eine vordere oder hintere Instabilit&auml;t beschreibt. Eine Klassifikation der Bizeps-Pulley-Rupturen wurde von Habermeyer 2004 publiziert.<sup>1</sup> Bei jungen Patienten mit isolierter Bizeps-Pulley-Ruptur kann dieser unter Umst&auml;nden auch rekonstruiert und so die Instabilit&auml;t behoben werden. Ist die Sehne selbst bereits von degenerativen Ver&auml;nderungen betroffen oder steht eine RM-Ruptur im Vordergrund, sollte die Tenodese oder Tenotomie angedacht werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1605_Weblinks_Seite19_3.jpg" alt="" width="382" height="355" /></p> <h2>Rupturen</h2> <p>Bei der LBS-Ruptur handelt es sich meist um einen degenerativen Prozess. Klinisch beschreibt der Patient einen in den Muskelbauch ausstrahlenden Schmerz, vorderen Schulterschmerz, repetitives Schnappen, Schmerz bei &Uuml;berkopfaktivit&auml;t, Nachtschmerz sowie eine pl&ouml;tzliche Schmerzfreiheit nach der Sehnenruptur. Weiters klagen die Patienten gelegentlich &uuml;ber eine neu aufgetretene Schwellung im Bereich des distalen Oberarms, welche dem abgesunkenen Muskelbauch des Bizeps entspricht und lediglich ein kosmetisches Problem darstellt. Die Funktion des Bizeps bleibt durch den Ursprung des kurzen Kopfes der Bizepssehne am Processus coracoideus weitgehend erhalten. Dar&uuml;ber ist der Patient aufzukl&auml;ren und eine symptomatische Therapie einzuleiten. In einer geringeren Zahl der F&auml;lle kann die Ruptur auch durch ein hochenergetisches Trauma bzw. eine kraftvolle Dezeleration des Unterarmes verursacht werden. Im Prinzip ist auch hier die symptomatische Behandlung ausreichend, auf Wunsch der doch meist jungen Patientenklientel kann eine Tenodese durchgef&uuml;hrt werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1605_Weblinks_Seite20.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>SLAP-L&auml;sion</h2> <p>Als Sonderform der LBS-Pathologien ist die SLAP-L&auml;sion (&bdquo;superior labrum anterior to posterior&ldquo;) anzuf&uuml;hren. Hierbei handelt es sich um eine Verletzung des Bizepssehnenankers am superioren Labrum von ca. 10 bis 2 Uhr (Abb. 3). Diese Verletzung kann einerseits traumatisch durch einen Sturz auf den abduzierten und flektierten Arm oder h&auml;ufiger durch repetitive Mikrotraumata im Rahmen von &Uuml;berkopfsportarten entstehen. Klinisch &auml;u&szlig;ert sie sich durch ein Schnappen, ein Instabilit&auml;tsgef&uuml;hl sowie einen Kraftverlust. Als aussagekr&auml;ftigster klinischer Test eignet sich der O&rsquo;Brien-Test, der jedoch nur hinweisgebend auf eine SLAP-L&auml;sion ist, wenn er als einziger Test positiv ist. Diagnostisch sollte nach der obligaten R&ouml;ntgenuntersuchung eine Arthro-Magnetresonanztomografie (Arthro-MRT) mit intraartikul&auml;rer Kontrastmittelapplikation durchgef&uuml;hrt werden, um die Pathologie am Bizepssehnenanker sowie am Labrum besser darstellen zu k&ouml;nnen (Abb. 4). <br /> Es lassen sich seit der Erstbeschreibung der Verletzung durch James Andrews 1985 bei Wurfsportlern mehrere Typen der SLAP-L&auml;sion differenzieren.<sup>3</sup> Steven Snyder<sup>4</sup> gab der SLAP-L&auml;sion 1990 ihren Namen und beschrieb in seiner Publikation erstmalig 4 Typen: Die Typ-I-Verletzung entspricht einer Aufrauung am Bizepssehnenanker und tritt mit einer Inzidenz von ca. 11 % auf. Die Typ-II-Verletzung ist mit 55 % Inzidenz der h&auml;ufigste Typ und entspricht einem Riss des superioren Labrums bzw. des Bizepssehnenankers am superioren Glenoid. Bei der Typ-III-Verletzung (Inzidenz 33 % ) handelt es sich um einen Korbhenkelriss des superioren Labrums, wobei das verbleibende Labrum sowie der Bizepssehnenanker noch am Glenoid anhaften. Mit 15 % Inzidenz deutlich seltener ist die Typ-IV-Verletzung mit einem Korbhenkelriss des superioren Labrums mit einem zus&auml;tzlichen Riss in die LBS.<br /> Maffet et al<sup>5</sup> erweiterten 1995 die SLAP-L&auml;sionen um weitere 3 Typen, die an dieser Stelle nicht eigens angef&uuml;hrt werden, um den Rahmen des Artikels nicht zu sprengen. Diese hochgradigen SLAP-L&auml;sionen sind selten und bed&uuml;rfen einer individuellen Therapie.<br /> Von der Typ-II-L&auml;sion sind Normvarianten des superioren bzw. anterioren Labrums zu differenzieren. Es handelt sich hierbei um den sogenannten Buford-Komplex (Inzidenz 1,5&ndash;5 % ), welcher ein verdicktes mittleres glenohumerales Band bezeichnet, das bis zur Basis des Bizepssehnenankers zieht. Als sublabrales Foramen (Inzidenz 12 % ) wird eine Aussparung des anterioren Labrums von 1 bis 3 Uhr bezeichnet, welches nicht mit einer SLAP-L&auml;sion verwechselt werden darf. Diese Normvarianten f&uuml;hren bei operativer Refixation zu Bewegungseinschr&auml;nkungen vor allem in der Au&szlig;enrotation.<br /> Die Therapie der SLAP-L&auml;sionen erfolgt in Abh&auml;ngigkeit von ihrem Typ: Die Typ-I-Verletzung wird konservativ behandelt, die Typ-II-Verletzung kann mittels Refixation des Bizepssehnenankers, Tenodese oder Tenotomie versorgt werden, bei der Typ-III-Verletzung ist die Resektion des Korbhenkels Therapie der Wahl und bei der Typ-IV-Verletzung die Tenodese.<br /> Bez&uuml;glich der operativen Therapie der Typ-II-Verletzung herrscht international kein Konsensus. Wir bevorzugen bei jungen und aktiven Patienten die anatomische Refixation des Bizepssehnenankers mittels Nahtankern (Abb. 5). Eine aktive Au&szlig;enrotation sollte bis 8 Wochen postoperativ vermieden werden, die volle Sportf&auml;higkeit erlangt der Patient 6 Monate nach Operation. Auffallend bei dieser Technik ist die relativ lange Schmerzperiode (bis zu 6 Monate postoperativ) bei guter Funktion. Alternativ zur Refixation kann eine Tenodese, also die extraanatomische Verankerung der Bizepssehne am Sulcus intertubercularis, durchgef&uuml;hrt werden (Abb. 6). Der Vorteil liegt in der schnelleren Schmerzfreiheit bei guter Funktion, wobei auch hier eine volle Sportf&auml;higkeit erst nach 6 Monaten gegeben ist.<br /> Die am einfachsten durchzuf&uuml;hrende Technik ist die Tenotomie. Sie f&uuml;hrt zu einer raschen Schmerzfreiheit und erlaubt die sofortige freie Beweglichkeit bis zur Schmerzgrenze. Die Patienten zeigen nur ein minimales Kraftdefizit in Ellbogenflexion und Supination des Unterarmes; st&ouml;rend ist in manchen F&auml;llen die Popeye-Deformit&auml;t, wenn der Muskelbauch des Bizeps nach distal rutscht. Bei &auml;lteren Patienten mit niedrigerem Leistungsniveau sowie bei eventuell vorliegenden Begleitpathologien (RM-Rupturen, Impingement etc.) ist die Tenotomie Methode der Wahl. In jedem Fall ist es wichtig, mit dem Patienten die Vor- und Nachteile der jeweiligen Technik zu besprechen.</p> <h2>Sonderf&auml;lle</h2> <p>Zu guter Letzt m&uuml;ssen noch einige Sonderf&auml;lle, die f&uuml;r den vorderen Schulterschmerz urs&auml;chlich sein k&ouml;nnten, angesprochen werden. Eine glenohumerale Laxizit&auml;t mit Hypermobilit&auml;t des Schultergelenks kann dazu f&uuml;hren, dass sich der Bizepsmuskel beim Versuch, den Kopf in der Pfanne zu stabilisieren, &uuml;beranstrengt. Eine Entz&uuml;ndung der vorderen Gelenkskapsel mit Synovitis kann durch die Nahebeziehung zur LBS ebenso einen vorderen Schulterschmerz erzeugen. Die Funktion der LBS kann schlie&szlig;lich auch durch eine skapul&auml;re Dyskinesie beeintr&auml;chtigt sein.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Habermeyer P et al: J Shoulder Elbow Surg 2004; 13(1): 5-12 <strong>2</strong> Lafosse L et al:&nbsp; Arthroscopy 2007; 23(1): 73-80 <strong>3</strong> Andrews J et al:&nbsp; Am J Sports Med 1985; 13(5): 337-41 <strong>4</strong> Snyder SJ et al: Arthroscopy 1990; 6(4): 274-9 <strong>5</strong> Maffet MW et al: Am J Sports Med 1995; 23(1): 93-8</p> </div> </p>
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