<p class="article-intro">Die Publikation ungewöhnlicher Fallvignetten im „Morbidity and Mortality Weekly Report“ der CDC im Juni 1981 kann als Ausgangspunkt der Wahrnehmung der HIV-Epidemie gesehen werden.<sup>1</sup> Seitdem hat sich das Thema HIV/Aids, insbesondere aus wissenschaftlicher und medizinischer Perspektive, verändert. In kaum einem anderen Indikationsgebiet kann von einer derart rasanten und erfolgreichen therapeutischen Entwicklung gesprochen werden. Die unter dem Slogan „U=U“ zusammengefasste Erkenntnis dürfte dabei einer der größten Durchbrüche im Bereich HIV/Aids sein.</p>
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<p class="article-content"><h2>Therapie als Maßstab individueller Gesundheitsprognose</h2> <p>Nur wenige Jahre nach der Identifikation des HI-Virus als auslösendes Pathogen wurden erste Medikamente zur Behandlung einer HIV-Infektion zugelassen. Diese antiretroviralen Wirkstoffe werden seitdem konstant optimiert und haben mittlerweile eine Effektivität erreicht, die anfangs undenkbar erschien. Unter guten Therapiebedingungen darf heute die Lebenserwartung HIV-positiver Patienten mit jener der Gesamtbevölkerung verglichen werden. Zudem haben sich Therapieregime vereinfacht und Nebenwirkungsprofile signifikant reduziert. Somit hat sich die medizinische Lebensqualität der Patienten bahnbrechend verbessert. Insgesamt gilt die HIV-Infektion heutzutage als gut behandelbare chronische Erkrankung. Voraussetzungen sind allerdings die frühzeitige Diagnose, ein zeitnaher Therapiestart und nachfolgend das Erreichen einer supprimierten Virämie (im Regelfall <50 Kopien/ml). Wie spätestens seit der SMART- und der START-Studie international anerkannt ist, wird die individuelle Prognose maßgeblich durch den Zeitpunkt des Therapiestarts sowie ein anhaltendes virologisches Ansprechen mit einer Viruslast unter der Nachweisgrenze beeinflusst.<sup>2, 3</sup></p>
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<p class="article-intro">Die Publikation ungewöhnlicher Fallvignetten im „Morbidity and Mortality Weekly Report“ der CDC im Juni 1981 kann als Ausgangspunkt der Wahrnehmung der HIV-Epidemie gesehen werden.<sup>1</sup> Seitdem hat sich das Thema HIV/Aids, insbesondere aus wissenschaftlicher und medizinischer Perspektive, verändert. In kaum einem anderen Indikationsgebiet kann von einer derart rasanten und erfolgreichen therapeutischen Entwicklung gesprochen werden. Die unter dem Slogan „U=U“ zusammengefasste Erkenntnis dürfte dabei einer der größten Durchbrüche im Bereich HIV/Aids sein.</p>
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<p class="article-content"><h2>Therapie als Maßstab individueller Gesundheitsprognose</h2> <p>Nur wenige Jahre nach der Identifikation des HI-Virus als auslösendes Pathogen wurden erste Medikamente zur Behandlung einer HIV-Infektion zugelassen. Diese antiretroviralen Wirkstoffe werden seitdem konstant optimiert und haben mittlerweile eine Effektivität erreicht, die anfangs undenkbar erschien. Unter guten Therapiebedingungen darf heute die Lebenserwartung HIV-positiver Patienten mit jener der Gesamtbevölkerung verglichen werden. Zudem haben sich Therapieregime vereinfacht und Nebenwirkungsprofile signifikant reduziert. Somit hat sich die medizinische Lebensqualität der Patienten bahnbrechend verbessert. Insgesamt gilt die HIV-Infektion heutzutage als gut behandelbare chronische Erkrankung. Voraussetzungen sind allerdings die frühzeitige Diagnose, ein zeitnaher Therapiestart und nachfolgend das Erreichen einer supprimierten Virämie (im Regelfall <50 Kopien/ml). Wie spätestens seit der SMART- und der START-Studie international anerkannt ist, wird die individuelle Prognose maßgeblich durch den Zeitpunkt des Therapiestarts sowie ein anhaltendes virologisches Ansprechen mit einer Viruslast unter der Nachweisgrenze beeinflusst.<sup>2, 3</sup></p> <h2>Therapieerfolg als Maßstab des Transmissionsrisikos</h2> <p>Parallel zu diesen Entwicklungen verdichteten sich Vermutungen und Daten, dass sich das Transmissionsrisiko proportional zur Viruslast verhält. Therapieerfolg und supprimierte Viruslast fungierten daher nicht nur als Marker für die individuelle Gesundheit, sondern auch für die Übertragungswahrscheinlichkeit.<br /> Beobachtungen bezüglich dieses Zusammenhangs sind dabei keine per se aktuelle Entwicklung. Das Zusammentragen diesbezüglicher Daten erfolgt seit mittlerweile über 25 Jahren, welche im Folgenden kurz umrissen werden.<br /> 1994 zeigte die ACTG076-Studie eine Reduktion der Mutter-Kind-Übertragungen um 68 % unter der Einnahme des antiretroviralen Wirkstoffs Zidovudin.<sup>4</sup> 1998 wurde dieser Effekt z. B. auch von einem Behandlungszentrum in San Francisco publiziert. Hier sanken Mutter-Kind-Übertragungen dank HIV-Therapie auf annähernd null.<sup>5</sup></p> <h2>Viruslast und Transmissionsrisiko</h2> <p>2000 folgte die Auswertung der Rakai- Studie aus Uganda, welche sich dezidiert mit der Frage nach dem Einfluss der Viruslast auf eine sexuelle Übertragung befasste.<sup>6</sup> Eingeschlossen waren 415 serodifferente heterosexuelle Paare. Bei den HIVpositiven Partnerinnen bzw. Partnern, deren Viruslast unter 1500/ml lag, kam es zu keinen Übertragungen auf die HIV-negativen Partner oder Partnerinnen. Die Autoren formulierten erstmals die tragende Rolle der Viruslast in Bezug auf eine sexuelle Transmission. (Zitat: „The viral load is the chief predictor of the risk of heterosexual transmission of HIV-1.“) 2005 bestätigte eine Kohorte mit 393 heterosexuellen serodifferenten Paaren in Madrid diese Beobachtung.<sup>7</sup> 2008 publizierte die Eidgenössische Kommission für Aidsfragen (EKAF), dass davon ausgegangen werden kann, dass bei einer Viruslast unter der Nachweisgrenze und Ausschluss anderer sexuell übertragbarer Krankheiten (STD) die Wahrscheinlichkeit einer sexuellen Übertragung vernachlässigbar gering sei.<sup>8</sup> Damit hob die EKAF die vorhandenen Einzelbeobachtungen in Form einer allgemeingültigen These auf eine neue Ebene.<br /> Als Meilenstein gilt die Zwischenauswertung im Jahr 2011 von HPTN052, der ersten randomisierten Studie zu dieser Fragestellung. Unter den etwa 1800 teilnehmenden heterosexuellen serodifferenten Paaren kam es zu keiner einzigen Transmission, sofern die positiven Partner eine HIV-Therapie erhielten.<sup>9</sup> Der Therapiearm mit verzögertem Therapiestart wurde aufgrund dieser eindeutigen Daten geöffnet und allen Teilnehmern wurde die HIV-Therapie angeboten. Die finale Auswertung erfolgte 2016 und bestätigte nochmals die Ergebnisse.<br /> Dennoch ließ HPTN052 Fragen offen, da einerseits ausschließlich heterosexuelle Paare inkludiert waren und andererseits die Paare von häufigem Kondomgebrauch und seltenem Analverkehr berichteten. Die beiden europäischen PARTNER-Studien sollten diese Lücke schließen. Sie inkludierten Paare, die grundsätzlich auch kondomfreien Sex praktizierten, und vor allem zahlreiche schwule Paare, um einen Rückschluss auf (männlichen) Analverkehr zu ermöglichen. Zwischen 2014 und 2019 folgten Interimsanalysen und Endauswertungen beider PARTNER-Studien. Bei PARTNER-1 kam es im Zuge von 58 000 angegebenen kondomfreien Sexualakten zu keiner einzigen HIV-Transmission.<sup>10</sup> PARTNER-2 wertete die Angaben und Ergebnisse aller schwulen Paare aus und registrierte bei 77 000 Malen kondomlosen Analverkehrs keine Übertragung.<sup>11</sup> Gestützt werden die Ergebnisse durch die 2018 veröffentlichte Kohortenstudie OPPOSITES ATTRACT: Bei 17 000-mal angegebenem kondomfreiem Analverkehr kam es zu keiner einzigen HIV-Transmission.<sup>12</sup> Alle drei Studien bezogen sich auf eine Viruslast unter 200/ml als Marker.<br /> Die Datenlage ist mittlerweile umfassend, allerdings aufgrund unterschiedlicher Studienkriterien teils unübersichtlich. Fakt ist, dass bis dato kein Fall einer HIVÜbertragung unter effektiver Therapie veröffentlicht wurde. Um die Summe dieser Beobachtungen zu vereinfachen und leichter kommunizieren zu können, setzt sich international der Slogan „U=U“ durch. Er steht für „undetectable = untransmittable“. U=U bezieht sich derzeit dezidiert auf sexuelle Transmission und auf eine Viruslast unter 200 Kopien/ml, ist unabhängig von der Art des Sexualakts und unabhängig vom Vorliegen anderer STD. Die rein theoretische Restwahrscheinlichkeit einer Übertragung wird den realen Beobachtungen entsprechend mit null angegeben.<br /> U=U ist international von führenden Experten anerkannt. Auch die aktuellen Deutsch-Österreichischen Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-1-Infektion weisen auf den Zusammenhang zwischen Viruslast und Transmissionsrisiko hin und die Österreichische AIDS Gesellschaft unterstützt klar und deutlich die Aussage „U=U“.<sup>13</sup></p> <h2>Umgang mit HIV im Gesundheitswesen</h2> <p>Der Slogan U=U hat das außergewöhnliche Potenzial, auch gesellschaftlich weitreichende Konsequenzen zu haben. Noch nie gab es in der Geschichte der HIV-Epidemie einen biomedizinischen Aspekt, welcher derart dazu geeignet ist, über reine Wissensvermittlung bestehende Ängste zu nehmen und somit Diskriminierung und Stigmatisierung gegenüber HIV-positiven Menschen abzubauen.<br /> Dies kann vor allem auch im Gesundheitswesen und gemeinsam mit medizinischem Personal genutzt werden. Ungleichbehandlungen, insbesondere in diversen Gesundheitsbereichen, basieren zumeist ausschließlich auf unzureichend zur Verfügung gestellter und vermittelter Information. Dies ist nicht nur individuell für die betroffenen Patienten ein Problem, sondern auch eine vergebene Chance. Mitarbeiter im Gesundheitsbereich tragen nicht nur maßgeblich zur qualitativ hochwertigen Betreuung und Behandlung HIV-positiver Menschen bei. Sie spielen auch eine Schlüsselrolle bei der potenziellen Diagnosestellung und damit folglich auch beim Therapiestart mit all seinen günstigen individuellen und epidemiologischen Auswirkungen.</p> <h2>U=U unterstreicht Schlüsselrolle von medizinischem Fachpersonal</h2> <p>Da dennoch immer wieder von Ungleichbehandlungen berichtet wird (siehe Beispiele), muss festgestellt werden, dass HIV-spezifische Wissensvermittlung für Mitarbeiter der Gesundheitsbereiche noch nicht optimal eingesetzt wird.<br /> Die AIDS-Hilfen Österreichs versuchen die Situation in Bezug auf Ausgrenzung und Diskriminierung zu dokumentieren. Seit Einrichtung einer eigenen Monitoringstelle im Jahr 2013 bezogen sich 137 der 247 gemeldeten Fälle einer Ungleichbehandlung (55 % ) auf den Gesundheitsbereich. Häufig betreffen die Berichte die Vergabe von speziellen Randterminen, den Einsatz gesonderter Hygienemaßnahmen oder auch Datenschutzverletzungen. Natürlich muss festgehalten werden, dass viele Ungleichbehandlungen nicht gemeldet werden und hier eventuell der Gesundheitsbereich mehr Aufmerksamkeit erfährt als andere Bereiche. Rein statistisch gesehen ist die Aussage der registrierten Fälle daher limitiert.<br /> Die grundsätzliche Beobachtung, dass ein Großteil gemeldeter Diskriminierungen das Gesundheitswesen betrifft, ist allerdings ein internationales und bekanntes Phänomen. Große länderübergreifende Umfragen ergeben ein identisches Bild und globale Organisationen wie UNAIDS nehmen sich des Themas an.<br /> Auch die Österreichische AIDS Gesellschaft und die AIDS-Hilfen Österreichs fördern daher aktiv den Expertisenaustausch auf diesem Themengebiet. Neben der Vermittlung eines kompetenten fachlichen Umgangs mit dem Thema HIV im beruflichen Kontext kann das Bewusstsein bezüglich U=U grundsätzlich die Wahrnehmung von vermeintlichen Infektionsrisiken ändern und zusätzlich Ängste abbauen. U=U kann somit medizinisches Fachpersonal in einer weiteren Schlüsselrolle bestärken: dem aktiven Abbau von Diskriminierung und Stigmatisierung.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Morb Mortal Wkly Rep 1981; 30: 1-3 (www.cdc.gov/mmwr/ preview/mmwrhtml/june_5.htm) <strong>2</strong> El-Sadr WM et al.: N Engl J Med 2006; 355: 2283-96 <strong>3</strong> Lundgren JD et al.: N Engl J Med 2015; 373: 795-807 <strong>4</strong> Connor EM et al.: N Engl J Med 1994; 331: 1173-80 <strong>5</strong> Beckerman K et al.: Int Conf AIDS 1998, Abstr. 459, http://i-base.info/ttfa/wp-content/uploads/ 2012/05/Beckerman-Abs459-IAS-geneva-1998.pdf <strong>6</strong> Quinn TC et al.: N Engl J Med 2000; 342: 921-9 <strong>7</strong> Castilla J et al.: J Acquir Immune Defic Syndr 2005; 40: 96-101 <strong>8</strong> Vernazza P et al.: Schweiz Ärzteztg 2008; 89: 165-9 <strong>9</strong> Cohen MS et al.: N Engl J Med 2016; 375: 830-9 <strong>10</strong> Rodger AJ et al.: JAMA 2016; 316: 171-81 <strong>11</strong> Rodger AJ et al.: Lancet 2019; 393: 2428-38 <strong>12</strong> Bavinton BR et al.: Lancet HIV 2018; 5: e438-47 <strong>13</strong> Deutsch-Österreichische Leitlinien, Stand 2019, www.aidsgesellschaft.info/ueber-hiv/leitlinien.htm</p>
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