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Praxisregeln im Umgang mit NOAKs

NOAKs bei Niereninsuffizienz

<p class="article-intro">In Österreich leben etwa 235 000 Menschen mit einer Medikamentenverordnung für nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien (NOAKs). Mit zunehmendem Alter steigt nicht nur die Inzidenz einer Indikation für NOAKs, des Vorhofflimmerns, sondern auch das Risiko für eine Niereninsuffizienz. So wirksam und sicher NOAKs grundsätzlich sind, bei Niereninsuffizienz führt die Akkumulation der Blutverdünnungsmedikamente zu Blutungen. Wie können wir diesem Nieren-NOAK-Risiko begegnen?</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Nicht Vitamin-K-abh&auml;ngige orale Antikoagulanzien (NOAKs) sind wirksam und sicher bei der Behandlung von Vorhofflimmern, Koronarsyndrom und Thromboembolie; NOAKs steigern den Patientenkomfort im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten.</li> <li>Da NOAKs zu 25&ndash;80 % renal eliminiert werden, akkumulieren sie bei Niereninsuffizienz, wodurch das Blutungsrisiko steigt.</li> <li>Daher ist ein regelm&auml;&szlig;iger Drug-Check mittels &Uuml;berpr&uuml;fung der glomerul&auml;ren Filtrationsrate (GFR) unter laufender NOAK-Verordnung erforderlich, zus&auml;tzlich bei Erkrankungen, Operationen und Unf&auml;llen.</li> <li>GFR-Werte von 15, 30 und 50 ml/min sind bei Niereninsuffizienz f&uuml;r das Absetzen von NOAKs vor Operationen bzw. f&uuml;r das Antidotieren (Idarucizumab, Andexanet alfa) relevant.</li> <li>Der perioperative Behandlungspfad ist einfach: NOAK absetzen (je nach GFR und anstehendem Eingriff; kein &bdquo;bridging&ldquo; mit niedermolekularen Heparinen) &ndash; dann operieren &ndash; dann Thromboseprophylaxe &ndash; dann Wiederansetzen des NOAK.</li> </ul> </div> <h2>Nicht Vitamin-K-abh&auml;ngige orale Antikoagulation &ndash; NOAK</h2> <p>Die Entwicklung der nicht Vitamin-Kabh&auml;ngigen oralen Antikoagulation (NOAK) kann als Fortschritt in der Patientenbehandlung bewertet werden: NOAKs sind wirksam, nicht nur in den Zulassungsstudien, sondern auch in den Real-World-Daten und Registersammlungen. Dar&uuml;ber hinaus sind NOAKs sicherer als die herk&ouml;mmlichen Vitamin-K-Antagonisten (VKA), denn die Evidenz zeigt auch geringere spontane Blutungen. Ein weiterer Motor f&uuml;r die Verwendung der NOAKs sind nat&uuml;rlich auch der Patientenkomfort sowie die postulierte Verbesserung der Lebensqualit&auml;t. W&auml;hrend fr&uuml;her regelm&auml;&szlig;ige Gerinnungskontrollen mittels International Normalized Ratio (INR) bei der Behandlung mit VKA erforderlich waren, so sind diese Patientenwege bei den NOAKs in der Regel nicht n&ouml;tig. Das therapeutische Fenster der NOAKs ist breiter, die Interaktionen mit Medikamenten sind wesentlich seltener und der Einfluss von Nahrungsmitteln ist vernachl&auml;ssigbar. NOAKs sind auch sicherer als VKA bez&uuml;glich perioperativer Blutungen. Mit der Entwicklung NOAK-spezifischer Antidote steigern NOAKVerordnungen die Patientensicherheit auch in der Akutmedizin und Traumatologie.<br /> Ob und wann ein Patient auf ein NOAK eingestellt wird, obliegt dem betreuenden Internisten bzw. Allgemeinmediziner. Unterst&uuml;tzung bei der Entscheidung liefern Expertenempfehlungen. Derzeit leben in &Ouml;sterreich etwa 235 000 Menschen mit einer Medikamentenverordnung f&uuml;r ein NOAK.</p> <h2>Niereninsuffizienz</h2> <p>Zu den h&auml;ufigsten Ursachen der Niereninsuffizienz z&auml;hlen Bluthochdruck und Diabetes mellitus, aber auch die Einnahme von nierensch&auml;digenden Medikamenten, wie nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), tr&auml;gt zur Nierensch&auml;digung bei. Die Korrektur dieser modifizierbaren Risikofaktoren und die Vermeidung pr&auml;zipitierender Faktoren mit Anpassung der Lebensgewohnheiten sind volkswirtschaftlich und gesundheitspolitisch relevant und sollten stets angestrebt werden. Mit zunehmendem Alter steigt nicht nur das Auftreten einer Indikation f&uuml;r NOAKs, das Vorhofflimmern, sondern auch das Risiko f&uuml;r eine Niereninsuffizienz.<br /> Zu den h&auml;ufigsten Folgen der Niereninsuffizienz z&auml;hlen Bluthochdruck, (Lungen-) &Ouml;dem, An&auml;mie, Elektrolyt- und Herzrhythmusst&ouml;rungen und die Akkumulation von renal eliminierten Medikamenten. Dazu geh&ouml;ren die NOAKs, deren renale Elimination in absteigender Reihe folgenderma&szlig;en verl&auml;uft: Dabigatran &gt;Edoxaban &gt;Rivaroxaban &gt;Apixaban. Die Leistung der Niere wird an der glomerul&auml;ren Filtrationsrate (GFR) gemessen, abh&auml;ngig von Alter, Geschlecht und K&ouml;rpergr&ouml;&szlig;e. Die Berechnung der Kreatinin-Clearance kann nach verschiedenen Formeln erfolgen (Cockcroft-Gault, Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration [CKD-EPI], Modification of Diet in Renal Disease [MDRD]). F&auml;llt der GFR-Wert unter 15 ml/min, kann die Niere ihre Funktion nicht mehr erf&uuml;llen.<br /> Dialysepflichtigkeit ist eine Kontraindikation f&uuml;r alle NOAKs. Unter 15 ml/min GFR sind die Faktor-Xa-inhibierenden NOAKs Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban kontraindiziert, unter 30 ml/min GFR das Thrombin-inhibierende NOAK Dabigatran. Bei GFR-Leistungen zwischen diesen Grenzwerten und 80 ml/min ist mit verz&ouml;gerter NOAK-Elimination und erh&ouml;htem Blutungsrisiko zu rechnen. Wie k&ouml;nnen wir diesem Nieren-NOAK-Risiko begegnen? Am ehesten mit einem wachsamen Blick auf die Nierenfunktion und therapeutischen Konsequenzen bei zunehmender Insuffizienz.</p> <h2>Drug-Check</h2> <p>Der wachsame Blick auf die Nierenfunktion unter NOAK-Therapie bedeutet in der klinischen Praxis die regelm&auml;&szlig;ige Kontrolle der GFR. Modifiziert nach der Empfehlung der European Heart Rhythm Association (EHRA) sollen GFR-Kontrollen zu Beginn der NOAK-Verordnung und danach alle 12 Monate erfolgen. Beim 1. Follow-up nach einem Monat sollen diese Kontrollintervalle individuell angepasst werden. Der Drug- Check soll intensiviert werden auf ein Intervall von 6 Monaten bei &uuml;ber 75-J&auml;hrigen bzw. bei Gebrechlichkeit. Unter 60 ml/min GFR soll der Zeitabstand zur n&auml;chsten Kontrolle verk&uuml;rzt werden nach der Formel GFR /10 (in Monaten). Zu beachten im Alter: Sarkopenie kann den Abfall der GFR maskieren. Das Hinzuziehen eines Nephrologen wird bei einer GFR Drug-Monitoring im Sinne der Kontrolle der biologischen Wirkung der NOAK mittels Gerinnungsanalysen sind nicht routinem&auml;&szlig;ig n&ouml;tig. Aber bei manifesten Blutungen oder bei imminentem Blutungsrisiko werden neben der GFR sensitive Gerinnungsanalysen durchgef&uuml;hrt. Qualitative Aussagen &uuml;ber eine Restwirkung der Faktor-Xa-inhibierenden NOAKs k&ouml;nnen mit der Anti-Xa-Aktivit&auml;t getroffen werden, &uuml;ber die Restwirkung des Thrombin-inhibierenden Dabigatrans mit der Thrombinzeit. F&uuml;r quantitative Aussagen soll die Anti-Xa-Aktivit&auml;t auf das jeweilige NOAK kalibriert bzw. die dilutierte Thrombinzeit gemessen werden.</p> <h2>NOAK und Niere perioperativ</h2> <p>Bei kleinen Eingriffen ohne relevantes Blutungsrisiko mit der M&ouml;glichkeit der lokalen Blutstillung werden OPs im Talspiegel durchgef&uuml;hrt, also 12&ndash;24 h nach der letzten Einnahme. Bei Eingriffen mit niedrigem oder hohem Blutungsrisiko hingegen ist ein pr&auml;operatives Absetzen die therapeutische Konsequenz je nach GFR: Bei einer GFR &gt;80 ml/min werden alle NOAKs mind. 24 h vor der OP (bei niedrigem Blutungsrisiko) oder mind. 48 h davor (bei hohem Blutungsrisiko) abgesetzt. Dieses Intervall verl&auml;ngert sich f&uuml;r Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban bei niedrigem Blutungsrisiko und einer GFR von 15&ndash;30 ml/min auf &ge;36 h. F&uuml;r Dabigatran steigen die Karenzzeiten steiler an: Bei einer GFR von 50&ndash;79 ml/min soll Dabigatran mind. 36 h vor der OP (bei niedrigem Blutungsrisiko) oder mind. 72 h davor (bei hohem Blutungsrisiko) abgesetzt werden, bei einer GFR von 30&ndash;49 ml/min mind. 48 h (bei niedrigem Blutungsrisiko) oder mind. 96 h vor der OP (bei hohem Blutungsrisiko).<br /> Eine pr&auml;operative &Uuml;berbr&uuml;ckung mit niedermolekularen Heparinen (LMWH), z. B. Enoxaparin, soll laut aktuellen Empfehlungen bei NOAKs nicht erfolgen, weil dadurch nur das Blutungsrisiko potenziert wird. Der perioperative Behandlungspfad ist also einfach: NOAK absetzen (je nach GFR und anstehendem Eingriff) &ndash; dann operieren &ndash; dann Thromboseprophylaxe (je nach Eingriff und patientenabh&auml;ngigem Risiko) &ndash; dann nach definitivem Blutungsstopp Wiederansetzen des NOAK.</p> <h2>Antidotieren der NOAK</h2> <p>Das Antidotieren der NOAKs mit dem spezifischen Antidot hat einen hohen Stellenwert bei lebens- und organbedrohlichen Blutungen. F&uuml;r das prompte und nachhaltige Reversieren der Wirkung von Dabigatran ist seit 2015 Idarucizumab zugelassen. Die Initialdosis betr&auml;gt 2 x 2,5 g als Bolusinfusion (im Abstand von max. 15 Minuten). F&uuml;r das Reversieren der Wirkung von Xa-inhibierenden NOAKs ist seit 2019 Andexanet alfa zugelassen. Dosierungsempfehlung bei Einnahme von Rivaroxaban vor &ge;7 h und von Apixaban: 400 mg Bolus plus 480 mg infundiert &uuml;ber 2 h. Diese Dosierungen verdoppeln sich bei unklarem Einnahmezeitpunkt. Die Kosten f&uuml;r Andexanet alfa sind hoch und es steht derzeit in &Ouml;sterreich noch nicht zur Verf&uuml;gung. Gegenw&auml;rtig werden Xa-inhibierenden NOAKs mit Prothrombinkomplexkonzentrat (PPSB) in ihrer Wirkung abgeschw&auml;cht. Auch bei schwerwiegender Blutung durch VKA soll mit PPSB plus Vitamin K reversiert werden (starke Empfehlung 1B). PPSB birgt jedoch stets das Risiko f&uuml;r ven&ouml;se Thromboembolien, weil es die Thrombingeneration steigert. Im Gegensatz dazu hat Idarucizumab keine eigenst&auml;ndige prothrombotische Wirkung und die Rate an Thromboembolien ist geringer als bei anderen pharmakologischen Reversierungsstrategien. Die Zielsteuerungsgruppe Gesundheit hat im klinischen Pfad zur Behandlung h&uuml;ftnaher Frakturen bei zuvor oral antikoagulierten Patientinnen und Patienten empfohlen, Idarucizumab dann einzusetzen, wenn der Knochenbruch unter Dabigatran bei einer Niereninsuffizienz mit einer GFR unter 50 ml/min passiert ist. Mit Gabe des Antidots kann die operative Korrektur innerhalb des kritischen Zeitfensters von 48 h erfolgen. Dieses Limit gilt als Ergebnisqualit&auml;tskennzahl, weil bei Verz&ouml;gerungen Morbidit&auml;t und Mortalit&auml;t deutlich ansteigen. Der klinische Pfad sieht auch vor, nach der OP und vor dem Wiederansetzen des NOAK die aktuelle Nierenfunktion zu ber&uuml;cksichtigen. Wenn durch die interkurrente Verletzung und OP die GFR unter 15&ndash;30 ml/min abgefallen ist, dann sollte eine Reevaluierung der Indikation und der Dosis erfolgen.</p> <h2>Patientenorientierung</h2> <p>In der modernen Medizin ist der n&auml;chste Schritt nach der NOAK-Indikationsstellung die Patientenaufkl&auml;rung. Wenn &Auml;rzte &uuml;ber NOAK, Behandlungsalternativen und Risiken informieren, dann k&ouml;nnen die Patienten im Sinne der partizipativen Medizin die Behandlung mitgestalten &ndash; so kann das geeignete NOAK gefunden werden. Es m&uuml;ssen auch Verhaltensregeln vereinbart werden, etwa die Vermeidung von NSAR bei eingeschr&auml;nkter Nierenfunktion oder Gebrechlichkeit. Abgesehen vom direkten Arzt-Patient-Gespr&auml;ch h&auml;ndigen Spitalsambulanzen immer &ouml;fter NOAK-Informationsbl&auml;tter an Patienten aus; nicht nur um den Informationstransfer zu unterst&uuml;tzen, sondern auch zur medikolegalen Sicherheit der Behandler. Informationsbl&auml;tter haben sich auch in der perioperativen Medizin etabliert, um die Einhaltung der korrekten Karenzzeiten der oralen Antikoagulation zu erleichtern (z. B. https://www.ekhwien.at/fileadmin/content/pdf_downloads/Praeanaesthesie/Informationen_fuer_PatientInnen_ mit_Blutverduennung.pdf).</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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