© muzon iStockphoto

Highlights vom ECTRIMS 2019 in Stockholm

Innovationswelle erreicht auch NMOSD

<p class="article-intro">Die Innovationswelle in der Therapie der Multiplen Sklerose ist noch nicht beendet. Auf dem diesjährigen ECTRIMS-Kongress wurden neue Daten zu oralen und vor allem neuen Antikörpertherapien präsentiert. Sehr erfreulich ist, dass auch die Neuromyelitisoptica- Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) als eigene Entität verstärkt wahrgenommen werden. Die größere diagnostische Sensibilisierung setzt sich auch in der Therapieforschung fort. Mehrere Wirkstoffkandidaten sind in der klinischen Entwicklung.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Weiter auf dem Vormarsch sind insbesondere neue Anti-CD20-Antik&ouml;rper wie Ofatumumab. In den Phase-III-Studien ASCLEPIOS I und II reduzierte Ofatumumab 20 mg s.c. alle vier Wochen im Vergleich zu Teriflunomid bei der RRMS die j&auml;hrliche Schubrate um mehr als 50 % , auch die Behinderungsprogression (best&auml;tigt nach 3 bzw. 6 Monaten) wurde signifikant gesenkt. Schwerwiegende Nebenwirkungen waren in beiden Behandlungsgruppen gleich verteilt. F&uuml;r Tumorerkrankungen ergab sich kein relevantes Sicherheitssignal.<sup>1</sup> Mit IMU-838 (Vidofludimus Calcium) wird derzeit ein neuer oraler Immunmodulator untersucht. Der Wirkstoff blockiert wie Teriflunomid das Enzym Dihydroorotat-Dehydrogenase (DHODH), hat aber nach Aussage der Entwickler im Vergleich zu Teriflunomid eine 10-fach h&ouml;here Aktivit&auml;t an der DHODH. Die Phase- II-Studie EMPhASIS (NCT03846219) soll demn&auml;chst starten. Dort soll IMU-838 in zwei Dosierungen (30 bzw. 45 mg/d) bei Patienten mit RRMS &uuml;ber 24 Wochen untersucht werden.<sup>2</sup><br /> Hochdosiertes Biotin (MD1003) hat in Frankreich eine tempor&auml;re Zulassung zur Therapie der progressiven MS (PMS) erhalten. In einer Real-World-Studie stabilisierte MD 1003 bei 47 % der 85 PMS-Patienten nach 12 und 24 Monaten den Behinderungsgrad (EDSS: median 6,5). Eine Reduktion des EDSS wurde bei 12,2 % der Patienten nach 24 Monaten erreicht.</p> <h2>Eisenablagerungen als Krankheitsmarker?</h2> <p>MRT-Aufnahmen und histopathologische Untersuchungen zeigen abnorme ringf&ouml;rmige Eisenablagerungen (Iron Rim Layer; IRL) in proinflammatorischen Eisen- haltigen Mikrogliazellen und Makrophagen am Rand von Hirnl&auml;sionen von MS-Patienten. Die IRL-L&auml;sionen werden als Subgruppe chronisch aktiver L&auml;sionen angesehen. Dar&uuml;ber hinaus k&ouml;nnen erh&ouml;hte Konzentrationen an reaktivem Eisen oxidativen Stress hervorrufen, welcher zur Neurodegeneration im Gehirn f&uuml;hren kann.<br /> In einer Langzeitstudie untersuchte eine Wiener Arbeitsgruppe bei drei Patientenkohorten (Patienten mit benigner MS, RRMS und SPMS; n=33) mithilfe eines 7-Tesla-MRT verschiedene Fragen zur Entstehung und dynamischen Entwicklung der IRL. Die Untersuchungsdauer betrug bis zu sieben Jahre.<br /> Die Verlaufsuntersuchung zeigte, dass IRL h&auml;ufiger bei RRMS-Patienten als bei SPMS-Patienten auftraten und sich im Gegensatz zu nicht Eisen-haltigen Ablagerungen (Non-IRL) zun&auml;chst vergr&ouml;&szlig;erten. IRL waren insgesamt gr&ouml;&szlig;er als Non-IRL und verhielten sich destruktiv, Non-IRL nicht. &Uuml;ber l&auml;ngere Zeitr&auml;ume sank der Eisengehalt der IRL wieder; die IRL waren von einer Zone der Waller&rsquo;schen Degeneration (Degeneration des distalen Abschnitts des Axons) umgeben.<br /> Diese Vorg&auml;nge verlaufen sehr, sehr langsam und sind daher nur schwer nachzuweisen, betonte Dr. Assunta dal Bianco, Privatklinik Confraternit&auml;t. &bdquo;Diese Langzeitdaten hat noch nicht einmal das NIH&ldquo;, kommentierte Prof. Hans Lassmann, Abteilung f&uuml;r Neuroimmunologie an der Medizinischen Universit&auml;t Wien, die Bedeutung dieser Daten. Untersuchungen zur klinischen Bedeutung der IRL &ndash; m&ouml;glicherweise als Marker f&uuml;r die Krankheitsaktivit&auml;t &ndash; sollen folgen.<sup>3</sup></p> <h2>Kognition im Langzeitverlauf</h2> <p>Obwohl eine Vielzahl von MS-Patienten bereits bei Diagnosestellung kognitive Beeintr&auml;chtigungen hat, gibt es nur wenige Langzeitstudien zur langfristigen Entwicklung der Kognition. Mit einem &bdquo;Top-Score- Posterpreis&ldquo; wurde auf dem ECTRIMS eine Langzeitstudie &uuml;ber 10 Jahre von Ass.-Prof. Mag. Dr. Daniela Theresia Pinter, Universit&auml;t Graz, ausgezeichnet.<sup>4</sup> Die Auswertung der Verl&auml;ufe von 63 Patienten mit MS zeigte bei 52 % kognitive Defizite in &ge;1 Dom&auml;ne; am h&auml;ufigsten betroffen war die Verarbeitungsgeschwindigkeit (40 % ). Obwohl im weiteren Follow-up in der Gesamtgruppe die T2-L&auml;sionslast anstieg und das Hirnvolumen gegen&uuml;ber Baseline zur&uuml;ckging, ver&auml;nderten sich der EDSS (Baseline: 2,0) und die Kognition, gemessen mit dem BRB-N (Brief Repeatable Battery of Neuropsychological Tests in MS) in den folgenden 10 Jahren insgesamt nicht. Nur 14,3 % der Patienten verzeichneten eine Verschlechterung der Kognition. Diese Subgruppe war charakterisiert durch gr&ouml;&szlig;ere strukturelle Sch&auml;digungen und kognitive Defizite bereits bei Baseline sowie in der Folge durch eine h&ouml;here T2-L&auml;sionslast und ausgepr&auml;gtere Hirnatrophie. Anhand der T2-L&auml;sionslast und der Hirnatrophie lie&szlig;en sich kognitiv stabile Patienten und solche mit sich verschlechternder Kognition unterscheiden.</p> <h2>Natalizumab-Switch &ndash; Erfahrungen in &Ouml;sterreich</h2> <p>Die Arbeitsgruppe um OA Dr. Michael Guger, Linz, stellte eine neue Auswertung des Austrian MS Treatment Registry (AMSTR) mit 195 Patienten vor, die seit 2006 auf Natalizumab &uuml;ber mindestens 24 Monate eingestellt waren und auf Fingolimod umgestellt wurden.<sup>5</sup> Der Krankheitsverlauf nach der Umstellung auf Fingolimod blieb insgesamt stabil und unterschied sich nicht im Hinblick auf die Dauer der Transitionszeit (&lt;3 Monate, 3&ndash;6 Monate oder 6&ndash;12 Monate). Allerdings nahm mit steigender Dauer der Transitionszeit die H&auml;ufigkeit neuer Sch&uuml;be zu (&lt;3 Monate: 5,2 % ; 3&ndash;6 Monate: 13,6 % ; 6&ndash;12 Monate: 43,8 % ). Die Autoren empfehlen daher eine Transitionszeit von 3 Monaten oder weniger.<br /> Die Umstellung von Natalizumab auf eine andere krankheitsmodifizierende Therapie erfolgt vorzugsweise bei Hochrisikopatienten. Um die Entwicklung einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) w&auml;hrend der Transition (Carry-Over-PML) fr&uuml;hzeitig entdecken und behandeln zu k&ouml;nnen, schl&auml;gt eine M&uuml;nchener Arbeitsgruppe vor, eine Analyse der Zerebrospinalfl&uuml;ssigkeit auf Vorliegen von JCV-DNA vor dem Switch durchzuf&uuml;hren.<sup>6</sup> Die mit einem &bdquo;Top- Score-Posterpreis&ldquo; ausgezeichnete Posterpr&auml;sentation zeigt, dass damit eine Carry- Over-PML bei einem von 44 ausgewerteten Patienten nach dem Auftreten klinischer oder radiologischer Zeichen vor dem Switch zu Ocrelizumab entdeckt werden konnte.</p> <h2>Viel Neues bei der NMOSD</h2> <p>NMOSD werden heute nicht mehr als Variante der MS angesehen, sondern als separate Entit&auml;t als Gruppe seltener autoimmun bedingter entz&uuml;ndlicher Erkrankungen des ZNS. Spezifische Marker der Neuromyelitis optica (NMO) sind Aquaporin- 4(AQP4)-Autoantik&ouml;rper. Die Progression ist abh&auml;ngig von akutentz&uuml;ndlichen Ereignissen. Das prim&auml;re Ziel der Therapie ist es, Sch&uuml;be zu vermeiden. Lange Zeit therapeutisch vernachl&auml;ssigt, sind inzwischen verschiedene Antik&ouml;rper in fortgeschrittenen Stadien der klinischen Pr&uuml;fung oder bereits zugelassen. Angesichts der gro&szlig;en Anzahl wirksamer Kandidaten hat die American Academy of Neurology (AAN) 2019 bereits als &bdquo;Jahr der NMO&ldquo; ausgerufen, berichtete Prof. Brian Weinshenker von der Mayo Clinic in Rochester, in einer Hot Topic Session.<sup>7</sup> Eine Schl&uuml;sselstellung in der Signalgebung besitzt Interleukin 6 (IL-6). Die Konzentration von IL-6 und des l&ouml;slichen IL-6-Rezeptors (sIL-6R) ist im Liquor von NMO-Patienten h&ouml;her als bei MS-Patienten. Dies kann zu einem n&uuml;tzlichen Marker zur Differenzierung von NMO von anderen demyelinisierenden Erkrankungen werden. Gegenw&auml;rtig werden verschiedene, gegen IL-6 gerichtete Antik&ouml;rper untersucht. Auch f&uuml;r den in der Rheumatologie bereits bekannten Interleukin-6-Inhibitor Tocilizumab wurde die Wirksamkeit nachgewiesen.<sup>8</sup> Allerdings wird eine Zulassungserweiterung f&uuml;r Tocilizumab nicht angestrebt. Der Anti-Interleukin-6-Rezeptor- Antik&ouml;rper Satralizumab reduzierte in den beiden zulassungsrelevanten Phase-III- Studien SAkuraStar und SAkuraSKy (insgesamt n=178) das Risiko eines erneuten Schubes signifikant um 55 % bzw. 62 % . Die Inzidenzraten unerw&uuml;nschter Ereignisse war auf Placeboniveau.<br /> Ende August 2019 wurde die Zulassung von Eculizumab (Soliris<sup>&reg;</sup>) von der EMA auf die Behandlung der (schubf&ouml;rmigen, AQP4- positiven) NMO-SD erweitert. Eculizumab ist ein Antik&ouml;rper gegen das Protein C5 des Komplementsystems. Die NMO geht auch mit einer Komplementaktivierung einher, die durch Komplementablagerungen im R&uuml;ckenmark von Patienten nachgewiesen wurde. Eculizumab muss alle zwei Wochen als Infusion verabreicht werden.<br /> Ende August 2019 wurde die Zulassung von Eculizumab (Soliris<sup>&reg;</sup>) von der EMA auf die Behandlung der (schubf&ouml;rmigen, AQP4- positiven) NMO-SD erweitert. Eculizumab ist ein Antik&ouml;rper gegen das Protein C5 des Komplementsystems. Die NMO geht auch mit einer Komplementaktivierung einher, die durch Komplementablagerungen im R&uuml;ckenmark von Patienten nachgewiesen wurde. Eculizumab muss alle zwei Wochen als Infusion verabreicht werden. Ein weiterer Kandidat ist Ineblizumab. Der Antik&ouml;rper erhielt 2017 den Orphan- Drug-Status der EMA. Er depletiert reife und unreife CD19-exprimierende B-Zellen. In der N-MOmentum-Studie reduzierte Ineblizumab das Risiko einer Behinderungsprogression um 63 % und das Risiko f&uuml;r neue MRT-L&auml;sionen um 43 % . Die NNT (&bdquo;number needed to treat&ldquo;) zur Verhinderung eines EDSS-Anstieges um einen Punkt innerhalb von 6,5 Monaten betrug 6. Besonders deutlich profitierten &ndash; wie auch bei den anderen Antik&ouml;rpern&ndash; AQP4-seropositive Patienten von der Therapie. Die Reduktion des Risikos einer Behinderungsprogression war unabh&auml;ngig vom Baseline- EDSS, der Schubrate in der Vergangenheit und der Krankheitsdauer. Unerw&uuml;nschte Ereignisse (UE) und schwerwiegende UE waren zwischen den Studienarmen ausgeglichen.<sup>9</sup> Die Inzidenz schwerer unerw&uuml;nschter Ereignisse betrug 16 % . Infusionsbedingte Reaktionen traten unter der ersten der beiden Infusionen h&auml;ufiger auf als unter Placebo: Insgesamt war aber die Rate infusionsbedingter Reaktionen unter Ineblizumab und Placebo vergleichbar hoch. In der Open-Label-Phase traten unter dem Antik&ouml;rper zwei Todesf&auml;lle auf: einer im Rahmen eines schweren Schubes und einer durch ein &auml;tiologisch unklares zerebrales Ereignis, wahrscheinlich aufgrund neuer Hirnl&auml;sionen.<sup>10</sup></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: ECTRIMS-Jahrestagung, 11.–13. September 2019, Stockholm </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Hauser S et al.: ECTRIMS 2019; Abstract 336 <strong>2</strong> Muehler A et al.: ECTRIMS 2019; Poster P635 <strong>3</strong> Dal-Bianco A et al.: ECTRIMS 2019; Abstract 150 <strong>4</strong> Pinter D et al.: ECTRIMS 2019; Poster P785 <strong>5</strong> Guger M et al.: ECTRIMS 2019; Poster P634 <strong>6</strong> Meinl I et al.: ECTRIMS 2019; Poster P665 <strong>7</strong> Weinshenker B: ECTRIMS 2019; Abstract 190 <strong>8</strong> Dalla Costa G et al.: ECTRIMS 2019; Poster P729 <strong>9</strong> Marignier R et al.: ECTRIMS 2019; Poster P1604 <strong>10</strong> Cree B et al.: ECTRIMS 2019; Abstract 139</p> </div> </p>
Back to top