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Rasche und sichere Triage bei Verdacht auf Myokardinfarkt

Real-World-Daten bestätigen Sicherheit des 0/1-h-Algorithmus

<p class="article-intro">Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) empfiehlt den 0/1-Stunden-Algorithmus zur raschen Troponin-basierten Triage von Patienten mit Verdacht auf einen akuten Myokardinfarkt. Bisher basierte dieser auf Daten aus Studienbedingungen, Real-World-Daten aus der klinischen Routineanwendung fehlten. Aktuelle Daten aus der Schweiz und Argentinien konnten nun eine ausgezeichnete Effizienz und Sicherheit auch in der Routineanwendung dokumentieren.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Der 0/1-Stunden-Algorithmus basiert auf der zweifachen Messung des hochsensitiven Troponins zum Zeitpunkt des Eintritts in die Notfallstation sowie nach einer Stunde.</li> <li>Die routinem&auml;ssige Anwendung des 0/1-Stunden-Algorithmus erlaubt ein ambulantes Management bei ca. 70 % aller Patienten mit Verdacht auf einen Myokardinfarkt.</li> <li>Die Sicherheit ist dabei ausgezeichnet.</li> <li>Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer auf der Notfallstation kann auf unter 3 Stunden verk&uuml;rzt werden.</li> </ul> </div> <p>Myokardinfarkt(MI)-verd&auml;chtige Beschwerden geh&ouml;ren zu den h&auml;ufigsten Leitsymptomen von Patienten internistischer Notfallstationen im DACH-Raum und weltweit.<sup>1, 2</sup> Patienten mit MI k&ouml;nnen eine Vielfalt von Beschwerden wie Brustschmerzen, Atemnot, &Uuml;belkeit und Erbrechen oder bloss Schw&auml;che und Abgeschlagenheit aufweisen, was die Diagnosestellung erschwert. Ebenso weist weniger als die H&auml;lfte aller MI-Patienten Isch&auml;mie-typische Ver&auml;nderungen im EKG auf.<sup>3</sup> Eine rasche Diagnosestellung des MI ist essenziell, um die entsprechenden evidenzbasierten medizinischen Massnahmen zu veranlassen (z. B. Thrombozytenaggregationshemmung, fr&uuml;he Statin- und ACE-Hemmer-Therapie, Rhythmus&uuml;berwachung sowie Revaskularisation). Erfreulicherweise leiden je nach klinischem Setting nur 10&ndash;20 % aller Patienten mit MIverd&auml;chtigen Beschwerden letztlich an einem Myokardinfarkt. Die grosse Mehrheit der Beschwerden (80&ndash;90 % ) sind meist nicht kardialer und oftmals gutartiger Genese, wie z. B. muskuloskelettale Brustschmerzen, Refluxbeschwerden oder pleuritische Schmerzen, und ein rascher und zuverl&auml;ssiger MI-Ausschluss ist bei diesen Patienten genauso w&uuml;nschenswert. Bei einigen Patienten sind die rasche Diagnosestellung und die Entscheidung &uuml;ber das weitere Management einfach (z. B. bei typischer Klinik und/oder ST-Hebungen im Aufnahme-EKG mit Bedarf einer unmittelbaren Koronarangiografie), in der &uuml;berwiegenden Mehrheit stellt die Diagnosestellung jedoch eine klinische Herausforderung dar.</p> <h2>ESC-0/1-Stunden-Algorithmus</h2> <p>Seit 2015 empfiehlt die Europ&auml;ische Gesellschaft f&uuml;r Kardiologie (ESC) in ihren Richtlinien den 0/1-Stunden-Algorithmus mit einer Klasse-I-Empfehlung zur raschen Triage von Patienten mit Verdacht auf MI.<sup>4</sup> Dieser Algorithmus wurde in der Forschungsgruppe um Prof. Christian M&uuml;ller am Cardiovascular Research Institute Basel (CRIB) des Universit&auml;tsspitals Basel in der europaweiten APACE-Studie entwickelt und mehrfach validiert.<sup>5&ndash;8</sup> Das Konzept ist einfach und teilt die Patienten anhand ihres hochsensitiven Troponin-Wertes bei Aufnahme auf die Notfallstation und der absoluten Ver&auml;nderung innerhalb der ersten Stunde in drei Triage-Gruppen ein: Ruleout f&uuml;r die Patienten, bei denen ein MI mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, Rule-in f&uuml;r die Patienten, bei denen ein MI wahrscheinlich ist, und Beobachten der verbleibenden Patienten (Abb. 1A). Patienten qualifizieren f&uuml;r Ruleout, falls der 0-Stunden-Wert sehr niedrig ist und der Schmerzbeginn mehr als drei Stunden zur&uuml;ckliegt. Ebenso qualifizieren sie f&uuml;r Rule-out, falls der 0-Stunden-Troponin-Wert niedrig UND die absolute Ver&auml;nderung w&auml;hrend der ersten Stunde sehr klein ist. Patienten qualifizieren f&uuml;r Rule-in, falls der 0-Stunden-Troponin-Wert bereits deutlich erh&ouml;ht ist ODER die absolute Ver&auml;nderung gross ist. Die Grenzwerte f&uuml;r Rule-out und Rule-in h&auml;ngen vom verwendeten Test ab. Die Grenzwerte f&uuml;r die beiden im DACH-Raum aktuell am weitesten verbreiteten hochsensitiven Troponin-Tests (hochsensitives Troponin T von Roche<sup>&reg;</sup> und hochsensitives Troponin I von Abbott<sup>&reg;</sup>) sind in Abb. 1B und 1C aufgef&uuml;hrt. Patienten im Beobachtungsbereich mit mittlerem Risiko bed&uuml;rfen in der Regel einer weiteren Troponinmessung nach 3 Stunden, einer kardialen Bildgebung sowie detaillierten individuellen klinischen Beurteilung. Die Effizienz und Sicherheit dieses beschleunigten Vorgehens wurde innerhalb von diagnostischen Studien anhand von statistischen Modellen intensiv untersucht und validiert.<sup>5&ndash;7, 9</sup> Jedoch war bisher unklar, wie der 0/1-Stunden-Algorithmus bei dessen routinem&auml;ssiger Anwendung im klinischen Alltag abschneiden w&uuml;rde. Erstmals liegen nun Real-World-Daten dazu vor.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Innere_2001_Weblinks_lo_innere_2001_s40_abb1_twerenbold.jpg" alt="" width="625" height="813" /></p> <h2>Erstmals Real-World-Daten</h2> <p>In einer gemeinsamen Untersuchung des Universit&auml;tsspitals Basel und des Universit&auml;tsspitals in Buenos Aires, Argentinien, ging man dieser Frage nun auf den Grund. Die Resultate konnten am ESCKongress 2019 in Paris vorgestellt und im &laquo;Journal of the American College of Cardiology&raquo; publiziert werden.<sup>10</sup> In beiden Institutionen wird seit Ende 2015 der ESC-0/1-Stunden-Algorithmus standardm&auml;ssig zur raschen Risikostratifizierung und Triage bei einem Verdacht auf MI angewendet. Anhand von 2296 prospektiv untersuchten Patienten mit Verdacht auf MI wurden die Durchf&uuml;hrbarkeit, Effizienz und Sicherheit des 0/1-Stunden-Algorithmus unter Verwendung des hochsensitiven Troponins T von Roche<sup>&reg;</sup> analysiert. Weiter wurde die durchschnittliche Verweildauer auf der Notfallstation bis zur Entlassung nach Hause oder zur Verlegung auf eine nachbehandelnde Station oder Abteilung dokumentiert. Patienten mit ST-Strecken-Hebungsinfarkten (STEMI) wurden von der Analyse ausgeschlossen, da diese Hochrisikopatienten unverz&uuml;glich eine invasive Diagnostik und koronare Revaskularisation unabh&auml;ngig von jeglicher Troponin-Dynamik ben&ouml;tigen. Die Pr&auml;valenz an Nicht-ST-Strecken-Hebungsinfarkten (NSTEMI) lag bei 9,8 % . Gut ein Drittel aller Patienten stellte sich innerhalb der ersten drei Stunden nach Schmerzbeginn vor. Die zweite Troponin-Messung erfolgte im Median 65 (IQR, 61&ndash;72) Minuten nach der Erstmessung zur 0-Stunde (Aufnahme auf die Notfallstation). 94 % aller Patienten wurden gem&auml;ss Protokoll triagiert. Der h&auml;ufigste Grund f&uuml;r einen Protokollverstoss war ein direkter MI-Ausschluss (Rule-out) trotz Vorstellung innerhalb der ersten drei Stunden nach Schmerzbeginn, was gem&auml;ss dem 0/1-Stunden-Algorithmus immer eine Zweitmessung nach einer Stunde erfordert. Insgesamt konnten 71 % aller Patienten ambulant abgekl&auml;rt und damit innerhalb von weniger als 24 Stunden direkt von der Notfallstation nach Hause entlassen werden (Abb. 2). Die Sicherheit des 0/1-Stunden-Algorithmus war exzellent: Nur bei 0,1 % (n=1) aller ambulanten Patienten kam es innerhalb von 30 Tagen zum Auftreten eines MI oder eines kardiovaskul&auml;ren Todesfalls. Konkret verstarb aus ungekl&auml;rten Gr&uuml;nden am 29. Tag eine 63-j&auml;hrige Frau, deren Beschwerden zum Zeitpunkt der Vorstellung auf der Notfallstation bei seriell normwertigen hochsensitiven Troponin-Werten als muskuloskelettale Brustschmerzen beurteilt wurden. Bei nicht stattgehabter Autopsie und fehlenden klaren Hinweisen auf eine nicht kardiovaskul&auml;re Todesursache wurde dieses einzige Ereignis in der ambulanten Gruppe gem&auml;ss aktuellen Empfehlungen als kardiovaskul&auml;rer Todesfall gewertet. In der ambulanten Gruppe kam es zu keinem MI innerhalb von 30 Tagen. Die mediane Verweildauer auf der Notfallstation betrug 150 (IQR, 134&ndash;235) Minuten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Innere_2001_Weblinks_lo_innere_2001_s41_abb2_twerenbold.jpg" alt="" width="500" height="510" /></p> <h2>Exzellente Sicherheit best&auml;tigt</h2> <p>Zahlreiche vordefinierte Subgruppenanalysen best&auml;tigten die hohe Effizienz und Sicherheit, insbesondere auch bei Patienten mit bekannter KHK, eingeschr&auml;nkter Nierenfunktion sowie der potenziell kritischen Gruppe von Patienten, welche sich innerhalb der ersten drei Stunden nach Schmerzbeginn auf der Notfallstation vorstellen. Diese positiven Erkenntnisse wurden in einer k&uuml;rzlich publizierten unabh&auml;ngigen Single-center-Studie des Universit&auml;tsklinikums Heidelberg, Deutschland, ebenfalls best&auml;tigt.<sup>11</sup></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Der ESC-0/1-Stunden-Algorithmus erlaubt eine sehr effiziente, rasche und insbesondere sichere Triage von Patienten mit Verdacht auf einen NSTEMI. Die aktuellen Real-World-Daten untermauern dabei die bisherigen Empfehlungen einer routinem&auml;ssigen Anwendung im klinischen Alltag einer Notfallstation.</p> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Bingisser R et al.: Systematically assessed symptoms as outcome predictors in emergency patients. Eur J Intern Med 2017; 45: 8-12 <strong>2</strong> Blomkalns AL, Gibler WB: Chest pain unit concept: rationale and diagnostic strategies. Cardiology Clinics 2005; 23: 411-21 <strong>3</strong> Twerenbold R et al.: Clinical use of high-sensitivity cardiac troponin in patients with suspected myocardial infarction. J Am Coll Cardiol 2017; 70: 996-1012 <strong>4</strong> Roffi M et al.: 2015 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation: Task Force for the Management of Acute Coronary Syndromes in Patients Presenting without Persistent STSegment Elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2016; 37: 267-315 <strong>5</strong> Reichlin T et al.: One-hour rule-out and rule-in of acute myocardial infarction using high-sensitivity cardiac troponin T. Arch Intern Med 2012; 172: 1211-8 <strong>6</strong> Reichlin T et al.: Prospective validation of a 1-hour algorithm to rule-out and rule-in acute myocardial infarction using a high-sensitivity cardiac troponin T assay. CMAJ : Canadian Medical Association Journal = Journal de l&rsquo;Association Medicale Canadienne 2015; 187: E243-52 <strong>7</strong> Rubini Gimenez M et al.: One-hour rule-in and rule-out of acute myocardial infarction using highsensitivity cardiac troponin I. Am J Med 2015; 128: 861- 870.e4 <strong>8</strong> Twerenbold R et al.: 0/1-hour triage algorithm for myocardial infarction in patients with renal dysfunction. Circulation 2018; 137: 436-51 <strong>9</strong> Mueller C et al.: Multicenter evaluation of a 0-hour/1-hour algorithm in the diagnosis of myocardial infarction with high-sensitivity cardiac troponin T. Ann Emerg Med 2016; 68: 76-87.e4 <strong>10</strong> Twerenbold R et al.: Outcome of applying the ESC 0/1-hour algorithm in patients with suspected myocardial infarction. J Am Coll Cardiol 2019; 74: 483-94 <strong>11</strong> Stoyanov KM al.: RAPID- CPU: a prospective study on implementation of the ESC 0/1-hour algorithm and safety of discharge after ruleout of myocardial infarction. Eur Heart J Acute Cardiovasc Care 2019: 2048872619861911</p> </div> </p>
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