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Pädiatrische Aspekte

Bedeutung genetischer Krebs-Prädispositionen

<p class="article-intro">Bei etwa 5 % der pädiatrischen Krebsdiagnosen lässt sich eine familiäre Disposition mit Keimbahnmutationen finden, die eine wesentliche Rolle in der Entstehung von Krebserkrankungen spielen. Durch die erweiterten technischen Möglichkeiten ist eine Zunahme des Detektierens auch von nicht familiären Prädispositionsmustern zu erwarten. Neben einer genetischen und onkologischen Expertise müssen jedoch juridische, ökonomische und psychologische Aspekte Bestandteil einer entsprechenden Beratung sein.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Das Spektrum p&auml;diatrischer Krebsdiagnosen unterscheidet sich wesentlich von dem im Erwachsenenalter. Epitheliale Dr&uuml;sengeschw&uuml;lste (Prostata- und Mammakarzinome) kommen nicht vor, Umweltexponierte Oberfl&auml;chen-Krebserkrankungen der Haut, des Verdauungstraktes und der Lunge sind aufgrund der relativ geringen zeitlichen Exposition Rarit&auml;ten. Leuk&auml;mien, Lymphome und Sarkome embryonalen Ursprungs umfassen 90 % der Diagnosen (Abb. 1). Die eigentlichen Ursachen kindlicher Krebserkrankungen sind trotz zahlreicher epidemiologischer Untersuchungen in den allermeisten F&auml;llen weitgehend unklar.<br /> Eine famili&auml;re Krebs-Pr&auml;disposition liegt groben Sch&auml;tzungen zufolge bei etwa 5 % der p&auml;diatrischen Krebsdiagnosen vor. Die Assoziation genetischer Ver&auml;nderungen in der Keimbahn mit famili&auml;ren Krebs- Pr&auml;dispositionssyndromen hat wesentlich zur Erarbeitung der biologischen Bedeutung bestimmter Mutationen zur Krebsentstehung beigetragen. 1969 wurde erstmals das h&auml;ufigste famili&auml;re Pr&auml;dispositionssyndrom von Frederic Li und Joseph Fraumeni beschrieben (Li-Fraumeni-Syndrom, LFS). Die zugrunde liegende Mutation des Tumor- Protein- 53(TP53)-Gens wurde 1990 publiziert. Bereits 1987 wurde das in der Keimbahn mutierte RB-Gen bei Retinoblastomen (RBL) entdeckt.<br /> Das hohe wissenschaftliche Interesse der Krebsforschung, stimuliert durch erweiterte technische M&ouml;glichkeiten und eine gut organisierte klinische Studienlandschaft in der p&auml;diatrischen Onkologie mit hohen Heilungsraten, bringt zunehmend neue Erkenntnisse komplexer genetischer St&ouml;rungen, die zur Tumorentstehung beitragen. Zunehmend k&ouml;nnen spontane, nicht famili&auml;ren Krebs pr&auml;disponierende Keimbahnmutationen mit vorliegenden Krebserkrankungen assoziiert werden. Zurzeit geht man von etwa 10 % famili&auml;ren und spontanen Krebs-assoziierten Keimbahnmutationen in der p&auml;diatrischen Onkologie aus.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1906_Weblinks_jatros_onko_1906_s92_abb1_mann.jpg" alt="" width="550" height="328" /></p> <h2>Indikation zur Keimbahnanalyse</h2> <p>Die Empfehlungen zur Keimbahnanalyse in der p&auml;diatrischen Onkologie sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Die Bedingungen f&uuml;r das Einholen eines Einverst&auml;ndnisses von Eltern, Jugendlichen und entscheidungsf&auml;higen Minderj&auml;hrigen zur Keimbahn- Untersuchung sollten wie folgt erf&uuml;llt sein:</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1906_Weblinks_jatros_onko_1906_s93_tab1_o_b_mann.jpg" alt="" width="550" height="359" /></p> <p><strong>1. Genetische und onkologische Expertise</strong></p> <p><span style="text-decoration: underline;">Erbgang und genaue Charakterisierung der Mutation:</span><br /> Als Beispiel sei beim Multiplen-endokrinen- Neoplasie-Typ-2A(MEN 2A)-Syndrom die geforderte Aufschl&uuml;sselung der Mutation des RET-Gens zur Definition des Risikos, ein medull&auml;res Schilddr&uuml;senkarzinom (MTC) zu entwickeln, und die daraus entwickelte spezifische Indikation zur prophylaktischen Thyreoidektomie angef&uuml;hrt. Beim Hochrisiko-Allel p.M918T wird die prophylaktische Schilddr&uuml;senentfernung wegen einer 100-prozentigen Penetranz und rascher Metastasierung bereits im ersten Lebensjahr empfohlen. Beim Beckwith- Wiedemann-Syndrom (BWS) betr&auml;gt das Risiko f&uuml;r Wilms-Tumoren f&uuml;r die &bdquo;Loss of methylation/hypomethylation at imprinting control region 2&ldquo;(IC2 LoM)-Mutation 2,6 % , f&uuml;r die IC1-&bdquo;Gain of methylation&ldquo; (GoM)-Mutation 28 % .</p> <p><span style="text-decoration: underline;">H&auml;ufigkeit der Keimbahnmutation bei definierter Krebsdiagnose:</span><br />Zunehmend werden Daten durch Assoziations- Untersuchungen erhoben, dabei sind ethnische Unterschiede erkennbar. Auch bei einem hohen Assoziations-Koeffizienten kann das individuelle Tumorrisiko bei gesunden Mutationstr&auml;gern vernachl&auml;ssigbar sein. Bei &uuml;ber 1000 onkologisch erkrankten Kindern und Jugendlichen (bis 20 Jahre) wurden in 8,5 % Keimbahnmutationen gefunden, bei soliden Tumoren au&szlig;erhalb des Zentralnervensystems (ZNS) in 16,7 % , bei Hirntumoren in 8,6 % und bei Leuk&auml;mien in 4,4 % (Abb. 1). Eine kanzerogene Keimbahnmutation des <em>TP53</em>-Gens als weitaus h&auml;ufigste und seltenere famili&auml;re Form (LFS) findet sich in der p&auml;diatrischen Onkologie vor allem bei seltenen Diagnosen wie bei 80 % der diffus anaplastischen Rhabdomyosarkome, 50 % der Nebenierenrindenkarzinome, 40 % der Plexus-choroideus-Karzinome und 40 % der niedrig hypodiploiden akuten lymphoblastischen Leuk&auml;mie (ALL), weiters bei &uuml;ber 10 % der &bdquo;Sonic hedgehog&ldquo;(SHH)-aktivierten- Medulloblastome, bei 10 % bei j&uuml;ngeren Kindern mit Osteosarkomen und bei 1&ndash;2 % bei Kindern mit Rezidiv einer ALL.</p> <p><span style="text-decoration: underline;">Quantifizierbares individuelles Risiko:</span><br /> Dient bei bereits Krebserkrankten zur &Uuml;berwachung in Bezug auf Zweitmalignome und allenfalls nach Heilung und erhaltener Fertilit&auml;t zur Familienplanung sowie zur Indikation zu Familien-Untersuchungen erstgradiger Angeh&ouml;riger, die nicht erkrankt sind. In der P&auml;diatrie liegen f&uuml;r einige Mutationen die Risiken im zweistelligen Bereich, in den ersten 20 Jahren entsprechende Krebserkrankungen zu entwickeln, so zum Beispiel beim LFS bei 40 %, bei der erw&auml;hnten hochmalignen RET-Mutation bei &uuml;ber 95 % (MTC), bei RB-Mutation bei 40 % (RBL), beim WAGR- und Denys-Drash-Syndrom f&uuml;r Wilms-Tumoren bei 50 und 90 % . In den Konsens-Empfehlungen der American Association for Cancer Research (AACR) geht man von einem &uuml;ber 1&ndash;5-prozentigen Risiko aus, um zu Keimbahn-Untersuchungen zu raten. Das gilt f&uuml;r alle tabellarisch angef&uuml;hrten Syndrome (im Vergleich zu einer Krebsinzidenz im Promille-Bereich in dieser Alterskohorte) (Tab. 2). &Uuml;ber 70 verschiedene mit Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter assoziierte, durchwegs seltene Syndrome sind beschrieben, die meisten davon autosomal dominant vererbt. Bei der Seltenheit der Syndrome und der p&auml;diatrischen Krebsdiagnosen ist das individuelle Risiko, in den ersten 20 Jahren an Krebs zu erkranken, bei manchen Keimbahnmutationen, die mit einer erh&ouml;hten Krebsinzidenz assoziiert sind, wegen geringer Fallzahlen teilweise auf Sch&auml;tzungen angewiesen. Ein internationaler Workshop (65 Spezialisten aus 11 L&auml;ndern), der von der AACR organisiert wurde, hat Konsens-Empfehlungen zur Diagnostik und Fr&uuml;herkennungsprogramme f&uuml;r 9 Gruppen der h&auml;ufigsten Pr&auml;dispositions-Syndrome erarbeitet, die in einer &bdquo;Pediatric cancer&ldquo;-Serie 2017 publiziert wurden und als &bdquo;Open access&ldquo;-Publikation &ouml;ffentlich zug&auml;ngig sind.</p> <p><span style="text-decoration: underline;">Angeborene Immundefizienzen:</span><br /> Mit einem haupts&auml;chlichen Risiko f&uuml;r lymphatische Neoplasien stellen sie wie bei den bereits angef&uuml;hrten DNA-Instabilit&auml;ts-Syndromen einen Sonderstatus dar. Die Kombination aus Abwehrschw&auml;che und Epstein-Barr-Virusinfektion bedingt beim X-chromosomalen lymphoproliferativen Syndrom neben der fulminanten Form einer h&auml;mophagozytischen Lymphohistiozytose ein Lymphom-Risiko. Beim autoimmun-lymphoproliferativen Syndrom f&uuml;hrt eine Apoptoseinsuffizienz neben Autoimmun- Ph&auml;nomenen zu einem Risiko f&uuml;r lymphatische Neoplasien. Das Wiscott-Aldrich-Syndrom ist durch Immundefizienz, atopiforme Hauteffloreszenzen und das Auftreten von lymphatischen Krebserkrankungen charakterisiert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1906_Weblinks_jatros_onko_1906_s94_tab2_mann.jpg" alt="" width="800" height="1082" /></p> <p><strong>2. Diagnostische M&ouml;glichkeiten</strong></p> <p><span style="text-decoration: underline;">Klinische Untersuchung:</span><br /> Bei vielen Syndromen k&ouml;nnen assoziierte Auff&auml;lligkeiten erkannt werden, wie z. B. Caf&eacute;-au-Lait-Flecken und Freckling bei den Neurofibromatosen, genereller oder partieller Gro&szlig;wuchs und Makroglossie beim Beckwith-Wiedemann-Syndrom oder Minderwuchs und kutane Ver&auml;nderungen oder komplexe Organfehlbildungen bei DNA-Instabilit&auml;ts-Syndromen. Labortechnische Untersuchungen:<br /> Bei sekretorisch aktiven Erkrankungen kann ein regelm&auml;&szlig;iges Screening der entsprechenden Substanzen zur Krebsfr&uuml;herkennung beitragen, z. B. Calcitonin (und Ca++) beim MEN-2A-Syndrom, Harnkatecholamine beim heredit&auml;ren Neuroblastom, androgene Steroide beim Nebennierenrindenkarzinom oder Alpha-Fetoprotein (AFP) bei Keimzelltumoren. In Zukunft k&ouml;nnte die molekulare Detektion Tumorspezifischer Gensequenzen im peripheren Blut (&bdquo;liquid biopsy&ldquo;) zu einer Tumor-Fr&uuml;herkennung beitragen. Bei einem Risiko f&uuml;r h&auml;matologische Neoplasien werden initiale und repetitive Knochenmarks- und Blutbilduntersuchungen in definierten Intervallen empfohlen.</p> <p><span style="text-decoration: underline;">Bildgebende Screening Verfahren:</span><br /> Bei entsprechendem Risiko, organspezifische solide Tumoren zu entwickeln, gelten in Abh&auml;ngigkeit von den zu erwartenden Lokalisationen unterschiedliche Methoden als geeignet, eine Fr&uuml;herkennung und damit unterstellte bessere Heilungschancen zu erm&ouml;glichen. Bei intestinalem Tumorrisiko liegt der Schwerpunkt auf endoskopischen Verfahren, extraintestinale abdominelle Lokalisationen sind in der Regel sonografisch zu screenen. Bei generellem und vor allem hohem ZNS-Tumorrisiko ist die Kernspintomografie die Methode der Wahl, bei Kleinkindern allerdings ohne Narkose nicht durchf&uuml;hrbar. Zur RBL-Fr&uuml;herkennung eignet sich die Fundoskopie.</p> <p><strong>3. M&ouml;gliche Interventionen</strong></p> <p><span style="text-decoration: underline;">Vorsorge:</span><br />Die einzige etablierte Empfehlung zu einer pr&auml;morbiden Intervention in der P&auml;diatrie stellt die Thyreoidektomie bei hochmaligner RET-Mutation beim MEN-2A-Syndrom dar. Ob fr&uuml;hzeitige Nierenersatzverfahren beim Denys-Drash-Syndrom mit zunehmender Niereninsuffizienz und extrem hohem Wilms-Tumor-Risiko zu planen sind, muss im Einzelfall entschieden werden. Bei vorliegender Krebserkrankung k&ouml;nnen therapeutische Methoden in Abh&auml;ngigkeit von Wirksamkeit und Prognose modifiziert werden, um aktuelle Gef&auml;hrdungen und die Entwicklung von Zweittumoren zu reduzieren. Besonders bei DNA-Instabilit&auml;ts-Syndromen sind radiotherapeutische Methoden riskant: Wenn m&ouml;glich sollte hier auch der Einsatz von genotoxischer Chemotherapie in reduzierter Form erfolgen, wie das von manchen Gruppen bei der Behandlung von Lymphomen empfohlen wird.</p> <p><span style="text-decoration: underline;">Fr&uuml;hzeitige chirurgische Intervention:</span><br /> Gemeinhin wird angenommen, eine geringere Tumorausbreitung sei mit einer besseren Prognose vergesellschaftet. Neben der leichteren chirurgischen Zug&auml;nglichkeit bei geringer lokaler Ausbreitung soll die fr&uuml;hzeitige Resektion vor Metastasierung sch&uuml;tzen.</p> <p><strong>4. Effizienz von Krebs-Fr&uuml;herkennungsprogrammen</strong></p> <p>Ob in jedem Fall der unterstellte Effekt einer besseren Heilbarkeit durch Fr&uuml;herkennung mittels Screening-Methoden erzielbar ist, wie das beim LFS dokumentiert wurde, l&auml;sst sich wegen der Seltenheit der Syndrome nur f&uuml;r wenige Situationen belegen. Standardisierte Empfehlungen sind Voraussetzung, um den Beweis der Senkung der Krebsmortalit&auml;tsrate in Zukunft erbringen zu k&ouml;nnen. Generelle Empfehlungen f&uuml;r die Indikation zu einer genetischen Beratung und Keimbahn-Untersuchung wurden von der Arbeitsgruppe f&uuml;r Krebs-Pr&auml;dispositionen der Deutsch-&Ouml;sterreichischen Gesellschaft f&uuml;r p&auml;diatrische H&auml;matologie und Onkologie ausgearbeitet.</p> <p><strong>5. Psychologische, juridische und &ouml;konomische Implikationen</strong></p> <p>Die Herkunft einer kindlichen Krebserkrankung ist f&uuml;r die meisten Eltern h&ouml;chst erkl&auml;rungsbed&uuml;rftig. In der Mehrzahl der F&auml;lle konnte nach entsprechender Information Zustimmung zu einer Keimbahn-Untersuchung dokumentiert werden. Neben der genetischen Beratung muss der Stigmatisierungseffekt gegen m&ouml;gliche Vorteile einer Krebsvorsorge oder Fr&uuml;herkennung abgewogen werden. L&auml;sst sich ein famili&auml;res Risiko feststellen, ist in selber Abw&auml;gung juridisch zu kl&auml;ren, inwiefern eine Pflicht zur Mitteilung an m&ouml;gliche gef&auml;hrdete Familienmitglieder besteht. Einen wesentlichen Nachteil stellt die vor allem in den USA bef&uuml;rchtete &ouml;konomische Benachteiligung bei Krankenversicherungen dar. In einer Umfrage war dies das h&auml;ufigste Argument f&uuml;r eine Ablehnung der Keimbahn-Untersuchung.</p> <h2>Fazit</h2> <p>Zu den famili&auml;ren Syndromen, die etwa 5 % der p&auml;diatrischen Krebserkrankungen betreffen, addiert sich zurzeit etwa dieselbe Frequenz neu entstandener individueller karzinogener Mutationen auf 10 % . Genetische, p&auml;diatrisch onkologische, psychologische und juridische Expertise sind Voraussetzungen f&uuml;r eine kompetente Beratung, die die individuelle Vorsorge und die systematische Gewinnung von Daten, die in Zukunft die Effizienz von Vorsorge und Fr&uuml;herkennungsma&szlig;nahmen beurteilbar machen, im Fokus haben kann.</p></p>
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