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Sehen, entblössen, berühren

Die menschliche Haut in der modernen Kunst

<p class="article-intro">Dr. Ralph Ubl, Professor für neuere Kunstgeschichte an der Universität Basel, stellte sich der schwierigen Herausforderung, einem Raum voller erwartungsvoller Dermatologen das Organ Haut aus einer unbekannten Perspektive näherzubringen. Dies geschah im Rahmen eines einstündigen Vortrags an der Margarethenklinik für Regeneration und Medizinische Gestaltung in Basel. Wir haben die Highlights aus Prof. Ubls bereichernder kunsthistorischer Analyse zusammengefasst – lesen Sie selbst!</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Haut ist ein intensiv beforschtes Thema in der Kunstgeschichte. In der bildenden Kunst der Moderne spielt sie verschiedene wichtige Rollen, vom Symbol der allumfassenden Verg&auml;nglichkeit bis zur Darstellung unverschleierter, fast provokanter Nacktheit. Eine Vielzahl an K&uuml;nstlern, von Manet bis Johns, nutzte die Haut auf eine einzigartige, faszinierende Weise in ihrer Kunst.</p> <h2>Vom Leben gezeichnet</h2> <p>Ein guter Ausgangspunkt zur Analyse der Symbolkraft der Haut ist das Portr&auml;t eines Mannes, welches 2012 von der bedeutenden Fotografin Catherine Opie aufgenommen wurde. Der Name dieses Portr&auml;ts lautet <em>Lawrence (Black shirt)</em>. Es zeigt einen bekannten K&uuml;nstler, mit einem schwarz-bl&auml;ulichen Hemd bekleidet, wie er mit leerem Blick nach vorne sieht und fast and&auml;chtig eine selbst gedrehte Zigarette h&auml;lt. Der matte Farbton des Hemdes des Portr&auml;tierten l&auml;sst sich kaum unterscheiden vom tiefen Schwarz des Hintergrunds, was den alten Mann umso st&auml;rker hervortreten l&auml;sst. Opie war interessiert an diesem vom Leben gezeichneten Gesicht und dem Spiel des Lichtes auf Haut und Bart. Besonderes Raffinement erh&auml;lt es durch die Rauchschwade der Zigarette. Das Thema des alten, nachdenklichen Mannes in Form eines Portr&auml;ts fasziniert K&uuml;nstler schon seit dem Barock. Die Haut war in diesem Zusammenhang die Oberfl&auml;che, an der die Spuren des Lebens, der Zeit und der Erfahrungen des Menschen ablesbar zu sein schienen. Die Zuf&auml;lle des Lebens zeichnen sich eben nicht zuletzt auch auf der menschlichen Haut ab.<br /> Bei Rembrandts <em>Aristoteles mit der B&uuml;ste Homers</em>, ein Werk, welches er 1653 geschaffen hat, steht genau wie bei Opie das Portr&auml;t eines alten Mannes im Vordergrund, der vielleicht angesichts der Verg&auml;nglichkeit der Dinge in tiefe Melancholie versunken ist (Abb. 1). In diesem Werk wird Aristoteles umgeben von B&uuml;chern und Lampen gezeigt. Mit langem, verlorenem Blick ber&uuml;hrt er die B&uuml;ste des Dichters Homer. Man k&ouml;nnte meinen, er suche noch eine andere Art der Verbindung zur geistigen Welt als die des Lesens und Beobachtens, und zwar &uuml;ber seinen Tastsinn, was sich im gedankenverlorenen Greifen auf die B&uuml;ste &auml;ussert.<br /> Die Haut ist ein Faszinosum, etwas, das uns zum Hinsehen bewegt. Sie ist auch Anreiz und Vorwand, um k&uuml;nstlerische Virtuosit&auml;t zu zeigen, sei es im Rahmen der Fotografie oder der Malerei, bei der Wiedergabe von vom Leben gezeichneter Haut. Doch auch die Entbl&ouml;ssung, also die Darstellung von etwas, das normalerweise nicht gezeigt wird, kann eine Rolle spielen, wie bei <em>Lawrence (Black shirt)</em>: Wir sehen den Menschen schamlos und offen, k&ouml;nnen sein B&auml;uchlein und seine Brustbehaarung erkennen. Es handelt sich hier jedoch nicht um ein grossartiges Blossstellen, sondern um das Zeigen von bislang verborgen Gehaltenem. Es sollte nicht vergessen werden, dass Bilder nicht nur Gegenst&auml;nde sind, die daf&uuml;r gemacht wurden, dass wir sie betrachten, sondern auch, weil uns K&uuml;nstler &ndash; Fotografen, Maler &ndash; etwas zeigen wollen. Dieses Zeigen kann dem Entbl&ouml;ssen sehr nahe kommen. Als dritter Punkt, nach dem Sehen und Entbl&ouml;ssen, kommt die Haut als Organ der Ber&uuml;hrung ins Spiel. Das Tasten einer Person ist meist besonders dann am auff&auml;lligsten, wenn sie die Augen schliesst oder ins Leere blickt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1903_Weblinks_lo_derma_1903_s26_abb1_gerstmayr.jpg" alt="" width="550" height="619" /></p> <h2>Die Haut als Bildtr&auml;gerin</h2> <p>Die Haut als Themenkomplex ist in den unterschiedlichsten sozialen und kulturwissenschaftlichen Bereichen wichtig. Ihre Geschichte kann aus den verschiedensten Perspektiven &ndash; Anthropologie, Naturwissenschaften, Psychologie &ndash; untersucht werden. Doch warum interessiert sich die Kunst f&uuml;r sie? In der Moderne besteht ein spezifisches Interesse an der Haut, welches unter anderem aus dem Unterschied zwischen Verh&uuml;llen und Entbl&ouml;ssen sowie dem Zusammenspiel von Sehen und Ber&uuml;hren herr&uuml;hrt.<br /> Das Selbstportr&auml;t der Fotografin Opie, <em>Self-Portrait/Cutting</em>, aus dem Jahre 1993 zeigt den blossen R&uuml;cken der K&uuml;nstlerin, versehen mit einer auf diesen geritzten Kinderzeichnung. An diesem Portr&auml;t offenbart sich ein Aspekt, unter dem die Haut in der Moderne wichtig ist. Sie dient n&auml;mlich erstmals als Bildtr&auml;gerin &ndash; bis vor Kurzem in der westlichen Kunst und Tradition ein sehr marginales Thema. Wenn sich Autoren der klassischen abendl&auml;ndischen Philosophie wie Immanuel Kant zur Haut als Bildtr&auml;gerin &auml;usserten, dann nur ganz am Rande und exotisierend, z. B. mit Bezugnahme auf das Volk der Maori, welches ihre Haut f&uuml;r Ornamente verwendet. Diese Marginalit&auml;t ist mit ein Grund, warum Opie, die zentrale Figur einer feministisch-queeren Kunst, umso st&auml;rker und ostentativer hervortritt. Das Hauptinteresse an der Haut ist also eher ein formales: Es gibt eine gewisse Affinit&auml;t von Haut und Bild, da menschliche K&ouml;rper ja an bestimmten Teilen frontal von dem Organ Haut bedeckt sind. Als Beispiel sind hier Brust und R&uuml;cken zu nennen, die relativ flach und nach vorne ausgerichtet sind und somit in einer bestimmten Beziehung zum Bild stehen, welches ja ebenso flach und frontal ist.</p> <h2><em>Olympia</em> &ndash; das Gr&uuml;ndungsbild der Moderne</h2> <p>Bei der <em>Venus von Urbino</em> von Tizian (1538), bei welchem eine nackte junge Frau auf einem Bett liegend zu sehen ist, ist hervorragend die westliche Tradition von makelloser Haut zu erkennen (Abb. 2). Die Haut dient als Oberfl&auml;che, welche den K&ouml;rper darunter zur Geltung bringen soll. Der durch die Haut stark hervortretende Teil des Bildes erscheint sehr hell, wird aber durch ein nuanciertes Hell-Dunkel weich in die Umgebung abgestuft.<br /> Der K&uuml;nstler &Eacute;douard Manet stellt mit seiner &Ouml;lmalerei <em>Olympia</em>, welche als Gr&uuml;ndungsbild der Moderne gilt, 1863 diese Darstellung von Tizian ungewollt auf provokante Weise infrage. Zu sehen ist wiederum eine junge Frau, welche nackt auf einem Bett liegt, hinter ihr eine schwarze Frau, die sich ihr mit einem Strauss Blumen zuwendet (Abb. 3). Die Pariser Kunstszene war seit der Ausstellung des Bildes in hellem Aufruhr. Doch worin lag der Skandal? Die buchst&auml;bliche, aber auch metaphorisch-soziale Entbl&ouml;ssung der Frau hatte nichts Verkl&auml;rendes: Anders als bei Tizians <em>Venus von Urbino</em> fehlen bei Manet feine Nuancen und fliessende Schatten, die die Nacktheit der Frau sanft umspielen. Es findet also keine Verkl&auml;rung der Verh&auml;ltnisse statt: Die linke Hand ruht ostentativ auf der Scham und zieht so Aufmerksamkeit auf sich. Entbl&ouml;sst wird auch die Prostitution, die zu fr&uuml;heren Zeiten ein offenes, aber verschleiertes Geheimnis war. Es handelt sich hier offensichtlich um die Anbahnung einer Interaktion fleischlicher Natur. Auch die Darstellung der dunklen Frau, die im 19. Jahrhundert als Teil der sozialen Wirklichkeit gezeigt wird, welche mit ethischen Differenzen einhergeht, erregte Anstoss.<br /> Abgesehen von der sozial-kulturhistorischen Betrachtungsweise der <em>Olympia</em> erscheint es wichtig, auf die &laquo;schmutzige&raquo; Haut der Frau hinzuweisen, die von so vielen Kritikern beanstandet wurde. Die Farbe der Haut wird fast weiss und als aufgetragen dargestellt und mit keinerlei Illusion, wie z. B. Err&ouml;ten, umspielt. Es gibt keine sanften &Uuml;berg&auml;nge, sondern vielmehr gewisse Schmutzr&auml;nder an den Konturen, die sich ausbreiten. Somit hat Manet mit der wesentlichen Tradition des Hell-Dunkels der neuzeitlichen Malerei gebrochen, welches sich wie ein verkl&auml;render Schleier &uuml;ber die Nacktheit legt.<br /> Warum also ist die <em>Olympia</em> das Gr&uuml;ndungsbild der Moderne? Die moderne Kunst steht in Verbindung mit dem Versuch, ein grundlegendes Einverst&auml;ndnis unserer gegenw&auml;rtigen Kultur infrage zu stellen und unbequeme Wahrheiten zu zeigen. Ebenso typisch ist die Verfl&auml;chigung, welche ausdr&uuml;cklich gezeigt werden soll. Zus&auml;tzlich erlaubt das Gem&auml;lde dem Betrachter nicht, in der Illusion zu schwelgen, etwas unbeobachtet geniessen zu k&ouml;nnen, sondern es macht uns klar: Wir betrachten etwas, das uns betrachtet. Ein ausdr&uuml;cklicher Blickwechsel findet also in der Moderne statt, eine aggressive Adressierung des Betrachters, gemeinsam mit dem Motiv des Sich-Entbl&ouml;ssens, welches unweigerlich mit dem Thema Haut verbunden ist.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1903_Weblinks_lo_derma_1903_s27_abb2_gerstmayr.jpg" alt="" width="550" height="419" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1903_Weblinks_lo_derma_1903_s27_abb3_gerstmayr.jpg" alt="" width="550" height="392" /></p> <h2>Babycreme im Gesicht</h2> <p>Einen etwas anderen Blick auf Haut in der modernen Kunst liefern uns die Druckgrafiken <em>Study for Skin</em> (1962) von Jasper Johns, einem der bedeutendsten Maler der Gegenwart. Diese entstanden folgendermassen: Johns verteilte eine fette Substanz, angeblich Babycreme, gleichm&auml;ssig in seinem Gesicht und rollte dieses auf an der Wand fixiertem Papier ab. Der Kohlestaub, den er dann auf dem Papier verteilte, haftete dort am besten, wo die Abdr&uuml;cke seines Gesichtes lagen. Johns ging fast wie bei Planzeichnungen eines Architekten vor, dem es darum ging, eine so merkw&uuml;rdige Oberfl&auml;che wie den menschlichen Kopf ganz neu zu kartografieren. Die entstandenen Bilder haben etwas Un&uuml;bliches und &uuml;bermitteln beinahe das Gef&uuml;hl, eine Person aus einer jenseitigen Welt stosse an uns heran. Johns dachte erstmals &uuml;ber die Haut als dreidimensional gekr&uuml;mmte, mehrfach perforierte Oberfl&auml;che nach und modellierte sie anschliessend ab.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Fortbildung Dermatologie: «Sehen, Entblössen, Berühren – die menschliche Haut als Thema der modernen Kunst», Margarethenklinik für Regeneration und Medizinische Gestaltung, Basel, am 2. 5. 2019 </p>
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