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Möglichkeiten gesundheitsbezogener Interventionen

Drogenmärkte im Internet

<p class="article-intro">Der Drogenhandel im Internet rückt zunehmend in den Blickwinkel medialer Berichterstattung und in den Fokus wissenschaftlicher Forschung. Die Arbeiten des Kompetenzzentrums Sucht an der Gesundheit Österreich GmbH zu diesem Thema beleuchten insbesondere gesundheitsrelevante Aspekte der Prävention und Schadensminimierung im Kontext von Online-Drogenmärkten. Damit präventive und schadensminimierende Interventionen zielgruppenadäquat bleiben, werden sie oftmals direkt an die Strukturen der Online-Drogenmärkte angeknüpft.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Online-Drogenm&auml;rkte gibt es im &bdquo;visible web&ldquo; und im Darknet. Sie sind zus&auml;tzliche Bezugsquellen und l&ouml;sen herk&ouml;mmliche Drogenm&auml;rkte nicht ab. Es ist von einer Verschr&auml;nkung der M&auml;rkte und einer Erh&ouml;hung der regionalen Verf&uuml;gbarkeit von Substanzen auszugehen.</li> <li>Kaufentscheidungen basieren auf Empfehlungen von Gleichgesinnten und auf K&auml;ufer- und Substanzbeurteilungen in den marktinh&auml;renten Feedbacksystemen.</li> <li>Informationen zu Substanzen, Konsumrisiken und Wirkungsweisen werden in einschl&auml;gigen Onlineforen geteilt. Erfahrungen zeigen, dass in diesen Foren &ndash; unter bestimmten Voraussetzungen &ndash; professionelle Risikokommunikation angenommen wird.</li> </ul> </div> <h2>Der Drogenhandel spielt bei Darknet-Marktpl&auml;tzen eine zentrale Rolle</h2> <p>Betrachtet man die Struktur des Internets, so ist auff&auml;llig, dass nur vier Prozent aller dort verf&uuml;gbaren Inhalte &uuml;ber Suchmaschinen zug&auml;nglich sind. Dieses sogenannte &bdquo;visible web&ldquo; oder &bdquo;surface web&ldquo; stellt somit die sichtbare Spitze eines Eisbergs dar. Das &bdquo;deep web&ldquo;, welches mit 96 % der Inhalte dessen gr&ouml;&szlig;ten Teil ausmacht, besteht aus Seiten mit beschr&auml;nkten Zug&auml;ngen, u. a. privaten oder firmeninternen Seiten. Innerhalb dieser nicht &ouml;ffentlich zug&auml;nglichen Struktur befindet sich auch das sogenannte &bdquo;dark net&ldquo;, in dem Inhalt und Zugang bewusst verschl&uuml;sselt werden (Abb. 1). Online-Drogenm&auml;rkte existieren grunds&auml;tzlich auf all diesen Internetebenen. Technische Anonymisierungen erm&ouml;glichen es H&auml;ndlerinnen/H&auml;ndlern und K&auml;uferinnen/K&auml;ufern, anonym, ohne Preisgabe ihrer Identit&auml;t oder ihres Standorts, zu interagieren. Um auch finanzielle Transaktionen anonym zu halten, werden Kryptow&auml;hrungen (bspw. Bitcoin) verwendet. Darknet-M&auml;rkte sind ausschlie&szlig;lich &uuml;ber einen speziellen Browser (z. B. The Onion Router &ndash; Tor) zug&auml;nglich. F&uuml;r Online-Drogenm&auml;rkte findet in der wissenschaftlichen Literatur oftmals der Begriff Drogen-Kryptom&auml;rkte Verwendung.<br />Laut der Europ&auml;ischen Beobachtungsstelle f&uuml;r Drogen und Drogensucht (EMCDDA) wird auf zwei Dritteln der vorhandenen Darknet-Marktpl&auml;tze vorwiegend mit illegalen Drogen bzw. drogenbezogenen Chemikalien gehandelt. Verglichen mit den Sch&auml;tzungen des j&auml;hrlichen Handelswerts des gesamten EU-Drogenmarkts, erscheinen die Umsatzzahlen der Darknet- Drogenm&auml;rkte derzeit noch relativ gering, es wird ihnen jedoch definitiv ein Wachstumspotenzial zugeschrieben (EMCDDA 2017). Tzanetakis (2018) sch&auml;tzte in einer Studie das gesamte Umsatzvolumen auf dem damals aktiven Marktplatz Alphabay zwischen September 2015 und August 2016 auf ca. 94 Mio. USD.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Neuro_1906_Weblinks_jatros_neuro_1906_s34_abb1_horvath.jpg" alt="" width="275" height="546" /></p> <h2>Online-Drogenm&auml;rkte sind schnelllebige, anpassungsf&auml;hige und zus&auml;tzliche M&auml;rkte</h2> <p>Online-Drogenm&auml;rkte sind eine relativ neue M&ouml;glichkeit des Drogenhandels. Spezifisch ist ihr globaler Charakter, ihre Schnelllebigkeit und Dynamik. Sie unterliegen, auch aufgrund kriminalpolizeilicher Aktivit&auml;ten, einem permanenten Wandel, nach Schlie&szlig;ungen tauchen rasch neue Marktpl&auml;tze auf. Studien zeigen, dass Online-Drogenm&auml;rkte Konsumierenden eine neben den g&auml;ngigen Erwerbsarten eher zus&auml;tzliche Bezugsquelle bieten (Kamphauser &amp; Werse 2017; Schmutterer 2017). Derzeit kann noch nicht abgesch&auml;tzt werden, inwieweit der herk&ouml;mmliche Handel mit illegalen Substanzen zuk&uuml;nftig vom elektronischen ersetzt werden wird.</p> <h2>Sicherheit und Verf&uuml;gbarkeit sind zentrale Kaufmotivationen</h2> <p>Studien &uuml;ber die Nutzer/innen der Drogen- Kryptom&auml;rkte beschreiben die durchschnittliche K&auml;uferschaft als vorwiegend m&auml;nnlich (zu 80 % ) und im Alter zwischen Anfang und Mitte zwanzig befindlich. Onlinek&auml;ufer/ innen erscheinen in Bezug auf Ausbildung bzw. Arbeit sozial integriert und zeichnen sich durch einen Gelegenheits-, Freizeit- oder (teilweise riskanten) Experimentierkonsum und mehr oder weniger Konsumerfahrungen aus. Personen mit problematischem und abh&auml;ngigem Konsum illegaler Substanzen sind weniger h&auml;ufig Online-Kundinnen/-kunden. Dies wird auch durch die Tatsache ersichtlich, dass Substanzen wie Heroin und Methamphetamin, die typischerweise mit einem problematischen Drogenkonsum in Verbindung gebracht werden, weniger h&auml;ufig online gehandelt werden. In dieser Form erworben werden vorwiegend Freizeitund Partydrogen wie Cannabis, Kokain, Ecstasy und ecstasy&auml;hnliche Substanzen, psychedelische Substanzen, verschreibungspflichtige Medikamente und neue psychoaktive Substanzen (NPS), die in kleinen oder mittleren Mengen haupts&auml;chlich direkt an die Konsumierenden verkauft werden (EMCDDA 2017, Aldridge 2017, Tzanetakis 2018, Van Hout &amp; Bingham 2014, Barratt et al. 2016).<br /> Die Entscheidung, Drogen im Internet zu bestellen, st&uuml;tzt sich auf unterschiedliche Faktoren, etwa die Verf&uuml;gbarkeit eines breiten Spektrums an Substanzen, niedrigere Preise und mehr Bestellkomfort. Vertrauen und Reputation werden als wesentliche Elemente des Online-Drogenhandels beschrieben. Marktinh&auml;rente Bewertungsund Feedbackschleifen erh&ouml;hen das individuelle Sicherheitsgef&uuml;hl der Kundinnen/ Kunden in puncto Transaktion und Qualit&auml;t der bestellten Substanzen. Empfehlungen reeller oder virtueller Gleichgesinnter spielen bei Kaufentscheidungen eine Rolle, Angst vor Strafverfolgung wird als Hindernis wahrgenommen. Keine Barriere stellen technische Herausforderungen des verschl&uuml;sselten Zugangs dar, auch aufgrund online verf&uuml;gbarer Anleitungen (Tzanetakis 2018, Schmutterer 2017, Kamphausen &amp; Werse 2017, Aldridge 2017).</p> <h2>Auf der Suche nach gesundheitsbezogenen Ans&auml;tzen innerhalb der Marktplatz-Strukturen</h2> <p>Um jene Herausforderungen bew&auml;ltigen zu k&ouml;nnen, die sich aus den Merkmalen der Drogen-Kryptom&auml;rkte ergeben, verweisen Expertinnen/Experten auf einen zwischen Strafverfolgung und gesundheitsbezogenen Interventionen ausgewogenen Ansatz. Diese Schlussfolgerung wurde auch 2016 bei einem eigens von der Europ&auml;ischen Kommission organisierten Internet and Drugs Expert Meeting gezogen. Aus gesundheitspolitischer Sicht resultiert daraus die Notwendigkeit, Angebote der Pr&auml;vention und Schadensminimierung zu entwickeln, die an den vorhandenen Strukturen der Drogen-Kryptom&auml;rkte ansetzen. Hierf&uuml;r erscheint es notwendig, zwei Erkenntnisstr&auml;nge aus vorliegenden Studien zu ber&uuml;cksichtigen:<br /> Zum einen scheint sich in den klassischen Online-Drogenk&auml;ufergruppen eine f&uuml;r die traditionelle Suchtpr&auml;vention und Suchthilfe schwer erreichbare Zielgruppe zu verbergen: junge und sozial integrierte Menschen ohne manifesten problematischen Substanzkonsum, die in der Anonymit&auml;t der Kryptom&auml;rkte ihr substanzspezifisches Wissen in eigenen Netzwerken und selbstorganisierten Peer-Communitys teilen und erweitern. Nicht zu untersch&auml;tzen sind in diesem Zusammenhang Aspekte der reellen sozialen Isolierung durch Aufenthalt in virtuellen Realit&auml;ten und die Frage der Erreichbarkeit dieser Personengruppen durch existierende Drogenhilfeangebote.<br /> Zum anderen sind Feedbackstrukturen und Onlineforen, denen Ans&auml;tze der Pr&auml;vention und Schadensminimierung inh&auml;rent sind, wesentliche Bestandteile dieser virtuellen Welt: Feedbacksysteme auf Drogenmarktpl&auml;tzen unterscheiden sich nicht von solchen bekannter Verkaufsplattformen wie ebay oder willhaben.at. Mittels Kundenbewertungen erm&ouml;glichen sie einen auf der wahrgenommenen Reputation basierenden &Uuml;berblick &uuml;ber Verk&auml;ufer/ innen, &uuml;ber Marktpl&auml;tze, fu&szlig;end auf Empfehlungen Gleichgesinnter, und &uuml;ber Substanzen anhand der beschriebenen Qualit&auml;t. Vor dem Hintergrund der Konsumsicherheit erleichtert diese Information die Auswahl und beeinflusst Kauf- und Konsumentscheidung (Caudevilla et al. 2016, Van der Gouwe et al. 2017). Onlineforen wird eine zentrale Rolle in Bezug auf Informations- und Wissensaustausch unter Konsumierenden zugeschrieben. Wissen betreffend Substanzen, Inhaltsstoffe/Reinheit, (un)erwartete Wirkungen, Dosierungsempfehlungen sowie Informationen zu Wechselwirkungen werden dort aktiv und offen ausgetauscht. Als positiver Nebeneffekt resultiert daraus ein geografisch unabh&auml;ngig verf&uuml;gbares Wissen bez&uuml;glich Substanzen. Zwar ist dieses Informationssystem unvollkommen und l&auml;uft Gefahr, Mythen zu reproduzieren, es bietet den Benutzer/innen dennoch zuverl&auml;ssigere Informationen, als sie in traditionellen Drogenm&auml;rkten verf&uuml;gbar sind. Vor allem im Kontext der NPS sind Konsumerfahrungen zeitnah in den Foren vorhanden. Onlineforen wie Erowid oder Bluelight (Abb. 2) sind im &bdquo;surface web&ldquo; leicht auffindbar. Foren im Darknet bieten das Spezifikum, dass Verk&auml;ufer/innen direkt mit K&auml;uferinnen/K&auml;ufern kommunizieren k&ouml;nnen und zudem Informationen zu Bezugsquellen ausgetauscht werden (Schmutterer 2017, Aldridge et al. 2017, Tzanetakis &amp; Laufenberg 2016, Barratt et al. 2013, Van Hout &amp; Bingham 2013a, 2013b und 2014, Van Hout 2014, Van Hout &amp; Hearne 2015, Bancroft &amp; Reid 2016, Nurmi et al. 2017).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Neuro_1906_Weblinks_jatros_neuro_1906_s35_abb2_horvath.jpg" alt="" width="550" height="460" /></p> <h2>Gesundheitsrelevanten Nutzen aus vorhandenen Onlinestrukturen ziehen</h2> <p>Im Sinne der Pr&auml;vention und Schadensminimierung zeigen bereits verf&uuml;gbare Angebote der Suchthilfe, dass niederschwellig ausgerichtete Beratungsangebote zweckm&auml;&szlig;ig sind, um spezifische Zielgruppen ad&auml;quat zu erreichen. Internationale Erfahrungen zeigen, dass diese Ans&auml;tze auch in Darknet-Drogenm&auml;rkten implementierbar sind.<br />Professionelle Onlineberatungen wie z. B. jene der Wiener Einrichtung &bdquo;checkit!&ldquo; setzen sich zum Ziel, auf anonymer Basis professionelle Risikokommunikation und Information zu schadensminimierenden Ma&szlig;nahmen bereitzustellen. Diese Form internetbasierter aufsuchender Intervention ist auch in Darknet-Foren m&ouml;glich, wie die Erfahrungen eines spanischen Arztes (Dr. X) zeigen, der unter dem Titel &bdquo;Ask a Drug Expert Physician about Drugs &amp; Health&ldquo; Vertrauen zu Forenmoderatorinnen/ moderatoren und Konsumierenden aufbaute, um sein medizinisches Fachwissen direkt in den Foren zur Verf&uuml;gung stellen zu k&ouml;nnen. Ziel seiner Intervention war die Risikoreduktion beim Konsum durch &uuml;berlegte Konsumentscheidungen auf Basis objektiver Substanzinformationen. Vorteile dieser professionellen Onlineaktivit&auml;t sieht er in der niederschwelligen, kosteneffektiven Risikokommunikation. Nachteile erwachsen aus den beschr&auml;nkten Kommunikationsm&ouml;glichkeiten und potenziellen Verst&auml;ndnisfehlern, die Onlinekommunikationen eignen k&ouml;nnen (Caudevilla 2018).<br />Die chemische Analyse von Substanzen, die im Rahmen eines &bdquo;drug checking&ldquo; angeboten wird, bietet Konsumierenden vor dem Konsum eine Identifizierung von Inhaltsstoffen, Reinheit, Dosierung. M&ouml;gliche Gesundheitsrisiken k&ouml;nnen zeitnah kommuniziert werden. Insbesondere im Kontext der NPS ist diese Form der niederschwelligen Risikokommunikation zielf&uuml;hrend (Van Buskirk et al. 2016, Pirona et al. 2017). Im Rahmen eines Pilotprojekts der spanischen NGO Energy Control International zur Testung von Substanzen, die auf Kryptom&auml;rkten gekauft worden waren, wurde erstmalig Ocfentanil in einer eingeschickten Heroinprobe festgestellt. &Uuml;ber diese Substanz gab es zu diesem Zeitpunkt keine Eintr&auml;ge in einschl&auml;gigen Foren. Dies lie&szlig; den Schluss zu, dass sie davor nicht am Markt erh&auml;ltlich war. Die Ergebnisse der chemischen Analyse und der Warnbericht wurden in diversen Foren ver&ouml;ffentlicht. Binnen vier Tagen waren die Dokumente, in f&uuml;nf verschiedene Sprachen &uuml;bersetzt, verf&uuml;gbar, in Darknet-Foren gab es zudem konkrete Hinweise auf zwei spezifische Verk&auml;ufer (Quintana et al 2017). Dieses Beispiel zeigt eindr&uuml;cklich, wie rasant professionelle gesundheitsbezogene Informationen aktiv unten Nutzer/innen der Onlinem&auml;rkte verf&uuml;gbar gemacht werden.</p> <h2>Fazit</h2> <p>Gesundheitsbezogene und schadensminimierende Onlineinterventionen sind sowohl im &bdquo;surface web&ldquo; wie auch im Darknet m&ouml;glich und zielen darauf ab, angemessene und faktenbasierte Informationen &uuml;ber Substanzen und deren Wirkungsweise zeitnah zur Verf&uuml;gung zu stellen. Internationale Erfahrungen zeigen, dass unten den K&auml;ufer/innen ein Interesse an professionellem Wissen betreffend Substanzen und ihre Wirkungsweisen besteht. F&uuml;r die Suchthilfe stellt sich die Frage, inwiefern diese Art von Onlinepr&auml;vention im Rahmen von schadensminimierenden Angeboten systematisch implementiert werden kann.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> <p><span style="text-decoration: underline; color: #000000;"><strong>Empfohlene weiterf&uuml;hrende Literatur zum Thema:</strong></span></p> <p>&bull; EMCDDA: Drugs and the darknet: perspectives for enforcement, research and policy. EMCDDA-Europol Joint publications, Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2017 &bull; EMCDDA: Health and social responses to drug problems: a European guide. Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2017 &bull; EMCDDA: m-health applications for responding to drug use and associated harms. EMCDDA Papers, Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2018 &bull; http://www.emcdda. europa.eu/darknet</p> </div> </p>
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