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Nur moderate Modifikationen in der ICD-11

Burnoutbehandlung: ein Update

<p class="article-intro">Mit der neuen ICD-11 wurden grundlegende Änderungen in der Klassifikation des Burnouts erwartet – am Ende blieben diese aber aus. Beim SGPP-Kongress in Bern gab Dr. med. Michael Pfaff, Ärztlicher Direktor der Clinica Holistica Engiadina, einen umfassenden Überblick zur überarbeiteten Klassifikation des Burnouts und zu neuen Diagnose- und Therapieansätzen.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Was ist Burnout eigentlich?</h2> <p>Bis heute gibt es keine einheitliche Definition des Ph&auml;nomens &laquo;Burnout&raquo;. Die Behandlung in Kliniken erfolgt aktuell, ohne Klarheit &uuml;ber die eigentliche Erkrankung zu haben. Die Schweiz verf&uuml;gt auf Initiative des Schweizer Expertennetzwerkes Burnout (SEB) unter der Leitung von Barbara Hochstrasser &uuml;ber einzigartige Behandlungsempfehlungen, <sup>1</sup> die 2016 erstellt und bisher selbst in Deutschland noch nicht repliziert wurden.</p> <h2>Burnout in der ICD-11: alles neu?</h2> <p>W&auml;hrend der Erstellung der ICD-11 (g&uuml;ltig ab 1. Januar 2022) wurde vor&uuml;bergehend verlautbart, Burnout w&uuml;rde darin als Diagnose aufgenommen werden. Wenige Tage sp&auml;ter wurde diese Meldung allerdings wieder dementiert. Burnout bleibt also in der ICD-11 &auml;hnlich wie zuvor in der ICD-10 lediglich &laquo;ein Faktor, der die Gesundheit beeinflusst oder die Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten mit sich f&uuml;hrt&raquo;. Es wird aber auch weiterhin nicht als eigenst&auml;ndige Krankheit angesehen und daher auch in Zukunft nicht zu IV-Renten, Krankenhausbehandlungen oder Krankenhaustaggeldzahlungen berechtigen.<br /> Modifikationen in der Einordnung von Burnout wurden dennoch vorgenommen: Bisher stand das Burnout unter der &Uuml;berschrift &laquo;Probleme in der Lebensbew&auml;ltigung &raquo;. In der ICD-11 wird Burnout nun der Unter&uuml;berschrift &laquo;Probleme, die mit der Arbeit oder Arbeitslosigkeit verbunden sind&raquo; zugeordnet. Es wird definiert als Syndrom, welches aufgrund von chronischem Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich bew&auml;ltigt wurde, bedingt ist. Die Charakterisierung erfolgt durch drei Dimensionen:</p> <ul> <li>das Gef&uuml;hl von Energieverlust und Ersch&ouml;pfung</li> <li>die zunehmende mentale Distanz von der Arbeit oder Gef&uuml;hle von Negativismus bzw. Zynismus bez&uuml;glich der Arbeit</li> <li>die reduzierte berufliche Leistungsf&auml;higkeit</li> </ul> <p>Burnout bezieht sich also in der ICD-11 spezifisch auf Ph&auml;nomene im Arbeitskontext und sollte nicht auf Erfahrungen in anderen Lebensbereichen angewendet werden.</p> <h2>Ursache Arbeitsstress oder doch Depression?</h2> <p>Ob diese Zuordnung allerdings so einfach ist bleibt offen. Bianchi et al. sind in einer ihrer Studien der Frage nachgegangen, ob Burnout spezifisch durch Arbeitsbedingungen induziert wird.<sup>2</sup> 468 Mitarbeiter des Gesundheitswesens wurden mittels Online-Frageb&ouml;gen &ndash; Shirom-Melamed Burnout Measure (SMBM) und Patient Health Questionnaire 9 (PHQ-9) mit jeweils der Zusatzfrage, ob die aktuelle Arbeitst&auml;tigkeit die Hauptursache der Probleme sei &ndash; zu Burnout und Depression befragt. Nur 44 % der Befragten mit klaren Burnoutsymptomen sahen daf&uuml;r die Ursache in der Arbeit. Im Vergleich dazu gaben 39 % der Befragten mit Depressionssymptomen an, ihre Arbeitssituation sei urs&auml;chlich f&uuml;r ihren psychischen Zustand. Nach Korrelations-und Clusteranalysen zeigt sich eine &Uuml;berlappung zwischen Burnout und Depression. Burnout scheint demnach kein spezifisch durch ung&uuml;nstige Arbeitsbedingungen hervorgerufenes Leiden zu sein.<br /> Auch in weiteren zwischen 2015 und 2019 mit Burnout- und Depressionsfrageb&ouml;gen durchgef&uuml;hrten faktoranalytischen Untersuchungen kommen Bianchi und Sch&ouml;nfeld immer wieder zu dem Ergebnis, dass Burnout nicht als eigenst&auml;ndiges nosologisches Konstrukt zu sehen ist, sondern vielmehr im Konzept von Depression zu erfassen ist.</p> <h2>Lebenszusammenh&auml;nge r&uuml;cken in den Fokus</h2> <p>Aber auch diese Schlussfolgerung scheint die komplexe Sachlage nicht vollst&auml;ndig zu beschreiben. Aus der Klinik ist bekannt, dass Depression bei Burnoutpatienten mittels verschiedener Therapieoptionen gut in den Griff bekommen werden kann, die Ersch&ouml;pfungszust&auml;nde jedoch meist l&auml;nger bestehen bleiben. Die noch junge Disziplin der Psychoneuroimmunologie, ein interdisziplin&auml;rer Forschungsansatz, der Zusammenh&auml;nge und Wechselbeziehungen nicht nur auf der k&ouml;rperbiologischen Ebene sieht, sondern auch den Zusammenhang mit biopsychosozialen Prozessen sucht, k&ouml;nnte hier Antworten liefern. Hannemann et al.<sup>3</sup> betrachten in ihrer Ver&ouml;ffentlichung Burnout im Rahmen des biopsychosozialen Modells. Nervensystem, Immunsystem, Hormonsystem sowie psychische bzw. psychosoziale Prozesse beeinflussen sich nicht nur &laquo;top-down&raquo;, sondern auch &laquo;bottom-up&raquo;.<br /> In der einen Richtung ist das Immunsystem dabei wesentliches Zielorgan in der &Uuml;bermittlung von Stressreizen aus der Peripherie: Gef&uuml;hle f&uuml;hren zu Stressreaktionen im K&ouml;rper, Stress wiederum unterdr&uuml;ckt das Immunsystem. Unter diesem Gesichtspunkt werden im biopsychosozialen Modell auch Lebensumst&auml;nde ber&uuml;cksichtigt. Somit r&uuml;cken auch in der medizinischen Forschung Lebenszusammenh&auml;nge immer mehr in den Mittelpunkt. Betrachtet man jene Prozesse, die vom Immunsystem ausgehen, wir das sogenannte &laquo;sickness behaviour&raquo; zum zentralen Begriff. Peripher angestiegene proinflammatorische Zytokinlevel passieren die Blut- Hirn-Schranke und nehmen Einfluss auf das Erleben und Verhalten.<sup>4</sup> So sorgen Entz&uuml;ndungsparameter beispielsweise daf&uuml;r, dass wir bei einer Grippe ersch&ouml;pft sind und uns zur&uuml;ckziehen. Kurzfristig dient dieser Prozess zur Erholung und ist daher sinnvoll, langfristig ist dieses Verhalten als Ausdruck von pathologischen &uuml;berdauernden stressbedingten Entz&uuml;ndungsaktivit&auml;ten zu verstehen.</p> <h2>Biomarkerforschung</h2> <p>2011 erschien ein grosser Review von 31 Studien zu Burnout, die insgesamt 38 verschiedene Biomarker untersuchten. Die Autoren fanden keine Zusammenh&auml;nge zwischen Biomarkerauspr&auml;gungen und dem Vorliegen von Burnout.<sup>5</sup> Auch zu Cortisol liegt bisher keine einheitliche Studienlage vor. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass es konkretere biopsychosoziale Ans&auml;tze der Forschung braucht, die nicht nur auf eine &laquo;defekte Maschine&raquo; blicken, sondern auch sozialwissenschaftliche Einsichten miteinbeziehen. Biomarker spielen aber trotz fehlender Aussagekraft in der Diagnose eine wichtige Rolle in der klinischen Behandlung. Studien zeigten, dass h&ouml;here Cortisolspiegel zu Beginn der Behandlung eine eher schlechtere Therapiewirksamkeit von Antidepressiva und Psychotherapie voraussagen.<sup>6, 7</sup> Eine Typisierung der Patienten anhand ihrer Herzratenvariabilit&auml;t (HRV) kann in der Therapieplanung hilfreich sein.<sup>8</sup></p> <h2>Trainingsmethoden bei Burnout</h2> <p>Die Steuerung und die Effekte verschiedener Trainingsmethoden werden zunehmend erforscht. Im Leistungssport ist die t&auml;gliche Messung der HRV in der Trainingsvorbereitung bereits zur Routine geworden. In der Burnoutdiagnostik wird die HRV ebenfalls bereits h&auml;ufig verwendet. Als relativ aufwendige 24-Stunden-Messung ist sie f&uuml;r die Behandlungssteuerung allerdings nicht geeignet. Nichtsdestotrotz k&ouml;nnten Kurzzeit-HRV-Messungen ein hilfreiches Element in der Steuerung der Burnoutbehandlung sein.<sup>9</sup> An der Clinica Holistica Engiadina wird daher ab 2020 in einer Studie untersucht, ob in der Burnout- Therapie bestimmte Patientengruppen von (Hoch-)intensivem Intervalltraining im Vergleich zu moderatem Ausdauertraining besonders profitieren.</p> <h2>Therapieans&auml;tze in der Praxis</h2> <p>Das SEB hat umfassende Ziele der Burnoutbehandlung erarbeitet (siehe Kasten). Um diese Ziele zu erreichen, empfiehlt das SEB einen multimodalen Therapieansatz bestehend aus</p> <ul> <li>Patientenbegleitung</li> <li>Biologisch-medizinischer Dimension</li> <li>Sportlicher Aktivierung</li> <li>Entspannung/Achtsamkeit</li> <li>Psychotherapie</li> <li>Existenzieller Dimension</li> <li>Vorbereitung/Begleitung in der beruflichen Reintegration</li> </ul> <p>Ausschlaggebend f&uuml;r den Erfolg der Burnoutbehandlung in der Zukunft wird das reibungslose Zusammenarbeiten aller Glieder der Behandlungskette sein: ambulante und station&auml;re Versorgung, Nachbehandlung, Betreuung durch Case Manager und Reintegration.</p> <h2>Ressourcenaktivierung</h2> <p>In der Clinica Holistica Engiadina setzt man in der Burnouttherapie auf die Ressourcenaktivierung bei affektiven St&ouml;rungen und eingeschr&auml;nkter Kognition. Der Fokus liegt dabei auf einer handlungsorientierten, nonverbalen Intervention.<br /> Man st&uuml;tzt sich dabei auf die These, dass Handeln und Erfahren einen pr&auml;genden Einfluss auf Denk-, F&uuml;hl- und Verhaltensmodifikationen nehmen. Diese Handlungsorientierung schafft es, die bereits vorhandenen F&auml;higkeiten der Patienten zu aktivieren und weitere Entwicklungen anzustossen, um so &uuml;ber die Therapiemotivation einen positiven Einfluss auf den Therapieerfolg zu nehmen. Dieses erfahrungsorientierte Lernen in der Psychotherapie wird beispielsweise im Hochseilgarten der Klinik Wollmarsh&ouml;he eingesetzt.</p> <h2>&laquo;Return to work&raquo; nach Burnout</h2> <p>Wie k&ouml;nnen Personen nach einem Burnout erfolgreich wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden? Eine Metaanalyse zeigte, dass die Mehrzahl jener Interventionen, die mit &laquo;return to work&raquo; (RTW) als Zielgr&ouml;sse arbeiten, die Burnoutsymptomatik reduzieren k&ouml;nnen, aber das Ziel verfehlen, die Arbeitsf&auml;higkeit zu f&ouml;rdern und lange Fehlzeiten zu verhindern. Kombinierte Interventionen hingegen, die beim Individuum und am Arbeitsplatz ansetzen, k&ouml;nnen den Rehaerfolg unterst&uuml;tzen. Dabei haben Programme, die auf validierten Burnouttheorien aufbauen, die gr&ouml;ssten Erfolgschancen.<sup>10</sup> Im Kanton Graub&uuml;nden wurde zur Unterst&uuml;tzung der beruflichen Re-Integration nach Burnout das Netzwerk Rework aufgebaut. Um ein sogenanntes &laquo;ressourcenorientiertes Eingliederungsprofil &raquo; herum wird versucht, die Keyplayer Arbeitgebende, Arbeitnehmende, &Auml;rzte, Spit&auml;ler und Sozialversicherungen fr&uuml;hzeitig an einen Tisch zu bringen und Gespr&auml;che zu initiieren. N&auml;here Informationen findet man auf <a href="http://www.rework-gr.ch" target="_blank">www.rework-gr.ch</a>.</p> <h2>Ziele der Burnoutbehandlung</h2> <p>&laquo;Um eine nachhaltige Besserung zu erreichen, gilt es, psychologische Risikofaktoren zu relativieren, eine nachhaltige Selbstf&uuml;rsorge zu entwickeln und eine erh&ouml;hte Kompetenz hinsichtlich Stressbew&auml;ltigung, Konfliktl&ouml;sung und sozialer Interaktion zu erwerben. Zentrales Ziel muss sein, die Betroffenen erneut zu bef&auml;higen, Kontrolle &uuml;ber ihr Leben zu gewinnen und die f&uuml;r ihren Lebensentwurf und ihre Identit&auml;t wichtigen Kompetenzen und Ressourcen aufzubauen.&raquo; (nach Hochstrasser et al. 2016<sup>1</sup>)</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: SGPP-Kongress, 4. bis 6. September 2019, Bern </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Hochstrasser B et al.: Swiss Medical Forum - Schweizerisches Medizin-Forum 2016; 16(25): 538-41 <strong>2</strong> Bianchi R, Brisson R: J Health Psychol 2019; 24(11): 1574-80 <strong>3</strong> Hannemann J et al.: Schweizer Zeitschrift f&uuml;r Neurologie und Psychiatrie 2019; 2: 18-23 <strong>4</strong> Strahler J et al.: Neurosci Biobehav Rev 2016; 68: 298-318 <strong>5</strong> Danhof-Pont MB et al.: J Psychosom Res 2011; 70(6): 505-24 <strong>6</strong> Fischer S et al.: Br J Psychiatry 2017; 210(2): 105-9 <strong>7</strong> Fischer S et al.: Neurosci Biobehav Rev 2017; 83: 200-11 <strong>8</strong> Kircanski K et al.: Depress Anxiety 2019; 36(1): 63-71 <strong>9</strong> Riffer F et al.: Neuropsychiatr 2016; 30(4): 198-206 <strong>10</strong> Ahola K et al.: Burnout Research 2017; 4: 1-11</p> </div> </p>
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