<p class="article-intro">Mithilfe modernster Technologien wie der 16S-ribosomalen RNA-Polymerase- Kettenreaktion (16S-rRNA-PCR) konnte der Mythos einer „sterilen Blase“ bzw. eines „keimfreien Urins“, wie er sich oft noch hartnäckig in verschiedenen Bereichen des Lebens hält, widerlegt werden. Durch die Möglichkeit, ursprünglich schlecht oder nicht kultivierbare Bakterien bzw. deren Genome und Metaboliten zu detektieren, entsteht eine gänzlich neue Sichtweise auf Zusammenhänge zwischen Harnwegsinfekten und überaktiver Blase und dadurch bedingt die Möglichkeit, in den kommenden Jahren neue, innovative und hoffentlich auch erfolgreiche Therapien zu entwickeln.</p>
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<p class="article-content"><p>Gängige, etablierte Methoden zur Erfassung der mikrobiellen Flora des Urins im Rahmen eines Harnwegsinfekts sind nicht zum Nachweis der meisten nicht pathogenen oder schwer kultivierbaren Bakterien geeignet. So konnte sich lange Zeit irrtümlich der Mythos einer „sterilen Blase“ bzw. eines „sterilen Urins“ beim gesunden Menschen halten und im Zusammenhang einer Eigenurintherapie zur Stärkung des Immunsystems, als Allheilmittel gegen Haarausfall, Hautkrankheiten und Allergien bis hin zur Körperpflege oder Desinfektion von Wunden verbreitet werden. Die neuerdings auch zur Identifikation der bakteriellen Besiedelung der Blase eingesetzte Sequenzanalyse mittels 16S-rRNA-PCR ist eine universell einsatzbare Technologie für die Detektion und Identifikation verschiedener Bakterien, Mikroorganismen bzw. deren Metaboliten. Mittels dieser Technologie ist inzwischen die Beschreibung eines komplexen Blasenmikrobioms beim gesunden Menschen möglich geworden.</p>
<p class="article-intro">Mithilfe modernster Technologien wie der 16S-ribosomalen RNA-Polymerase- Kettenreaktion (16S-rRNA-PCR) konnte der Mythos einer „sterilen Blase“ bzw. eines „keimfreien Urins“, wie er sich oft noch hartnäckig in verschiedenen Bereichen des Lebens hält, widerlegt werden. Durch die Möglichkeit, ursprünglich schlecht oder nicht kultivierbare Bakterien bzw. deren Genome und Metaboliten zu detektieren, entsteht eine gänzlich neue Sichtweise auf Zusammenhänge zwischen Harnwegsinfekten und überaktiver Blase und dadurch bedingt die Möglichkeit, in den kommenden Jahren neue, innovative und hoffentlich auch erfolgreiche Therapien zu entwickeln.</p>
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<p class="article-content"><p>Gängige, etablierte Methoden zur Erfassung der mikrobiellen Flora des Urins im Rahmen eines Harnwegsinfekts sind nicht zum Nachweis der meisten nicht pathogenen oder schwer kultivierbaren Bakterien geeignet. So konnte sich lange Zeit irrtümlich der Mythos einer „sterilen Blase“ bzw. eines „sterilen Urins“ beim gesunden Menschen halten und im Zusammenhang einer Eigenurintherapie zur Stärkung des Immunsystems, als Allheilmittel gegen Haarausfall, Hautkrankheiten und Allergien bis hin zur Körperpflege oder Desinfektion von Wunden verbreitet werden. Die neuerdings auch zur Identifikation der bakteriellen Besiedelung der Blase eingesetzte Sequenzanalyse mittels 16S-rRNA-PCR ist eine universell einsatzbare Technologie für die Detektion und Identifikation verschiedener Bakterien, Mikroorganismen bzw. deren Metaboliten. Mittels dieser Technologie ist inzwischen die Beschreibung eines komplexen Blasenmikrobioms beim gesunden Menschen möglich geworden.</p> <h2>Komplexes Blasenmikrobiom statt steriler Blase</h2> <p>Das Blasenmikrobiom des Menschen ist keine statische Zusammensetzung bestimmter Mikroorganismen und Bakterien. Vielmehr handelt sich dabei um eine variable, geschlechts-, aber vermutlich auch altersabhängige Zusammensetzung unterschiedlicher, teilweise auch pathogener Keime. Über das Kernmikrobiom des Menschen weiß man inzwischen, dass neben <em>Lactobacillus spp., Streptococcus spp., Corynebacterium spp., Ureaplasma spp., Staphylococcus spp., Bifidobacterium spp., Actinobaculum spp.</em> und <em>Actinomyces</em> auch <em>Aerococcus</em> und überraschenderweise Gardnerella enthalten sind. Zudem ist das Blasenmikrobiom der Frau, bei dem vorherrschend <em>Lactobacillus, Gardnerella, Prevotella</em> und <em>Sneathia</em> nachweisbar sind, heterogener als jenes von Männern, wo neben dem Kernmikrobiom besonders das Vorkommen von Veillonella spp. detektierbar ist.<sup>1</sup> Welche einzelnen Funktionen diese Mikroorganismen allein oder auch in Kombination miteinander genau übernehmen, ob ein bestimmtes Verhältnis zueinander oder eine gewisse Abundanz bestimmter Bakterien für die gesunde Blase nun ausschlaggebend sind oder nicht, ist noch nicht vollständig geklärt. Aufgrund der beobachtbaren Konsequenzen bei einem gestörten Blasenmikrobiom werden aber unterschiedliche protektive und stimulative Funktionen, von der wichtigen Rolle bei der Entstehung eines intakten Urothels, Verdrängungswettbewerb gegen pathogene Keime und Aktivierung der wirtseigenen Immunabwehr, diskutiert (Tab. 1).<sup>1</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Urologik_Uro_1904_Weblinks_urologik_uro_1904_s13_tab1_bschleipfer.jpg" alt="" width="250" height="405" /></p> <h2>Antibiotika zerstören auch das gesunde Blasenmikrobiom</h2> <p>Kommt es nun bei einem Harnwegsinfekt aufgrund (zumeist) von außen über die Harnröhre eingetragenen Erregern zu einem Überhandnehmen bestimmter pathogener Keime, führt dies zu einer Veränderung des Blasenmikrobioms durch Abnahme von Diversität und Abundanz im Erregerspektrum. Die Folge ist eine Störung in der funktionellen, protektiven und stimulativen Leistung des Blasenmikrobioms und die eingedrungenen, Harnwegsinfekt- auslösenden Erreger (wie beispielsweise <em>Escherichia coli, Staphylococcus saprophyticus, Klebsiella pneumoniae</em> oder <em>Proteus mirabilis</em>) können sich rasant vermehren. Bei unproblematischen Harnwegsinfekten kann sich das Blasenmikrobiom häufig allein durch konservative Behandlung und Abwarten erholen und seine Schutzfunktion wieder aufnehmen. Aktuelle Leitlinien empfehlen in solchen Fällen dennoch, insbesondere auch um ein rasches Abklingen der klinischen Symptome zu erreichen, die Gabe von Antibiotika. Diese wirken allerdings nicht nur auf die pathogenen Keime, sondern auch auf die Mikroorganismen, die für die Schutzfunktion der Blase eine wichtige Rolle spielen. Die Folgen einer entsprechenden Antibiotikatherapie für das Blasenmikrobiom konnten Gottschick et al.<sup>2</sup> in einer Studie bei Patientinnen mit bakterieller Vaginose nachweisen. Während der Krankheitsphase zeigte das Blasenmikrobiom eine signifikant reduzierte mikrobielle Diversität. Nach Abklingen der Symptome reduzierte sich diese jedoch aufgrund der Antibiotikagabe weiter und ein Teufelskreis von wiederkehrenden Infektionen, Antibiotikatherapien und dadurch bedingte weitere Zerstörung des Blasenmikrobioms können die Folge sein.</p> <h2>Harnwegsinfekt, Dranginkontinenz und OAB – verändertes Mikrobiom als Bindeglied?</h2> <p>Da sowohl Dranginkontinenz als auch die überaktive Blase (OAB) als Erkrankungen im unteren Harntrakt häufig in Kombination oder als Folge von Harnwegsinfekten auftreten können, werden demnach auch hier Zusammenhänge durch Veränderungen im Blasenmikrobiom als mögliche Verursacher bzw. Auslöser vermutet. In einer Studie an Patientinnen mit nachgewiesener Dranginkontinenz gelang es Karstens et al.<sup>3</sup>, signifikante Korrelationen von reduzierter Diversität des Blasenmikrobioms mit höherer Anzahl an Inkontinenzphasen und stärkerer OAB-Symptomatik nachzuweisen. Bei insgesamt 14 Spezies zeigten sich signifikante Veränderungen gegenüber gesunden Frauen. Die Zunahme (z. B. <em>Brevundimonas spp., Alteromonadaceae spp., Elizabethkingia spp.</em> u. a.) bzw. die Abnahme (<em>Prevotella spp., Comamonadaceae spp., Nocardioides spp.</em>) bestimmter Spezies bei diesen Frauen ist zudem auch im Zusammenhang mit Harnwegsinfekten nachgewiesen worden. Eine verringerte Diversität wie auch Abundanz im Blasenmikrobiom, insbesondere durch Reduktion von Firmicutes und Bacteroidetes bei gleichzeitiger Vermehrung von Proteobacteriaceae und Actinobacteria konnten Wu et al.<sup>4</sup> auch bei OAB-Patienten nachweisen. Speziell eine signifikante Zunahme von <em>Proteus</em> und eine Abnahme von <em>Lactobacillus</em> im Urin von erkrankten Patienten, möglicherweise auch eine Abnahme von <em>Prevotella</em> und eine Zunahme von <em>Escherichia</em> (in der Studie allerdings als nicht signifikant nachgewiesen), könnten in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen.<sup>5</sup></p> <h2>Fazit: neue Technik – neue Sichtweise</h2> <p>Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Einsatz modernster Technologie neue, spannende Sichtweisen auf mögliche Zusammenhänge zwischen Harnwegsinfekt, Dranginkontinenz und überaktiver Blase ermöglicht. Die neu gewonnene Erkenntnis über das Vorliegen eines Blasenmikrobioms beim gesunden Menschen wird in naher Zukunft Grundlage neuer, intensiver und möglichst erfolgreicher Studien sein und dabei helfen, schonendere und hoffentlich auch aussichtsreiche Therapien bei Problemen im Bereich der Blase zu entdecken. Auch wenn die Forschung in diesem Bereich noch am Anfang steht: Der erste Schritt, das Widerlegen des Mythos einer „sterilen Blase“, ist bereits der Anstoß, viele alte Dogmen infrage zu stellen.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Umek W: Das urogenitale Mikrobiom und seine Bedeutung für den weiblichen Harntrakt. J Urol Urogynäkol AT 2019; 26: 20-22 <strong>2</strong> Gottschick C et al.: The urinary microbiota of men and women and its changes in women during bacterial vaginosis and antibiotic treatment. Microbiome 2017; 5: 99 <strong>3</strong> Karstens L et al.: Does the urinary microbiome play a role in urgency urinary incontinence and its severity? Front Cell Infect Microbiol 2016; 6: 78 <strong>4</strong> Wu P et al.: Urinary microbiome and psychological factors in women with overactive bladder. Front Cell Infect Microbiol 2017; 7: 488 <strong>5</strong> Curtiss N et al.: A case controlled study examining the bladder microbiome in women with overactive bladder (OAB) and healthy controls. Eur J Obstet Gynecol Reprod 2017; 214: 31-35</p>
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