<p class="article-intro">Die Österreichische AIDS Gesellschaft (ÖAG) hat sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft das Ziel gesetzt, die medizinische Forschung auf dem Gebiet von HIV/Aids zu fördern, die bestmögliche Behandlungsqualität zu sichern und effektive Präventionsarbeit zu leisten. Zum Auftakt der aktuellen Funktionsperiode lud der neu gewählte Vorstand der ÖAG zu einer Presseveranstaltung, um über aktuelle Herausforderungen in der Behandlung und Prävention von HIV zu informieren.</p>
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<p class="article-content"><h2>Aktuelle epidemiologische Daten</h2> <p>Im Jahr 2017 lebten in Österreich 8225 Personen mit dem Human Immunodeficiency Virus (HIV), von denen ungefähr 80 % mit einer antiretroviralen Therapie behandelt wurden. Diese Zahlen wurden basierend auf Daten des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger und der Österreichischen HIV-Kohortenstudie (AHIVCOS) berechnet, erklärt OA Dr. Bernhard Haas, MBA, Zentrum für infektionsmedizinische Kompetenz der Med Uni Graz und Generalsekretär der Österreichischen AIDS Gesellschaft (ÖAG). Demnach wurden im Jahr 2018 in Österreich rund 400 HIV-Infektionen neu diagnostiziert, das sind um 22 % weniger als 2017 und so wenige wie nur in den Jahren 1996 bis 2001 bzw. im Jahr 2014. Im Vergleich zum Jahr 2017 ist die Zahl neu diagnostizierter HIV-Fälle in allen Bundesländern gesunken oder zumindest gleich geblieben. Die meisten Neudiagnosen wurden nach Wien in der Steiermark und in Oberösterreich verzeichnet. Mit rund 56 % stellen Personen zwischen 20 und 40 Jahren die größte Gruppe der in Österreich neu diagnostizierten Fälle dar. Dennoch wird jede fünfte HIV-Erstdiagnose bei Menschen nach dem 50. Lebensjahr gestellt.</p> <h2>Ein Viertel der Neudiagnosen „late presenter“</h2> <p>Die in einem bestimmten Jahr registrierten Neudiagnosen würden keine verlässliche Auskunft über den Infektionszeitpunkt geben, betont Haas.<br /> Die Infektion mit dem HI-Virus kann bereits Jahre zurückliegen. Das bedeutet aber auch, dass die betroffenen Personen häufig über einen langen Zeitraum nicht wissen, dass sie das Virus in sich tragen. Die Latenzzeit bis zur Diagnose ist für ihn daher eines der Hauptprobleme im Rahmen der Präventionsbemühungen gegen die Ansteckung mit HIV und ist ein wichtiger Grund, warum in vielen europäischen Ländern die Zahl der Neuinfektionen nur geringfügig abnimmt.</p> <p>Europaweit liegt diese Zahl der spät diagnostizierten HIV-Infektionen bei 49 % , fast jede zweite HIV-Diagnose ist also eine Spätdiagnose („late presentation“). In Österreich wurden seit dem Jahr 2001 41 % der HIV-Diagnosen erst spät entdeckt. Der AHIVCOS-Bericht aus dem Jahr 2018 zeigt, dass sich ein Viertel der Betroffenen bei Diagnose bereits in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium befand oder schon Symptome einer Aidserkrankung aufwies. Besonders häufig finden sich Spätdiagnosen bei Personen über 50 Jahre (57 % ) sowie bei heterosexuellen Frauen und Männern (52 % bzw. 57 % ).</p> <h2>Nach wie vor hoher Aufklärungsbedarf</h2> <p>Der hohe Prozentsatz an Spätdiagnosen ist für Haas ein klares Indiz für den nach wie vor hohen Aufklärungsbedarf. Besonders hinsichtlich der Prävention von HIV-Transmissionen ist dies bedeutsam: Bis zu 50 % der Neuinfektionen dürften von Personen mit einer akuten HIV-Infektion ausgehen. Die umgehende Etablierung einer antiretroviralen Therapie („rapid ART“) nach Diagnosestellung, die zu einer raschen Abnahme der Viruslast führt, ist daher nicht nur für die Verhinderung der Krankheitsprogression, sondern auch für die Eindämmung der HIV-Epidemie essenziell, zeigt sich Haas überzeugt.<br /> Bei jungen Erwachsenen und MSM („men who have sex with men“) ist die Rate an Spätdiagnosen mit 33 % relativ gering. In dieser Personengruppe scheint es gelungen zu sein, das Bewusstsein für das eigene HIV-Infektionsrisiko und die Testbereitschaft zu erhöhen.<br /> Besondere Bedeutung kommt einer gelungenen Kommunikation zwischen Betroffenen und niedergelassenen Ärzten zu, da diese meist die erste Anlaufstelle für Patienten sind. Bei der großen Mehrzahl der Fälle kommt es innerhalb von zwei bis vier Wochen nach einer Ansteckung zu Symptomen wie Fieber, Hautausschlägen, Halsentzündungen und Lymphknotenschwellungen, bei denen eine HIV-Testung zur differenzialdiagnostischen Abklärung in Erwägung gezogen werden sollte. Eine vertrauensvolle und tabufreie Arzt-Patient- Beziehung ist hier von grundlegender Bedeutung.</p> <h2>Therapie als Prävention</h2> <p>Personen, die mit dem HI-Virus infiziert sind, deren Viruslast im Blut durch die antiretrovirale Therapie aber so weit unterdrückt ist, dass sie unter der Nachweisgrenze liegt (Virussuppression), können das Virus nicht mehr übertragen. Dieser Tatsache wird durch die Bezeichnung „U=U“ („undetectable equals untransmittable“) Rechnung getragen, wie Prof. Dr. Jürgen Rockstroh, Medizinische Klinik und Poliklinik I, Medizinische Universität Bonn, und amtierender Präsident der European AIDS Clinical Society (EACS), darlegt. Bereits 2008 stellte der Schweizer Infektiologe Prof. Dr. Pietro Vernazza die Behauptung auf, dass HIV-infizierte Personen unter antiretroviraler Therapie bei Einhaltung gewisser Bedingungen sexuell nicht mehr infektiös sind, und legte die Basis für „U=U“. Mittlerweile ist diese These durch große klinische Untersuchungen wissenschaftlich eindeutig abgesichert. Es konnte bei mehreren tausend serodifferenten Partnerschaften und fast 150 000 Geschlechtsakten (anal und vaginal) keine einzige HIV-Übertragung beobachtet werden, wenn beim HIV-positiven Partner die Viruslast im Blut mittels antiretroviraler Therapie unterdrückt worden war. Auch ohne Benutzung eines Kondoms gab es keine einzige Ansteckung, betont Rockstroh, der auf Einladung der ÖAG nach Wien gekommen war.</p> <h2>Beendigung der HIV-Epidemie bis 2030?</h2> <p>Grundvoraussetzung für die Wirksamkeit von „U=U“ als präventivem Konzept ist, dass Personen, die mit HIV leben, auch effektiv behandelt werden. Dafür braucht es einen niederschwelligen Zugang zu Diagnostik und Behandlung.<br /> Um die Eindämmung der globalen HIVEpidemie zu beschleunigen, wurde von UNAIDS weltweit die Initiative 90-90-90 ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist es, dass mit dem Jahr 2020</p> <ul> <li>90 % aller Personen, die mit HIV leben, ihren HIV-Status kennen,</li> <li>90 % aller Personen, die eine diagnostizierte HIV-Infektion haben, eine dauerhafte ART erhalten,</li> <li>90 % aller Personen, die eine ART erhalten, eine Viruslast unterhalb der Nachweisgrenze aufweisen (Virussuppression).</li> </ul> <p>Laut UNAIDS kann die Aidsepidemie bis 2030 beendet werden, wenn die 90-90-90-Ziele bis 2020 erreicht werden. Jüngste Daten des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) zeigen, dass Länder in den westlichen Teilen Europas dem 90-90-90-Ziel bereits sehr nahe sind: 87 % der Menschen mit HIV kennen ihren Status, 91 % davon erhalten eine antiretrovirale Therapie und 93 % davon erreichten unter antiretroviraler Therapie eine virale Suppression.<br /> Währenddessen liegt Osteuropa weit zurück, wo 76 % der Menschen mit HIV ihren Status kennen, 46 % davon eine ART erhalten und 78 % der Menschen mit HIV, die eine antiretrovirale Therapie erhalten, eine Virussuppression unterhalb der Nachweisgrenze erreichen.</p> <h2>Problemregionen Osteuropa und Zentralasien</h2> <p>„Trotz eines gut abgestimmten Instrumentariums von Prävention, Behandlung und Pflege sind die Herausforderungen bei der Beendigung der Aidsepidemie noch immer dramatisch, insbesondere wenn wir den HIV-Status in einzelnen Regionen Europas und Zentralasiens betrachten“, erklärt Rockstroh.<br /> Während die HIV-bedingten Infektionen weltweit zwischen 1996 und 2017 um 47 % zurückgegangen sind, ist in Osteuropa und Zentralasien ein dramatischer Anstieg der HIV-Infektionen zu verzeichnen. In dieser Region breitet sich die HIV-Epidemie weltweit am schnellsten aus. HIVDiagnosen haben dort zwischen 2010 und 2016 um 60 % zugenommen. Die jährliche Anzahl der HIV-Neuinfektionen ist um 29 % höher als noch 2010. Die überwiegende Zahl der Personen mit HIV lebt in der Russischen Föderation und der Ukraine. In diesen beiden Ländern finden sich 84 % aller Neuinfektionen in Osteuropa und Zentralasien. Darüber hinaus stellen in diesen Ländern die Angst vor Diskriminierung oder vor strafrechtlichen Konsequenzen sowie der Mangel an Spritzentauschprogrammen für Drogensüchtige eine wesentliche Barriere dar.</p> <h2>PrEP: bis zu 50 % weniger Neuinfektionen</h2> <p>Die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) wird häufig als „chemisches Kondom“ bezeichnet. Sie ist eine effektive Maßnahme zur Verhinderung einer HIV-Infektion. Sie wird von HIV-negativen Personen vor sexuellen Risikokontakten (Kontakte, bei denen mit einem höheren Infektionsrisiko gerechnet werden muss) angewendet und mit den Medikamenten durchgeführt, die zur Behandlung einer bestehenden HIV-Infektion zum Einsatz kommen. Man kann sie dauerhaft (bei häufigen Risikokontakten) oder bei Bedarf einnehmen. Bezüglich des Schutzes vor HIV-Infektionen stellt sie eine Alternative zur Verwendung eines Kondoms dar (es besteht jedoch im Unterschied zum Kondom kein Schutz bezüglich anderer sexuell übertragbarer Erkrankungen wie Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien). Medizinische Experten propagieren die PrEP, weil sie nachweislich zu einer deutlichen Reduktion der Neuansteckungen führt.<br /> In England führte die Anwendung der PrEP zu einer Reduktion der Neuinfektionen um 50 % . Da Personen, die eine PrEP anwenden, aber nicht krank sind, sondern sich vor der Infektion schützen wollen, stufen die österreichischen Krankenkassen die PrEP als reine Prophylaxemaßnahme ein und verweigern die Übernahme der Kosten für die PrEP und die dafür notwendigen Voruntersuchungen.<br /> Die Anwendung der PrEP ist aber durch die Verhinderung der Neuansteckung auch im Interesse der Allgemeingesundheit, analog zu Impfungen, die ja nicht nur die geimpfte Person schützen, sondern insgesamt die Ausbreitung der Erkrankung verhindern. Auch mit der PrEP wird das Ziel verfolgt, die HIV-Infektion in der Bevölkerung zu eliminieren. Das HI-Virus hat nur den Menschen als Wirt, und durch die Verhinderung der Übertragung kann man das HIV tatsächlich ausrotten. In Deutschland stellt die PrEP seit 1. September 2019 eine Kassenleistung dar, bemerkt Rockstroh abschließend.</p> <h2>Lückenloser Zugang zu PrEP und PEP in Österreich gefordert</h2> <p>„Österreich hat die Chance, die Anzahl an HIV-Neuinfektionen durch ein Bündel an Maßnahmen effektiv zu senken. Dazu gehören neben der bereits gut funktionierenden Versorgung mit modernen HIV-Medikamenten auch eine lückenlos verfügbare und erstattbare Prä- und Postexpositionsprophylaxe sowie die Verbesserung der HIV-Testung“, sagt Priv.-Doz. OA Dr. Alexander Zoufaly, 4. Medizinische Abteilung am SMZ Süd, Kaiser- Franz-Josef-Spital Wien, und neuer Präsident der ÖAG.<br /> Im Gegensatz zur PrEP kommt die Postexpositionsprophylaxe (PEP) nicht vor, sondern nach einem Hochrisikokontakt zum Einsatz. Darunter werden sexuelle Kontakte verstanden, die mit einem erhöhten Risiko für eine HIV-Infektion vergesellschaftet sind, wie beispielsweise ungeschützter Analverkehr unter homosexuellen Männern. Dazu wird innerhalb von 48–72 Stunden nach der potenziellen Übertragung eine einmonatige antiretrovirale Therapie (ART) begonnen. Problematisch sind Verzögerungen der chefärztlichen Bewilligung für die Medikamente, wenn ein Risikokontakt an einem Freitagoder Samstagabend stattfindet. Es vergeht wertvolle Zeit, in der es zur tatsächlichen Manifestation der Infektion kommen kann. Ziel muss es sein, die PEP rund um die Uhr verfügbar zu machen, z. B. an den Notfallambulanzen von Krankenhäusern, in denen HIV-positive Personen schwerpunktmäßig behandelt werden.</p> <h2>ÖAG-Arbeitsschwerpunkte, Funktionsperiode 2019–2023</h2> <p>Wie Zoufaly ausführt, wird sich der neue Vorstand der ÖAG in den kommenden vier Jahren vor allem auf folgende Arbeitsbereiche und Forderungen konzentrieren:</p> <ul> <li>Information von HIV-Infizierten, Risikogruppen und Personen in Gesundheitsberufen über „undetectable = untransmittable“ („U=U“) und dessen Bedeutung für die Prävention und Behandlung von HIV-Infektionen, aber auch im Hinblick auf die Entstigmatisierung von HIV-infizierten Menschen sowie z. B. im strafrechtlichen Kontext</li> <li>Aktualisierung des Aidsgesetzes: Derzeit kommen bei Verdacht auf eine HIVInfektion zwei Testverfahren zum Einsatz: ein Antikörper-Antigen-Test als Screening-Test, gefolgt von einem reinen Antikörpertest zur Bestätigung. Der Bestätigungstest versagt jedoch in der frühen Phase der Infektion, wenn die infizierte Person noch keine Antikörper gebildet hat. Würde der Bestätigungstest durch einen hochempfindlichen PCR-Test ersetzt, könnte die ART früher eingeleitet werden und die Weitergabe des Virus kann damit verhindert werden.</li> <li>Kostenübernahme von Präexpositionsprophylaxe (PrEP), „Point of care“- Screening auf sexuell übertragbare Erkrankungen sowie Testung auf Medikamentenresistenzen durch die Krankenkassen bzw. andere Kostenträger; Rundum- die-Uhr-Verfügbarkeit von Medikamenten zur Postexpositionsprophylaxe (PEP) an spezialisierten Zentren</li> <li>Ermöglichung der Hepatitis-C-Therapie durch HIV-Behandler</li> </ul></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Pressegespräch der Österreichischen AIDS Gesellschaft
(ÖAG), 19. November in Wien
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<p>bei den Vortragenden</p>
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