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Aktuelle Forschungsergebnisse zu myeloproliferativen Neoplasien

<p class="article-intro">Beim ASH-Meeting 2019 standen bei den myeloproliferativen Neoplasien (MPN) frühe Studien zu neuen Therapiekonzepten und neue pathophysiologische Erkenntnisse aus präklinischen Tiermodellen im Vordergrund.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Der Einsatz von Peginterferon scheint eine immer gr&ouml;&szlig;ere Rolle bei der Therapie von Patienten mit Polycythaemia vera zu spielen.</li> <li>Neue Therapiekonzepte mit dem SMAC-Mimetikum LCL161, dem LSD1-Inhibitor Bomedemstat und dem gegen den IL-3- Rezeptor (CD123) gerichteten Molek&uuml;l Tagraxofusp zeigen bei Patienten mit Myelofibrose vielversprechende Wirksamkeit.</li> <li>Das Liganden der TGF-&beta;-Superfamilie bindende Luspatercept k&ouml;nnte in Zukunft nicht nur in der Behandlung der An&auml;mie bei MDS, sondern auch in der Behandlung der An&auml;mie im Rahmen einer Myelofibrose eine Rolle spielen.</li> <li>Pr&auml;klinische Tiermodelle geben einen vertieften Einblick in die Pathophysiologie der Myelofibrose.</li> </ul> </div> <h2>Peginterferon bei Polycythaemia vera</h2> <p>Der Einsatz von Peginterferon scheint eine immer gr&ouml;&szlig;ere Rolle bei der Therapie von Patienten mit Polycythaemia vera zu spielen.<sup>1</sup> In der Studie PROUD-PV/ CONTINUATION-PV wurde eine Langzeitbehandlung mit Ropeginterferon alfa-2b (Ropeg) mit einer zytoreduktiven Therapie im Hinblick auf thromboembolische Komplikationen und Nebenwirkungen sowie auf h&auml;matologische und molekulare Parameter verglichen. Insgesamt wurden 257 Patienten randomisiert in Ropeg oder Hydroxyurea (HU). Sie erhielten zun&auml;chst &uuml;ber 12 Monate eine individuelle Dosierung (PROUD-PV) und anschlie&szlig;end in der Extensionsphase eine fixe Dosis (CONTINUATION-PV). Dabei war im HU-Arm der Wechsel auf &bdquo;best available&ldquo; Therapie erlaubt. Der Abbruch der Therapie wurde als Nichtansprechen gewertet. Die Daten wurden zum jenem Zeitpunkt analysiert, als alle Patienten f&uuml;r mindestens 48 Monate behandelt worden waren. 95 Patienten im Ropeg-Arm und 76 Patienten im HU-Arm wurden in die Extensionsstudie aufgenommen.<sup>1</sup><br /> Zum Zeitpunkt der Analyse befanden sich 139 Patienten in der Studie, 74/95 Patienten im Ropeg-Arm und 65/76 Patienten im Kontrollarm. Die Rate von kompletten h&auml;matologischen Remissionen (CHR) war 60,6 % in der Ropeg-Kohorte versus 43,3 % in der HU-Kohorte (p = 0,02). Die Rate thromboembolischer Komplikationen war in beiden Armen minimal (1,1 % und 2,3 %). Der mediane JAK2V617F-Allelburden ver&auml;nderte sich im Ropeg-Arm von 37,3 % auf 9,8 % und im Kontrollarm von 38,1 % auf 43,1 % (p &lt; 0,0001). Die Rate molekularer Remissionen nach 48 Monaten betrug 67 % versus 25,7 % (p &lt; 0,0001). 13 Patienten im Ropeg-Arm fielen unter einen Grenzwert von 1 %.<sup>1</sup> Diese Daten sprechen daf&uuml;r, dass eine Langzeitbehandlung mit Ropeg imstande ist, tiefe molekulare Remissionen zu erzeugen, wodurch das krankheitsmodifizierende Potenzial dieser Substanz best&auml;tigt wird.</p> <h2>Neue Substanzen bei Myelofibrose</h2> <p>Ein v&ouml;llig neuer therapeutischer Ansatz ist der Einsatz eines oralen SMAC-Mimetikums/ IAP-Antagonisten bei Patienten mit Myelofibrose (MF). SMAC(&bdquo;second mitochondrial activator of caspases&ldquo;)-Mimetika bzw IAP(&bdquo;inhibitor of apoptosis protein&ldquo;)- Antagonisten sind neue Krebstherapeutika, die durch eine zielgerichtete Beeinflussung der IAP zur Apoptose von Tumorzellen f&uuml;hren. Das orale monovalente SMAC-Mimetikum LCL161 wurde im Rahmen einer Phase-II-Studie bei insgesamt 47 Patienten mit Intermediate- oder Highrisk- Myelofibrose und mehr als zwei Vortherapien eingesetzt.<sup>2</sup> Die ORR betrug 32 % (15/47). Die mediane Zeit bis zum Ansprechen betrug 1,4 Monate, die mediane Ansprechdauer 31,5 Monate. Bei 36 % der Patienten wurde eine Dosisreduktion vorgenommen, haupts&auml;chlich aufgrund von Fatigue.<sup>2</sup> Diese Therapie k&ouml;nnte vor allem f&uuml;r &auml;ltere Patienten mit einer vorangegangenen JAK-Inhibitor-Therapie und solche mit Thrombopenie eine interessante Option darstellen.<br /> Ein weiteres interessantes Molek&uuml;l ist die Lysin-spezifische Demethylase LSD1, die als epigenetisches Enzym die Selbsterneuerung maligner myeloischer Zellen und ihre Differenzierung reguliert. In einer Phase-IIa-Studie wurde der LSD1-Inhibitor Bomedemstat f&uuml;r die Behandlung der MF untersucht.<sup>3</sup> Die pr&auml;limin&auml;re Analyse umfasste 20 Patienten, von denen 16 die ersten 12 Wochen beendeten. Vier Patienten wurden aus der Studie genommen, einer aufgrund von Fatigue, die &uuml;brigen drei wegen einer Krankheitsprogression. 79 % der Patienten berichteten eine Verbesserung des Total-Symptom-Scores (TSS), die Plasma-IL-8-Spiegel waren bei 6/14 Patienten vor Therapiebeginn erh&ouml;ht, bei 5 dieser 6 Patienten kam es &uuml;ber einen Behandlungszeitraum von 21 Tagen zu einem dosisabh&auml;ngigen Abfall des Zytokinspiegels. Verbesserte KM-Fibrose- Scores am Tag 84 wurden bei 2/13 Patienten gemessen.<sup>3</sup><br /> Tagraxofusp ist ein Molek&uuml;l, das gegen den IL-3-Rezeptor (CD123) gerichtet ist und vor Kurzem von der FDA f&uuml;r die Therapie von Patienten mit blastischer plasmazytoider dendritischer Zellneoplasie zugelassen wurde. Plasmozytoide dendritische CD123+-Zellen wurden im Microenvironment mancher myeloischer Neoplasien einschlie&szlig;lich der Myelofibrose nachgewiesen. 27 Patienten mit MF wurden behandelt, 14 von ihnen hatten mindestens drei Vortherapien absolviert.<sup>4</sup> Die h&auml;ufigsten Therapie-assoziierten Nebenwirkungen umfassten Kopfschmerzen, Hypoalbumin&auml;mie, Erh&ouml;hungen der GOT sowie Thrombopenie und An&auml;mie. Von 17 evaluierbaren Patienten zeigten 53 % eine Reduktion der Milzgr&ouml;&szlig;e, die bei 4/5 (80 %) Patienten mit Splenomegalie und Monozytose (&gt; 1 G/l) beobachtet wurde. Insgesamt zeigte also die Therapie mit Tagraxofusp klinische Wirksamkeit und ein beherrschbares Nebenwirkungsprofil, sodass mit diesem Ansatz vor allem f&uuml;r die prognostisch ung&uuml;nstige MF-Gruppe mit Monozytose ein interessantes neues Behandlungskonzept vorliegen d&uuml;rfte.<sup>4</sup><br /> Luspatercept ist ein Reifungsinduktor der Erythropoese, der Liganden der TGF- &beta;-Superfamilie bindet und dadurch ein aberrantes Smsd2/3-Signaling vermindert. Dieses Medikament wird bereits erfolgreich zur Behandlung der An&auml;mie bei MDS-Patienten mit Ringsideroblasten eingesetzt. In einer Phase-II-Studie wurde nun Luspatercept bei Patienten mit MFassoziierter An&auml;mie untersucht.<sup>5</sup> In diese Studie wurden 74 Patienten eingeschlossen, von denen 41 keine gleichzeitige Ruxolitinib-Therapie erhielten. Die Wirksamkeitsdaten der vier Behandlungskohorten sind in Tabelle 1 dargestellt. Die ersten Ergebnisse dieser noch laufenden Studie zeigen, dass Luspatercept bei Patienten mit MF-assoziierter An&auml;mie signifikante klinische Aktivit&auml;t zeigt, inklusive jener Patienten, die auch gleichzeitig Ruxolitinib erhalten.<sup>5</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Onko_2001_Weblinks_aktuelle_forschungsergebnisse-tab1.jpg" alt="" width="1040" height="750" /></p> <p>&nbsp;</p> <h2>Pr&auml;klinische Modelle f&uuml;r MPN</h2> <p>Einige pr&auml;klinische Mausmodelle haben unser pathophysiologisches Verst&auml;ndnis der MF deutlich vertieft. Die MF, die mit MPN assoziiert ist, wurde bisher als reaktives Ph&auml;nomen betrachtet, bei dem mesenchymale Stromazellen durch die &Uuml;berproduktion von TGF-<em>&beta;</em> aus neoplastischen Megakaryozyten zur Kollagen- und Fibronectin-Synthese angeregt werden. Die Bedeutung von neoplastischen Fibrozyten, die sich vorwiegend aus monozyt&auml;ren Zellen entwickeln, f&uuml;r die Knochenmarkfibrose wurde jedoch k&uuml;rzlich belegt. In einer beim ASH-Meeting pr&auml;sentierten pr&auml;klinischen Studie wurde nun gezeigt, dass die Depletion von CD11b-positiven neoplastischen Zellen in einem <em>JAK2V617F</em>-mutierten Mausmodell die Anzahl der Fibrozyten im Knochenmark (KM) reduzierte und die KM-Fibrose deutlich verbesserte.<sup>6</sup> In einem anderen <em>JAK2V617F</em>-Mausmodell wurde gezeigt, dass die IL-1<em>&beta;</em>-Freisetzung aus klonalen Zellen die fr&uuml;he klonale Expansion beg&uuml;nstigt und die Initiierung und Progression eines MPN-Ph&auml;notyps f&ouml;rdert.<sup>7</sup><br /> Die pathophysiologische Bedeutung von TGF-<em>&beta;</em> wurde in einem weiteren Mausmodell untersucht, in dem transplantierte MPLW515L-positive h&auml;matopoetische Zellen in TGF-<em>&beta;</em>-deletierten M&auml;usen zwar einen MPN-&auml;hnlichen h&auml;matopoetischen Ph&auml;notyp zeigten, wobei die Fibrose in diesen M&auml;usen aber deutlich reduziert war.<sup>8</sup><br />Mithilfe h&auml;matopoetischer zellspezifischer Knock-out-M&auml;use wurde auch die Rolle von Calreticulin f&uuml;r die normale und neoplastische H&auml;matopoese bei MPN untersucht.<sup>9</sup> Dabei wurden drei Genotypen generiert, bei denen dieses Gen gar nicht, zur H&auml;lfte oder zur G&auml;nze ausgeschaltet wurde. Im Bezug auf Leukozytenzahl, H&auml;moglobinwert und Thrombozytenzahl im Blut gab es keine Unterschiede. Im KM hatten M&auml;use mit komplett ausgeschaltetem CALR jedoch eine verminderte Anzahl erythrozyt&auml;rer CD71+-Zellen und verminderte CFU-E (koloniebildende unipotente Stammzellen). Sie hatten aber in vermehrtem Ma&szlig;e multipotente Progenitorzellen (MPP) und granulozyt&auml;r-monozyt&auml;re Progenitorzellen (GMP). In den Milzen dieser M&auml;use, die im Durchschnitt zweimal schwerer als die der beiden anderen Genotypen waren, fanden sich vermehrt reife myeloische Zellen, erythrozyt&auml;re Zellen und Megakaryozyten. Auch die Anzahl h&auml;matopoetischer Stammzellen und der meisten h&auml;matopoetischen Progenitorzellen war erh&ouml;ht. Insgesamt f&uuml;hrte also eine komplette CALR-Defizienz zu erythroider Hypoplasie im KM, zu einer Splenomegalie und einer extramedull&auml;ren H&auml;matopoese, die offenbar die verminderte Erythropoese im KM kompensieren kann.<sup>9</sup><br />Daten aus einem anderen Mausmodell sprechen daf&uuml;r, dass der Wirkungsmechanismus von mutiertem CALR &uuml;ber den IL- 6/GP130/JAK-Signalpfad erfolgt, der sich damit als therapeutisches Target f&uuml;r neue Behandlungsans&auml;tze anbietet.<sup>10<br /></sup> Nicht nur quantitative Ver&auml;nderungen der CALR-Genexpression, sondern auch Unterschiede im Mutationsmuster scheinen Einfluss auf den Ph&auml;notyp einer MPN zu haben. Bei Patienten mit ET werden die Mutationen <em>del52</em> und <em>ins5</em> etwa gleich h&auml;ufig gefunden, w&auml;hrend bei Patienten mit MF <em>del52</em> deutlich h&auml;ufiger zu finden ist. Bei genetisch manipulierten M&auml;usen f&uuml;hren beide molekularen Aberrationen zu einer Thrombozytose, die bei homozygoten Tieren st&auml;rker ausgepr&auml;gt ist als bei heterozygoten M&auml;usen.<sup>11</sup> Im Gegensatz dazu wird eine Leukozytose ausschlie&szlig;lich bei homozygoten Tieren beobachtet. Nach 10 Monaten kommt es bei homozygoten M&auml;usen im KM und in der Milz zur Vermehrung megakaryozyt&auml;rer Zellen, die jedoch bei del52-M&auml;usen wesentlich st&auml;rker ausgepr&auml;gt ist als bei <em>ins5</em>-Tieren. Die starke Vermehrung megakaryozyt&auml;rer Zellen bei <em>del52</em>-M&auml;usen geht mit einer Verminderung der KM-Zellularit&auml;t und einer Splenomegalie einher. Die Entwicklung des MF-Ph&auml;notyps bei diesen M&auml;usen wird auch durch den Nachweis von Retikulinfasern untermauert. Auch die Expansion des HSC-Kompartments in KM und Milz war bei del52-M&auml;usen deutlich st&auml;rker ausgepr&auml;gt. Zuletzt konnte noch in kompetitiven Transplantationsexperimenten gezeigt werden, dass ein <em>del52</em>-Klon die normale H&auml;matopoese wesentlich st&auml;rker verdr&auml;ngt als ein <em>ins5</em>-Klon.<sup>11</sup> <br />Diese Daten zeigen, dass die Beobachtungen bei Patienten im Mausmodell sehr genau rekapituliert werden k&ouml;nnen. Sie geben damit einen wesentlichen Einblick in die Pathophysiologie CALR-getriebener MPN.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Kiladjian JJ et al.: ASH 2019, Abstr. #553 <strong>2</strong> Pemmaraju N et al.: ASH 2019, Abstr. #555 <strong>3</strong> Pettit K et al.: ASH 2019, Abstr. #556 <strong>4</strong> Pemmaraju N et al.: ASH 2019, Abstr. #558 <strong>5</strong> Gerds AT et al.: ASH 2019, Abstr. #557 <strong>6</strong> Ozono Y et al.: ASH 2019, Abstr. #310 <strong>7</strong> Rai S et al.: ASH 2019, Abstr. #307 <strong>8</strong> Yao JC et al.: ASH 2019, Abstr. #470 <strong>9</strong> Shide K et al.: ASH 2019, Abstr. #309 <strong>10</strong> Balliu M et al.: ASH 2019, Abstr. #471 <strong>11</strong> Benlabiod C et al.: ASH 2019, Abstr. #311</p> </div> </p>
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