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ESC-Leitlinien zur Lipidtherapie 2019: praxisrelevante Änderungen

<p class="article-intro">Im Rahmen des ESC-Kongresses in Paris wurden kürzlich die aktualisierten Lipidleitlinien der europäischen kardiologischen Gesellschaft vorgestellt. Sie reflektieren die neuesten Erkenntnisse zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos und haben für die klinische Praxis herausragende Bedeutung.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>LDL-Cholesterin verursacht Atherosklerose, die Senkung des LDL-Cholesterins verhindert kardiovaskul&auml;re Ereignisse.</li> <li>Das neue LDL-Cholesterin-Ziel bei sehr hohem kardiovaskul&auml;rem Risiko liegt bei zumindest &lt;55 mg/dl.</li> <li>Zumindest einmal im Leben sollte das Lipoprotein(a) bestimmt werden.</li> <li>Muskelbeschwerden unter Statinen sind h&auml;ufig, aber meist nicht durch die Statine verursacht. Wirklich Statin-bedingte Myopathien sind selten.</li> <li>Wenn bei Patienten mit sehr hohem Risiko das LDL-Cholesterin unter potentem Statin plus Ezetimib nicht im Zielbereich liegt, besteht die klare Indikation f&uuml;r die Gabe eines PCSK9-Hemmers.</li> </ul> </div> <h2>Risikofaktor LDL-Cholesterin steht im Zentrum der Leitlinien</h2> <p>Es steht heute au&szlig;er Frage, dass das LDL-Cholesterin urs&auml;chlich verantwortlich f&uuml;r Atherosklerose ist. Eine Senkung des LDL-Cholesterins reduziert das kardiovaskul&auml;re Risiko; absolut gesehen profitieren Patienten mit hohem Risiko am meisten von der Senkung des atherogenen LDL-Cholesterins.<br /> Die Senkung des LDL-Cholesterins steht in Anbetracht des klar erwiesenen Nutzens im Zentrum der Lipidtherapie und &uuml;berhaupt des Managements des kardiovaskul&auml;ren Risikos.</p> <h2>Ausgangsrisiko der Patienten</h2> <p>Wie bereits in den vorangegangenen ESC-Leitlinien aus dem Jahr 2016 h&auml;ngt die Intensit&auml;t der empfohlenen LDL-Cholesterin- Senkung in den neuen Leitlinien<sup>1</sup> vom Ausgangsrisiko der Patienten ab. Es werden grunds&auml;tzlich die gleichen Kategorien des kardiovaskul&auml;ren Risikos unterschieden wie zuvor: sehr hohes, hohes, moderates und niedriges Risiko.</p> <h2>Die Zuordnung von Patienten in die Risikogruppen wurde pr&auml;zisiert</h2> <p>Die Zuordnung von Patienten in diese Gruppen blieb im Wesentlichen gleich, wurde in den neuen Leitlinien aber in einigen Details pr&auml;zisiert.</p> <p><strong>Patienten mit sehr hohem Risiko</strong><br /> In die Kategorie des sehr hohen Risikos fallen alle Patienten mit dokumentierten atherosklerotischen kardiovaskul&auml;ren Erkrankungen. Dies schlie&szlig;t nicht nur Patienten nach kardiovaskul&auml;ren Ereignissen ein, sondern auch Patienten mit bildgebend eindeutig nachgewiesener Atherosklerose, etwa mit Plaques in den Karotiden. Weiter fallen in diese Kategorie Patienten mit Diabetes, die bereits einen Endorganschaden wie eine diabetische Nephropathie oder Retinopathie haben, Patienten mit Diabetes, die zumindest drei weitere Hauptrisikofaktoren f&uuml;r kardiovaskul&auml;re Erkrankungen haben, oder auch Patienten mit Typ-1-Diabetes mit einer langen Diabetesdauer von &uuml;ber 20 Jahren, Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz (eGFR &lt;30 ml/min/1,73 m<sup>2</sup>), Patienten mit einem mittels der SCORECharts kalkulierten 10-Jahres-Risiko f&uuml;r t&ouml;dliche kardiovaskul&auml;re Erkrankungen von 10 % oder dar&uuml;ber sowie Patienten mit famili&auml;rer Hypercholesterin&auml;mie und einem weiteren Hauptrisikofaktor f&uuml;r kardiovaskul&auml;re Erkrankungen bzw., wie sich aus dem oben Gesagten ergibt, jene mit etablierter atherosklerotischer kardiovaskul&auml;rer Erkrankung.</p> <p><strong>Patienten mit hohem Risiko</strong><br /> Ein hohes Risiko liegt vor bei Patienten mit sehr ausgepr&auml;gten einzelnen Risikofaktoren wie einem LDL-Cholesterin von &uuml;ber 190 mg/dl oder einem Blutdruck von 180/110 mmHg oder dar&uuml;ber, bei Patienten mit famili&auml;rer Hypercholesterin&auml;mie ohne weitere Hauptrisikofaktoren, bei Patienten mit Diabetes, die keinen Organschaden, aber eine Diabetesdauer von zumindest 10 Jahren oder einen zus&auml;tzlichen Risikofaktor haben, bei moderater Niereninsuffizienz (eGFR 30&ndash;59 ml/ min/1,73 m<sup>2</sup>) bzw. bei einem kalkulierten 10-Jahres-Risiko f&uuml;r kardiovaskul&auml;ren Tod von zwischen 5 und 10 %.</p> <h2>Die Therapieziele sind abh&auml;ngig von der Risikozuordnung</h2> <p><strong>Therapieziel bei sehr hohem Risiko</strong><br /> Die wohl wichtigste Neuerung in den neuen Leitlinien ist, dass f&uuml;r Patienten mit sehr hohem kardiovaskul&auml;rem Risiko sowohl eine Reduktion des LDL-Cholesterins von zumindest 50 % von der Baseline als auch ein LDL-Cholesterin-Ziel von &lt;55 mg/ dl empfohlen wird; beide Forderungen m&uuml;ssen also erf&uuml;llt sein. Der Zielwert &lt;55 mg/dl ist neu, er lag zuvor bei &lt;70 mg/ dl. Mehrere Studien der letzten Jahre zeigten, dass eine Senkung des LDL-Cholesterins auf Werte deutlich unter 70 mg/dl eine weitere Reduktion des kardiovaskul&auml;ren Risikos bewirkt. F&uuml;r Patienten mit etablierter kardiovaskul&auml;rer Erkrankung, die innerhalb von 2 Jahren unter maximal tolerierter Statintherapie ein zweites kardiovaskul&auml;res Ereignis erleiden, kann sogar ein LDL-C Zielwert &lt;40 mg/dl in Betracht gezogen werden.</p> <p><strong>Therapieziel bei hohem Risiko</strong><br /> Auch f&uuml;r Patienten mit hohem Risiko wurde der Zielwert f&uuml;r das LDL-Cholesterin versch&auml;rft: Das Ziel sind nun eine LDLCholesterin- Reduktion um zumindest 50 % von der Baseline sowie ein LDL-Cholesterin von &lt;70 mg/dl.</p> <h2>Zus&auml;tzliche Erg&auml;nzungen und Pr&auml;zisierungen</h2> <p>Die neuen Leitlinien enthalten weitere Erg&auml;nzungen und Pr&auml;zisierungen im Vergleich zu den Leitlinien von 2016. So wird nun empfohlen, dass zur Absch&auml;tzung des kardiovaskul&auml;ren Risikos bei Menschen mit niedrigem oder moderatem Risiko eine Sonografie von Karotiden und/oder Femoralarterien erwogen werden soll. Das Gleiche gilt f&uuml;r eine Beurteilung des Koronarkalks mittels Koronarkalkscorings in der Computertomografie.</p> <p><strong>Gabe von Nicht-Statin-Medikamenten</strong><br /> Die Indikation f&uuml;r die Gabe von Nicht- Statin-Medikamenten zur Senkung des LDL-Cholesterins wurde auf Basis der neu hinzugekommenen Ergebnisse gro&szlig;er Studien zum kardiovaskul&auml;ren Outcome h&auml;rter formuliert. Ezetimib ist nun mit einer Klasse-I-Empfehlung klar indiziert, wenn das LDL-Cholesterin-Ziel mit maximal vertr&auml;glicher Statintherapie nicht erzielt werden kann; analog sind PCSK9-Hemmer nun bei Patienten mit sehr hohem Risiko, die trotz maximal vertr&auml;glicher Statindosis plus Ezetimib ihren Zielwert noch nicht erreichen, klar indiziert. Vor drei Jahren wurde lediglich empfohlen, diese Therapieerweiterungen zu erw&auml;gen.</p> <p><strong>Statinmyopathie vs. Muskelbeschwerden</strong><br /> Besonders betont wird in den neuen Leitlinien, dass streng zwischen einer tats&auml;chlichen Statinmyopathie und mit Statinen assoziierten Muskelbeschwerden unterschieden werden muss. Mit Statinen assoziierte Muskelbeschwerden sind entsprechend der H&auml;ufigkeit von Muskelbeschwerden in der Allgemeinbev&ouml;lkerung extrem h&auml;ufig. Tats&auml;chlich durch Statine bedingte Myopathien sind im Gegensatz dazu selten.</p> <p><strong>Lipoprotein(a)</strong><br /> Das stark genetisch determinierte Lipoprotein(a) ist hoch atherogen und in der Bev&ouml;lkerung sehr unterschiedlich verteilt. Manche Menschen haben ein sehr hohes, andere fast gar kein Lipoprotein(a). Die neuen Leitlinien empfehlen explizit zumindest einmal im Leben die Bestimmung von Lipoprotein(a), um Menschen mit hohem angeborenem Lipoprotein(a) &uuml;ber 180 mg/dl zu detektieren; diese Patienten d&uuml;rften ein Lebenszeitrisiko f&uuml;r atherosklerotische kardiovaskul&auml;re Erkrankungen haben, das &auml;hnlich hoch ist wie jenes von Patienten mit heterozygoter famili&auml;rer Hypercholesterin&auml;mie.</p> <p><strong>Triglyzeride</strong><br /> Neues gibt es auch zu den Triglyzeriden: Wenn trotz Statintherapie die Triglyzeride bei Patienten mit hohem oder sehr hohem Risiko noch zwischen 135 und 499 mg/dl liegen, soll auf Basis der REDUCE-IT-Studie die Gabe von Icosapentethylester 2 x 2 g pro Tag erwogen werden.</p> <h2>Kardiovaskul&auml;re Pr&auml;vention bei &auml;lteren Menschen</h2> <p>Die kardiovaskul&auml;re Pr&auml;vention bei &auml;lteren Menschen ist schon lange Gegenstand der Diskussion. Die neuen Lipidleitlinien der ESC geben eine klare Empfehlung f&uuml;r eine Statintherapie, auch in der Prim&auml;rpr&auml;vention, bei &auml;lteren Menschen im Alter von 75 Jahren und darunter. Auch bei Menschen &uuml;ber 75 Jahre kann entsprechend den neuen Leitlinien in der Prim&auml;rpr&auml;vention bei hohem Risiko eine Statintherapie erwogen werden. Es wird betont, dass bei &auml;lteren Menschen bei signifikanter Beeintr&auml;chtigung der Nierenfunktion oder bei Medikamenteninteraktionen mit einer niedrigen Statindosis begonnen werden soll und dann das Statin in der Dosis gesteigert werden soll, bis die Behandlungsziele erreicht sind. Das ist ein Unterschied zu j&uuml;ngeren Patienten, bei denen, gerade bei sehr hohem Risiko, unmittelbar mit einem potenten Statin in potenter Dosis begonnen werden sollte. Eine rasche Senkung des LDL-Cholesterins ist besonders nach einem akuten Koronarsyndrom wichtig.</p> <h2>Wann nach einem ACS mit PCSK9- Hemmern beginnen?</h2> <p>Die neuen Leitlinien halten fest,dass nach einem akuten Koronarsyndrom die Gabe eines PCSK9-Hemmers m&ouml;glichst fr&uuml;h erwogen werden soll, m&ouml;glichst noch w&auml;hrend des Spitalsaufenthalts, wenn sich das LDLCholesterin trotz maximal vertr&auml;glicher Statintherapie plus Ezetimib nicht im Zielbereich befindet.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: ESC-Kongress 2019, 31. August bis 4. September 2019, Paris </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Mach F et al.: 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J 2019 (in press); online: https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehz455</p> </div> </p>
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